Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 12
________________ 152 WILHELM HALBTASS dient, die Substanzen gegenüber den Qualitäten und allen anderen „usätzlichen" Weltfaktoren abzugrenzen. Was den Substanzen in ihrem Substanzsein gemeinsam ist, ist die Tatsache, daß sie Qualitäten „haben“; dies ist eines ihrer gemeinsamen abstrakten Attribute (sādharmya), das ihrem Eigenwesen nicht, wie die Qualitäten selbst, als etwas Zusätzliches hinzugefügt und das somit auch nicht von ihnen abgezogen werden kann. — Entsprechend wird auch in den Abschnitten des Padártha dharmasamgraha, die die neun Substanzen bzw. bestimmte Substanzengruppen im einzelnen definieren und charakterisieren, auf das jeweilige „Haben" von, Bezogensein auf bestimmte Qualitäten verwiesen (in der Regel durch das Affix -vat), ohne daß damit die Qualitäten in das eigene Sein der Substanzen hineingenommen würden. Die Substanzen sind durch ihre Eigenschaften bestimmt und doch zugleich von ihnen verschieden. Daß eine Substanz Eigenschaften hat“, fällt nicht mit diesen Eigenschaften selbst zusammen; Eigenschaften zu haben, gehört zum eigenen Sein der Substanzen; die Eigenschaften, Qualitäten behalten gleichwohl ihr eigenes Sein - Sein sowohl im Sinne des umfassendsten abstrakten Attributs astitva wie auch im Sinne des höchsten Universale sattā. Das in der Substanz als ihr untrennbarer dharma liegende Bestimmtsein durch Qualitäten erscheint insofern von diesen getrennt, und es kommt zu einer eigentümlichen Doppelbödigkeit des Verhältnisses von Bestimmungsträger und Bestimmung, zu seiner Verteilung auf die beiden genannten Ebenen der Analyse. - Die Schwierigkeiten des Verhältnisses von Substanz und Qualität, von „Sein" und „Haben“ sind dadurch offenbar nicht gelöst; sie sind nicht einmal wirk. lich zum Thema gestellt: Sie sind lediglich durch einen impliziten semantic ascent umgangen. Es ist deutlich, daß Prasastapādas Verfahrensweise mit der histo rischen Situation seines Philosophierens zusammenhängt und auf einer eigentümlichen Verschränkung zweier verschiedener Reflexionsstufen und Orientierungsweisen beruht. Einerseits vertritt Prasastapāda ein unmittelbar weltorientiertes kosmologisch-naturphilosophisches Erbe, andererseits fersucht er sich einzustellen auf eine funktional-begriff liche, nicht hypostasierende Denkweise, wie sie vor allem in der gram. matisch-sprachphilosophischen Tradition entwickelt worden ist und, in anderer Blickrichtung, die Polemik der Buddhisten beherrscht. Entsprechend erscheint die Substanz (dravya) als Bestimmungsträger in zweierlei Sinn und Kontext: * Vgl. PB 24ff. u S. o., Anm. 28. Nach W. V. QUINE, Word and Object (Cambridge, Mass. 1960) 270ff.

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