Book Title: Buddhismus Und Natur
Author(s): L Schmithausen
Publisher: L Schmithausen

View full book text
Previous | Next

Page 12
________________ Diese Haltung hat aber, historisch gesehen, ihre Wurzel nicht in der buddhistischen Daseinsanalyse, sondern in einem anderen Strang buddhistischer Spiritualität, der auch im älteren Buddhismus schon vorhanden ist und vor allem durch die Übung der vier , Grenzenlosen' (apramāna) repräsentiert wird. Bei dieser Übung, die nach T. Vetter67 im Gegensatz zur negativen Daseinsanalyse zur ältesten Schicht der urbuddhistischen Lehre gehören dürfte, strahlt der Übende der Reihe nach in alle Himmelsrichtungen die Gefühle des Wohlwollens (mettālmaitri), des Mitleids (karunā), der Freude (muditā) und der „Gleichgültigkeit“ 68 (upekkhal upeksā) aus, ohne eine Grenze zu ziehen und in der Weise, daß alle (Lebewesen) sein Ich oder Selbst werden69 (sabbattatāya). Im Gegensatz zur Daseinsanalyse des älteren Buddhismus, die alle beobachtbaren Konstituenten der Person aufgrund ihrer Vergänglichkeit dahingehend bestimmt, daß sie - in einem Dauerhaftigkeit implizierenden Sinne - weder das Ich sind noch dem Ich gehören, und so das Ich gewissermaßen auf Null reduziert, eliminiert die Übung der Grenzenlosen“ das begrenzte Ich egoistischen Strebens dadurch, daß sie es gleichsam sprengt und, durch Einbeziehung aller Lebewesen, ins Unendliche ausdehnt. Sie geht, wie es ein Mahāyāna-Text ausdrückt, zur „Ansicht eines großen Ichs" (mahātmadrsti), in das alle Lebewesen einbegriffen sind", über. Ziel der Übung der Grenzenlosen“ ist im älteren Buddhismus72 vor allem die spirituelle Läuterung des Übenden selbst: Wohlwollen etwa reinigt von Haß, „Gleichgültigkeit“ von Gier?3. Im Mahāyāna hingegen werden allumfassendes Wohlwollen und Mitleid autonom und führen sogar zu einer Zurückstellung des eigenen Heils zugunsten der anderen Lebewesen. Diese zentrale Stellung von allumfassendem Wohlwollen und Mitleid führt zu dem Bedürfnis, sie auch aus der Daseinsanalyse abzuleiten. An einer Stelle74 wird dies sogar auf der Basis der Daseinsanalyse des älteren Buddhismus versucht und von der Lehre ausgegangen, daß es in Wirklichkeit kein Ich gebe und infolgedessen auch keine anderen Personen bzw. Lebewesen, sondern bloß Ströme unpersönlicher Daseinsfaktoren, in denen u. a. auch der Faktor Leid auftritt. Hieraus wird nun geschlossen, daß, wenn das Leid schon, wie allgemein anerkannt, etwas zu Beseitigendes ist, es kein spezifizierendes Moment gibt, kraft dessen man diese Beseitigung auf die (in Wirklichkeit gar nicht existierende) ei 111

Loading...

Page Navigation
1 ... 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34