Book Title: Buddhismus Und Natur
Author(s): L Schmithausen
Publisher: L Schmithausen

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Page 11
________________ Umgebung auszudrücken scheinen, als hintergründig. Sie sind, wie S. Zienhard 60 überzeugend dargelegt hat, in Wahrheit Verfremdungen weltlicher Lyrik, vor allem solcher, die die Regenzeit (also die Jahreszeit, in der die Mönche feste Behausungen, etwa Hütten oder Höhlen in der Wildnis, aufsuchen mußten61) als Zeit der Liebesfreuden, aber auch des Trennungsschmerzes schildern. Die Mönche wollen mit ihren Umformungen solcher Dichtung den Laien gegenüber betonen, daß sie trotz der Liebesfreuden evozierenden Naturerscheinungen in ihrer Einsamkeit glücklich, ja glücklicher als die Laien sind. Dieses Glück der Mönche entspringt zweifellos der inneren Quelle der Versenkung und der Erlösung von Begierde und Furcht und ist daher letztlich nicht von der Örtlichkeit abhängig62. Es ist aber denkbar, daß der spirituelle Zustand des Befreitseins von allen Affekten auch eine gelassene, emotionsfreie Wahrnehmung der Schönheiten der Natur, zumal der Wildnis, zuläßt bzw. überhaupt erst möglich macht63. i In der Daseinsanalyse des Großen Fahrzeugs steht, wie gesagt, die Nichtigkeit der Erscheinungen im Zentrum, manchmal aber auch ein ihnen als ihr wahres Wesen innewohnendes „höchstes Sein“. Einen wesentlichen Bestandteil der Spiritualität des Großen Fahrzeugs bildet dementsprechend die Betrachtung der Nichtigkeit der Erscheinungen, und die erlösende Einsicht besteht in einer mystischen Erfahrung, in der alle Erscheinungen verschwunden sind64 und sich ggf. das „höchste Sein“ unmittelbar manifestiert65. Für die Natur ist, soweit ich sehe, in dieser Erfahrung kein Raum, zumindest im indischen Mahāyāna nicht. Einen Platz haben könnte die Natur allenfalls in der auf diese mystische Schau folgenden Erfahrung des Wiedereintretens in die Erscheinungswelt, in der diese nun aber nicht mehr wie in der alltäglichen Erfahrung erlebt wird, sondern im Lichte der unmittelbar vorhergehenden mystischen Schau ihres wahren Wesens. Die indischen Texte sehen jedoch, nach meiner Kenntnis, die Wirkung der mystischen Schau auf die nachträgliche Sichtweise der Erscheinungswelt vor allem darin, daß die Erscheinungswelt nun tatsächlich als illusorisch (einem Zaubertrug gleich usw.) erfahren (und nicht mehr bloß so betrachtet) wird66. Darüber hinaus wird die mystische Schau - im Zusammenhang mit der nachträglichen, auf die Erscheinungswelt zurückgewandten Erfahrung - aber auch zur erfahrungsmäßigen Grundlage der ethischen Haltung des Mitgefühls mit allen Lebewesen, die auch für das Verhältnis zur Natur von Bedeutung ist. 110

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