Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 9
________________ Substanz (dravya) im Vaibagika 149 Grundgedanken geprägten Rahmen sprengt ». Statt einer im wesentlichen reduktiven, die empirische Welt zu ihren irreduziblen Gründen zurück. verfolgenden und insofern „übersehenden" Einstellung haben wir nun eine entschiedene Zuwendung zu den empirischen Dingen selbst, wie wir sie im alltäglichen Umgang (ryarahāra) als Korrelate unserer Worte und Gedanken und nicht zuletzt auch unserer praktischen Aktionen kennen. Die Dinge selbst werden hier nicht mehr einfach durch Zurückführung auf etwas anderes, ihnen Zugrundeliegendes ,,erklärt"; sie wer. den vielmehr (im Begriffe des avayavin hypostasiert) selbst zum Thema gestellt, und wie es scheint, wird auch der Dingbegriff selbst Gegenstand kategorialer Analyse 25. Gleichwohl ist der Schritt von der Naturphilosophie zur Kategorienlehre kein wirklich radikaler, jedenfalls kein im Bewußtsein einer radikalen Neuorientierung explizit vollzogener. Entwicklungen finden statt, aber sie bleiben ineinander verschränkt; Neues wird nicht aus dem Kontext des Alten gelöst. Die ,,Kategorienlehre" des Vaiseșika wird von ihrer kosmologischen Vorgeschichte keineswegs in dem Sinne abgehoben, in dem etwa Aristoteles seine Ontologie von der Naturphilosophie der Vorsokratiker abhebt. Auch als Kategorienlehre bleibt das Vaibesika sozusagen hybride Naturphilosophie. Dieser historisch-systematische Tatbestand ist auch für die Interpretation des Verhältnisses von dravya und guņa zu berücksichtigen. Im hartnäckigen Festhalten an der Abtrennung und Nebenordnung beider, die dem Vaiseșika im logisch-erkenntnistheoretischen Zeitalter so sehr zu schaffen macht, ist eine ursprüngliche und fortdauernde kosmologische Orientierung deutlich. Das Verhältnis bleibt ja stets eines der materialen Kausalität; die Qualitäten hängen von den Substanzen ab, werden geradezu von ihnen hervorgebracht, analog der Weise, in der die empi. rischen Dinge von den elementaren Weltbausteinen hervorgebracht werden. Die quasi-physikalischen Implikationen des Verhältnisses von drarya und guna sind besonders deutlich in der allerdings offenkundig sekundären und scholastischen Lehre, nach der der avayavin seine Qualitäten erst nach seiner eigenen Entstehung hervorbringen kann, folglich im ersten Augenblick seiner Existenz ohne Qualitäten sein muß. - Der Gedanke bloß potentiellen, in sich unbestimmten, zur Manifestation aktueller Entitäten befähigten Seins wird im Vaiseşiks bekanntlich mit Nachdruck zurückgewiesen. * Entgegen einer oft zu findenden, geschichtlich naiven Voraussetzung dürfen wir für das frühe Denken keineswegs einen ,,Ding"-Begriff annehmen. - Die erwähnte ,reduktive" Einstellung läßt sich schon in Chandogy.-Upe. nişad VI beobachten. * Vgl. die oben, Anm. 3, genannten Stellen. » Eine klare Formulierung dieser Lehre kann ich in PB nicht finden; sie wird jedoch offenbar in V9: VII, 1, 12 (fehlt in Vsi!) vorausgesetst: agung.

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