Book Title: Versenkungspraxis Und Erlosende Erfahrung In Der Sravakabhumi
Author(s): L Schmithausen
Publisher: L Schmithausen
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ VERSENKUNGSPRAXIS UND ERLÖSENDE ERFAHRUNG IN DER ŚRĀVAKABHŪMI' Von Lambert Schmithausen, Hamburg Die Śrāvakabhūmi („[Exposition der Stufe des Hörers'", d. h. des Adepten des traditionellen Heilsweges) bildet in ihrer uns überlieferten Abkürzungen: AK Bh ASBh BHSG Bo Bh Chin. CPD E. B. Hs. IBK JRAS MPPUL PTSD Sr Bh Sr Bht Sr Bhw Abhidharmakośabhāsya, ed. P. PRADHAN, Patna 1967. Abhidharmasamuccayabhāsya, ed. N. TATIA, Patna 1976. F. EDGERTON, Buddhist Hybrid Sanskrit Grammar, New Haven 1953. Bodhisattvabhūmi, ed. N. DUTT, Patna 1966. Chinesische Übersetzung der Sr Bh (T 1579, p. 395 c ff.). A Critical Pali Dictionary, Copenhagen 1924 ff. Encyclopedia of Buddhism, Colombo 1961 ff. Patna-Hs. der Sr Bh (Fotografie, die mir durch die Freundlichkeit meiner Göttinger Kollegen H. Bechert und G. Roth verfügbar ist). Indogaku Bukkyōgaku Kenkyū. Journal of the Royal Asiatic Society (of Great Britain and Ireland). E. LAMOTTE, Le Traité de la Grande Vertu de Sagesse de Nāgārjuna, Louvain 1949 ff. The Pali Text Society's Pali-English Dictionary, Repr. London 1966. Srāvakabhūmi, ed. K. SHUKLA, Patna 1973. tibetische Übersetzung der Sr Bh (Peking-Tanjur, sems-tsam, Bd. wi). A. WAYMAN, Analysis of the Srāvakabhūmi Manuscript, Berkeley and Los Angeles 1961. Yogācārabhūmi des Sangharakşa (T 606). P. DEMIÉVILLE, La Yogācārabhūmi de Sangharakşa, in: Bulletin de l'École Française d'Extrême-Orient 44/1954. Taisho-Ausgabe des chinesischen Tripitaka. = Sr Bht. Tattva- (od. Satya-)siddhi (T 1646). (Abhidharma-mahā-)Vibhāsā (-śāstra (T 1545). Visuddhimagga, ed. WARREN, Cambridge/Mass. 1950. Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens. Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft. SY SYD) т Tib. TSi Vi VisM WZKS ZMR Stellenangaben ohne Spezifizierung beziehen sich auf Sr Bh. ! Ziel des vorliegenden Beitrages ist eine Skizze der Lehre der Srāvak a bhūmi (Sr Bh) von der erlösenden Erfahrung und der sie vorbereitenden und herbeiführenden Versenkungs- und Meditationspraxis. Da mir für die Ausarbeitung aufgrund anderer Verpflichtungen nur wenig Zeit zur Verfügung stand, ist diese Skizze notwendigerweise vorläufig und unvollständig. Insbesondere mußte ein Eingehen auf von der Sr Bh ausgehende bzw. auf sie Bezug nehmende spätere Entwicklungen (Samdhinir Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 60 L. SCHMITHAUSEN Gestalt das umfangreiche 13. Kapitel des Grundteils der Yogācārabhūmi, einer umfangreichen, offensichtlich in mehreren Arbeitsgängen entstandenen Kompilation verschiedenartiger Materialien, die von der Überlieferung dem Mahāyāna-Meister Asanga (4. oder 5. Jh. n. Chr.) bzw. (der Inspiration des zukünftigen Buddhas) Maitreya zugeschrieben wird. In der Yogācārabhūmi lassen sich, wie ich in meinem Beitrag zum vorigen Symposium bereits bemerkt habe, zwei ganz verschiedene Auffassungen vom Charakter der erlösenden Erfahrung beobachten: Eine traditionelle oder „hīnayānistische“, nach der die erlösende Erfahrung in der sukzessiven wahrheitsgemäßen Einsicht in die vier Edlen Wahrheiten (āryasatya) besteht, und eine mahāyānistische, wonach sie unmittelbares Innewerden eines unausdrückbaren einheitlichen wahren Wesens (tathata) aller Erscheinungen ist. An mehreren Stellen der Yogācārabhūmi finden sich, wie gleichfalls in dem bereits genannten Beitrag angedeutet", komplexere Dar mocanasütra etc.) im Rahmen dieses Aufsatzes unterbleiben. Aber auch das Sr BhMaterial selbst stellt zahlreiche semantische, interpretatorische und systematische Probleme, die, soweit sie überhaupt explizit gemacht werden konnten, hier z. T. nur tentativ gelöst werden. Die Anmerkungen bieten zumeist nur, in Form von unspezifizierten Seiten- und Zeilenangaben, Stellenbelege aus der Sr Bh, wobei nicht versucht worden ist, die als Belege verwendbaren Stellen jeweils vollzählig aufzuführen. Gelegentlich werden aber in den Anmerkungen auch semantische, interpretatorische und systematische Probleme diskutiert bzw. Zusatzinformationen geboten und, soweit dies für das Verständnis der Sr Bh-Materialien notwendig erschien, Hinweise auf andere Texte und Traditionen gegeben. Verweise auf Sekundärliteratur sind auf ein Mindestmaß beschränkt. Die Versenkungs- und Meditationslehre der Sr Bh ist, soweit ich sehe, in der bisherigen Literatur nur summarisch oder marginal berücksichtigt worden; zu nennen wären vor allem: J. NOZAWA, Daijö-bukkyo-yugagyo no kenkyū, Kyoto 1957, p. 31 ff.; HUI, Yugaron-kenkyü. Tokyo 1958, p. 119ff. (vgl. auch den Appendix von SH. MIYAMOTO zur 2. Aufl. von 1979, p. 398f); KUEDA, Hosso-yuishiki ni okeru zenjo no kosatsu (Some Remarks on Meditation in the Hosso School), in: Bukkyogaku-kenkyū 36/1980, p. 22 ff.; K. YOKOYAMA, Yöga no shin to shinnyo – Yugashijiron to Gejimmikyo o chūshin ni, in: Bukkyo-gaku 9 - 10/1980, p. 191 ff., bes. 197 ff., 202 u. 211; vgl. auch L. SCHMITHAUSEN, Spirituelle Praxis und philosophische Theorie im Buddhismus, in: ZMR 57/1973, p. 167 (wo auf S. 167, Anm. 14 mit SHUKLA (u. Hs.) samavahitam sammukhībhūtam zu lesen ist; statt pratismrti- hat die Hs. wie bei SHUKLA pratismrta-; vgl. aber ASBh 116, 2 pratismrtimātra-) sowie N. ODANI, Daijögongyöron dai 19 sho (Kudoku-hin) dai 50 ge ni tsuite (On the Mahāyānasutralamkāra, XIX, 50), in: IBK 07/1980, PP, 422 418. 2 Ein näheres Eingehen auf die immer noch andauernde Kontroverse über die ,,Verfasserschaft" Asangas muß ich einer anderen Gelegenheit vorbehalten. 3 L. SCHMITHAUSEN, Zur Struktur der erlösenden Erfahrung im indischen Buddhismus. In: Transzendenzerfahrung, Vollzugshorizont des Heils, hrsg. v. G. OBERHAMMER, Wien 1978, p. 112. 4 Es sei angemerkt, daß es im vorliegenden Zusammenhang nur um die erstmalige erlösende Erfahrung geht, durch die lediglich eine erste, in intellektuellen Fehleinstellungen bestehende Kategorie von unheilskonstitutiven Faktoren (Befleckungen, klesa) ausgerottet wird, während die tiefer verwurzelten affektiven Fehleinstellungen nur durch wiederholte Übung (bhāvanā) eben dieser erlösenden Erfahrung eliminiert werden können. Op. cit. [Anm. 3), p. 116. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Śrāvakabhūmi 61 stellungen mit Versuchen, diese beiden Formen miteinander zu verbinden, meist unter dem Vorzeichen der mahāyānistischen Position, also in der Weise, daß man versucht, die traditionelle, hīnayānistische Form der erlösenden Erfahrung nicht einfach zu leugnen, sondern der mahāyānistischen als ein untergeordnetes Moment einzuverleiben oder anzugliedern. In der Sr Bh, als einem der traditionellen, hīnayānistischen Spiritualität gewidmeten Kapitel, erwartet man natürlich die hinayānistische Form der erlösenden Erfahrung, und diese Erwartung wird auch nicht enttäuscht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, daß die Situation doch nicht ganz so einfach ist. Vor allem die entsprechenden Partien der ausführlichen Darstellung des Erlösungsweges im letzten Buch der Śr Bh enthalten Elemente, die zusätzliche Probleme aufwerfen, deren Behandlung aber eine Kenntnis der Grundzüge des Gesamtrahmens der Versenkungs- und Erlösungslehre der SrBh voraussetzt. Eine Darstellung dieses Gesamtrahmens ist allerdings nicht unproblematisch, da sich die einschlägigen Ausführungen auf verschiedene Teile des Textes verteilen, wobei sowohl formale Unterschiede wie auch inhaltliche Divergenzen darauf hinweisen, daß es sich um Textstücke unterschiedlicher Herkunft bzw. unterschiedlichen Alters handelt. Eine textgeschichtliche Analyse der Śr Bh liegt jedoch bisher nicht vor. Ich muß daher hier auf eine ideengeschichtlich strukturierte Darstellung der Versenkungs- und Erlösungslehre der SrBh verzichten und mich darauf beschränken, im Rahmen einer prinzipiell synchronisch angelegten Skizze auf einige besonders auffällige Unstimmigkeiten hinzuweisen. Solche Unstimmigkeiten bestehen vor allem zwischen der ausführlichen Schilderung des Ablaufes des gesamten Heilsweges (angefangen von den vorbereitenden Versenkungsübungen bis hin zur Realisierung der Erlösung) im 3. und 4. Buch und der im 2. Buch vorgetragenen, aber offenbar auch in Stücken des 3. Buches' vorausgesetzten Theorie einer auf alle Versenkungs- und Meditationsformen zutreffenden einheitlichen Struktur. Wenn man von weniger Wichtigem einmal absieht, so läßt sich die Versenkungs- und Meditationspraxis der Śr Bh in drei Hauptkomplexe gliedern: 1. eine Gruppe von fünf Vorbereitungsübungen, 2. den ,weltlichen Erlösungsweg (laukiko mārgah), und 3. den überweltlichen Erlösungsweg (lokottaro mārgah). 6 Mein japanischer Kollege N. Aramaki ist zur Zeit mit der Ausarbeitung einer solchen Analyse befaßt. Ich will seinem Ergebnis hier nicht vorgreifen, möchte aber die Gelegenheit benutzen, ihm für die zahlreichen Anregungen zu danken, die ich aus einem von ihm an der Universität Hamburg abgehalten Seminar über die Srāvakabhūmi geschöpft habe und die mich bewogen haben, die ursprüngliche Fassung dieses Beitrages in wesentlichen Punkten zu ergänzen oder abzuändern. Ich benutze die Gelegenheit, auch meinen Freunden S. A. Srinivasan und A. Wezler für wertvolle Hinweise zu danken. 7 Z. B. 402, 7-20 (Ed. lückenhaft; vgl. auch Anm. 63). Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ L. SCHMITHAUSEN 1. Beginnen wir mit den fünf Vorbereitungsübungen. Sie dienen zum einen der gezielten Bekämpfung persönlichkeitsbeherrschender Charakterfehler: Wer zur Begehrlichkeit (besonders im sexuellen Sinne) (rāga) neigt, soll die ,Ubung des Widerwärtigen (aśubhā) praktizieren, d. h. ein wiederholtes meditatives Sichvergegenwärtigen der unreinen Bestandteile des menschlichen Körpers oder von Leichen in den verschiedenen Stadien der Auflösung. Gegen die Neigung zu Haß oder Abneigung (dveşa) wird die Übung der Freundschaftlichkeit (maitri) empfohlen, gegen Fehlorientiertheit (moha) die Betrachtung des ,Entstehens in Abhängigkeit (pratītyasamutpäda) als der richtigen Lehre, gegen Stolz die analytische Zergliederung [von Person und Außenwelt) nach Elementen (dhātuprabheda), gegen die übermäßige Neigung zu gedanklichem Abschweifen (vitarka) das bewußte Registrieren der 'Atemtätigkeit (ānā pānasmrti). In der Śr Bh ist aber, ähnlich wie in anderen buddhistischen „YogaLehrbüchern"), diese spezifische Funktion der genannten Übungen überlagert von einer allen gemeinsamen Wirkung, die darin besteht, daß sie einen Zustand der geistigen Sammlung (cittaikāgratā)'' oder Konzentration (manaskāra)" herbeiführen", wobei die Verteilung der einzelnen Übungen auf die verschiedenen Typen von Adepten jedoch gewahrt bleibt 3, so daß sie auch als Übungen zum Zwecke der Erlangung geistiger Sammlung nicht etwa kumulativ, sondern alternativ zu praktizieren sind. Der durch sie herbeigeführte Konzentrationszustand ist, nach Auskunft des 4. Buches der Śr Bh, die Basis, auf der nach Wahl entweder der weltliche oder der überweltliche Weg praktiziert werden kann 14. 0 . 8 202, 3 ff. (caritavisodhanam ālambanam), insbes. 204, 21 ff., 209, 14 ff., 210, 8ff., 218, 9 ff., 236, 15 ff.; vgl. auch 198, 13 ff. u. 7.; zu ähnlichen Aussagen in anderen buddhistischen ,,Yoga-Lehrbüchern" vgl. SYD 356 u. 403; D. SEYFORT RUEGG, On a Yoga Treatise in Sanskrit from Qizil, JAOS 87/1967, p. 159f. 9 Vgl. etwa SYD 410 ff. (samatha, auch dhyāna, durch aśubha-bhāvanā und ānā pānasmrti) u. 359; VisM III. 104-107; AK Bh 337, 7f. u. 341, 7 (lies samadhim labdhvā?). 10 426, 11 f. (lies tatprathamata(h) (od. -ta(8 tvam>) spraksyasi mrdukām käyapraérabdhim cittaprasrabdhim (Hs.) cittaikāgratām): 432, 8ff (in Z. 8f, ist zu vāvad viniya zu emendieren, in Z. 10 zu sūksmā cittaikāgratā kāyaci)ttaprasrabdhir, in Z. 12 zu prasvaccha-; in Z. 14f. ist cābhivardhamānā audārikām... cittaikāgratām (citta)kāyaprasrabdhim zu lesen); 411, 7f. "433, 14 ff. (lies rūpāvacaro 'nena... tatprathamatah); vgl. auch 411, 5f. 12 Diese gemeinsame Wirkung scheint im Falle der Atembeobachtung mit der spezifischen Funktion, sc. der Ausschaltung unruhiger, abschweifender Gedanken, nahezu identisch zu sein (vgl. 237, 1 ff.!). 13 411, 14 ff. +426, 17—19; cp. VisM III. 121 ; AK Bh 337, 9ff. 14 437, 2 ff.; Herrn Prof. Aramaki verdanke ich den Hinweis auf die ähnliche Systematik bei Sangharaksa: 8. SYD 415 (samatha durch Atembeobachtung als Ausgangspunkt für den weltlichen oder überweltlichen Weg; statt ,,la douleur inhérente aux skandha" ist eher ,,das Übel der (fünf] ,Behinderungen (nivarana)" zu verstehen). Vgl. auch T 614 (SYD 355 ff.), bes. p. 278b 27 ff. Beachte jedoch auch S. 76f. u. Anm. 99. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi 63 Obwohl es sich bei den fünf die Versenkung herbeiführenden Vorbereitungsübungen historisch gesehen um im wesentlichen unabhängig voneinander entstandene Praktiken handelt, erklärt die Sr Bh, daß sie, trotz gewisser Besonderheiten, im Prinzip alle nach dem gleichen Muster durchzuführen seien '5. Ich kann mich daher hier auf die , Ubung des Widerwärtigen (aśubhā) als Beispiel beschränken, zumal diese Übung im Text am detailliertesten behandelt wird. Dabei kann allerdings nur das für den vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zur Sprache kommen. Die Praxis der Übung des Widerwärtigen' beginnt mit einer Anzahl von vorbereitenden Maßnahmen, die vor allem darin bestehen, daß der Übende eine Reihe von charakteristischen Merkmalen, Wesenszügen oder Erscheinungsbildern (nimitta) 5a in sich aufnimmt' (udgrah-), etwa die charakteristischen Merkmale der Störfaktoren 16 oder der Sammlung '7, vor allem aber das Erscheinungsbild des Widerwärtigen, etwa einer Leiche in einem bestimmten Stadium der Auflösung, das man sich an einer Leichenstätte, aber auch an Hand von Bildern oder Figuren einprägen kann's. Sodann setzt sich der Übende an einem ungestörten Ort in Meditationshaltung nieder und konzentriert sich zunächst lediglich auf die Erlangung des Zustandes der Sammlung oder Geistesruhe (samatha); d. h. die Versenkungsbemühung ist einfach auf Nichtzerstreutheit (aviksepa) gerichtet '9, noch nicht auf ein 15 426, 17 ff. (lies maitrivineyadayo 'pi ānāpānasmrtivineyaparyavasānā...); vgl. auch 193,-13 ff. u. 198, 13 ff. im Rahmen von 193, 4 202, 2. 180 Der Terminus nimitta bezeichnet — soweiter im Sinne des Objektes (alambana) und nicht in anderem Sinne, etwa dem der Ursache oder des Anlasses (nidāna, vgl. Śr Bh 280, 6 ff. [in Z. 6 ist, nach ālambananimittam, nidānanimittam ausgefallen)) verwendet wird zunächst das charakteristische Merkmal oder die typische Erscheinungsform des als Übungsobjekt gewählten (äußeren) Gegenstandes, das man zu Beginn der Übung aufnimmt“ ((ud-)grah-), oder einfach dieser selbst (vgl. z. B. VisM VI.61 : nimittam antaradhāyati, wozu die Paramatthamañjūsā, Varanasi 1969, p. 392, mit Recht bemerkt: susāne thitam asubhanimittam). Manchmal ist es jedoch schwer zu entscheiden, ob mit nimitta die Erscheinungsform des Ubungsobjektes selbst oder bereits das in die Vorstellung aufgenommene Bild dieser Erscheinungsform gemeint ist. Meine Wiedergabe mit ,,Erscheinungsbild“ soll diese Unsicherheit ausdrücken. Mit ,,Vorstellungsbild“ hingegen gebe ich nimitta wieder, wenn es sich eindeutig um die Reproduktion der Erscheinungsform des Ubungsgegenstandes in der visualisierenden Vorstellung handelt. Zu den unterschiedlichen Arten von nimitta in der Versenkungspraxis der Theravādins vgl. u. a. NYANATILOKA, Buddhistisches Wörterbuch, Konstanz o.J., p. 137; F. HEILER, Die buddhistische Versenkung, München 1918, p. 24f.; E. CONZE, Buddhist Thought in India, London 1962, p. 254f., K. YOKOYAMA, nimitta (so) ni tsuite, in: Bukkyo-gaku 1/1976, p. 89 ff. - vgl. auch Anm. 81. T6 415, 5 ff. (in 2.5 ist vielleicht zu sa tvam punar apy (?) adinava- zu emendieren, in Z. 6 zu vitarkebhyas; in Z. 11 ff. erwartet man -karāni etc. statt -kārakāni etc.; in Z. 12 u. 14 ist mit der Hs. autsukya-, in Z. 15 yas cānupasama upazu lesen; in Z. 16 ist zu duḥkhavihāra zu emendieren). 17 415, 18 ff. (lies nirnimittasamjnayā nirnimitte ca- in Z. 20f.). 18 416. 4 ff. (in Z. 4 ist wohl mit Tib. und Chin. zu (evam aloka mimittam udgrhya zu ergänzen, in Z. 7 zu kāşthāśmaśādakrtād vā zu emendieren (vgl. 373, 7)). 19 416, 12 ff. (in Z. 13 ist wohl -bandham zu lesen); 396, 1 ff. (in Z. 3f. zu tada(nya)smin vä, nānyatrāviksepāya zu emendieren). Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 64 L. SCHMITHAUSEN bestimmtes Objekt. Der Geist ist in diesem Zustand ohne gegenständliches Erscheinungs- oder Vorstellungsbild (nirnimitta) und ohne [die dadurch implizierte] [Geistes]tätigkeit (avyāpāra), frei von willkürlicher konzeptualisierend-reflektierender Aktivität 20 (nirvikalpa), ohne Neugierde (autsukya) oder Aufgewühltheit (samksobha), vollkommen ruhig, in sich glücklich?. Etwa auftauchende Störfaktoren werden sofort registriert und, im Bewußtsein ihrer Nachteile, durch Nichtbeachtung wieder ausgeschaltet 22. Dieser Weg der Geistesruhe (samathamärga) ist solange fortzusetzen, als man seiner nicht überdrüssig wird 23. Läßt er sich nur noch mit Gewalt weiterführen 24, soll man sich schleunigst 25 von dem Übungsobjekt der Geistesruhe', bei dem es keine Unterschiede oder Alternativen gibt (?) 25 20 nirvikalpa scheint hier in Opposition zu vitarka (415, 6 (s. Anm. 16!), 8 u. 17) zu stehen. 21 396, 5f.: 416, 14-16 (wo mit Tib. u. Chin. (nirnimittasamjñām) nirvvikalpasamjñām upasamasaminām zu lesen ist; in Z. 15 steht -saminan nis- für -saminām nis-; Chin. liest in Z. 15f. (ebenso in Z. 1) nairurtya-sukha- statt nairurtya-subha-, wozu 423, 17 zu vergleichen ist); 415, 20 ff. (s. Anm. 17). 22 417, 1 ff. (smrtisampramosāt in Z. 2 fehlt in Tib. u. Chin. und ist wohl eine Glosse; in Z. 3 ist wohl mit Tib. (185b 2) -kleśā anabhyāsadosāt (cp. 419, 17) zu emendieren; Chin. (460c 14) scheint allerdings abhyāsa- gelesen zu haben; in 2.4 muß es mukham, in Z.5 wohl -bhavanti statt -kurvvanti sowie -neşv asmrty-, in Z. 6 - drstam e(vādīna Yvan heißen; in Z.7 ist tad ālambanam asmrty- richtig, in Z. 8 ist visvastam zu vidhvastam zu emendieren); 396, 7f. 23 419, 14 ff. 24 419, 17 (lies: -dosän na ramate, sopā (vāsam balātkārakaranīSyam ca). 25 Es ist mit der Hs. tadă laghu laghv eva statt tadalamba zu lesen. 26 Hypothetische Deutung, die bewußt unter Nichtberücksichtigung des anders zu verstehenden nirvikalpam pratibimbam von 193, 5 ff. (vgl. S. 69) vorgeschlagen wird. Eine Auffassung von nirvikalpam alambanam als „nicht von Reflexionstätigkeit begleitetes Objekt" erscheint zwar auch an der vorliegenden Stelle nicht ausgeschlossen. Aber während es sich in 193, 5 ff. um das gleiche Vorstellungsbild handelt, das durch die Qualifikationen nirvikalpa und savikalpa als in jeweils verschiedenen Situationen befindlich charakterisiert wird, haben wir es an der vorliegenden Stelle mit zwei ganz verschiedenen Objekten (se, der Nichtzerstreutheit und dem [in der Vorstellung zu reproduzierenden Erscheinungsbild des Widerwärtigen) zu tun, und es liegt m. E. näher, daß diese mittels eines ihnen selbst zukommenden Unterschiedes differenziert werden als durch einen Verweis auf das Fehlen bzw. Vorhandensein eines anderen (sc. der Reflexionstätigkeit). Auch ist zu beachten, daß es im vorliegenden Kontext weniger um die Untersuchung eines (bereits in der Vorstellung reproduzierten) Vorstellungsbildes als um diese Reproduktion oder Visualisierung selbst geht (vgl. auch S. 69). Dies aber würde bedeuten, daß der Komplementärbegriff savikalpam ālambanam (,,von Vorstellungstätigkeit begleitetes Objekt") im Sinne von „mittels Vorstellungstätigkeit (oder: in der Vorstellung) reproduziertes Objekt" o.ä: zu interpretieren wäre. Das wäre vielleicht nicht unmöglich, erscheint aber doch reichlich gezwungen - es sei denn, das an der Leichenstätte etc. aufgenommene' (udgrhīta) Erscheinungsbild des Ubungsobjektes wäre als auch während der einleitenden samatha-Phase irgendwie präsent aufzufassen und savikalpam ālambanam als „[nunmehr] mit (es ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückender] Vorstellungstätigkeit verbundenes Objekt" zu interpretieren. Auch so bleibt aber das erste Argument. Ich ziehe es daher vor, im vorliegenden Zusammenhang den Terminus nirvikalpa, sofern er als Attribut des Objektes verwendet wird (im Gegensatz zu nirvikalpa als Attribut des Geistes: z. B. 419, 9; Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Śrāvakabhūmi 65 (nirvikalpam ālambanam) – d. h. der bloßen Nichtzerstreutheit, die bei allen Übungsformen die gleiche ist — abkehren 28 und seine Aufmerksamkeit auf das Übungsobjekt, bei dem es Unterschiede oder Alternativen gibt (?) 29 (savikalpam ālambanam) richten (smrtyupanibandham kuru 30)31, d. h. das zu Anfang aufgenommene (udgrhīta) Erscheinungsbild (nimitta) des Widerwärtigen im Rahmen der Betrachtung' (vipaśyanā) im Bewußtsein vergegenwärtigen (manasikr-) 32 oder durch Sich-darauf-Konzentrieren willentlich in der Vorstellung reproduzieren (adhimuc-) 33. Diese ,Betrachtung“ wird als ,,bloß dem [Erscheinungs- oder Vorstellungs-]Bild 34 folgend“ (nimittamātraanusārin) gekennzeichnet 35, was an der vorliegenden Stelle bedeuten könnte, daß man bei dieser Betrachtung erstmals nicht mehr, wie vorher beim ,Aufnehmen des Erscheinungsbildes, das reale Ubungsobjekt selbst, sondern nur ein entsprechendes Vorstellungsbild vor Augen hat 36. Nach einer anderen Stelle 7 hingegen besagt der Ausdruck, daß die Betrachtung in dieser Phase das Ubungsobjekt lediglich in der Vorstellung vergegenwärtigt (manasikr-) oder ---- wie es kurz vorher 38 heißt — klar und deutlich zum Bewußtsein bringt (nimittīkr-)38&, nicht aber darüber reflektiert; letzteres geschieht viel 421, 17), als ,, frei von Unterschieden oder Alternativen" zu fassen, d. h. frei von den bei den eigentlichen Übungsobjekten gegebenen Alternativen (asubhā, maitrī, etc.: vgl. S. 62) oder auch internen Unterschieden (vinīlaka, vipūyaka, etc.). 27 Vgl. S. 63 und Anm. 19. 28 419, 18. 29 Vgl. Anm. 26: diese Deutung würde m. E. auch 421, 15 und 396. 10f. (lies sanimitte cālambane savikalpe 'subhādike) passen, doch setzt eine definitive Beurteilung eine weit gründlichere Durcharbeitung und Analyse des Textes voraus. 30 Ed. -baddham kurute. 31 419, 18f. 32 419, 19f. 33 419, 23 (etc.). - Zu adhimuc- (Grundbedeutung: ,,to be fastened on" bzw. medial ,,sich klammern an", ,, festhalten an") vgl. meine Rez. des 1. Fasz. des ,,Sanskrit Wörterbuchs der buddhistischen Texte aus den Turfan-Funden" in ZDMG 132.2. (1982), sowie H. SAKURABE, Bukkyo-go no kenkyä, Kyoto 1975, p. 34 ff. Im vorliegenden Zusammenhang ist adhimuc- in der Spezialbedeutung „sich auf ein bestimmtes Objekt in einer bestimmten Weise konzentrieren“, „etwas willentlich (manchmal auch: willkürlich) in einer bestimmten Weise in der Vorstellung vergegenwärtigen oder visualisieren“ verwendet. Vgl. Anm. 15a. 35 419, 21. 36 Vgl. vielleicht auch 422, 13f., wo jedenfalls für den Fall, daß mit der tib. (wi 188 a 7f.) und chin. (461 c 25 ff.) Version nimittamātrānusārinyā vipaśyanayā mit dharmān vicinvan (?) zu konstruieren ist, eine solche Bedeutung sinnvoll, ein Gegensatz zu einer von Untersuchung begleiteten Betrachtung hingegen kaum vorstellbar wäre. 37 367, 16 ff. (dort aber -anucaritā statt -anusārinī; 368, 1 ist mit der Hs. avavādam vă samāhita- zu lesen); vgl. auch 396, 12f. 38 367, 9. 38a Der Ausdruck nimittikr- bedürfte noch einer genaueren Untersuchung. Vielleicht ist von der verbalen Wendung nimittam kr- ,, to pick out the aim" (PTSD; cp. CPD s.v. uju: nimittam ujum karoti = takes a straight aim“) bzw. „zum Ziel machen“ auszugehen; vgl. auch Astasāhasrikā (ed. VAIDYA) 78, 15f.: abhinivisate nimittikaroti (so zu lesen mit E. CONZE, JRAS 1978, p. 15). SrBh 355, 11 tritt Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 66 L. SCHMITHAUSEN mehr [erst später] in der von Untersuchung begleiteten (paryeşanānucarita) Betrachtung', auf die dann noch die ,von Rückschau [auf das Ergebnis der Untersuchung] (pratyavekşana) begleitete Betrachtung folgen kann. In concreto scheint die Betrachtung“ (vipaśyanā) im Falle der ,Ubung des Widerwärtigen verschiedene Übungsabläufe zu umfassen. So kann der Übende z. B. die Anzahl der in der Versenkung reproduzierten Vorstellungsbilder des jeweiligen Leichenzerfallsstadiums allmählich von einem einzigen bis hin zu unzählig vielen ansteigen lassen, so daß sie alle Himmelsrichtungen füllen 39, und kann dann daran die Überlegung anschließen, daß ebenso unendlich groß die Zahl der eigenen Leiber ist, die im Verlauf der anfanglosen Wiedergeburten in den gleichen Zustand geraten sind bzw., wenn das Nirvāṇa nicht angestrebt wird, in Zukunft in diesen Zustand geraten werden 39. Oder man kann sich in einer fortgeschrittenen Übungsphase, die in Anlehnung an einen traditionellen Übungskomplex als Präsentsein der Aufmerksamkeit (smrtyupasthāna) 40 bezeichnet wird -- ausgehend von dem zu Anfang aufgenommenen Bild eines bestimmten Leichenzerfallsstadiums den gegenwärtigen eigenen Körper, im Vorgriff auf die unabwendbare Zukunft, als in dem gleichen Zerfallszustand befindlich vorstellen". In dieser Übungsphase der smrtyu pasthānas werden überdies auch die den Meditationsprozeß tragenden und begleitenden geistigen Faktoren - die der Geistesruhe und Betrachtung ebenso wie die dazwischentretenden oder früheren unkonzentrierten Zustände — zum Gegenstand der Aufmerksamkeit und in ihrem ständigen Kommen und Gehen, also in ihrer Vergänglichkeit, bewußt gemacht*3, womit eine inhaltliche Vorbereitung (oder gar partielle Vorwegnahme ?) des überweltlichen Weges gegeben ist (vgl. S. 79). nimittikr- als Quasisynonym von upalaks- auf, was einen Bedeutungsansatz ,,sein Augenmerk richten auf" (,,anvisieren“) oder/und ,,bemerken, klar erfassen, unterscheiden" (cp. CPD 8. v. upalakkheti) nahelegt. Sr Bh 396, 18f. erscheint nimittikaroti neben vikalpayati und dürfte das aktuelle (und gewollte) Reproduzieren des Erscheinungsbildes des Übungsobjektes in der Vorstellung bezeichnen. Möglicherweise schließt es zugleich den Aspekt der begrifflichen Bestimmung, der konkreten Konzeptualisierung, ein (vgl. SrBhW 175, 39f.: atītam tu vikalpyate, nimittakaranād 'idam caivam cābhūd' iti. Hierfür scheint auch die ASBh 8, 12f. bezeugte Assoziation von nimittīkāra mit dem ebenfalls problematischen, aber deutlich begriffs- und sprachbezogenen Terminus citrīkāra zu sprechen. 39 419, 22 ff. (420, 3 ist wohl -nah statt -nandvau anzusetzen, in 2. 4 vimsat BHSG $ 19.29], in Z. 5 vidišaś ca-, in Z. 6 pārnā nirantarā (adhi- und in Z. 7 wohl dandakotīvistambhana- (cp. 427, 11)). 39a 420, 9 ff. (in Z. 9 muß es wohl sa tvam etam' evādhimukti- heißen). 40 Vgl. L. SCHMITHAUSEN, Die vier Konzentrationen der Aufmerksamkeit. ZMR 60/1976, 241 ff. 41 423, 7ff. Die Leichenbetrachtung fungiert schon im kanonischen Smrtyupasthănasutra (Pāli : Satipatthănasutta [Majjhimanikāya No. 10]) als ein Element des ersten der vier smrtyupasthānas, des Präsentseins der Aufmerksamkeit hinsichtlich des Körpers'. 42 498, 8 11 in Z. 9 ist zu āyā pāyikatām zu emendieren). 43 423, 12 ff. (in Z. 12 ist sa tvam beizubehalten, desgleichen in Z. 22, wogegen in der Hs. der Danda vor statt nach sa tvam stehen sollte; in Z. 21 ist mit Tib. u. Chin. adhyatmam vedanāsu anzusetzen, in Z. 23 mit der Hs. abhyatitäh zu lesen; 424, 1 muß es citta(vi)ksepe heißen, Z. 4f. sādinavatām adhruvatām ... adhimucyasva, Z. 6-näyah (/> Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi 67 Die Durchführung der soeben skizzierten Betrachtungen ist jedoch keine einfache Angelegenheit, da die Reproduktion des Übungsobjektes in der Vorstellung, die ja eine anschauliche Visualisierung sein soll, nicht ohne weiteres von Anfang an vollkommen ist, sondern dies erst durch die Anwendung besonderer Techniken wird. Nach einer Stelle 44 kann die erforderliche Deutlichkeit und Leuchtkraft des Bildes dadurch erreicht oder zumindest gestärkt werden, daß man im Verlauf des Betrachtungsvorganges immer wieder das Erscheinungsbild des Lichtes (alokanimitta), das man sich in der Eingangsphase ebenfalls eingeprägt hatte, in der Vorstellung reproduziert. Nach einer anderen Stelle 45 ist die gewünschte Adäquatheit durch mehrmaliges Löschen (vibhāvanā) 15a und Reproduzieren (adhimuc-) des Vorstellungsbildes des Übungsobjektes zustandezubringen: Nur dadurch, daß man diesen Prozeß lange genug fortsetzt, erreicht man, daß die Vorstellung des Bildes allmählich immer reiner und anschaulicher wird; so anschaulich schließlich -- heißt es an einer anderen Stelle 46 - daß sie, obzwar nur eine Imagination, von einer echten Wahrnehmung nicht zu unterscheiden ist. Es ist so wie wenn der Schüler eines Malers auf Anweisung seines Meisters ein Muster zu kopieren versucht und die Kopie, da sie zunächst unvollkommen ist, immer wieder auslöscht und solange von neuem probiert, bis sie schließlich dem Muster vollkommen gleicht 47. Würde er die sa tvam, z. 7 savikalpe, Z. 9f. vedanādayaś catvāro rūpinah, Z. 12 mit Tib. u. Chin. (adhyātma)bahirdhā; sattvam in Z. 13 ist zu tilgen). 44 421; 18 ff. (422, 1 ist sa- vor prabhāsa- störend; Z. 4 ist 'dhimokso zu lesen, Z. 5 mandābhāsah und Z. 6 wohl bhāvanābhyāsād vispastatām gamisyati (cp. Z. 9) anzusetzen). 45 395, 2 ff.; vgl. auch 421. 3ff.: na caitāni vinīlakāni yāvad asthisankalikā(h)... sakrd vipasyitavyä(h), nänyatraikam vinīlakam adhimucya punaś cittam samayitavyam/ ... cittam adhyatmam samsamayitvā punar a)*dhimoktavyāh / * So nach Tib. u. Chin.; om. Hs. 45a Zu vibhävayati vgl. ODANI, op. cit. [Anm. 1), p. 418. Von den beiden von ODANI im Sinne von Mahāvyutpatti Nr. 6360 grundsätzlich mit Recht angesetzten Bedeutungen 1. (hin und her) betrachten“ und 2. ,,zerstören“ oder besser zum Verschwinden bringen" ist in der Sr Bh, wie die Definitionen der fünf Arten von vibhāvana in 395, 8ff. sowie die Assoziation mit Quasisynonymen wie vināśayati (397, 17) oder vidhvastam (417, 7f. mit Chin., cp. Anm. 22]) und anabhäsagatāyām sthāpitam (417, 7) zeigen, nur die zweite relevant. Dies gilt, wie das Bhäsya (ed. LEVI, p. 169, 12f.; lies tasya vibhāvanā vigamo 'nālambanībhāvah akalpanā/) bestätigt, auch für den Vers Mahāyānasūtrālamkāra XIX. 50. demgegenüber scheint mir die in Sthiramatis Sūtrālamkäravrttibhāsya vorkommende und von ODANI auch für die Deutung des Grundtextes in Anspruch genommene Deutung von vibhāvanā im Sinne von ,,als leer betrachten" (ston par bsgom pa, neben ston par béig pa) eine spätere Umdeutung darzustellen. - Vgl. zu vibhāvanā auch Yasomitra, Abhidharmakosavyākhyā 640, 26 f. (vibhāvanā ... klešasya nirdhāvanam). 4 194, 10 ff. (Text, wie folgt zu lesen bzw. zu emendieren: tasya (Hs.) tasmin samaye pratyaksānubhāvika* ivā(dhimoksaḥ pravartate jñey(e) vastuni (/) na taj jñeyam vastu pratyakşibhūtam bhavati..., na ca (Hs.) punar anyat... (/) api tv adhimoksānubhābah sa tädršah (Hs.) manaskārānublāvah...). *Von anubhăva (mit Doppelvrddhi, cp. WACKERNAGEL II. 2, p. 309). 47 397, 8ff. (nach Tib. u. Chin. ist tadyathā citrakarānteväsi tatprathama(ta)ś zu lesen; in Z. 13 muß es mit Sr Bhw 119 sa yathā yathā bhanktvä bhanktvä heißen, in Z. 14 tathāsyottarottaram). Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 68 L. SCHMITHAUSEN unvollkommene Kopie nicht auslöschen, sondern übermalen, würde er die erforderliche Vollkommenheit der Wiedergabe niemals erreichen 48, sondern sich bloß verheddern. Genau so kann auch der Meditierende das Vorstellungsbild nur vervollkommnen, wenn er es solange immer wieder auslöscht und reproduziert, bis es dem Übungsobjekt völlig gleicht 49 Diese Auslöschung erfolgt dadurch, daß der Übende das in der Betrachtung' (vipaśyanā) reproduzierte Vorstellungsbild (nimitta) preisgibt und sein Geist sich in sich selbst zurückzieht und wieder in den Zustand der Geistesruhe (samatha) eintritt". Dieser erneute Zustand der Geistesruhe ist dadurch gekennzeichnet, daß das bisherige Übungsobjekt weder aufgegriffen (udgrhīta) noch preisgegeben (mukta) ist: nicht preisgegeben, weil es auch im Zustand der Geistesruhe beibehalten wird; nicht aufgegriffen, weil der Übende es in diesem Zustand nicht aktuell zum Vorstellungsbild macht (na 48 397, 17 ff. (lies mit Sr Bhw 119 sacet punar abhanktvā ..., na jātv asya tad rūpakam...). 49 Der Vergleich mit dem Malerlehrling scheint in einem entscheidenden Punkt nicht recht zu der dadurch veranschaulichten Versenkungspraxis zu passen: Während der Malerlehrling, bevor er, nach Löschung der unvollkommenen Kopie, einen neuen Versuch macht, vermutlich das Muster erneut betrachten und dadurch eine Verbesserung erzielen kann, hat der übende Yogin die Leichenstätte offenbar längst verlassen (vgl. 416, 8ff.; die vipaśyana-Praxis beginnt erst 419, 13 ff.) und somit keine Möglichkeit einer Auffrischung seiner Eindrücke. Möglicherweise hat, vielleicht motiviert durch eine veränderte Zielsetzung (Ausbildung der Fähigkeit, die eigene Vorstellungskraft zu einem Visualisations- oder gar übernormalen Wahrnehmungsvermögen zu steigern (vgl. S. 74]?), eine Transposition des Prozesses stattgefunden. Im Visuddhimagga (V1.50f.; vgl. auch IV.29f.) vollzieht sich nämlich der Adäquationsprozess schon in der Phase des , Aufnehmensdes Erscheinungsbildes (nimitta) an der Leichenstätte: Der Übende soll das Erscheinungsbild des Ubungsobjektes immer wieder abwechselnd mit geöffneten Augen betrachten und bei geschlossenen Augen in der Vorstellung vergegenwärtigen (wobei die Unterbrechung des vorstellungsmäßigen Vergegenwärtigens zugunsten erneuten Hinschauens ein vorübergehendes Auslöschen des Vorstellungsbildes implizieren könnte). Wenn das bei geschlossenen Augen reproduzierte Vorstellungsbild dem angeschauten Erscheinungsbild völlig gleich geworden ist (vgl. auch SY 212 a 2 f.!), ist das ,Aufnehmen des Erscheinungsbildes gelungen. Das auf diese Weise gewonnene Vorstellungsbild wird zwar im folgenden, außerhalb der Leichenstätte, noch in ein Idealbild' (paţibhāganimitta, s. Anm. 81) transformiert (VisM VI.58 u. 66; cp. IV.31), doch geschieht dies nicht mit Hilfe von Löschung und Reproduktion. Ein Verlöschen des Vorstellungsbildes nach Verlassen der Leichenstätte tritt vielmehr nach dem VisM nur unbeabsichtigt ein und gilt als Verlust (VisM VI.60f.). Eine vorstellungsmäßige Reproduktion des verlorengegangenen Vorstellungsbildes ist zwar möglich (VisM VI.62f., im Gegensatz zu SY 212 a 24 u. Vi 205b 16f., wo eine Rückkehr zur Leichenstätte für nötig gehalten wird), dient aber nur der Wiedergewinnung, nicht der Verbesserung des Vorstellungsbildes. — Auch in mahāyānistisch orientierten Teilen der Yogācārabhūmi gibt es eine Versenkungspraxis, die mit dem Auslöschen selbstproduzierter Vorstellungsbilder arbeitet; die Zielsetzung ist aber hier eine ganz andere. Ich darf hierzu auf meinen in Anm. 3 zitierten Aufsatz (p. 117) verweisen. Da jedoch diese mahāyānistische Versenkungspraxis in den älteren Teilen der Yogācārabhūmi, insbesondere der Bodhisattvabhūmi, zu fehlen scheint, ist eine Inspiration der Sr Bh durch diese Praxis weniger wahrscheinlich als die umgekehrte Entwicklung. 50 396, 14–16; vgl. 421,5 u. 9. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Śrāvakabhūmi 69 nimittikaroti, na vikalpayati), sondern, wie wir hörtena, auslöscht (vibhāvayati), in den Zustand des Verschwundenseins versetzt (anabhāsaga ta ?)tāyām sthāpayati) 2. Wenn ich diese Aussage richtig verstehe, so scheint sie für den Zustand der Geistesruhe (samatha) eine Art virtueller oder latenter Beibehaltung des Übungsobjektes im Auge zu haben. Der die dazwischenliegenden Phasen aktiver ,Betrachtung“ (vipasyanā) charakterisierende Begriff vikalpa würde dann nicht nur Untersuchung und Beurteilung, sondern auch schon den (ebenfalls subjektiv-willentlichen und möglicherweise Konzeptualisierung implizierenden 53) Akt der (Re)produktion des Erscheinungsbildes des Übungsobjektes in der Vorstellung bzw. Visualisierung einschließen. An einer anderen Stelle der Sr Bh 54 -- die sich ausdrücklich auf ein (anderweitig unbekanntes und offenbar recht spätes) Sūtra stützt, wonach Geistesruhe und Betrachtung“ anhand einer vorstellungsmäßigen Nachbildung (pratirūpaka) oder eines Spiegelbildes (pratibhāsa) des Übungsobjektes in der Versenkung vollzogen werden, — wird hingegen das Übungsobjekt im Zustand der Geistesruhe als „nicht von vikalpa begleitetes Bild" (nirvikalpam pratibimbam) bezeichnet und dies dahingehend konkretisiert, daß in der Geistesruhe die Tätigkeit des Untersuchens und Überprüfens (vicinoti, pravicinoti, parivitarkayati, parimīmāmsām āpadyate) 56, deren Gegenstand dieses Bild in der Phase der Betrachtung ist und aufgrund von welcher es dort als ,,von vikalpa begleitetes Bild“ (savikalpam pratibimbam) bezeichnet wird, fehle. In diesem Textstück schließt somit der Begriff vikalpa nicht auch den Akt des (Re)produzierens des Vorstellungsbildes mit ein 57, sondern beinhaltet nur die auf dieses Bild gerichtete Untersuchungstätigkeit 58 51 396, 16ff. (in Z. 16 u. 18 ist zu na muktam zu emendieren); vgl. auch 421, 14-17. 51a S. 67 und Anm. 45. 52 421, 14. 53 Vgl. etwa 371, 15ff., bes. 23 ff. (vinīlakam ity adhimucyate, etc.; Kontext: tatra (katham (Tib., Chin.) aśubhāprayukto yogi sad vastūni paryesate vipaśyamanah (so mit Hs. u. Chin.)? (370, 11f.]). 54 193, 4 ff. 55 199, 9ff. (in Z. 9 felt (vor tha): kata Rebata bhikour logĩ logācārah pratirūpe ālambane cittam upanibadhnāti? (so Hs.); ferner ist in Z. 9 zu vicettu-, in Z. 10 zu pra(vi)cettukāmaḥ und in Z. 15 zu samavahitam zu emendieren; am Anfang von Z. 19 hat der Text, der Ed. eine Lücke, die mit der Hs. wie folgt zu füllen ist: ... yogācā(rah kālena kālam cittam samsamayati, kälena kālam adhiprajñā- (405, 2: -iñam) dharmavipaśyanāyām yogam karoti / evam hi sa Revata bhiksur yogt yogācāraḥ pratirūpe alambane cittam upanibadhnāti / katham Revata bhikṣur yogi yogācā->[8] rah. .. 56 Vgl. auch 194, 18 santīrayan. 57 Die differenzierende Erklärung der Begriffe vicinoti eto, in Sr Bh 367. 5 ff. läßt sich, wenn ich richtig sehe, nur dann mit einer kohärenten Interpretation des Textstückes 193, 4 ff. vereinbaren, wenn man nimitttkurvan (s. Anm. 38 a) im Sinne eines konzeptualisierenden Anvisierens des Vorstellungsbildes vom einfachen Haben dieses Bildes unterscheidet. 58 Vgl. Kamalaśīla, Third Bhāvanākrama, ed. G. TUCCI (Roma 1971), pp. 1, 17 ff., bes. 2, 4 (tattvanirūpanāvikalpasya vipaśyanālaksanasya). Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 70 L. SCHMITHAUSEN Nicht eindeutig klären läßt sich die Frage, was nach Auffassung der Sr Bh der Kulminationspunkt der Übung des Widerwärtigen' ist. An einer Stelle" heißt es, zu allerletzt werde das zuvor produzierte Vorstellungsbild unzählig vieler Leichname dadurch, daß sich der Geist wieder in den Zustand der Geistesruhe zurückzieht, ausgelöscht, aber es folgt darauf dann doch noch die Phase des Präsentseins der Aufmerksamkeit (smrtyupasthāna). Nach anderen Stellen hingegen - von denen allerdings allenfalls eine speziell der Übung des Widerwärtigengewidmet ist, während die übrigen im Hinblick auf alle Übungsobjekte formuliert sind --- hat die Praxis der Betrachtung des jeweiligen Übungsobjektes anhand von in der Versenkung willentlich hervorgebrachten und durch abwechselnde Auslöschung und Reproduktion zur Anschaulichkeit gesteigerten Vorstellungsbildern nicht nur die Aufgabe, das Übungsobjekt (anhand dieses Vorstellungsbildes] 62 in seiner gesamten Extension und seinem wahren Wesen zu erfassen 2", sondern führt in der entscheidenden Schlußphase über die visualisierende Vorstellung hinaus zu einer unmittelbaren Anschauung des realen Übungsobjektes selbst (pratibimbam atikramya tasminn eva jñeye vastuni... pratyakşam jñānadarśanam). Es bleibt allerdings die Frage offen, wie eine solche übernormale direkte Wahrnehmung des Übungsobjektes selbst im Falle der ,Ubung des Widerwärtigen“ aussehen und welchen Sinn sie haben soll. Um Leichen in den verschiedenen Stadien des Zerfalls direkt wahrzunehmen, bedarf es, so sollte man meinen, schließlich keiner übernormalen Schau. Ist eine solche Wahrnehmung nicht viel einfacher dadurch zu erreichen, daß man sich an eine Leichenstätte begibt, wo sie für jedermann sichtbar sind? In der Tat ist eben dies ja auch der Ausgangspunkt der ganzen Übung (sofern man das Erscheinungsbild des betreffenden Leichenzerfallsstadiums nicht von einem Gemälde oder einer Figur aufnimmt). Es stellt sich also die Frage, warum der 59 421, 12 ff. 60 422, 14 ff. (Text zum Teil fehlerhaft). 61 397, 2 ff. (offenbar an 395, 2 7, wo speziell von der aśubhā die Rede ist, anknüpfend). 62 Dies wird jedenfalls durch die Stellung der vastuparyantatā (195, 13 ff.) zwischen savikalpam und nirvikalpam pratibimbam (193, 7 ff. bzw. 194, 21 ff.) einerseits und der in der direkten Wahrnehmung des zu erkennenden Gegenstandes selbst gipfelnden kāryaparinispatti (196, 12 ff.) andererseits nahegelegt. 624 195, 13 ff. - 370, 3 ff. wird versucht, diese Kategorien für die ,Ubung des Widerwärtigen und die übrigen Vorbereitungsübungen zu konkretisieren. Es scheint mir aber, daß diese Kategorien strukturell und wohl auch historisch primär in den Kontext des überweltlichen Weges' gehören, wo es gilt, alle Daseinsfaktoren bzw. Persönlichkeitskonstituenten als durch die vier Edlen Wahrheiten charakterisiert zu erkennen. 63 196, 18f. (vgl. auch 200, 9f., wo -pratyaksatayā zu lesen ist); vgl. ferner 397, 4f. u. 8 sowie 402, 19 f. (Lücke in Ed. u. Hs., nach Tib. u. Chin. etwa wie folgt zu füllen: ... yaduta cittaikāgrata praśrabdhis ca/ *iyam tu nisthā etayor* dharmayor yaduta praśrabdheś cittaikāgratā(**yās ca yadutāśraya** parivịttih / tatparivrttau jñeye vastuni) pratyaksajñānotpattih/; (*...* unsicher; (**..** durch ein Versehen in der Hs, an anderer Stelle (Ed. Z. 16) eingedrungen (und dort natürlich zu tilgen)). Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srävakabhūmi 71 Yogin, wenn es ihm um eine direkte Anschauung der Sache selbst geht, nicht einfach an der Leichenstätte sitzen bleibt. Warum muß es eine übernormale Wahrnehmung sein? Warum werden die wirklichen Leichen zunächst durch Vorstellungsbilder ersetzt? Leider kann ich diese Fragen nicht definitiv beantworten und lediglich, zwecks Anregung eingehenderer Untersuchungen, einige erwägenswert erscheinende Überlegungen artikulieren.' Zunächst könnte man an die Gefährlichkeit der von wilden Tieren und Dämonen frequentierten Leichenstätte 64 denken, vielleicht auch an einen Wandel des Totenkultes, d. h. an ein weitgehendes Zurücktreten des in der kanonischen Beschreibung der Übung des Widerwärtigen' offenbar vorausgesetzten Bestattungsbrauches der Leichenaussetzung zugunsten der orthodox"-brahmanischen Leichenverbrennung, wodurch die betreffenden Übungsobjekte in der Wirklichkeit schwer verfügbar geworden sein mögen"7. Wenn die Ausschaltung der Begehrlichkeit zur Nebenwirkung und die eigentliche Funktion der Übung des Widerwärtigen' in der Herbeiführung eines besonderen Konzentrationszustandes gesehen wird, mag überdiès die einer ruhigen Sammlung abträgliche bedrohliche und unheimliche Atmosphäre des Leichenplatzes bzw. der furchterregende Charakter der verwesenden Leichen 68 für eine Ersetzung der wirklichen Leichen durch Vorstellungsbilder gesprochen haben, vielleicht auch die mangelnde Dauerhaftigkeit bestimmter Leichenzerfallsstadien 69, zumal die , Ubung des Wideļwärtigen' als Konzentrationspraxis jeweils auf ein bestimmtes Leichenzerfallsstadium konzentriert zu sein scheint 70. 64 Vgl. z. B. VisM VI.61. 65 Vgl. A. L. BASHAM, The Wonder that was India, 3rd ed. London 1967, p. 178. Vgl. auch Anm. 67. 66 Vgl. die im Säriputrābhidharma (T 1548) verarbeitete Version des Smrt yupasthānasūtra (s. Anm. 41), in welcher den Beobachtungen der verschiedenen Leichenzerfallsstadien noch die Beobachtung einer Leiche, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, angefügt worden ist (614b 7-9). In ähnlicher Weise wird in manchen Texten (insbesonders solchen der Prajñāpāramita-Tradition) in der Liste der Leichenzerfallsstadien nach (oder, wohl sekundär, unmittelbar vor) den Knochen (asthi) die ,verbrannte Leiche oder Leiche, die gerade verbrannt wird (vidagdhaka) zugefügt (vgl. MPPUL p. 1313f. u. 1319). 67 Vgl. auch NĀRADA MAHATHERA, The Buddha and His Teaching, 2nd ed. Colombo 1973, p. 520, n. 1: ,,These ten kinds of corpses were found in ancient cemeteries and charnel places where dead bodies were not buried or cremated and where flesh-eating beasts (were ?) frequent. In modern days it is impossible to obtain such corpses as subjects for meditation." 6* Vgl. VisM V1.56 u. 16; vgl. auch VIII.40, wo im Rahmen des Gedenkens an den Todó (maranasati), das nicht ein Vorstellungsbild (nimitta), sondern die Sache selbst, also etwas Reales (sabhāvadhamma), zum Objekt hat (vgl. auch III.117), der furchterregende Charakter (samvejaniyatta) dieses Objektes als ein Argument für die Nichterreichung der ,vollen Konzentration (appanā) angeführt wird. Vgl. auch K. HAYASHIMA, Asubhanupassanā in Buddhist Meditation, IBK VII.1/1958, p. 24; E. B. II.2, p. 271. 69 Vgl. VisM V1.61 ; HAYASHIMA, loc. cit.; E. B., loc. cit. 70 Vgl. z. B. 416, 4f. (smaśānādy upasamkramya vintlakād vā nimittam udgrhāna Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 72 L. SCHMITHAUSEN Diese Überlegungen haben jedoch den Nachteil, daß sie im Falle der kasina-Ubungen", die, ausgehend von der Betrachtung eines aus Erde geformten Kreises etc., ebenfalls mit einem dadurch gewonnenen Vorstellungsbild arbeiten 72, nicht anwendbar sind. Denn das kasina-Objekt (der Kreis aus Erde etc.) ist weder schwer zu erlangen bzw. herzustellen noch gefährlich oder unheimlich noch auch besonders rasch vergänglich. Im Falle der kasiņa-Ubungen könnte der Übergang zu einem Vorstellungsbild durch den für diese Übungen essentiellen Akt der Ausweitung“ (vaddhana) des Übungsobjektes veranlaßt sein. Eine solche Ausweitung, die darin besteht, daß man den Kreis aus Erde allmählich immer weiter ausdehnt, bis er den ganzen Erdkreis ausfüllt oder gar noch darüber hinauswächst 13a, läßt sich natürlich nicht mit dem realen Übungsobjekt vornehmen. Im Visuddhimagga 74 wird dementsprechend das Zustandebringen eines ,Idealbildes (patibhāganimitta) 75, das, wie ein verwandter Textio feststellt; so erscheint wie der Übende es will, als Voraussetzung für die Ausweitung bezeichnet. Es wäre zu erwägen, ob dieser Aspekt der Ausweitung nicht auch im Falle der Übung des Widerwärtigen für den Übergang zu einem Vorstellungsbild zumindest mitverantwortlich gemacht werden kann; denn eine Ausweitung des Übungsobjektes bis hin zur Visualisierung aller Himmelsrichtungen als angefüllt mit blau (oder schwärzlich) verfärbten Leichen (vinīlaka) etc. ist, obzwar im Visuddhimagga" ausdrücklich verworfen, in der Sr Bh78 und, in Gestalt einer Anfüllung der ganzen Welt mit Skeletten, auch bei den Sarvāstivādins79 als ein wichtiger Teil der ,Ubung des Widerwärtigen belegt, und ähnliche Ausweitungen werden in der Śr Bh auch im Rahmen der übrigen Vorbereitungsübungen (mit Ausnahme der Betrachtung des Entstehens in Abhängigkeit 798) beschrieben. Von dieser Ausweitung' her betrachtet erscheint somit die Ersetzung des realen Objektes durch ein Vorstellungsbild sinnvoll. Eine Kulmination yāvad asthinām vā...) u. 419, 21 f.; VisM III.103: cattālīsāya kammatthānesu aññataram kammatthānam gahetva. - 71 Vgl. hierzu vor allem HEILER, op. cit. [Anm. 15 a), pp. 24 f. und 81, Anm. 146; L. DE LA VALLÉE POUSSIN, Bouddhisme, Etudes et matériaux, Bruxelles 1898, p. 94 ff.; MPPUL p. 1286 ff. 72 Explizit gemacht wird dies, soweit ich sehe, nur in den Theravada-Texten (z. B. VisM III.117 u. IV.30.); vgl. aber auch MPPUL p. 1296 und TSi 346b 24 ff. 73 VisM III.109 u. IV.126f.; vgl. auch AK Bh 457, 14; ASBh 127,.17: krtsnäyatanaih krtsnam spharati, samantānantā paryantam vistarayatity arthah; TSi 346b 15f. 734 VisM IV.127; vgl. auch Anm. 73. 74 VisM III.116; IV.126. 75 Vgl. Anm. 81. 76 Vimuttimagga (T 1648) p. 413c 25 ff. 77 VisM III.110 ff. 78 Vgl. oben (S. 66 und Anm. 39). 79 Vgl. z. B. AK Bh 338, 4 ff.; E. B. II.2, p. 279f. 79a Vgl. 430, 35: sa khalv ayam idampratyayatäpratityasamutpädamanaskāraḥ sarvv(o) bhūtamanaskāra eva, nästy adhimoksikah. 80 maitrī: 427, 1 ff.; dhātuprabheda: ŚrBht 194 a 7 ff.; ānāpānasmrti : SrBht 195b 1 ff. (große Lücke in der Sanskrit-Hs.). Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi 73 des ausweitenden' Visualisierungsprozesses in einer übernormalen direkten Wahrnehmung der Sache selbst aber ist undenkbar, da es sich bei diesen Visualisierungen um willkürliche Vorstellungen 804 handelt, denen gar keine Realität entspricht. Überhaupt scheint im Rahmen der Übung des Widerwärtigen", sobald sie als ein primär der Herbeiführung geistiger Sammlung dienender Zustand gefaßt wird, eine Rückkehr zu einer direkten Anschauung des realen Übungsobjektes selbst kaum motiviert zu sein und wird, soweit ich sehe, zumindest bei den Theravādins und Sarvāstivādins 81 ebensowenig gelehrt wie in der ausführlichen Darstellung der Vorbereitungsübungen im 3. Buch der Sr Bh. Wenn sie in der übergreifenden Systematik des 2. Buches dennoch postuliert wird, so könnte dies zunächst im Zusammenhang mit der spezifischen Funktion der Vorbereitungsübungen zu sehen sein: Dient die Übung des Widerwärtigen' primär der Ausschaltung der Begehrlichkeit, so mag eine direkte Anschauung der verwesenden Leichen selbst durchaus als das beste Mittel erscheinen. Daß man auf eine übernormale Wahrnehmung rekurriert, ließe sich auf die oben angedeuteten Schwierigkeiten (Gefährlichkeit der Leichenstätte, Wandel des Totenkultès) zurückführen. Das Arbeiten mit Vorstellungsbildern dürfte - im Sinne der obigen Erörterungen und angesichts der zwar Vorstellungsbilder, aber keine übernormale direkte Wahrnehmung kennenden Darstellung der Vorbereitungsübungen im 3. Buch der Sr Bh — schon vorher aus anderen Gründen aufgekommen sein. Charakteristisch für die übergreifende Systematik des 2. Buches der Śrbh, und möglicherweise originell, wäre aber die Idee, daß die visualisierende Vorstellung durch entsprechende Intensivierung zu einer übernormalen Wahrnehmung der Sache selbst gesteigert werden kann. Zu erwägen wäre auch die Möglichkeit, daß es sich bei den Vorstellungen, die im Rahmen der ,Ubung des Widerwärtigen in eine übernormale Wahrnehmung einmünden sollen, nicht um die einfache Vorstellung der Leichen als solcher handelt, sondern um Vorstellungen wie die, daß die Anzahl der eigenen Leiber, die im Verlauf der Wiedergeburt diesen Zustand erreicht haben bzw. erreichen werden, unendlich groß ist, oder um die Vision des gegenwärtigen eigenen Körpers (oder auch des Körpers einer verführeri 81 Im Visuddhimagga gipfelt die , Ubung des Widerwärtigen' in der Erlangung der ,vollen Konzentration (appanā) der ersten , Vertiefung (hāna), wobei als Objekt das sog. „Entsprechungsbild“ (patibhāganimitta; vgl. Pāli Tripitaka Concordance s. v. patibhāga: ,,counterpart, likeness") fungiert, ein anschauliches Vorstellungsbild, das jedoch keineswegs, wie der Name suggeriert, den realen Leichenzerfallszustand exakt abbildet, sondern vielmehr eine Art Idealbild' und weniger furchterregend ist; im Falle der Betrachtung einer aufgedunsenen Leiche z. B. hat es die Gestalt eines dicken Mannes, der sich nach reichlicher Mahlzeit niedergelegt hat (VisM VI.66). — Bei den Sarvāstivädins (AK Bh 338, 15 ff.) endet die ,Ubung des Widerwärtigen damit, daß der Yogin, nachdem er die Visualisierung der ganzen Welt als angefüllt mit Skeletten Schritt für Schritt reabsorbiert und auf die Visualisierung der Hälfte des eigenen Schädels reduziert hat, schließlich auch diese aufgibt und den Geist zwischen den Augenbrauen fixiert. Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ L. SCHMITHAUSEN schen jungen Dame) als Leiche. Diese Vorstellungen beinhalten ja etwas, das zwar in Vergangenheit oder Zukunft real, eben wegen seiner Nichtgegenwärtigkeit aber nicht direkt wahrnehmbar, sondern nur erschließbar ist. Eine übernormale unmittelbare Wahrnehmung dieser vergangenen oder zukünftigen Leiber, bzw. des gegenwärtigen Leibes in einem zukünftigen Zustand, erscheint möglich und als Ziel der Übung des Widerwärtigen spirituell sinnvoll. Schließlich bestünde noch die Möglichkeit -- und für sie spricht vielleicht die Tatsache, daß der Text die postulierte übernormale Wahrnehmung im Falle der Vorbereitungsübungen nirgendwo konkretisiert —, daß eine solche übernormale direkte Wahrnehmung der verwesenden Leichen oder des eigenen Körpers als Leiche nicht um ihres eigenen Inhaltes willen angestrebt wurde, sondern bloß zum Zwecke der Ausbildung und Schulung eines solchen übernormalen Wahrnehmungsvermögens, das im Rahmen des ,weltlichen und überweltlichen Weges für die anschauliche Erkenntnis von Inhalten, die grundsätzlich der normalen Wahrnehmung unzugänglich sind, benötigt wird. Ja, das befremdliche Fehlen jeglicher Konkretisierung könnte vielleicht sogar den Verdacht nicht ganz abwegig erscheinen lassen, daß die Kulmination in einer übernormalen direkten Wahrnehmung der Sache selbst eigentlich einem anderen Zusammenhang angehört (vgl. S. 82) und den Vorbereitungsübungen nur in Analogie dazu, oder gar rein mechanisch durch die Einordnung in eine übergreifende Systematik, zugewachsen ist. Prinzip des zweiten Komplexes von Übungen, sc. des, weltlichen Weges', ist, daß man sich von einer bestimmten Existenzstufe lösen kann, indem man ihre Grobheit(audārikatva) im Vergleich zu der nächst höheren Existenzstufe erfaßt. Im Vergleich zur Stufe der ersten Vertiefung' (dhyāna) etwa — d. h. dem niedrigsten Versenkungszustand der Sphäre der von sexueller Begierde freien] Körperlichkeit' (rūpadhātu), der zugleich einer Existenzstufe entspricht, in der bestimmte Götterklassen leben ist die ,Sphäre der [sexuellen] Begierde' (kāmadhātu), in der wir leben, gröber 83, d. h. durch mehr und massiveren Schmerz und kürzere Lebensdauer gekennzeichnet 84. Die erste , Vertiefung ist demgegenüber friedvoller (sānta) 85. Es ist nun aber offenbar nicht möglich, ohne weiteres in die erste ,Vertiefung einzutreten und auf dieser Basis dann die entsprechenden ,Befleckungen (klesa), d. h. die Leidenschaften und Irrtümer, die einen an die 82 So anscheinend TSi 350 a 15 ff.; vgl. auch AK Bh 338, 5ff., wo die ,Ubung des Widerwärtigen mit der Betrachtung (eines Teiles) des eigenen Skelettes beginnt und endet (8. auch Anm. 81). 83 439, 10. 84 449, 7 ff. (cp. ASBh 80, 27 ff.); weniger spezifisch 439, 16 ff. 85 439, 11. Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi 75 Sphäre der Begierde binden, zu eliminieren. Vielmehr setzt nicht nur die Wiedergeburt in einer höheren Sphäre, sondern auch der versenkungsmäßige Eintritt in sie voraus, daß man sich von den auf die niedere Sphäre bezogenen Befleckungen bereits befreit hat. Die Śr Bh löst dieses Dilemma (mit dem sich auch andere Schulen auseinandergesetzt haben 86) in der Weise, daß sie eine für die Befreiung von den ,Befleckungen ausreichende Erkenntnis der Grobheit der niederen Sphäre und der friedvollen Natur der höheren Sphäre schon vor dem versenkungsmäßigen Eintritt in letztere für erreichbar hält. Zunächst wird diese Einsicht auf der Ebene der Beobachtung und des Nachdenkens vorbereitet, und der Text führt vor allem diese Phase breit aus 7. Er macht aber auch deutlich, daß dieses diskursive und allenfalls im Hinblick auf die Grobheit' der Sphäre der Begierde partiell anschauliche Sich-der-charakteristischen Merkmale-Bewußtwerden (laksanapratisamvedī manaskāraḥ) - welches funktionell dem Aufnehmen des Erscheinungsbildes“ (nimittodgrahana) bei der Übung des Widerwärtigen 8 entspricht nicht ausreicht. Es ist vielmehr notwendig, die charakteristischen Merkmale (laksana), also etwa die ,Grobheit der Sphäre der Begierde und die friedvolle Natur der ersten , Vertiefung', meditativ zu vertiefen, indem man sie bzw. entsprechende Erscheinungs- oder Vorstellungsbilder (nimitta) zum Gegenstand von Betrachtung“ (vipaśyanā) und Geistesruhe (samatha) macht und in diesem Rahmen seine Vorstellung immer wieder auf diese Inhalte konzentriert (punaḥ punar adhimucyate)9, womit – zumal angesichts der Verwendung des für diese Praxis typischen Terminus nimitta das immer neue Reproduzieren (und Auslöschen?) entsprechender Vorstellungsbilder gemeint sein dürfte. Falls dies zutrifft, so müßte, im Sinne der übergreifenden Systematik des 2. Buches der Sr Bh, die ausdrücklich auch die Ubungsobjekte ,Grobheit der Ljeweils) niederen Stufen' und friedvolle Natur der jeweils] höheren Stufen" nennt, das Resultat eine übernormale direkte Wahrnehmung des zu erkennenden Gegenstandes selbst, insbesondere der bis dahin nicht wahrnehmbaren friedvollen Natur der höheren Sphäre, seino. Eine solche, den versenkungsmäßigen Eintritt in die höhere Sphäre erfahrungsmäßig vorwegnehmende direkte Wahrnehmung (bzw. ihre mehrfache Wiederholung) würde zweifellos das Schwinden der an die niedere Sphäre bindenden Befleckungen verständlich machen. Im Rahmen der ausführ 86 Vgl. z. B. L. DE LA VALLÉE POUSSIN, L'Abhidharmakośa de Vasubandhu, Paris-Louvain 1923–31, VI, 236. 87 439, 9ff. 88 Vgl. S. 63. 19 443, 12–18 (prathamam dhyānam am Ende von Z. 12 ist zu tilgen; in Z. 16 ist mit der Hs. yathāparyeşitām zu lesen, in Z. 17 muß es adhimucyate / ity ayam ucyate ... heißen). 90 Faßt man nimitta unterminologisch (als ,,Charakteristikum", laksana) und punah punah nicht als Andeutung des Wechsels von Reproduktion und Löschung des Vorstellungsbildes, so könnte adhimuc- (s. Anm. 33) hier auch einfach ,,sich meditativ konzentrieren auf bedeuten (vgl. auch S. 78 und Anm. 107). 91 194, 4f. (lies sānta tvam, duhkhasatyam). 92 Vgl. 196, 18 ff. (Text zum Teil fehlerhaft). Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 76 L. SCHMITHAUSEN lichen Darstellung des ,weltlichen Weges' im 4. Buch der Śr Bh ist aber von einer solchen direkten Wahrnehmung keine Rede; der Text sagt hier vielmehr nur, daß aus der wiederholten Praxis von Geistesruhe und Betrachtung erstmals der Weg (märga) entstehe, der [unmittelbar] zur Beseitigung [einer ersten Kategorie] von,Befleckungen führt 93 und dessen wiederholte Übung schließlich sämtliche der betreffenden Vertiefung entgegenstehenden,Befleckungen' eliminiert und den tatsächlichen Eintritt in die Vertiefung selbst herbeiführt 95. 94 96 Daß im Falle des ,weltlichen Weges' weder wie man in Analogie zu der Darstellung des überweltlichen Weges 6 annehmen könnte die Phase, die erstmals zur Beseitigung von Befleckungen führt, noch auch der am Ende stehende tatsächliche Eintritt in die,Vertiefung als direkte Wahrnehmung bezeichnet wird, mag ein Indiz dafür sein, daß eine solche direkte Wahrnehmung als Resultat des Prozesses der,Geistesruhe und Betrachtung im Kontext des,weltlichen Weges' ebensowenig ursprünglich ist wie in dem der Übung des Widerwärtigen. Ja, angesichts der allzu knappen. Ausdrucksweise des Textes, der, wie wir sahen, nur von einem wiederholten In-der-Vorstellung-Vergegenwärtigen (punah punar adhimucyate) der Grobheit der niederen und der friedvollen Natur der höheren Sphäre spricht, scheint auch die für die Übung des Widerwärtigen typische Praxis des wiederholten Reproduzierens und Auslöschens eines Vorstellungsbildes des Übungsobjektes im Kontext des weltlichen Weges sekundär zu sein. Es sei noch nachgetragen, daß der weltliche Weg nur zu einer zeitweiligen Befreiung von den Beffeckungen führt, ihre ,Samen (bija), ihre latenten Triebkräfte, jedoch nicht auszurotten vermag 97. Auch ist es nicht möglich, sich auf dem weltlichen Weg von denjenigen Befleckungen zu befreien, welche sich auf die höchste weltliche Existenz- bzw. Versenkungsstufe; sc. die des Weder-Bewußt-noch-Nichtbewußtseins, richten 98, eben weil es eine noch höhere Weltsphäre, im Vergleich zu welcher jene als grob bestimmt werden könnte, nicht gibt. Die vollständige Ausrottung der Befleckungen nebst ihren,Samen ist vielmehr nur durch den überweltlichen Weg möglich, dem wir uns nunmehr zuwenden wollen. 3. Der,überweltliche Weg kann nach Aussage des 4. Buches der Śr Bh entweder nach Erlangung der Vertiefungen', d. h. nach dem weltlichen 93 443, 19-22 (in Z. 21 ist yas tatsahagato zu lesen). 94 443, 23 ff. 95 445, 10-12 (in Z. 10 ist samanantaram tat)pratyayam zu lesen). 96 Dort folgt auf den in den laukika agradharmah gipfelnden adhimokṣiko manaskāraḥ (502, 13) die direkte Wahrnehmung des Übungsobjektes (d. h. der vier Edlen Wahrheiten), durch die eine erste Kategorie von Befleckungen', sc. die darśanaprahātavyāḥ kleśaḥ, ausgerottet wird (500, 10 ff.). 97 445, 5f. 98 Vgl. 438, 13f.; 35, 15ff. Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi 77 Weg', oder ohne diesen direkt auf der Basis des durch die Vorbereitungsübungen (Übung des Widerwärtigen etc.) herbeigeführten Konzentrationszustandes praktiziert werden. Sein Objekt sind die vier Edlen Wahrheiten 100, die besagen, daß (1) das gesamte Dasein leidvoll (duḥkha) ist, (2) es vom Durst' (trenā) und den übrigen ,Befleckungen bedingt ist. (3) allein das durch die Beseitigung des Durstes' erreichbare Aufhören (nirodha) des leidvollen Daseins friedvoll (śānta) ist und (4) nur der buddhistische Heilsweg zu diesem Ziel führt 101. Von fundamentaler spiritueller Bedeutung ist im 4. Buch der Sr Bh die Einsicht in die Wahrheit vom Leiden; ihr ist — im Rahmen der breit ausgeführten vorbereitenden Überlegungen, bei denen es darum geht, sich der charakteristischen Merkmale der vier Wahrheiten bewußt zu werden (laksaņapratisamvedi manaskāraḥ) 102 — bei weitem der meiste Raum gewidmet. Durch diese vorbereitenden Überlegungen wird vor allem eine erste Gewißheit (niscaya) bezüglich der Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und Nichtselbsthaftigkeit des Daseins erzielt. Die vorzunehmenden Überlegungen basieren zunächst auf der gläubig aufgenommenen autoritativen Überlieferung (āgama)03, dann aber auch auf unmittelbarer Wahrnehmung (pratyaksa) 104; denn jeder ist ja in der Lage, in einigen ihm direkt zugänglichen Bereichen des Daseins, besonders etwa am eigen'en und fremden Leib, aber auch am eigenen Geist und Gemüt, die Vergänglichkeit in Gestalt von Veränderungen, meist ungünstiger Art, direkt wahrzunehmen. Andere Bereiche hingegen -- insbesondere die höheren Existenzsphären, in denen man unter Umständen wiedergeboren werden kann -- sind der direkten Wahrnehmung entzogen und lassen sich nur durch Schlußfolgerung als vergänglich und somit unbefriedigend und — im meta 99 470, 12f.; vgl. auch 264, 18 ff.; ähnlich T 614, p. 278b 27 ff.; vgl. ferner etwa die Auffassung der Sarvästivādins, wonach die erstmalige erlösende Einsicht sowohl in einer der Vertiefungen (dhyāna) als auch im anāgamya, der Vorstufe (sāmantaka) der ersten , Vertiefung (AK Bh 448, 3f.), möglich ist (AK Bh 352, 7ff. u. 346, 9ff.; E. FRAUWALLNER, Abhidharma-Studien, III. Der Abhisamayavādah. WZKS XV/1971, p. 100), sowie die Unterscheidung zwischen samathayānika und suddhavipassanāyānika im VisM (z. B. XVIII.3 u. 5); vgl. auch L. DE LA VALLÉE POUSSIN, Musīla et Nārada. MCR 6/1936—7, p. 200 ff. An anderen Stellen der Sr Bh (p. 14f.; ferner p. 262, 7 ff., falls hier nicht das anāgamya als in den dhyānas einbegriffen gedacht ist) scheint jedoch der Eintritt in die Vertiefung als Voraussetzung der erlösenden Erfahrung aufgefaßt zu werden. Von daher verdient die Kennzeichnung des durch die Vorbereitungsübungen herbeigeführten Konzentrationszustandes als ,,der Sphäre der von sexueller Begierde freien) Körperlichkeit angehörend" (433, 16f.; lies rūpāvacaro 'nena), obwohl auch im Sinne des (der Sr Bh bekannten : 234, 4; 235, 10) anāgamya interpretierbar, doch besondere Beachtung. 100 470, 8; 251, 11 ff., 36, 2 ff. 101 251, 14 ff.; 494, 8 ff.; cp. 499, 1 ff. 102 471 ff. 103 471. 8 ff. 104 474, 6 ff. Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 78 L. SCHMITHAUSEN physischen Sinne - leidhaft erweisen 105. Auch das eigentliche Ausmaß der Vergänglichkeit, die Tatsache, daß in Wahrheit nichts länger besteht als einen Augenblick, ist nur durch Schlußfolgerung erkennbar 106 Nachdem der Übende auf diese Weise eine erste Gewißheit hinsichtlich der vier Edlen Wahrheiten, vor allem hinsichtlich der Leidhaftigkeit des Daseins, erlangt hat, hat er diese Einsicht meditativ zu vertiefen. Er konzentriert seine Vorstellung (adhimuc-)107 auf die Endlosigkeit oder Universalität (aparyantatā) des Leidens: soweit das Dasein reicht, solange das Immerwiedergeboren werden dauert, gibt es kein Ende des Leidens; nur durch das restlose Aufhören des Wiedergeboren werdens hört auch das Leiden auf 08. Trotz dieses Versuches, seinen Geist von allen möglichen Daseinsformen abzuschrecken, bringt es der Übende, obwohl er sich intensiv darum bemüht, nicht fertig, sich freudig dem Nirvāņa zuzuwenden 109, d. h. der Tatsache, daß allein das restlose Aufhören des Immerwiedergeborenwerdens friedvoll und somit das gesuchte Heil ist, auch emotional zuzustimmen. Schuld an diesem Mißerfolg ist der Umstand, daß sich zwischen die Betrachtung der vier Wahrheiten immer noch kürzere oder längere Phasen groben (audārika, d. h. wohl : leicht feststellbaren, in konzeptualisierter Form auftretenden) Ich wahns (asmimäna) schieben, indem der Übende etwa meint: ,,Ich sehe das Leidhafte als leidhaft an“, oder „ich kultiviere, zum Zwecke des Nirvāna, die heilsamen Faktoren", o. ä.". Diese ichbezogene Konzeptualisierung der meditativen Betrachtungsakte setzt -- so darf man das Gesagte wohl verstehen – voraus, daß der Übende diese Betrachtungsakte 105 494, 20 ff. (494, 20 ist zu satyanayenopa- zu emendieren; 495, 4-8 ist der eingeklammerte Text zu tilgen (Dittographie); in Z. 8 ist evam zu sarvam zu emendieren, in Z. 10 muß es yad aviparoksesu heißen). 06 485, 6 ff. 107 Im Kontext dieser Stelle wird man, sofern man die übergreifende Systematik des 2. Buches der Sr Bh unberücksichtigt läßt, diese adhimuc-Akte eher im Sinne konzentrierten meditativen Nachdenkens denn als eine Visualisierung von Vorstellungsbildern zu verstehen haben. Von einer Unterbrechung dieser adhimuc-Akte durch Phasen von Geistesruhe (samatha) ist (abgesehen von dem später zu behandelnden Textstück 499, 17 ff.) im vorliegenden Kontext keine Rede; die Unterbrechung der adhimuc-Akte durch die (zunächst erfolglosen) Versuche, den Geist zur freudigen Annahme des Nirvāņa zu bewegen, läßt sich ja wohl kaum als Einblendung von samatha-Phasen verstehen. 108 495, 21-496, 14 (495, 22 ist wohl tasyā sevanānvaya(d) anzusetzen, 496, 2 anityāparyantatām zu lesen; in Z. 3 muß es sūnyānākt māparyantatām heißen, in Z. 4f. sam pattīnām, in Z. 5f. mit Chin. u. Tib. (jayrāvyādhi- statt des sa vyūdhi- der HS.; in 2.7 ist wohl tatrāparyanta(te)ti anzusetzen, in Z. 10 cāśesoparamād, in Z. 12-14 prätikūlyākārenādhimucyamāna (Dittographie)). 109 496, 14--497,3 in Z. 15f. ist mit der Hs. cittam udvejayitvā ut(?) trāsayitvāldhyāśayena beizubehalten, in Z. 21 nirvāne pralni? dadhato anzusetzen, in 497, 1 ff. nādhimucyate, pratyudāvartate mānasam śāntadhātvanabhilasitatayā paritasanām upādāya). 110 497, 3—17 (statt hy asau- in Z. 7 ist wohl hy asyau- (od. hy asty au-?) anzusetzen; in Z. 16 lese ich in der Hs. tatpratyayam asya; in Z. 17 muß es adhyāśayato 'pi praņihitam (Hs.!) nirvān heißen). Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srävakabhumi 79 - irrigerweise - unreflektiert noch als eine Art letzter Bastion von Beständigkeit, Nichtleidhaftigkeit und Selbsthaftigkeit empfindet, so daß die radikale Auslöschung allen Daseins, das Nirvāņa, als eine Bedrohung dieses vermeintlichen Subjektes der Meditationsakte empfunden und gefühlsmäßig abgelehnt wird. Dem entspricht in der Tat die vom Text gelehrte Methode der Ausschaltung dieses Ichwahns. Sie besteht darin, daß man die meditativen Betrachtungsakte selbst zum Betrachtungsobjekt macht und sich zum Bewußtsein bringt, daß auch bei ihnen der jeweils vorhergehende Geistesmoment durch den jeweils folgenden abgelöst wird, also auch sie vergänglich und somit leidvoll und nichtselbsthaft sind, und daß sich auch neben oder hinter ihnen ein separates Ich nicht feststellen läßt". Die wiederholte Übung dieser Betrachtungsweise führt zu einer Erkenntnis, bei der Subjekt und Objekt völlig gleich (samasamālambyālambaka) sind "12 — weil, so darf man wohl interpretieren, der Betrachtungsakt, der selbst vergänglich, leidhaft usw. ist, den unmittelbar vorhergehenden, ebenso beschaffenen Betrachtungsakt als einen so beschaffenen zum Gegenstand hat. Auf diese Weise ist der letzte Schlupfwinkel des grobeno Ichwahns ausgeschaltet und dieser somit an weiterem Auftreten gehindert 13, und die letzte Barriere, die den Ubenden daran gehindert hatte, sich auch emotional vorbehaltlos dem Nirvāṇa als dem allein Friedvollen zuzuwenden, ist niedergerissen"14. Der Übende realisiert nun aber nicht sogleich die Frucht dieser Situation, se, die definitive Erkenntnis der vier Edlen Wahrheiten, sondern er gibt zunächst die in der Untersuchung des eigenen Geistes bestehende mentale Aktivität und Bemühung (cittaparīksābhisamskāra) auf und versetzt seinen Geist in einen Zustand, in dem er ohne jegliche Aktivität (anabhisamskāra) und somit nirvikalpa ist", womit hier offenbar primär das Fehlen der vorherigen Reflexionstätigkeit und Denkbemühung, darüber hinaus aber zugleich ein Schwund aller bewußten Vorstellungs- und Wahrnehmungstätigkeit samt ihren Inhalten gemeint oder zumindest impliziert ist; denn „in diesem Zustand scheint es, als habe sein Geist aufgehört zu existieren; er hat aber nicht wirklich aufgehört zu existieren. Es scheint, als habe sein Geist 11 497, 17 ff. (497, 17f. ist wohl so) 'smimānam anzusetzen; 498, 7 lese ich die Hs. als punar na bhavaty utpattaye; in Z. 9 ist zu -tām āyāpāyikatām zu emendieren, in Z. 12 mit Tib. u. Chin. zu yac citta vyatiriktam dvitīyam), in Z. 13 zu ya t tasyā eva; 499, 6 ist mit der Hs. catvāry arya- statt na tāny ärya- zu lesen). 11 499, 6–8: ta8gaicam ñeamắmpagặd ... taeyah pra māgāh (Hs.) sama8amalambyālambakam (so wohl Hs.) jñānam utpadyate, ... T13 499, 8f.: yenāsyaudarikas cāsmimāno (Hs.) nirvänābhirataye vibandhakaraḥ samudācārataḥ prahīyate, .. 114 499, 10—12 (lies cadhyasayatas und paritasanām) u. 17 f. (wo zu cădhyāsaya(to 'bhi-> (od. (-tas cābhi->) -ratim zu emendieren ist). 115 499, 18—20: yo 'säv uttarottaraś cittapariksäbhisamskärah (mit Tib. u. Chin.; Hs. fälschlich -pariksayā-), tam abhisamskāram samutsrjya anabhisamskāratāyām nirvikalpam (Hs.) cittam upaniksipati. Ich fasse nirvikalpam als Prädikativum in konsekutiver Funktion. Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 80 L. SCHMITHAUSEN kein Objekt (ālambana) mehr; er hat aber doch noch ein Objekt "6. Es scheint, als sei sein Geist völlig verschwunden; er ist aber nicht verschwunden"117. Der Geist ist in diesem Zustand nicht etwa gelähmt durch Schläfrigkeit wie im] Dengue-Fieber (madhuraka 8)"; er befindet sich vielmehr in einem Zustand vollkommener Geistesruhe (samatha)"9a. Unmittelbar nach dem Austritt aus diesem Zustand richtet der Übende seine Aufmerksamkeit (ābhujati) wieder auf die zuvor betrachteten vier Edlen Wahrheiten 20 und erzielt nunmehr die erste überweltliche Einsicht '21, die als eine den Charakter [endgültiger] Gewißheit und direkter Wahrnehmung tragende sukzessive Erkenntnis der vier Edlen Wahrheiten bestimmt wird; und zwar der vier Edlen Wahrheiten -- bzw. konkret der durch sie charakterisierten Daseinsfaktoren - auch insofern, als sie normalerweise der direkten Wahrnehmung entzogen (paroksa) sind 12%, worunter insbesondere die Daseinsfaktoren der höheren Weltsphären zu verstehen sind. Diese die überweltliche Einsicht konstituierende definitive und anschauliche Erkenntnis der vier Edlen Wahrheiten wird ferner als nirvikalpa bezeichnet 23. Die Verwendung dieses Epithetons zur Charakterisierung des „hīnayānistischen" Typus der erlösenden Erfahrung überrascht, da es in der Yogācāra-Schule später geradezu als terminus technicus für die mahāyānistische Form gebräuchlich ist. Die Tendenz hierzu ist schon in der Bodhisattvabhūmi, dem mahāyānistischen Pendant der ŚrBh, erkennbar 124; der Spielraum für die Verwendung von nirvikalpa ist aber hier noch erheblich breiter als später, und es werden, neben Verbindungen zum Sprachgebrauch der Mahāyāna-Sūtren (speziell des Daśabhūmikasūtra) 25, auch Beziehungen zur 116 Es wird aber nicht gesagt, welches Objekt der Geist in diesem Zustand hat. Ist die anabhisamskāratā, auf die der Übende den Geist gerichtet hat, dieses Objekt, oder darf man an ein latent fortdauerndes Gerichtetsein des Geistes auf die vier Edlen Wahrheiten denken? 117 499, 20 ff. : tasya tac cittam tasmin samaye niruddham iva khyāti; na ca tan niruddham bhavati. anālambanam iva khyāti; na ca tad anālambanam bhavati. tasya tac cittam praśāntam vigatam iva khyāti; na ca tad vigatam bhavati. 118 So wohl gegen die Hs. (madhukara-) und Tibet. sbran rtsi byed pa zu lesen; vgl. Chin. mei ,, beautiful; delicious", was einem im Sinne von madhura ,,süß" misverstandenen madhuraka- entsprechen dürfte. Zu madhuraka ,,Dengue-Fieber" s. J. FILLIOZAT in: Studien zum Jainismus und Buddhismus: Gedenkschrift für Ludwig Alsdorf, hrsg. v. K. BRUHN U. A. WEZLER, Wiesbaden 1981, S. 83 ff. 119 500, 1f.: na ca tasmin samaye (*madhuraka* middhāvastabdham. (*...*) s. Anm. 118. 1199 So nach Tib. (230 a 7) u. Chin. (475c 17 f.); Lücke in Hs. 120 500, 13f. (tesām samanantara(m) pūrvvavicāritāni satyäny ábhujati (Hs.)) u. 8f. (yasyānantaram pūrvvavicăritesu satyeşv (Hs. satvesv)... abhogam karoti). 121 500, 11. 122 500, 15—17: ābhogasamanantaram yathāpūrvvānukrama- (Hs. -mah) vicăriteşu satyesu anupūrvvenaiva nirvvikalpa(mpratyaksa paroksesu niscayajñānam pratyaksajñānam utpadyate. 123 500, 16 (s. Anm. 122); vgl. auch 196, 19. 124 Vgl. z. B. Bo Bh 30, 8; 26, 13; etc. 125 Vgl. z. B. BoBh 239, 10 mit Dasabhūmikasūtra (ed. RAHDER) 64, 2f. Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhumi 81 Theorie der Geistesruhe in der Śr Bh126, wo, wie wir oben (S. 63f.) sahen, das Wort ja ebenfalls verwendet wird, deutlich. Der Ausdruck nirvikalpa scheint in der Frühphase der Yogācāra-Literatur noch verhältnismäßig disponibel gewesen zu sein, so daß man nicht unbedingt davon ausgehen muß, daß was ja durchaus denkbar wäre — seine Verwendung an der vorliegenden Stelle der Sr Bh auf die mahāyānistische Terminologie zurückgeht oder anspielt. Versucht man, den Ausdruck aus dem unmittelbaren Kontext zu verstehen, so liegt es nahe, ihn als negative Konkretisierung der Gewißheit (niscaya) zu interpretieren: die überweltliche Einsicht in die vier Edlen Wahrheiten hat den Charakter endgültiger Gewißheit, in der jedes Hin- und Herüberlegen, jede noch nicht zu einem definitiven Ergebnis gelangte Reflexions- und Untersuchungstätigkeit überwunden ist. Aber auch die für die Versenkungslehre der Sr Bh, besonders im Kontext der Übung des Widerwärtigen', typische Verwendung des Wortes nirvikalpa zur Charakterisierung der Geistesruhe (samatha) ist bei der Interpretation der vorliegenden Stelle zu berücksichtigen. Von diesem Zusammenhang her interpretiert würde der Ausdruck zusätzlich beinhalten oder doch wenigstens implizieren, daß die überweltliche Einsicht in die vier Edlen Wahrheiten wie die Geistesruhe', bzw. weil sie selbst eine Form von Geistesruhe ist, frei ist von jeglichem (Re)produzieren von Vorstellungsbildern (nimitta). Diese Vorstellungsfreiheit erschöpft sich aber im Falle der überweltlichen Einsicht nicht in der bloßen Latenz der Vorstellungsbilder, wie dies bei der gewöhnlichen Geistesruhe der Fall ist oder bei dem der überweltlichen Einsicht unmittelbar vorhergehenden Zustand, in dem jegliche Geistestätigkeit aufgehört zu haben scheint; noch auch impliziert sie gar, wie beim mahāyānistischen Typus der erlösenden Erfahrung, eine mystische Transzendenzerfahrung im Sinne der Erfahrung eines vollständigen Verschwundenseins aller vielfältigen Erscheinungen 128 Die erlösende Erfahrung der Śr Bh hat vielmehr -- in Gestalt der vier Edlen Wahrheiten bzw. der durch sie charakterisierten Daseinsfaktoren - durchaus Vielheitliches zum Gegenstand, aber sie erfaßt es in der Form einer direkten Anschauung, nicht nur indirekt vermittels eines in der visualisierenden Imagination selbstproduzierten Abbildes. Auf diese Weise sind, so darf man dann interpretieren, in der überweltlichen Einsicht Geistesruhe (als Freiheit von imaginativ-reflektiver 126 Vgl. BoBh 77, 5 ff. u. 177, 16 ff. 127 Vgl. den Ausdruck parūksābhisamskāra in Sr Bh 499, 19. Die primäre Bedeutung von nirvikalpa wäre somit hier und an der zuvor (S. 79 f.) behandelten Stelle 499, 20 dieselbe; ein wesentlicher Unterschied bestünde aber hinsichtlich der zusätzlichen Implikationen. 128 Wobei eine prinzipielle Gleichartigkeit von Vorstellungsbildern und „normalen" Phänomenen vorausgesetzt wird : auch die Phänomene des alltäglichen Bewußtseins - die Dinge der Außenwelt - verdanken ihre Existenz letztlich subjektiver Vorstellungstätigkeit (vgl. etwa Bo Bh 34, 21 ff.). Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 82 L. SCHMITHAUSEN Tätigkeit und Vorstellungsbildern) und Betrachtung (in Gestalt definitiver direkter Schau) miteinander verschmolzen 20 Die Lehre, daß die erlösende Erfahrung der vier Edlen Wahrheiten eine direkte Wahrnehmung dieser Wahrheiten (bzw. der durch sie gekennzeichneten Daseinsfaktoren) selbst ist - und zwar insbesondere auch der normalerweise der unmittelbaren Wahrnehmung entzogenen, also etwa der der höheren Weltsphären , stellt, zumindest in dieser Explizitheit, eine Eigentümlichkeit der ŚrBh dar und nimmt (jedenfalls in der in die Yogācārabhūmi inkorporierten Form des Textes) eine zentrale Stelle in deren Theorie der spirituellen Praxis ein. Es ist bemerkenswert, daß die direkte Wahrnehmung des zu erkennenden Gegenstandes selbst, die in der übergreifenden Systematik des 2. und einiger Stücke des 3. Buches der Sr Bh als Resultat der Praxis des wiederholten Reproduzierens und Löschens der Vorstellungsbilder des Ubungsgegenstandes postuliert wird, im Rahmen der ausführlichen Darstellung der einzelnen Übungskomplexe im 3. und 4. Buch der Śr Bh nur in der Beschreibung des überweltlichen Weges', also der Einsicht in die vier Edlen Wahrheiten, vorkommt. Umso merkwürdiger aber ist es, daß gerade in der Darstellung des ,überweltlichen Weges von der vorbereitenden Praxis des immer neuen Produzierens und Löschens von Vorstellungsbildern, des Wechsels von Geistesruhe und Betrachtung , gar keine Rede ist! Dies mag daher rühren, daß sie, historisch gesehen, mit der Einsicht in die vier Edlen Wahrheiten und deren Vorbereitung ursprünglich nichts zu tun hatte (so daß eine von jener Praxis ausgehende Interpretation des zur Kennzeichnung dieser Einsicht verwendeten Terminus nirvikalpa, wie sie oben (S. 81) versucht wurde, der ursprünglichen Intention der Stelle möglicherweise nicht gerecht wird). Aber in der übergreifenden Systematik des 2. Buches der Sr Bh wird die Praxis des wechselnden Produzierens und Löschens von Vorstellungsbildern auch für den überweltlichen Wegʻ postuliert; denn unter den Ubungsgegenständen, für die diese Systematik gelten soll, werden ausdrücklich auch die vier Edlen Wahrheiten genannt 130 Immerhin gibt es ein Element in der Darstellung des überweltlichen Weges' (so wie sie in der in die Yogācārabhūmi inkorporierten Fassung der Śr Bh vorliegt), das bei einer solchen Betrachtungsweise an Plausibilität gewänne: der der erlösenden Schau der vier Edlen Wahrheiten unmittelbar vorhergehende Zustand ohne jegliche geistige Aktivität, in dem es so aussieht, als sei der Geist unterdrückt, objektlos und verschwunden. Dieser Zustand, den der Text selbst als einen Zustand vollkommener Geistesruhe (samatha) bezeichnet, ließe sich dann analog zu der im Zusammenhang mit der Ubung des Widerwärtigen' als Abschluß des wiederholten Visualisierungs- und Löschungsprozesses gelehrten letzten samatha-Phase 129 Dies gilt allerdings auch für die mahāyänistische Form der erlösenden Erfahrung (vgl. Bo Bh 177, 16-18), nur daß dort der Gegenstand statt der vier Edlen Wahrheiten die unausdrückbare einheitliche wahre Wirklichkeit ist. 130 194, 5 (lies sānta(tvam, duḥkhasa)tyam). Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 83 Versenkungspraxis und erlösende Erfahrung in der Srāvakabhūmi interpretieren. Auf sie würde dann hier, in der Darstellung des überweltlichen Weges', tatsächlich als Höhepunkt die bei der Beschreibung der ,Ubung des Widerwärtigen' fehlende direkte Wahrnehmung der zu erkennenden Sache selbst folgen. Es kann jedoch keineswegs als sicher gelten, daß eine solche Deutung des der direkten Wahrnehmung der vier Edlen Wahrheiten vorangehenden Zustandes tiefer Geistesruhe die ursprüngliche Funktion dieses Elementes trifft. Und auch wenn dies doch der Fall sein sollte, so bedürfte doch die Tatsache, daß in der Darstellung des überweltlichen Weges dieses letzte Element des Prozesses einander ablösender Phasen von Betrachtung und Geistesruhe nicht bloß als einziges erwähnt, sondern darüber hinaus in erstaunlicher Ausführlichkeit behandelt wird, zusätzlich der Erklärung. Es kann nun kein Zweifel bestehen, daß der dem überweltlichen Weg vorangehende Zustand vollkommener Geistesruhe dadurch, daß er nicht nur aller aktuellen Vorstellungs- und Reflexionstätigkeit bar ist, sondern zumindest so erlebt wird, als habe er keinerlei Objekt, der erlösenden Transzendenzerfahrung der Mahāyānisten jedenfalls im Negativen überaus ähnlich ist. Der Text selbst deutet dies an, wenn er erklärt, es gebe einige vollkommen Verblendete, die diesen Zustand, obwohl er die erlösende Erfahrung nur erst ankündigt, irrtümlich für die erlösende Erfahrung und volle Schau [der Wahrheit] (abhisamaya) selbst hielten 131. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß die hīnayānistisch orientierte Sr Bh an dieser günstigen Stelle die andersartige Auffassung des Mahāyāna von der erlösenden Erfahrung inklusivistisch132 in ihr System eingebaut hat, derart, daß sie als ein der tatsächlichen, hīnayānistisch gefaßten erlösenden Erfahrung vorgeschaltetes, somit untergeordnetes Element fungiert. Und vielleicht wäre, wenn dies zutreffen sollte, doch auch bei der Kennzeichnung der erlösenden Erfahrung als nirvikalpa das Motiv einer Adaption oder , Inklusion' mahāyānistischen Sprachgebrauchs nicht von vornherein auszuschließen. Ich glaube allerdings, daß mit dem Gesagten der Abschnitt über die der erlösenden Einsicht vorausgehende Phase tiefer Geistesruhe noch nicht erschöpfend besprochen ist. Gewiß, man hat den Eindruck, daß die Sr Bh versucht, die mystische Transzendenzerfahrung des Mahāyāna in ihren hīnayānistisch konzipierten Erlösungsweg unterordnend einzubauen, so wie es in anderen Teilen der Yogācārabhūmi auch umgekehrt Versuche gibt, die hīnayānistische Auffassung in ein primär mahāyānistisches Konzept der erlösenden Erfahrung einzugliedern. Aber es sollte deshalb nicht der Eindruck entstehen, daß dieser Versuch der Sr Bh, die mahāyānistische Transzendenzerfahrung in ihren hīnayānistischen Erlösungsweg einzugliedern, rein spekulativen Charakters gewesen sein muß. Gewiß, die Identifizierung der mahāyānistischen Transzendenzerfahrung mit jenem Zustand vollkom 131 500, 4 7:..., yat (., weil"? od. ,,so daß“ ?) tadekatyänäm mandānām momuhanām abhisamayābhimänāya bhavati:) idam punaś cittam abhisamayāyaiva — nacirasyedānīm samyaktva- (Hs. -tvam) nyāmāvakrāntir bhavisyatiti,.. 132 Vgl. P. HACKER, Kleine Schriften, Index s. v. Inklusivismus. Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 84 L. SCHMITHAUSEN mener,Geistesruhe' ist zweifellos ein Akt der Theorie, offensichtlich motiviert durch die Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Richtungen die abschätzige Bezeichnung der anderen als völlig Verblendete" (momuha) ist signifikant. Aber die Eigenart dieses Zustandes der,Geistesruhe und vor allem die alles andere als stereotype, an Vergleichen reiche, das Gemeinte mit Quasiwiederholungen allmählich einkreisende Ausdrucksweise der Stelle macht es mir schwer, daran zu zweifeln, daß hier eine tatsächliche, lebendige Erfahrung anvisiert wird. Hierfür spricht vielleicht auch die Tatsache, daß bei den eben erwähnten mahāyānistischen Versuchen einer Vereinnahmung der hinayānistischen Auffassung der erlösenden Erfahrung, soweit sie dies durch eine Hintereinanderordnung der beiden Erfahrungsformen zuwege zu bringen versuchen, die Reihenfolge der Erfahrungen die gleiche wie in der ŚrBh und nur die Wertung die umgekehrte ist. Schließlich scheint mir in diesem Zusammenhang noch der Hinweis interessant, daß sich die Schilderung eines der tiefen Geistesruhe der Śr Bh ganz ähnlichen Zustandes auch in einem erst 1950 verfaßten Text des Theravada-Buddhismus findet, nämlich der Visuddhiñāṇakathā des burmesischen Meditationsmeisters Mahasi Sayadaw 133. Die Beschreibung des Erlösungsweges in diesem Text folgt zwar grundsätzlich dem Schema der klassischen Theravada-Werke, doch hat der Autor, dem es in höherem Maße als den klassischen Traktaten um eine praxisbezogene Unterweisung des Übenden geht, zahlreiche, aus der eigenen Meditationserfahrung schöpfende Hinweise eingeflochten. Im Rahmen seiner Darstellung der versenkungsmäßigen Erfahrung des unmittelbar-nach-Entstehen-Vergehens (also der Augenblicklichkeit) spricht nun Mahasi Sayadaw von einem Zustand, in welchem es dem Meditierenden so vorkommt, als sei das Objekt, mit dessen Beobachtung er befaßt war, überhaupt nicht mehr da, als habe es aufgehört zu existieren, und in welchem ihm so ist, als habe sein beobachtender Geist keinen Kontakt mehr zu dem Objekt, in dessen Beobachtung er begriffen war 134. Da dieser Zustand, dessen Beschreibung der der tiefen,Geistesruhe in der Śr Bh frappierend ähnelt, im Meditations- und Erlösungsweg Mahasi Sayadaws keinerlei systematisch unverzichtbare Funktion hat noch sich als ererbtes oder auf äußere Anregung zurückgehendes Element verstehen läßt, muß er Ausdruck einer tatsächlichen Erfahrung sein, die aber bei Mahasi Sayadaw wie in der Sr Bh nicht als Schau der eigentlichen Wirklichkeit, nicht als eine wirkliche Transzendenzerfahrung, nicht als erlösungskonstitutiv gewertet wird. 133 Vgl. hierzu G. MEIER, Heutige Formen von Satipaṭṭhāna-Meditation, Diss. Hamburg 1978, p. 67 ff. 134 Mahasi Sayadaw, The Progress of Insight, 2nd ed. Kandy 1973, p. 58, 15ff.: Tada hissa... arammanam sabbaso avijjamanam viya ca abhavappattam viya ca paññāyati... Sallakkhanacittañ ca sallakkhiyamane arammane asampattam viya hoti. Vgl. auch MEIER, op. cit., p. 100. Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versenkungspraxis und erlosende Erfahrung in der Sravakabhumi 85 Naturlich kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, dass diese Erfahrung des Verschwundenseins aller Erscheinungs- und Vorstellungsbilder, insbesondere die der Schilderung der SrBh zugrundeliegende, als Erfahrung mit der mahayanistischen, als heilskonstitutiv gewerteten Erfahrung einer transphanomenalen Wirklichkeit tatsachlich identisch ist. Aber ausgeschlossen werden kann das wohl auch nicht. In diesem Falle wurde die SrBh, wenn sie diese Erfahrung als blosse Vorstufe der erlosenden Erkenntnis interpretiert, ihren Transzendenzerfahrungscharakter verkannt (oder gar, aus dogmatischen Grunden, mutwillig geleugnet) haben. Aber man konnte naturlich auch das Umgekehrte erwagen : dass die Mahayanisten einen in der Versenkung erzielbaren Zustand vollkommener ,Geistesruhe zu Unrecht als eine Erfahrung der eigentlichen Wirklichkeit, als eine echte Transzendenzerfahrung, gedeutet haben. Die Sr Bh unterstellt genau dies. Es scheint somit, dass uns schon die buddhistischen Texte selbst mit der vielleicht unlosbaren Problematik des theoretischen, metaphysischen Aussagewertes mystischer Erfahrung konfrontieren, einer Problematik, die auch durch die subjektive Uberzeugungskraft der jeweiligen Erfahrung nicht unbedingt ausgeraumt wird. Damit ist aber keineswegs der spirituelle Wert, die spirituelle Wirksamkeit einer solchen Erfahrung und ihres Selbstverstandnisses aufgehoben und somit auch ihre heilskonstitutive Funktion nicht unbedingt ausgeschlossen, am wenigsten in der buddhistischen Tradition mit ihrem prononcierten Primat des Spirituell-Praktischen und Moralisch-Ethischen.