Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

Previous | Next

Page 4
________________ 144 WILHELM HALBTA88 gegnet als das partikulär bestimmte Einzelding, als ein stabiler Komplex von „wesentlichen“ Eigenschaften, oder auch als ein dem Ding zugrundeliegendes, nur in seinen bzw. des Dinges Formen und Modi zugängliches Stoffsubstrat. Einerseits ist es der vielen, durch unwesentliche und ver. gängliche Formen (akyti) voneinander verschiedenen Dingen gemeinsame und in ihnen beständige Stoff, andererseits bezeichnet es die geformten Einzeldinge selbst, die nun ihrerseits als unbeständige Exemplifikationen beständiger Formen gelten. - Die Dialektik und Ambivalenz, die sich hier andeutet, ist in den Diskussionen der folgenden Jahrhunderte zen. tral, wenn auch nicht immer offenkundig: Sie betrifft das Verhältnis von Bestimmung, Bestimmungsträger und der konkreten Einheit beider; in diesem Rahmen oszilliert das Verständnis von dravya, in mehr oder weniger deutlicher Annäherung, zwischen zwei Grenzwerten - nämlich dem am vollsten Qualifizierten, d. h. dem konkret-bestimmten, durch Eigennamen zu bezeichnenden Einzelding, und dem selbst unqualifizierten, seiner Tendenz nach sich im Unbestimmten verlierenden Träger der Bestimmungen 10 Die folgenden Erörterungen konzentrieren sich auf die Frage des Verhältnisses von dravya und guña, und zwar unter weitgehender Be schränkung auf die Literatur des klassischen Vaibeşika und ihr nahestehende Nyāya-Texte. Einige der erwähnten grundsätzlichen Probleme treten auch in solcher Beschränkung deutlich genug zutage. - Das Vai. šeşika gilt manchen seiner indischen und westlichen Beurteiler als ein bis zur Grobschlächtigkeit eindeutiges, in seinen dem common sense verpflichteten Voraussetzungen leicht durchschaubares System. In der Tat wird an gewissen Grundvoraussetzungen mit unverdrossener Hartnäckig. keit festgehalten. Auf diese Weise freilich werden sie zu Konsequenzen verfolgt, die vom common sense weit entfernt sind und nicht selten als scholastische Verstiegenheiten und karikaturistische Verzerrungen echter Probleme erscheinen mögen. Gleichwohl bleiben die Lehren und Problemstellungen des Vaiseșika auch in ihren Einseitigkeiten und Paradoxien noch aufschlußreiche Belegstücke für wichtige Möglichkeiten und Ver. suchungen philosophischen Denkens, und sie verdienen nicht nur als historische Kuriosa, sondern auch als Ansatzpunkte zu systematischphilosophischem Nachdenken und zur, Uberprüfung unserer eigenen Voraussetzungen ernst genommen zu werden". In der Diskussion um das Problem der Wortbedeutung kann sowohl dravya (vgl. die Einleitung des Mahabhasya) wie vyakti (vgl. NS II b 57ff.) das individuelle Einzelding bezeichnen; vgl. auch NM I 297ff.; sowie allgemein zu diesem Thema M. BIARDEAU, Théorie de la connaissance et philo. sophie de la parole dans le brahmanisme classique (Le Hayo/Paris 1984) 22981. u S. o., Anm. 7.

Loading...

Page Navigation
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26