Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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________________ ZUM BEGRIFF DER SUBSTANZ (DRAVYA) IM VAIŠEŞIKA Von Wilhelm Halbfass, Philadelphia I. Seit den Anfängen der neuzeitlichen Indienkunde im 18. Jahrhundert und vor allem seit COLEBROOKES grundlegenden Arbeiten zur indischen Philosophie ist es üblich, dravya mit,,Substanz" zu übersetzen1, und nur relativ selten ist nach dem genauen Sinn dieser Übersetzung gefragt worden. Der Substanzbegriff wird als Mittel der Interpretation einfach in Anspruch genommen, und die Unterscheidung von Substanz und Qualität gilt als sicherer und selbstverständlicher Maßstab für das Verständnis und die Beurteilung dessen, was in der indischen Tradition durch Begriffe wie dravya und guna erreicht worden ist. Nun bedarf es jedoch nur einer flüchtigen philosophiehistorischen und systematischen Besinnung, um zu sehen, daß das Verhältnis von Substanz und Qualität keineswegs eindeutig und gesichert ist und daß der Begriff der Substanz wohl einer der vertrautesten und traditionsreichsten, zugleich aber einer der vieldeutigsten und umstrittensten Begriffe der abendländischen Philosophie ist. Die Kritik dieses Begriffs und die historische Entwirrung seiner vielfältigen Implikationen ist in der Tat eines 1 Schon ALEXANDER Dow gibt in seiner,,Dissertation concerning the Customs, Manners, Language, Religion and Philosophy of the Hindoos" (in: The History of Hindostan, vol. 1, London 1768) dravya-Dow selbst schreibt „dirba" - mit,,substance" wieder; entsprechend wird guna (,,goon") mit,quality" übersetzt (vgl. The British Discovery of Hinduism in the 18th Cent., ed. P. J. MARSHALL, Cambridge 1970, 131). Zu COLEBROOKES Darstellung des Nyaya und Vaiseşika vgl. Miscellaneous Essays, vol. 1, London 1837, 261294). • Abweichende Übersetzungen sind nur vereinzelt und in Arbeiten vorgeschlagen worden, die heute kaum noch als aktuell gelten dürfen. So verwendet etwa M. MÜLLER (Beiträge zur Kenntnis der indischen Philosophie. I. ZDMG 6, 1852, 1-34; 219-242) die Übersetzung,,Gegenstand"; J. C. CHATTERJI (The Hindu Realism, Allahabad 1912) spricht von neun "realities”. Vgl. z. B. H. JACOBI, Jaina Sutras. Pt. II (Sacred Books of the East 45; repr. New York 1968), Introduction XXXIII; E. FRAUWALLNER, Geschichte der indischen Philosophie. Bd. II (Salzburg 1956) 116.

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