Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 24
________________ 164 WILHELM HALBTABS In den zuletzt erwähnten und mehr oder weniger deutlich auf den Begriff der Gestalt bezogenen Überlegungen zum Substanzproblem geht es kaum noch um kosmologische Substrate oder Materialursachen: Es geht um Dinge als Individuen, als Bezugspunkte und Bedingungen numerischer Identifikation im Kontext unserer empirischen Welt 78. Und dies ist ja offenbar eine Perspektive des Substanzproblems, die dem logisch. erkenntnistheoretischen Zeitalter und dem Stil der Auseinandersetzung mit den Buddhisten entspricht. Daß diese Auseinandersetzung Kriterien und Gesichtspunkten folgt, die außerhalb des kosmologisch-naturphilosophischen Horizonts liegen, hat unvermeidliche Auswirkungen auf den Sinn des Substanzbegriffes selbst, der nun nicht mehr ein primär kosmologisch-naturphilosophischer sein kann?'. Gleichwohl bleibt eine natur. philosophisch-enumerative Grundorientierung auch noch auf der Ebene fortgeschrittener Reflexion wirksam: Die Substanzen bleiben Entitäten neben anderen Entitäten, eine Klasse von Weltfaktoren, die andere Weltbestandteile tragen, als reale Attribute ,,haben“, indem sie durch sie bestimmt und doch zugleich auch von ihnen verschieden sind. – Die kosmologische Problematik des Substrats und die logisch-erkenntnistheoretische Problematik des Bestimmungsträgers werden zwar de facto in mancher Hinsicht auseinandergehalten, aber nie wirklich radikal und thematisch getrennt. Und es gibt nichts, das der aristotelischen Zerlegung des Substanzproblems in das Problem der an, als der „Unterlage" (ÚTOxeiuevov) schlechthin, und des durch ein Wesen, ein Selbstsein bestimm. ten konkreten Dinges (T6d€ Tl) entspräche. — Zum Begriff des konkreten Dinges, als eines seine Bestimmungen umfassenden Ganzen, gelangt das klassische Vaidesika überhaupt nicht. Dies bleibt Denkern anderer Schu. len, zumal Kumárila und der von ihm vertretenen Richtung der Mimamså, vorbehalten. Die Konzeption des dravya im Vai esika ist, wie wir sagten, auch für die Kritik und Polemik noch ein wichtiger begrifflicher Katalysator: Die Schwierigkeiten und Paradoxien, zu denen sie führt, tragen in nicht zu unterschätzender Weise zur gedanklichen Radikalität und zum geschichtlichen Erfolg der Kritik der empirischen Welt bei, wie wir sie vor allem im Mahāyāna-Buddhismus und im Advaita Vedānta finden. " „Individuation“ wird von A. QUINTON (8. O., Anm. 4) als erster unter vier Grundaspekten des Substanzthemas genannt. ** Der Erkenntnisbezug in der Definition des Unterschieds zwischen der Substanz und den Qualitäten usw. wird in der Tat immer ausdrücklicher; z. B. NK 15: vilakpanåkårabuddhivedyatvasya-eva bhedalakpanatud ...; NM I 285: pratitibhedad bhedo 'sti ... Für den Nyåya freilich kann an den bei Uddyotakars und Jayanta (z. B. NM 295f.) gebräuchlichen Begriff des tadvat als konkretbestimmten Dinges orinnert werden.

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