Book Title: Buddhismus Und Natur
Author(s): L Schmithausen
Publisher: L Schmithausen

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Page 16
________________ Aber zum einen wird man dem Buddhismus die zugrundeliegende, sich aufgrund der dargelegten Konsequenz als überaus gefährlich erweisende Voraussetzung, daß die Existenz der Tiere besonders leidhaft sei, nicht ohne weiteres zugestehen. Zum anderen muß die obige Konklusion als typisches Beispiel für das Irrtumsrisiko bewertet werden, das man eingeht, wenn man Aussagen buddhistischer Texte über ihre spirituelle Intention hinaus zur Grundlage systematischer Folgerungen macht. Der Buddhismus besteht ja keineswegs nur aus der negativen Daseinsanalyse, von der ich ausgegangen war, und aus der Haltung des allumfassenden Mitleids. Er hat sich vielmehr - und das führt uns zu weiteren und für unsere Problematik zentralen Prinzipien der buddhistischen Ethik - im Rahmen einer Asketenbewegung entwickelt, zu deren Ideengut auch die Lehre von Karma, von den guten und schlechten Werken, und das Gebot des Nichtverletzens (ahimsā) gehören. Diese beiden Lehren - vor allem die letztere - führen aber nicht nur im Hinblick auf Menschen zur kompromißlosen Ablehnung der obenerwähnten Tötung aus Gefälligkeit und mitleidbedingten Verleitung zur Selbsttötung86; sie schließen vielmehr auch im Falle von Tieren die obige Konklusion, es sei geradezu verdienstvoll, sie zu töten oder auszurotten, weil man ihnen damit angesichts der besonderen Leidhaftigkeit ihres Daseins durchaus einen Gefallen tue, grundsätzlich aus und bedingen ein essentiell andersartiges Verhalten gegenüber der Natur. Die Karma-Lehre87 impliziert, in Verbindung mit der Lehre vom Immerwiedergeborenwerden (samsāra), dass eine unglückliche Existenz und zumindest ein Teil des darin erfahrenen Leides die Auswirkung schlechter Taten ist, die man in einer früheren Existenz begangen hat. Es hat also kaum Sinn, ein solches Lebewesen durch Tötung von seinem Leiden oder seiner schlechten Existenz befreien zu wollen, da das schlechte Karma dann ungetilgt bleibt und seine Rest-Frucht in einer anderen, ebenfalls unglücklichen Existenz bringen wird; es sei denn, man ginge - wie es die Samsāramocakas tatsächlich getan haben sollen 88 - so weit, daß man die mit der Tötung verbundene (oder auch vorher eigens zuzufügende) Qual als eine Art künstlicher Karma-Tilgung wertet. Die Lehre vom Nichtverletzen (ahimsā) jedoch verbietet das Töten und Schädigen von Lebewesen in jeglicher Form apodiktisch. Diese Lehre hat offenbar ganz archaische Wurzeln. Urtümliche Jägerbzw. Wildbeutervölker haben bekanntlich häufig das Bedürfnis, das Töten auf ein Minimum zu beschränken und das getötete Tier bzw. einen 115

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