Book Title: Uber Den Sakramentalen Charakter Des Dharma Nachinnend
Author(s): Albrecht Wezler
Publisher: Albrecht Wezler
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ UBER DEN SAKRAMENTALEN CHARAKTER DES DHARMA NACHSINNEND Von Albrecht Wezler, Hamburg 1. ,,Nachsinnend" heisst nicht mehr, als dass ich mich bemuhen will, uber das Verstandnis des Wortlauts von Textstellen und des damit Gemeinten hinauszugehen in Richtung auf eine umfassendere kulturgeschichtliche Analyse des Untersuchungsgegenstandes. Kein neues Programm also, sondern der Versuch, der aller Philologie letztlich gestellten Ausgabe nachzukommen. Es geht mir dabei nicht so schr darum, neues Material zu prasentieren, als vielmehr darum, in Anknupfung an und in kritischer Auseinandersetzung mit der mir bekannten Forschung eine neue Sicht teils aufgreifend fortzuentwickeln, teils selbst vorzuschlagen und sie als These zur Diskussion zu stellen. Der Gefahr der spekulativen Verirrung bin ich mir bewusst. Sollte ich ihr erliegen, so konnte ich vielleicht durch die Erregung von Widerspruch zur Klarung der Wahrheit beitragen. 2. In seinen Vorlaufigen Gedanken zum Thema" ist GerHARD OBERHAMMER schon auf den dharma zu sprechen gekommen und hat von ihm festgestellt, dass er ,,im hier gemeinten, religionshermeneutischen Sinne eines Sakramentes als ereignishafte Vermittlung der Transzendenz zum Heil verstanden werden muss". ..Kultur" verwende ich hier im weiteren Sinne des Wortes, d. h. als Bezeichung ..of all aspects characteristic of a particular form of human life" (vgl. The Oxford Companion to Philosopby, ed. by T. HONDERICH, Oxford - New York 1995, p. 172). Eine nicht nur fur die Kulturanthropologie wichtige Definition gibt C. GEERTZ, Dichie Beschreibung, Frankfurt a. M., 1991, S. 46; vgl. auch scine in The Interpretation of Cultures, New York 1973, gesammelten Essays. ? Vgl. dazu G. OBERHAMMERS Ausfuhrungen in diesem Buch, S. 17 (37) Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 65 Seine Charakterisierung des dharna ,,als Ausfuhrung der im Veda geoffenbarten Ritualvorschriften" macht deutlich, dass er sich dabei auf das bezieht, was in MS 1.1.2 als codanalaksano 'rthah definiert wird, als ,,etwas Nutzliches, dessen Kennzeichen die vedischen Weisungen sind". Wie verhalt sich diese Definition zu anderen Definitionen des hinduistischen dhanna-Begriffes, 2. B. zu der, von der HACKER gesagt hat, es sei die konkreteste und genauste", die er kenne, namlich ApDhS 1.7.20.6-8, wo es heisst: ..Dharma und Adharma ... gehen nicht umher und sagen: Das sind wir. Auch Gotter und Gandharven und Manen erklaren nicht, was Dharma und Adharma ist. Sonder was die Arya loben, wenn es getan wird, das ist Dharma; was sic tadeln, das ist Adharma. Man soll sich in seinem Verhalten richten nach dem Verhalten, das von wohlgesitteten, betagten, sich selbst in Zucht haltenden, von Besitzgier und Verstellung freien Arya in allen Landern einmutig anerkannt wird"? Gewiss, auch HACKER spricht von der Beziehung, die der Dharma ,zum Veda hat, zu den heiligen Texten aus der altesten indoarischen Zeit". ,,Was im Veda direkt geboten ist, ist unbedingt verpflichtend", fuhrt er weiter aus, ,,es fuhrt zum jenseitigen Heile." Wenn er aber anfugt, ..(d)er Veda ist die vornehmste Quelle des Dharma", dann ist unmittelbar klar, dass er hier nicht, jedenfalls nicht allein, an den Veda als Hort von Weisungen uber das Opfer denkt, - das Opfer, von dem er etwas spater sagt, es sei als ein selbstwirksames Mittel zur Erreichung diesseitiger und jenseitiger Ziele" aufgefasst worden. Ebenso hat er den Veda als vornehmste Quelle des Dharma im Sinne, wenn er rekapitulierend feststellt: Der Dharma, seinem Inhalt nach auf die Kasten und Lebensstande bezogen, den ganzen Bereich von Moral, Kultur, Recht und Sitte umgreifend, durch seinen Vollzug jenseitiges Heil wirkend, ist nicht aus einem philosophischen Prinzip oder einem religiosen Ursprung ableitbar, sondern nur empirisch feststellbar, sei es aus dem Veda, sei es aus dem Consensus der Guten mit Rucksicht auf den geographischen Ort.66% Wenn Indologen von hinduistischem dharma sprechen, denken sie also bald an die Opferweisungen der Samhitas und Brahmanas - oder der Srautasutras -, bald an den varmasrama-dharma der Dharmasastra-Texte oder an beides zugleich, wobei sie aber nicht notwendig auch beiden die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Schon als ich HACKERS - man darf wohl sagen: beruhmten - Aufsatz uber den ,,Dharma im Hinduismus" zum ersten Mal gelesen habe, drangte sich mir die Frage auf, ob es sich nicht in Wahrheit um zwei verschiedene Gegenstande handelt, eben den vedischen, von den grossen feierlichen Opfer handelnden Dharma und den von den Indern selbst so genannten varnasrama-dharma. Was mich irritierte, war u. a. auch die Bemerkung, der dharna sei, nur empirisch feststellbar, sei es aus dem Veda, sei es aus dem Consensus der Guten", der hinduistische Begriff des Dharma" sei Zitiert aus E FRAUWALLNER, Materialien Erkenntnislehre der Karmamimams, Wien 1968, S. 17. zur altesten ,,Dharma im Hinduismus", in: ZMR 49 (1965), S. 93-106 = Kleine Schriften, hrsg. v. L. SCHMITHAUSEN, Wiesbaden 1978, S. 496-509. na dharmadharmau carata avauti sva iti / na devagandharva na pitara ity caksate 'yan dharmo 'yam adharma iti // 6 // yas iv aryan kriyamanam prasamsanti sa dharmo yad garbante so 'dharmah // 7 // sarvajanapades v ckintasamahitam kryapam vffraiti samyagvinitanam yodhanam atmivatam alolupinam adambhikanam vitasadfsyam bhajeta // 8 //. Ich fasse vitasidrs. yam als Adverb auf (in ciner/der Weise, dal Ahnlichkeit des Verhaltens (bcsteht) und vermute, dass dahinter die Erkenntnis steht, dass das Verhalten ciner Person niemals mit dem einer anderen oder mit einem Verhaltensmodell identisch sein kann, sondern ihm immer nur im Sinne einer Ahnlichkeit entsprechen kann. HACKER, I. c. S. 98 (501) HACKER, I.C., S. 100(503) Gemeint ist naturlich das auf S. 98 ( 501 ) erwahnte Aryavarta. HACKER, 1. c., S. 100 (= 503). Ubersetzung von HACKER, I. c., S. 96. (4996.) Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 67 ..radikal empirisch","ohne die m. E. notwendige Erganzung, dass der Veda fur eben die Gruppe, deren Ansicht HACKER hier wieder gibt, eine ewige transzendentale Entitat ist, ganz im Unterschied zu den anderen Quellen des Dharma', und ohne darauf einzugehen, dass im einen Fall das, was als ,,Weisungen", ..Vorschriften" aufgefasst wird, in Texten explizit ausgedruckt ist, im anderen Fall aber das Verhalten einer bestimmten Gruppe von Personen zum Vorbild genommen wird und allenfalls in einem zweiten Schritt, Weisungen" daraus abgeleitet werden konnen. Auch heute noch lasst mich diese Frage nicht los, scheint mir aber der Zeitpunkt gekommen, sie offentlich zu stellen. Sind, mit anderen und deutlicheren Worten, der vedische dharma und der dharma des Dharmasastra - so will ich sie begrillich unterscheiden-nur (die) zwei Teile, Seiten oder Aspekte des numerisch einen und letztlich einheitlichen hinduistischen Dharma oder handelt es sich dabei - zumindest der Herkunft nach- um zwei eigentlich ganz verschiedene Dinge, zwei ursprunglich getrennte Strange der altindischen Kultur und ist der ubergreifende - moglicherweise auch einheitliche - dharmaBegriff deshalb sekundar, der sobald entstanden allerdings erlauben wurde, in der Tat mit HACKER festzustellen", dass der Dharma ... also neben dem eigentlich Moralischen die gesamte aussere kultische, zeremonielle Seite der Religion ..." umfasst, und dass daruber hinaus der ganze Bereich des Zivilrechts, des Strafrechts und der Staatslenkung" zu ihm gehort ebenso wie die Suhne- und BuBriten"? handelt, dann fallt doch, so meine ich, zuerst einmal die - radikale - Verschiedenheit auf: Im Dharmasastra ist zwar von den feierlichen vedischen Opfer die Rede, aber eben im Zusammenhang mit den Pflichten und Rechten bestimmter Stande (varra) oder bestimmten Suhnchandlungen (prayascitta), d.h nur indirekt und sozusagen beilaufig: es finden sich aber keine Anweisungen" zur Durchfuhrung solcher Opfer. Opferhandlungen, die dort vorgeschrieben werden, gehoren in den Bereich der Grhya-Rituale, der ..Non-Solemn Rites". Das Srauta-Ritual weist also allenfalls bestimmte indirekte Beziehungen zu dem eigentlichen Gegenstand des Dharmasastra auf. Umgekehrt finden sich in den Samhitas und Brahmanas Satze oder Abschnitte, die Licht auf damaliges Recht, auf Sitte und Brauche werfen - so wie auf hausliche Riten;" aber fur diejenigen, denen die Vorschriften und Verbote bezuglich der Srauta-Opfer als der wichtigste Bestandteil der Samhitas und Brahmanas erscheinen, also fur die Mimamsakas und ihren Gefolgsleuten, sind diese Satze eben gerade nur Beiwerk, das in der Regel der Kategorie arthavada zugeordnet wird. Halten auch die Inder selbst diese beiden verschiedenen Arten von dharma auseinander? Der bereits erwahnte gelaufige, weil sprechende und in vieler Hinsicht treffende, Terminus varpasramadharma bote sich als Beispiel an, aber alt scheint er ja nicht gerade zu sein. Das gilt aber nicht fur die Gegenuberstellung von srauta, d.h. Srutyukta, und smarta (dharma), die gewiss nicht erst von Manu (vgl. 1.108, s. u. S. 74, Anm. 36) eingefuhrt worden ist. Es konnte einem des weiteren der erste Satz des ApDhs in den Sinn kommen: athatah samayacarikan dharman vyakhyasyamah, ..(now, therefore, we will declare the acts productive of merit which form part of the customs of daily life, as they have been 3. Bedenkt man den Gegenstand, von dem der vedische dharma einerseits und der dharma des Dharmasastra andererseits "HACKER, 1. c., S. 99 (502) HACKERS Bestimmung des dharma der Hindus als ,,radikal empirisch" hat in der Indologie Wirkung gezeigt, vgl. elwa H. SCHARFE, The State in Indian Tradition, Leiden - New York - Kobenhavn - Koln, 1989, p. 220, Fussn. 125, oder H.-J. KLIMKEIT, Der politische Hinduismus. Indische Denker zwischen religioser Reform und politischem Erwachen, Wiesbaden 1981, S. 56f. "Vgl.J. GONDA, Vedic Ritual. The Non-Solemn Rites, Leiden - Koln 1980. "Lc., S. 96 (499) Vgl. J. GONDA, O. C. p. 1ff. Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A, WEZLER settled by the agreement (of those who know the law)." Denn die beiden satzeinleitenden Partikeln kundigen wie auch sonst in vedischen und fruhen nachvedischen Texten einen neuen Unterrichtsgegenstand an, der sich von dem vorangegangenen unterscheidet; und an die Erlauterung des Sekundamomens samayacarika', die der Kommentator Haradatta (zwischen 1100 und 1300 n. Chr.) gibt, namlich samayamula acarah (5) samayacaras(.) tesu bhavah (cf. Pan 4.3.53) samayacarika) / (evambhutan dharman iti/), hat sich BOHLER zu Recht gehalten," - obwohl vielleicht zu uberlegen ware, ob mit samaya nicht eher , in der Praxis gegebene, sich zcigende Ubereinstimmung" als ,,Ubereinkunft", ,,Konvention" gemeint ist. Dass auch die Verwendung des Plurals dharman fur die Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 69 gegebene Frage von Bedeutung ist, ist wenig wahrscheinlich, da sie nachweislich nicht spezifisch ist fur Texte des Dharmasastra, sondern auch in alteren vedischen Texten haufig begegnet. Der Beachtung wurdig aber ist sie allemal." Nimmt man nun an, dass das Attribut samayacarika dazu dient, die dharmah, die Apastamba sich anschickt zu erklaren, von anderen zu unterscheiden, dann bedurfte das Fehlen dieser oder einer gleichwertigen naheren Bestimmung vor allem im Gauths und Baudh Dh seinerseits der Erklarung, und diese konnte wohl nicht in dem Hinweis bestehen, dass Gautama eben alter ist als Apastamba, ja nach gangiger Meinung das alteste Dharmasutra uberhaupt," und eben die Notwendigkeit einer solchen Prazisierung noch nicht erkannt hat (bezeichnenderweise jedoch der Verfasser des jungeren Werkes), denn fur das ja ebenfalls jungere Baudh Dhs hatte dieses Argument keine Kraft, und ausserdem kennt auch Gautama (1.18.11) den Ausdruck samayacariker und "Zitiert aus G. BOHLER, The Sacred Laws of the Aryas, Pt. 1 (SBE Vol. II), repr. Delhi - Varanasi - Patna, 1965, p. 1. "Weitere Belege sind ApDhs 1.2.7.31 und GauthS (1.8.11 (s. dazu u. S. 69 nebst Anm. 21) "Ein Zweifel konnte allerdings entstehen bezuglich der Ableitung des Sekundarnomens, da samayacarika im Gana (211) zu Pan 5.4.34 (vinay bhyas hak) aufgefuhrt wird und das Suffix thak (= tika oder tk) nach Ansicht der Papiniyas svarthe angefugt wird, also ohne die Bedeutung des Primarnomens zu verandern. (Vgl. auch CARUDEVA SASTRI, Vyakarapacandrodaya, dvitiyakhanda, Delhi - Varanasi - Patna 1970, p. 498, wo als Beleg fur die Behauptung samayacara eva samayacarika Gauths 1.8.11 zitiert wird), Man muss sich naturlich aber fragen, ob samayacarika zum alten Bestand diesca Gapa gehort. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt schon die Vrtti zu Candravyakarapa 4.4.17 und wird bestatigt durch R. BIR WE, Der Gapapaha zu den Adhyayas IV und V der Grammatik Papinis. Versuch einer Rekonstruktion, Wiesbaden 1961, S. 411, dessen vergleichende Tabelle darauf hindeutet, dass das Wort zum ersten Mal in der Kasika innerhalb dieses Gapa auftaucht. - Zu samayacara vgl. R. (Baroda) 2.1.19 (offenbar mit dem Attribut laukika), wo mehrere Kommentatoren dharma explizieren; vgl. The Ramayana of Valmiki An Epic of Ancient India. Vol. II: Ayodhyakanda. Introduction and Translation by SHELDONJ. POLLOK, Princeton 1986, p. 328. (Poona), 6.1.26: Intas te samayam cakruh kurupidavasomakath/dharmans ca sthapayam isur yuddhanan bharatasabha //. Zur Verwendung des Plurals s. auch W. HALBFASS, India and Europe. An Essay in Understanding. Albany 1988, p. 314. (innerhalb des Dharma in Self-Understanding of Traditional Hinduism" uberschriebenen Kapitel 17), M E wird durch den Plural generell nur die innere Diversitat und Mannigfaltigkeit des dharma genannten Gesamts ausgedruckt - in Ubereinstimmung mit der Verwendung des Singulars fur einzelne seiner Teile (z. B. stridharmah, rajadharmah, etc.), nicht jedoch das Nebeneinander verschiedener "Religionen'. - Die letzte Bemerkung dieses Absatzes ist gegen HACKER gerichtet, der mit keinem Wort darauf eingeht, dass im Original ein Plural steht. ?" Das hat R. P. KANGLE bestritten - mit nach meinem Eindruck nicht ganz uberzeugendep Argumenten; vgl. seinen Beitrag .The Relative Age of the Gautamadharmasutra" zu: Melanges d'Indinnisme i la memoire de Louis Renou, Paris 1968, pp. 415-429; auch WILHELM GAMPERT, Die Suhnezeremonien in der altindischen Rechtsliteratur, Prag 1939, S. 266f. (Anhang zu den Quellen") ist anderer Ansicht, was die relative Chronologie der Dharmasutras betrim. Zu alterer Literaturs. R. LINGAT, The Classical Law of India, Berkeley - Los Angeles - London 1973. p. 22 Fussn. 3. "Haradattas Auffassung (in seinem Kommentar zu Baudh DhS 1.1.1.2 vorgetragen), dass, der samaya von Kennern des dharma wie Manu usw." gemeint sei (dharmajda ye manvadayas tesam sayamah pramapar dharmadharmayob) ist ein Anachronismus. Haradatta geht von seinen zeitgenossischen Gegebenheiten aus; vgl. auch u. Apm. 23.- Selbst in ApDhS 1.1.1.2 (dharmajitasamayah pramonm, s. auch u. S. 71 nebst Anm: 26) halte ich es nicht fur zwingend anzunehmen, dass sameyn (durch Diskussion/Debatte erzielt) Ubereinkunft" bedeutet. Anders ist die Situation aber z. B. in Mahabharata samayacarikesv abhivinith; G. BOHLER, O. c. (Anm. 15), S. 215f. ubersetzt:..(And) who is well versed in the duties of the daily life settled by the agreement of those who know the lawy". Das sutra bildet einen Teil der Charakterisierung des Brahmanen, von dem zusammen mit dem Konig gemass Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 71 offenbar in gleicher Bedeutung, gebraucht ihn aber nicht am An- fang seines Werkes. Es empfiehlt sich deshalb, samayacarika in ApDhS 1.1.1.1 nicht als zur Unterscheidung notwendiges Attribut anzuschen- und aus ihm auf die Existenz eines anderen dharma-Begriffs zu schliessen -; der Zusatz macht allem Anschein nach nur explizit, was in den anderen genannten Quellen durch das Wort dharma allein als Lehrgegenstand ausgedruckt wird. Was aber ist dort mit dharma gemeint? Unstreitig das, was ich ,,dharma des Dharmasastra" nenne. Denn das noch naher zu betrachtende - GautDhS (1.)1.2 (tadvidam ca smrtisile), zu dem aus (1.)1.1 als Subjekt dharmamulam zu erganzen ist, zeigt mit hinreichender Deutlichkeit, dass eben dies der Inhalt des Begriffes dharma in GauthS (1.)1.1 vedo dharmamulam ist. Ahnlich kann man - u. a. - aus Baudh DhS 1.1.1.3 (smarto dvitiyah) schliessen, dass mit dharma in Baudh Dhs 1.1.1.1" upadisto dharmah prativedam - nicht etwa der vedische dharma," sondern - nichts anderes als der dharma des Dhannasastra" gemeint ist. Auch Gautama und Baudhayana haben also eine klare und bestimmte Vorstellung davon, was von ihnen bzw. generell als dharma bezeichnet wird und wovon sie handeln wollen. Es ist ungeachtet - oder sollte ich sagen: gerade wegen? - der von ihnen behaupteten Beziehung zum Veda etwas vom ,,vedischen dharma Verschiedenes! Beiden, dem GautDhS wie dem Baudh DhS, ist die -bei letzterem besonders ex plizite24 - Hierarchisierung der Quellen des Dharma gemeinsam, die im Aphs zu fehlen scheint. Ich sage ..scheint", denn ich bezweifle, dass man ApDhS 1.1.1.3 dahingehend zu verstehen hat, dass der Veda als Quelle" erst an zweiter Stelle auftritt", d. h. als eine nur zweitrangige 'Quelle des Dharma' angesehen wird, wie HACKER" meint: Die Reihenfolge der Nennung bestimmter Begriffe kann, aber muss nicht eine Rangfolge anzeigen. Und die Reihenfolge der sutras 1.1.1.1 bis 1.1.1.3 bei Apastamba 26 bleibt verstandlich, auch wenn man annimmt, dass den Veden - sozusagen selbstverstandlich - eine hohere Autoritat zuerkannt wird, als der ,,Ubereinstimmung der dharma-Kundigen", und dass der dharmajna-samaya nur deshalb als erster genannt wird, weil er an die Kennzeichnung der dharmas als samayacarika im ersten sutra-crklarend? - anknupft.?? Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass das, was die Verfasser der altesten Dharmasutras unter dem ,,dharma verstehen, ausschliesslich das ist, was dem Indologen als Inhalt von Texten des Dharmasastra vertraut ist. Mindestens ebenso bemerkenswert und deshalb erwahnenswert aber ist, dass sie - von Apastamba einmal abgesehen - von diesem Gegenstand so sprechen, als sei ein Missverstandnis unmoglich, jedenfalls nicht erstlich zu befurchten: Sie scheinen eine ebenso klare und bestimmte Vorstel "Eben durch die Verwendung der Ordinalia ,,zweiter" und ,,dritter". die, da sie kaum redundant sein durflen, wohl eine pragnante Bedeutung haben. L. c., S. 98 (501) (1.18.1ff, alles Leben und Gedeihen sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Gesellschaft abhangen. 2 Diese lauten: arbatah samayacarikan dharman vyakhyasyamah // 1 / dharmajasamayah pramapam // 2 // vedas ca // 3 /l. Soviel ich weiss, ist das Ratsel, dass Baudh DhS 1.1.1.2 aufgibt, noch nicht gelost. Denn wie ist der Genitiv zu verstehen, wenn der Wortlaut tasyanuvyakhyasyamah uberhaupt richtig ist? Die Postposition wird nicht mit diesem Kasus verbunden und ein Genitivus partitivus macht keinen Sinn. "Im Verbund mit BaudhDhs 1.1.1.4 (trtiyas sistagamab) zeigt das sutra 1.1.1.3 sowohl, dass der dharma, der in jedem einzelnen Veda unterwiesen ist", als erster anzusehen ist, als auch, dass die Ordinalia eine Rangfolge hinsichtlich der Massgeblichkeit der 'Quellen des Dharma' bzw. des Mittels der Eruierung des dharme meinen. "Die Nichtnennung, von der HACKER in dem gleichen Satz (a. a. O.) unter Verweis auf ApDIS 1.7.20.6-8 und Manu 2.1 spricht, ist fur sich genommen auch mehrdeutig. Unberuhrt von meinen Einwendungen bleibt HACKERs Annahme (I. c., S. 98 (= 501)) ..dass diejenigen Ausdrucke, die nur vom Brauch oder Consensus der Guten ... als Dharma-Quelle sprechen, schr alt sind, dass sie aus einer Zeit stammen, wo der Veda den Menschen noch nicht als abgeschlossenes autoritatives Textkorpus Regenuberstand, wo sie vielmehr noch im Veda lebten, wo der Veda noch wuchs." Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER lung von dem, was ,,dharma" heisst, auch bei ihren Adressaten, Horem bzw. Leser, vorauszusetzen! Worauf ich abhebe, ist wohlgemerkt nicht die - ja auch indische - Erkenntnis, dass Begriffe, mit denen man operiert, definiert werden sollten bzw. mussen, sondern, dass der Gegenstand des Sastra zwar klar genannt wird, das Verstandnis der entsprechenden Bezeichnung aber vorausgesetzt wird. Mir scheint das so auffallig, dass ich die These wagen und zur Debatte stellen mochte, dass die Mimamsa sich des Be. griffs dharma - zur Benennung des vedischen dharma - erst sekundar in gewissen Sinne bemachtigt hat, dh zur Verwendung dieses Begriffes, auch wenn er ihr als Bezeichnung des Opfers als den Kosmos stutzender und Leben erhaltender Kraft schon bekannt war," fur das, was den Inhalt der vedischen Vorschriften bildet, erst durch das Dharmasastra angeregt worden ist. Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 73 These, die R. LARIVIERE in einem gerade erschienenen Aufsatz" vorgetragen hat, dass ,,the dharmasastra literature represents a peculiarly Indian record of local social norms and traditional standards of behaviours", dass (1) represents in very definite terms the law of the land", ,,,that the whole of the dharma corpus can be viewed as a record of custom", wovon allerdings festzustellen ist, dass dieser Umstand is obfuscated by the fact that the idiom of all the dharma literature is one of eternality and timelessness", and by the fact that the dharma literature clings to the claim that all its provisions can be traced directly or indirectly to the Veda, the very root of dharma".? LARIVIERE will seine Ausfuhrungen zwar auf den vyavahara, legal procedure", genannten Teil des Dharmasastra" beschrankt wissen, merkt aber an, dass er glaube, dass ,the general notion of the ascendancy of custom and the efforts to include rather than exclude local practice within the realm of dharma apply equally as well to acara and prayascittal. Abgesehen von einem gewissen Vorbehalt bezuglich der Suhnehandlungen", deren tatsachliche vedische Wurzeln ja schon GAMPERT herausgearbeitet hat und bei denen die Verhaltnisse noch komplexer sein durfen als bei den anderen Teilen des dharma des Dharmasastra, mochte ich meinem amerikanischen Freund und Kollegen nachdrucklich beipflichten: Bei dem als acara bezeichneten Teil des Dharmasastra liegt es doch auf der Hand, zu vermuten, dass er im Kem eben nichts anderes ist, als eine Kodifizierung von traditionellen ,,Sitten 4. Die Behauptung, dass der vedische dharna und der dharma des Dharmasastra von Hause aus zwei vollig verschiedene Strange darstellen, wird gestutzt durch die nahe verwandte, aber daruberhinausgehende, die Verschiedenheit zugleich erklarende ** Eine wichtige Stutze sehe ich in dem Umstand, auf den gerade H. BECHERT hingewiesen hat (vgl. seinen Beitrag . Die Gesetze des buddhistischen Sangha als indisches Rechtssystem", in: Recht, Staat und Verwaltung im klassischen Indien, hrsg. von B. KOLVER, Munchen 1997, 53-64, insbesondere 5911), dass dhamma in Palitexten u. a. auch die Bedeutung das vom Buddha erlassene Gesetz, Verfahrensvorschriften hat. "...Dharmasastra, Custom, 'Real Law' and 'Apocryphal' Smrtis", in: Recht, Staat und Verwaltung im klassischen Indien, (vgl. Anm. 28). S. 97110. ML c., p. 98 2 Trotz ChU 2.23.1 und des Vartt. 11 zu Pap 4.3.120 (Mahabhasya II 319.4.) bzw. Pap 4.2.46! (Zu CHU 2.23.1 siche jetzt P. OLIVELLE, Dharmaskandhab and brahmasapisthab: A study on Chandogya-Upanisad 2.23.1". in: JAOS 116.2 (1996). 205-219) S. u. S. 97 nebst Anm. 114 Das musste vor Patanjali, dem Mahabhasyakara, geschehen sein, denn er kennt die Position, dass die Uberlieferung der Rsis (rsisampradaya) dharma ist" (1 9.16; vgl. V. SVAMINATHAN, Bhathariviraci Mahabhasyafiki, Vol. I, Varanasi 1965, p. 40 und ausserdem Mahabharata (Poona). 12.110. 12a [Srutir dharma ili hy ckel), und erlautert den Ausdruck dharmaniyama unter Heranzichung von Beispielen aus dem loka und dem veda (1 8.101 Wie er z. B. in der YajiS von acara und von prayascitta dispositionell-systematisch getrennt ist. Die Einteilung wird von P. V. KANE nicht dort erwahnt, wo er auf die various divisions of dharma zu sprechen kommt, also History of Dharmasastra, Vol. II, Part 1 Sec. Ed., Poona 1974, p. 21. "L, 6, 7, 97, Fulon. 1. "WILHELM GAMPERT, O. C(vgl. Anm. 20) Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 75 und Gebrauchen". Die Argumente, die LARIVIERE fur seine These anfuhrt, z. B. dass die Tradition des Dharmasastra selbst anerkannte, dass ..the ultimate source of dhanna in a legal sense was custom" 16 (mit HACKER konnte man sagen: durch klare Aussagen uber den empirischen Charakter des dharma), dass sich an einzelnen Regelungen zeigen lasst, dass und wie ..the brahmana author explained rather than dictated custom","usw. - diese Argumente also halte ich insgesamt fur so uberzeugend, dass ich davon ausgehe, dass sich diese neue Sichtweise, dieses neue Erklarungsmodell in der Indologie durchsetzen wird, dass es, wenn man so will, zu einem Paradigmenwechsel kommen wird. of the particular schools." Und KANE" hat schon etwas fruher erklart, dass ..(t)he smrtis themselves embodied the practices of the people current in their days, as Manu 1.107 declares, 'in this work dharma has been fully stated as well as the good and evil qualities of human actions and the ancient customs and usages of the four vamas." DERRETT", so erweist sich jetzt, ist KANE unmittelbar verpflichtet, ubernimmt er doch auch den Hinweis auf diesen Vers der Manusmrti." Als Beleg fur seine eigene Formulierung, dass das Dharmasastra ,,was itself the fruit of customs", reicht der Vers jedoch nicht aus, wie im Anhang zu Manusmrti 1.107** naher ausgefuhrt und begrundet wird, ungeachtet dessen durfte DERRETT in der Sache selbst durchaus richtig liegen. LARIVIERE aber, um auf ihn zuruckzukommen, darf gewiss fur sich beanspruchen, den Charakter - und die Entstehung des Dharmasastra im Lichte dieser grundsatzlichen Erkenntnis uber die Beziehung zwischen ihm und dem Bereich von Sitte und Brauch weitergedacht zu haben, wenngleich z. B. auch DERRETT schon mehr zu diesem Thema zu sagen hatte, als durch das obige Zitat ersichtlich ist. Zu der Annahme, dass sich das besagte neue Erklarungsmodell durchsetzen wird, fuhle ich mich dadurch ermutigt, dass ADAS 1.7.20.6 und 7 - die auch LARIVIERE zitiert" - ja doch den empirischen Charakter nicht nur des vyavahara, sondern des dhar 5. Ganzlich neu freilich ist dieses Erklarungsmodell gar nicht- und der Paradigmenwechsel insofem uberfallig: Schon DERRETT" stellte fest, dass ..(the sastra incorporated numerous customs, inevitably, since it was itself the fruit of customs systematized, compared, and summarily set down", und merkte dazu an", dass ..(the fact is recognized by Kane, Sen Gupta and others, also in judicial decisions". In der Tat findet sich schon bei N.S. SENGUPTA" die Behauptung: ..Custom then was necessarily the preeminent factor in developing and determining the law to be administered. In course of time then, customs which were studied by the scholars of the community assembled in parisads tended to crystalize into definite rules which were embodied in the manuals of law of these schools. These manuals became the Dharmasutras "P. V. KANE, History of Dharmasastra, Vol. III. Sec. Ed., Poona 1973, p. 874 (die erste Auflage war 1946 erschienen) Hinter den others", auf die sich DERRETT bezicht, durfte sich u. a. A.S. ALTEKAR verbergen (cf. State and Government in India, 3rd Ed., Benares 1958, p. 12 fic R. LINGAT, The Classical Law of India, Berkeley - Los Angeles - London 1973, p. 178) * L. c., p. 102 "Lc., p. 103 "J. DUNCAN M. DERRETT, Religion, Law and the State in India, London 1968, p. 158. Ibid., Fussn. 3. 40 N. S. SEN-GUPTA, Evolution of Ancient Indian Law (University of Calcutta Tagore Law Lectures, 1950), London - Calcutta 1953, p. 13. "Vgl. den ersten Satz in der Fussnote, aus der gerade zitiert wurde (s. Anm. 38 und 39): ..Manu says so at 1.107". *S. u. S. 1001 "Vgl. o. c (Anm. 38), p. 1596. * L. c. p. 102 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER ma schlechthin aussagen. Ein weiteres, von LARIVIERE nicht gesondert aufgefuhrtes Argument der Selbstenthullung sehe ich in dem Ausdruck smrti, wie er an mindestens einer Stelle in den Dharmasastras gebraucht ist. In seinem Kommentar zu Baudh DhS 1.1.1.3 (smarto dvitiyah) behauptet Govindasvamin (spater als 15. Jh. (?)), dass durch das Wort smrti ubertragen ein Text bezeichnet werde, welcher Erinnerung/Erinnertes erkennen lasse/anzeige (tadabhivyarijako granthah smrtisabdenopacaryate), - nachdem er unmittelbar davor zur Erlauterung des Begriffs smrti sich der Definition von Yogasutra 1.11 bedient hatte, was dem Herausgeber der KashiSS-Ausgabe offensichtlich entgangen ist. BOHLER" bescheinigt Govindasvamin, er sei,no doubt right in doing so", und in der Tat konnte man auf Baudh DhS 1.1.2.7 und 2.2.4.17 verweisen, d.h. die dortige Nennung von Gautama, aus der man - mit BUHLER" - in der Tat auf das hohere Alter des Gauths und damit seine Kenntnis mindestens eines Smrti-Textes zu schliessen befugt ist. Ich zogere gleichwohl, mir BUHLERS Einschatzung der Explikation Govindasvamins zu eigen zu machen, und zwar aus mehreren Grunden,- deren Reihenfolge einer Zunahme an Gewicht entspricht: Das Baudh Dhs ist der Tradition nach eben ein Satra und keine Smrti. Es kann nicht einfach unterstellt werden, dass das Wort smrti hier einen Text oder eine Klasse von Texten bezeichnet, mag diese Verwendung spater auch noch so gelaufig sein; denn um die Frage, seit wann es diese Funktion hat, kommt man nicht herum. Baudh DhS 1.1.1.3 selbst ware wegen mangelnder Eindeutigkeit ein schlechter Zeuge. Auch Gautama selbst nennt schon unter den Quellen des Dharma' smrti, und zwar in dem - oben (S. 70) bereits zitiertensutra (1.)1.3 tadvidam smrtisile - das ich in anderem Zusammen Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 77 hang noch einmal erwahnen werde." Das genitivische Attribut, das durch vedavidarn zu explizieren ware, bezieht sich offenkundig auf beide Glieder des kompositums, jedenfalls sehe ich nichts, was fur die Annahme sprache, dass es etwa nur das zweite Glied naher bestimmte. Was aber sollte der Smrti[Text]/Smrti-[Texte] der Vedakundigen" sein? Texte, die von Smrti-Texten anderer Gruppen zu unterscheiden angezeigt ist? Ist nicht BUHLERS Wiedergabe von smrti durch , tradition viel cinleuchtender, weil naturlicher? Sic bzw. die Ansicht, dass eben Tradition eine der Quellen des dharna darstellt, ist auch allgemein akzeptiert." Ich halte mit anderen Worten dafur, dass smrti hier in einer Bedeutung gebraucht ist, die der aus der Ableitung sich ergebenden" noch relativ nahe ist. Sie lasst sich vielleicht tentativ ermitteln durch das Nachdenken daruber, was eine/die ,,smrti" ursprunglich von einer/der ,sruti" unterscheidet, einem Begriff, zu dem smrti von Anfang an in einer paarigen Opposition oder in einer komplementaren Beziehung gestanden haben durfte. Man, ein Individuum oder eine wie auch immer bestimmte Gruppe von Individuen, erinnert sich an etwas selbst Erfahrenes...Gehort" aber wird alles, was Laut ist, voran naturlich artikulierte Laute, also sprachliche Mitteilungen, die ein anderer macht. Demzufolge konnte fruti"-natur "Su, S. 93. Auf L ROCHER, The Introduction of the Gautamadharmasutra, ALB XXXIX (1976). 90-100 sei hier nur verwiesen. Ich halte RoCHERS Interpretationsversuch insgesamt fur verfehlt, kann das aber nur in einem separaten Aufsatz zeigen. 500.c. (vgl. Anm. 15), p. 175. SI Vgl. zB. R. LINGAT, O.C. (S. Anm. 20), p. 9. 5 Vgl. Pan 3.3.94 und dazu dic Kasika ('bhave' 'akartari ca karake' iti vartate), die ubrigens auch sruli, freilich mit der Bedeutung.chor" (Bruyale 'nayeli) lehrt. Vgl. auch WACKERNAGEL-DEBRUNNER, Altindische Grammatik, Bd. II, 2, Gottingen 1954, S. 636. - Die Wiedergabe von sruli durch ,,Gehortes" ist nicht grundsatzlich neu, man begegnet ihr durchaus in der Sekundarliteratur, weiss aber oft nicht (s. 2 B. I. GONDA, The Ritual Sutras, Wiesbaden 1977, p. 663 ), ob auf die Weise der Gewinnung dieses Wissens durch die ve "Sacred Laws of the Aryus, Pt. II (SBE Vol. XIV), repr. Delhi - Va. ranasi - Patna 1965, p. 143. "0.c..,, Introduction" p. LIII. S. auch P. V. KANE, History of Dharmasastra, Vol. I, revised and enlarged, Poona 1968, p. 33f. Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 79 lich nicht alle, sondern nur - bestimmte sprachliche Mitteilungen, die man hort, bezeichnen, solche namlich, die auf ganz besondere Weise - vom Vater oder einem Lehrer in Gestalt heiliger Formulierungen - empfangen werden, auf dass man sie nachsprechend, wiederholend, also lernend sich fest einprage, um sie schliesslich wortgetreu wieder- und weiterzugeben. Und smrti andererseits konnte sich gleichfalls nur auf bestimmte eigene Erinnerungen beziehen, alles, was mit der Familie, dem Clan, dem Stamme und dem Siedlungsgebiet zu tun hat, d.h. eben Sitten und Gebrauche der verschiedensten Art, einschliesslich rechtlicher, und Geschehnisse der Vergangenheit. Der inhaltliche Unterschied zwischen den schliesslich Sruti und Smrti genannten Textkategorien wurde von daher verstandlich, ebenso aber die unterschiedliche Wertigkeit der beiden, der unterschiedliche Grad ihrer Verbindlichkeit: Was man von Autoritatspersonen hort, bzw. lemt, ist - in typisch indischer Weise, mochte man ubertreibend bzw. Wirkung und Ursache verwechselnd hinzufugen - von unbedingterer Geltung als das, was man (selbst) erinnert, was 'nur' Erinnerung ist. Aber auch solche - ursprunglich vielleicht individuelle, dann aber vor allem kollektive - Erinnerung stellt, wie das PW sagt," ,,eine als Autoritat geltende Uberlicferung" dar, jedoch nicht unbedingt, d.h. von Anfang an, auch..cin solches Werk", ein ,,Gesetzbuch", um weiter aus dem PW zu zitic ren. Was erinnert wird, sind, so vermute ich, zunachst Sachverhalte, die sekundar naturlich auch verbalisiert werden konnen, aber die dann entstehenden Beschreibungen mussen nicht feste - und wegen ihres Ranges geschutzle, also in ihrem genauen Wortlaut exakt zu bewahrende - Formulierungen sein, obwohl die Tendenz zu ihrer Entwicklung und Verfestigung nicht in Abrede gestellt werden kann, gerade im Kontext der (alt-)indischen Kultur, aber bis zu einem Text, zu einem Werk ist es noch ein gutes Stuck, moglicherweise sogar ein langer Weg - von dem man sich freilich angesichts der Quellenlage auch nur mit Hilfe der Einbildungskraft cin Bild zu machen versuchen kann. Jedenfalls erscheint es sinnvoll, wenigstens verschiedene Stufen der Entwicklung vom gelebten Brauch bzw. bestehender sozialer Ordnung bis zur entsprechenden dharma-Vorschrift als Teil eines Textes bzw. Werkes anzunehmen. GauthS (1.)1.2, um zu ihm zuruckzukehren, bezeugt - nicht nur meiner Meinung nach- den gerade umrissenen alteren smrti-Begriff (..cine als Autoritat geltende Uberlieferung"). - der, nota bene, das/ein indische(s) Aquivalent von Tradition" bildet. Dieser liegt auch vor an der gemass dem PW altesten Belegstelle LatySS 6.1.6.13 (tisrsv acaryah smrteh), an der ein weiteres Moment deutlich zu werden scheint, namlich der supplementare Charakter von smrti im Verhaltnis zu sruti - eine Vorstellung, die in spaterer Zeit u. a. auch zu dem Theologem der paribhana-Funktion gewisser smsti-Werke entfaltet werden sollte." Was aber ist die Bedeutung von sila, das Gautama an dritter Stelle - und das heisst offenbar: als Quelle dritten Ranges - nennt? dischen Rsis (vgl. z. B. V. S. APTE, The Practical Sanskrit-English Dictionry. Revised and Enlarged Ed., Kyoto 1978, s. v. veda) oder auf die Methode seiner Weitergabe Bezug genommen wird. Erstere jedoch ist - vor allem, wenn nicht ausschliesslich - mit der Vorstellung einer Gesichtswahrnehmung (ubertragen?) verbunden (vgl. auch Pag 4.2.7: drstam sama, sowie J. C. HEESTERMAN, ..Veda and Dharma" (cf. Anm. 101), p. 82 (the catchword is Vision...") Medbatthis Explikation (zu Manu 2.10: yatra fruyale dharmoufasanah Sabdab sa srutih / yatra smaryate sa smrtih / tac ca samacare 'py astity arah so 'pi saytir eva ...) ist naturlich nicht fur die Entstehung der Termini, sondern nur fur ihre Rezeptionsgeschichte wichtig. Siehe auch A. LUDWIG, Der Rgveda, Bd. III, Prag 1878, S. 21-24. Der Kommentator Agnisvamin dazu: tipsvrkthv acarya ganam manyante prayoge/kasmat/smieh, eva hy acarynib gitam/smytir ubagiti, smrtitas tu param pramanar / yady evam acarya manyante atha purvavidhanam kasya /ucynte / sthavirasya gautamasyoda matam ... /(..Oberlieferung" hat mehr Gewicht als individuelle Meinung!). * Vgl. sruta n. ,,das Gehorte, Gelernte, Ueberlieferte; Gelehrsamkeit Wissen" (PV) " S. v. smrti, 4). Eine genaue Untersuchung der Spielarten und der historischen Entwicklung bzw. Wirkung dieser Vorstellung steht, soviel ich weiss, noch aus. Vgl. auch u. Anm. 105. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 80 A. WEZLER 58 Gemass M. HARA, der das Wort untersucht hat, simply <>> (svabhava) or habitual character." Mit Bezug auf GautDhS (1.).1.2 - und auch z. B. Pan 3.2.124, wie ich anders als TICHY" meine - wird man fuglich von einer Bedeutung habituelles Verhalten, in dem sich der Charakter zeigt oder an dem er sich erweist" ausgehen,,,Gewohnheit" also in dem Sinne von in bestimmten (positiven) Charaktereigenschaften wurzelnde, im taglichen Leben durch haufige und stete Wiederholung selbstverstandlich gewordene, u. U. aber nur noch mechanisch oder unbewusst ausgefuhrte (gute) Handlungsweise". Der Begriff sila ist somit von dem Begriff vrtta von ApDhS 1.7.20.860 semantisch gar nicht weit entfernt und deckt sich auch weitgehend mit dem - ihn in jungeren Werken des Dharmasastra bei der Nennung der 'Quellen' weithin ersetzenden Begriff acara.62 Die Annahme einer sachlich-inhaltlichen Ubereinstimmung unter den Dharmasutras und (alteren) Smrtis hinsichtlich der 'Quellen des Dharma' hat schon BUHLER63, und mich dunkt zurecht, dazu bewogen, den Ausdruck agama in Baudh Dhs 1.1.1.4 (trtiyas (scil. dharmah) sistagamah) mit ,,practice" wiederzugeben, ein Bedeutungsansatz, den man vielleicht durch in einer Praxis sich bekundende(s) uberkommene(s) Kenntnis/Wissen prazisie 64 - 38 A Note on the Sanskrit Word sila" in: ALB 50 (= Brahmavidya. Golden Jubilee Volume) 1986, 21-45, insbesondere p. 22. 59 E. TICHY, Die Nomina agentis auf -tar- im Vedischen, Heidelberg 1995, S. 21 mit Anm. 3. 60 S. o. S. 64 nebst Anm. 5. 61 Zu sila-vrtta vgl. auch M. HARA, L. c. (Anm. 58), p. 36f. Anm. 6. Siehe dazu auch R. LINGAT, o. c. (s. Anm. 20), p. 14. 63 O. c. (s. Anm. 47), p. 143, Fussnote zum viertem sutra. BOHLER beruft sich ausserdem auf Govindasvamin, der erlautert: sistair agamyata iti Sistagamah/distair acarita ity arthab/ "Vgl. PWs. v. agama g). 62 Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 81 ren konnte, eine ahnliche semantische Entwicklung wie bei sila vermutend. Es ergibt sich also, wenn man die Dharmasutras und die in ihnen verwendeten Begriffe ein wenig eingehender betrachtet, ein differenzierteres Bild, aber ihre Angaben uber die 'Quellen des Dharma' haben in der Tat im wesentlichen einen gemeinsamen Nenner, namlich custom", wie LARIVIERE sagt, und der daraus gewonnene dharma ist denn doch etwas anderes als der vedische Dharma - jedenfalls so, wie letzterer sich aus einer gewissen historischen Distanz gesehen den Indern selbst darstellt, namlich als explizite, sprachlich fixierte Anleitung zu bestimmten religiosen Handlungen wahrend der Philologe erkennt, dass zumindest Teile des 'Veda' ursprunglich gleichfalls Konstatierungen bzw. Beschreibungen von Handlungen (im Zuge ihrer esoterischen Ausdeutung) sind, wenn auch aus einer anderen, d.h. fruheren Zeit. Im Zusammenhang der Suche nach Aussagen in fruhen Dharmasastra-Texten uber Charakter und Herkunft des in ihnen Gelehrten bedarf die in GautDhS (1.)1.2, aber keineswegs nur dort," belegte Metapher,,Wurzel" der interpretatorischen Analyse. Die ubliche Wiedergabe durch Quelle" befriedigt ja nicht nur deshalb nicht, weil dabei eine Metapher durch eine andere ersetzt wird, ohne dass ersichtlich ware, dass die genaue Bestimmung des Bedeutungsgehaltes der einen auch wirklich vorgenommen wurde, sondern auch deshalb nicht, weil die andere ihrerseits semantisch nicht gerade scharf umrissen ist und dazu verleitet, bei der Rede vom Dharma gewissermassen im Bild zu bleiben.66 Nun ist mula in seiner primaren Bedeutung,,Wurzel" als der Befestigung und Ernahrung dienendes Pflanzenorgan mehrfach in Dharmasutras belegt, etwa in dem Kompositum,,Baumwurzel", 65 Vgl. z. B. Manu 2.6 und 11. 66 Vgl. z. B. R. LINGAT, o. c. (Anm. 20), p. 5: the various sources from which it", d. h. der dharma, proceeds"! Ahnlich schwammig ist z. B. auch der Ausdruckrests upon". Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 83 womit aber ,,Fuss des Baumes" gemeint ist, besonders haufig aber in der - Vegetarismus implizierenden - Verbindung mulaphala. Daneben aber stehen metaphorische Verwendungen, in denen mit mula ,,Ursache" gemeint ist, so z. B., wenn ApDhS 1.8.23.3 dic Beseitigung der/von Folgen begangener Fehler (dosanar vinirghatab) als yogamulah bezeichnet wird mit einem trotz der Verschiedenheit des Typs an dharmamula von Gaut DhS (1.)11, bzw. Manu 2.6 erinnemden Kompositum- oder wenn in ApDhs 1.8.23.2" der atman ( paramatman) ..Ursache (der Entstehung aller Korper)" genannt wird. Es gibt also gute Grunde, auch im Falle von Aussagen, in denen etwas als mula des dharma bezeichnet wird, von ,,Ursache" als dem Gemeinten auszugehen. Der Klarung bedarf dann aber die Frage, an welche Art von Ursache dabei gedacht ist. Nur eine Antwort scheint moglich: Gedacht ist an die Ursache der Kenntnis des dharma, des Wissens ,,Das ist dharma und das ist adharma". Dass es un diese kognitive Beziehung geht, zeigen nicht so schr die doch jungeren Kommentatoren, sondern die zeitlich erheblich nahere prazisierende Ersetzung von mula durch pramana in VasDhS 1.5. Gewiss, pramana bedeutet in solchen Satzen nicht ,,Mittel trugfreier Erkenntnis", sondem Autoritat als massgebliche Instanz". Aber etwas den Status ciner malgeblichen ,,Autoritat" in Bezug auf den dharma zuzuerkennen heisst nicht nur, von seiner absoluten Entscheidungsbefugnis' auszuge hen, sondem ihm auch das dieser zugrundeliegende, sie uberhaupt erst rechtfertigende materiale Wissen vom dharma zuzuschreiben, das bei ihm sozusagen abgefragt werden kann. .. Autoritat" zu sein, impliziert m. a. W im vorliegenden Fall letztlich doch, als Mittel massgeblicher Erkenntnis zu fungieren. Dass die Verfasser einer Metapher, und gerade dieser, den Vorzug gegeben haben vor einem einfachen, prazisen Ausdruck, mag durch den Wunsch veranlasst sein, die vollige Abhangigkeit des von ihnen behandelten Lehrgegenstandes von diesen Wurzeln" auf sinnfallig-grillige Weise auszudrucken. Ich halte es aber fur durchaus moglich, ja wahrscheinlich, dass es mit dieser Metapher noch mehr auf sich hat. Mit gemeint sein durfte der Prozesscharakter des Eruierens dessen, was dharma ist, aus diesen Wurzeln", sowohl im Einzelfall als auch insgesamt und im zeitlichen Kontinuum immer wieder neuer fragender Hinwendungen zu ihnen -, das grundsatzliche Andauem der Erkundung des Gebiets des dharma uber die Lebenszeit der Verfasser hinaus, also auch als "Rezept fur die Zukunft. Eben deshalb kann die Auffassung der Kommentatoren, dass die Aussagen uber die Wurzeln" des dharma auch oder gerade allgemeingultige Anleitungen fur die Methode seiner Ermittlung im eventuellen spateren Bedarfsfall darstellen, nicht als historisch-philologisch unhaltbar zuruckgewiesen werden: Der dharma ist nicht etwas in seiner Totalitat bereits abschliessend Erkanntes, sondem vielmehr etwas grundsatzlich Erweiterbares, allerdings (theoretisch) nur unter Benutzung der legitimen Ursachen" seiner Ermittlung. Andererseits darf die Offenlegung der Quellen des eigenen Wissens vom dharma in seinen verschiedenen Teilen nicht als historisch gemeint missverstanden werden: Die Verfasser wollen ersichtlich nicht Rechenschaft daruber ablegen, wie ihre Kenntnis des dhanna historisch zustandegekommen ist, sondem vielmehr dieses Wissen legitimieren durch Angabe seiner Grundlagen), also dessen, woraus es gewonnen wird. Dem Philologen bleibt es naturlich unbenommen, historische Schlusse aus solchen Aussagen zu ziehen, also auch uber die Rolle des Acara bei der Entstehung von Dharmasastra-Texten. Cf. ApDhs 1.10.29.1 sowie Baudh DIS 2.10.18.25. "Vgl. S. A. SRINIVASAN, Studies in the Rime Story. On the irretrievable loss of Valmiki's original and the operation of the received text as seen in some versions of the Vilin-Sugrive episode, Wiesbaden 1984, p. 5911 "Vgl. ApDIS 1.8.23.5. Vgl. ApDhS 1.11.32.24: Dic mannlichen Vorfahren sind das mula von einem selbst. Zu mula - Ergebnis, Folge" vgl. P. THIEME, Kleine Schillen II. hrsg. von R. SOHNEN-THIEME, Stuttgart 1995, S. 10747. Vgl. den Ausdruck laksapa in Menu 2.12, den Medhatithi durch nimilta, jaapaka, Sarvajnankrlynga, Nandana und Raghavananda durch prami on und Kulloka durch dharmapramana explizieren Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 85 da vergegenwartigtes Herkommen, selbst wieder Modell, Beispiel fur andere Aus der Menge von Stellen in Grhyasutras, auf die GONDA Bezug nimmt", sollen nur einige wenige hier herangezogen werden. Von Interesse sind zum einen solche Stellen, an denen auf den acara einer bestimmten Personengruppe, und zwar nicht uberraschenderweise der sistas" oder grosserer und kleinerer geographischer Einheiten (janapada, grama)" oder generell auf den acara als ..Autoritat" verwiesen wird, nach der man sich zu richten hat, wenn andere Erkenntnisquellen versagen:" acara also als massgebliches, entscheidendes Erkenntnismittel (pramana). Auf der anderen Seite steht AGS 1.1 atha karmany acarad yani grhyante, zu dem GONDA bemerkt, es sei no doubt right in stating that the 6. Wenn man uber die Bedeutung von Sitte und Brauch fur die Entstehung der fruhen Dharmasastra-Texte nachdenkt, muss man aber - was von LARIVIERE nicht erwahnt wird - den Umstand in die Betrachtung mit einbeziehen, dass schon in den Grhyasutras das Wort icara belegt ist, also von acara gesprochen wird. GONDA kommt in seinem Buch Vedic Ritual. The Non-Solemn Rites mehrfach darauf zu sprechen. Er unterscheidet dabei zwischen den Bedeutungen ..good conduct" - und expliziert erstere mit den Worten ,,that is to say not only in religious and ritual respects, but also in what we would call moral and social respects, spheres of human conduct and activity between which in ancient India no hard and fast line was drawn" - und ,customary practice), traditional usage.Schon das PW fugt seinem ersten Bedeutungseintrag ..Wandel, Handlungsweise, Betragen, Benehmen; guter Wandel, gutes Betragen; Herkommen, Brauch, Sitte, Observanz" in Klammern die Beobachtung an:,,die Bedeutungen spielen so in einander uber dass keine Scheidung moglich ist". Der Schritt von der einfachen zur pragnanten Bedeutung ist muhelos nachzuvollziehen, gibt es doch zahlreiche Parallelen: Ein Wandel ist ein guter Wandel, cin Betragen ein gutes Betragen, wenn er/es mit dem Herkommen, mit Sitte und Brauch, d.h. mit dem entsprechenden Verhaltensmodell ubereinstimmt. Man kann also in Anlehnung an HACKERS Differenzierung von ..dharma vor dem Vollzug" und ..dharma im Vollzugacara vor dem Vollzug, das verbindliche ideale Verhaltensmodell," von seinem aktuellen praktischen Vollzug, acara im Vollzug, unterscheiden: Gutes Verhalten ist aktualisierter Brauch - in dem von GONDA explizierten Sinne -, und dieses Verhalten ist, " Und zwar auf den Seiten 4 und 80f., teilweise aber sind die Zahlen eindeutig nicht richtig (vertauscht etc.), teilweise zweimal zitiert als Belege fur von GONDA angenommene verschiedene Bedeutungen von scara. 76 Vgl. GobhGS 3.3.29 und 38. " Vgl. ASVGS 1.7.1 (dort allerdings jeweils mit dem Hinterglied dharma) und ParGS 1.8.11 Gramavacana) Stellen dieser Art sind schon verschiedentlich gewurdigt worden, auch von LARIVIERE, aber immer im Hinblick auf den Realitatsbezug des Sastra bzw. die Berucksichtigung lokaler Hochzeitsbrauche. Beachtenswert erscheint mir daneben aber auch der Umstand, dass auf mehrere (mindestens drei) innanadis Bezug Renommen wird und damit wie immer diese Einheit definiert gewesen sein mag, geographisch oder politisch oder ethnisch - auf einen "uberregionalen Raum, fur den Geltung bestimmter Brauche konstatiert oder beansprucht wird, wie ja auch in ADUS 1.7.20.8 (s. o. Anm. 5) durch sarvajanapadesu (ekinimsamahiinm) Es fragt sich naturlich, wie gross dieser Raum ist, aber entscheidend ist das Moment des "uberregionalen Horizontes, den der Autor hat. " Vgl. MonGS 1.46, Varah GS 8.6 (vgl. P. ROLLAND, Un rituel domestique vedique. Le Varahagshyasutra, Aix-en-Provence 1971, p. 100.) sowie KiS 9.8 (wo die Kommentatoren Devapala und Adityadarsana mit ihrer Auffassung von Acarena als Verweis auf den acaradhyaye ersichtlich daneben liegen) Vgl. auch GobhCS 3.3.29. >> Leiden - Koln 1980; vgl. den Sanskrit Index" (p. 506). Das Zitat findet sich S. 80. "L. c. (vgl. auch Anm. 4), S. 103 (+ 506). Fur diesen Begriff gilt analog das, was HACKER (L. c., ibid.) uber .Norm". Gesetz", Recht" oder Pflicht" als Wiedergaben yon dharma sagt, also dass er ,,viel zu abstrakt" ist. * Vgl. BaudhaS 1.1.25: cara wird dort - kontextuell bedingt - eng gefalt als sampistha, kriyasaniati GONDAS Ubersetzung und Vorstellung des sutra 1.1.28 (o. c. (Anm. 72). p. 80), ist hochst irrefuhrend. 0.c (cf. Anm. 72), p. 4. Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER knowledge of the domestic rites is described from customary practice". Er hatte das gleiche sutra schon einmal in seinem Buch The Ritual Sutras zitiert, und zwar in folgender Form: atha karmany acaradyani grhyante. Auch seine Ubersetzung (n)ow are considered those rites which are (based on customary conduct (or esta blished usage) and so on" beweist, dass er den Text - damals - falsch segmentiert hatte. Es ist nicht klar erkennbar, ob er diesen Fehler bemerkt und in dem etwas jungeren Werk Vedic Ritual. The Non-Solemn Rites korrigiert hat: In diesem fahrt er nach dem Verweis auf ApGS 1.1 fort:*?..One could, or should, supplement this statement by observing that in the manuals this practice was supposed to be recognized - and this presupposed that it was old, traditional, related to a social group or locality and followed as a matter of obligation -, hallowed by dharma (in sruti or smrti), codified and to the best of their compilers' knowledge systematized by the authorities of the Vedic schools." Mir scheint, hier wird aus unbestreitbar grosser Kenntnisfulle eher Nebel verbreitet als Klarheit geschaffen. Die Stellung des zitierten sutra am absoluten Anfang des ApGS legt die Annahme nahe, dass der Verfasser dieses sutra ,,Nun [werden diejenigen) Riten (behandelt), die aus dem acara (kognitiv] erfasst werdeny", dabei an das ganze Werk gedacht hat. Es ware aber moglich, dass es nur an einem bestimmten Teil, etwa das 1. pasala, gedacht hat. OLDENBERG." merkt das in seiner Ubersetzung des ApGS an: ,,1, 1-11. The Paribhashas of the Pakayajnas", geht also davon aus, dass die Aussage von ApGS 1.1 fur das Sutra ins Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 87 gesamt gilt In der Tat wird man mit ihm in ApGS 3.7.23% eine Bestatigung fur diese Annahme sehen: karmani... acarad yani grhyante dient zur Umschreibung des Begriffes grhyakarmani, d.h. des Inhalts dieses GS als ganzen. Man darf folglich Haradattas Erlauterung von APGS 1.1 beifallig zur Kenntnis nehmen: dviprakarani srutilaksanany acaralaksanany ca / tatra frutilaksanani vyakhyatani namlich im Srautasutra) / athedanim yani karmani vivahaprabh/tiny acarat (1) prayogad grhyante [5] jnayante, na pratyaksasrutes, tani vyakhyasyamah / Es gibt jedoch keine Parallele oder Entsprechung zu ApGS 1.16 in anderen Texten der gleichen Klasse, und es ginge naturlich nicht an, das, was fur Apastamba allein gesagt wird, als auf alle Grhyasutras bezogen anzusehen. Das tut hochstwahrscheinlich auch GONDA nicht, will vielmehr sagen, dass der Philologe die Aussage von ApGS 1.1 in eine generelle historische Wahrheit erweiter darf. Obwohl er keine Grunde anfuhrt, lasst sich nicht bestreiten, dass diese Generalisierung angesichts des laukika-Charakters der hauslichen Riten in der Tat als berechtigt erscheint. Nichtsdestotrotz muss betont werden, dass eine empirische Uberprufung der Richtigkeit nicht moglich ist, und dass Funktion und Rang des acara gemass den ubrigen Grhyasutras, wie erwahnt, andere sind. Mit Blick auf die Dharmasutras und Smrtis ist man versucht, das Fehlen einer ahnlich klaren Aussage wie ApGS 1.1 zu beklagen, muss sich selbst gegenuber dann aber sofort einwenden, dass "Wiesbaden 1977, p. 554 P.4. "Dies konnte auf - misverstandenes - idyani hindeuten. * Offenbar sind damit nicht nur die Gphyasutras, sondern auch die Dharmasutras gemeint. parvapenato 'nyani karmapi vyakhyatany acarad yani grbyante /I. "Dieser Ausdruck macht naturlich deutlich, dass Haradatta von der - radikalen - Mimamsa-These (vgl. u. S. 92, nebst Anm. 101) ausgeht, dass auch die / cine bestimmte ,,Praxis" auf Aussagen der Sruti beruht, aber eben zu seiner Zeit uberlieferungsmassig nicht erhaltenen. Grundlage und Voraussetzung dieser These ist das Wissen um den Verlust einzelner Teile der vedischen Uberlieferung The Grhya-Sutras. Rules of Domestic Ceremonies, Pt. II: Gobhila, Hirapyakesio, Apastamba, (SBE XXX), Oxford 1892 (repr. Delhi 1964), p. 251. "Dieses Grhyasutra enthalt keine mantras. Diese sind vielmehr in einem eigenen Mantrapasha gesammelt worden (ed. M. WINTERNITZ, Oxford 1897) Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 89 die oben mehrfach erwahnte Stelle ApDhS 1.7.20.6-8 und andere Aussagen in Dharmasastra-Texten, auf die HACKER sich fur seine These von radikal empirischem Charakter des dharma bezieht, sachlich exakte Entsprechungen sind: Die Kenntnis der hauslichen Riten wie des Dharma gewinnt man aus bestimmten Segmenten der Wirklichkeit menschlicher Verhaltensformen. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist der dharna also verwirklichtes Ideal, und nicht idealer Entwurf, der zur Wirklichkeit in mannigfachem Zwiespalt steht. Aus der Ubereinstimmung zwischen Grhyasutren und Dharmasutren - auch in diesem Punkt - ergibt sich die Vermutung, dass letztere in der Offenlegung ihrer Quelle(n) dem Vorbild ersterer wohl folgen und die Frage nach dem Warum zunachst in bezug auf ApGS zu stellen ware, - wobei auch die theoretische Moglichkeit bedacht werden sollte, dass die Berufung auf den acara ein Element der Mystifizierung, bewusst irrefuhrender Rechtfertigung darstellt. Die noch wesentlichere Gemeinsamkeit ist jedoch darin zu sehen, dass beide - erklartermassen- ganz oder teilweise auf dem, bzw. besser: einem entsprechenden acara beruhen: Gshyasutras wie Dharmasutras stellen - historisch auf einander folgende, freilich inhaltliche Beruhrung sehr wohl einschliessende - Literarisierungen bestimmter regionaler oder stammesspezifischer Bereiche - traditioneller sozialer ,,Praxis" der Aryas dar, textliche 'Ausfallungen der spatvedischen Epoche, die sich im Bewusstsein der Autoren von alteren Teilen der Uberlieferung grundsatzlich unterschieden haben mussen. sentlichen Teilen cine Aufzeichnung, eine - Kontingenzuberwindung beabsichtigende, jedenfalls bewirkende, zugleich aber die Fortentwicklung der Tradition behindernde, zumindest deren Erfassung erheblich erschwerende - Kodifizierung von Sitte und Brauch darstellt. Indien wurde damit die an vielen anderen Kulturen gemachte Beobachtung bestatigen, dass die fruhen Rechtsschriften nicht Rechtsschopfungen darstellen, sondern - naturlich redaktionelle u.a. Veranderungen, Ansatze zu einer Systematisierung usw. einschliessende-Aufzeichnungen bestehenden, traditionell geubten Rechts. Diese Kodifizierung, also die Entstehung der altesten Texte der Dharmasastra-Literatur, muss man sich gewiss als cinen langeren historischen Prozess vorstellen, wobei diese Bezeichnung auch bei den einzelnen, jedenfalls vielen der einzelnen Werke seine historisch-philologische Berechtigung haben durfte. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch die von LARIVIERE zu Recht gegenuber DERRETT vertretene Ansicht, dass sich dieser Prozess auch spater noch, im Falle der Devalasmrti wahrscheinlich zur Zeit muslimischer Eroberungen Nordwestindiens. ereignet hat, wenn auch unter veranderten Bedingungen und nicht unbedingt immer im Sinne der Aufzeichnung von acara. Methodisch halte ich es aber fur ganz wichtig, auch in diesem Zusammenhang den Textbegriff sogleich auch zu problematisieren, nicht wegen seiner Hier ist nicht die oben (S. 73 nebst Anm. 33) erwahnte Dreiteilung gemeint. "Saucho. S. 79 7. Der dharma des Dhannasastra ist vom vedischen dharma also deshalb seiner Natur nach verschieden, weil er in seinen we "Vgl. LARIVIERE, 1.c.(Anm. 31) S. 105. Siche z. B. auch J. DUNCAN M. DERRETT, O. c. (Anm. 38), p. 135. - Zu staatlichen Bemuhungen um die Kodifikation von regionalem Recht s. B. KOLVER (vgl. Anm. 28), ,,Einfuhrung". S. XIII "So. S. 64 und S. 75. * Vgl. dazu auch R. LINGAT, O.C. (s. Anm. 20), p. 18 und 74. Zu beachten ist freilich in diesem Zusammenhang auch TaillU 1.11. wo der Lehrer dem Schuler fur den Fall eines Zweifels bezuglich des Opfers (karman) oder des (rechten) Verhaltens (vrtla) anempfiehlt, sich nach - in bestimmter Weise qualifizierten - Brahmanen zu richten (je tatra brahmanib... syuh/jatha te fatra varteran / tathi tatra varfethah "Welche Vorstellung von ihrem Tun hatten die Verfasser dieser Texte? Inwiefern und wodurch sahen sie sich legitimiert, dharma zu formulieren? Waren sie sich bewusst, doch auch rechtschopferisch tatig zu sein? Hatten sie sich auf Kumarila berufen, d. h. seine Uberzeugung (vgl. P. HACKER, 1. c. Anm. 4), S. 1000 = 5031)), dass ..was immer einer, der den Veda auswendig kennt, sich uberlegt, cin vedischer Gedanke ist"? Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 91 ausfiihrt, dass.it was the object of the recorders of these customs to integrate these practices into the brahmanical/vedic Weltanschauung the promotion of which was the basic motive for their recording the customs in the first place.98 Erweiterung durch die Textlinguisten oder seiner fast vollstandigen Aufweichung durch die Dekonstruktivisten, sondern weil gerade die Reflexion von Textentstehung - und Textgeschichte - in Indien zur Vorsicht bei der Verwendung des Begriffes mahnt, will sagen: im vorliegenden Fall zu der Inrechnungstellung der Moglichkeit, dass einzelne Rechtssatze' dessen, was den Inhalt des Dhannasastra ausmacht, zunachst einmal ohne Verbindung zu anderen ahnlichen oder unahnlichen als Elemente der Tradition" (smrti) entstanden sind, dass die Vertextung mit anderen Worten erst einmal bei einzelnen Elementen von Sitte und Rechtsbrauch eingesetzt hat, - so dass die Neigung von Indologen, aus allfalligen Einzelzeugnissen auf die Existenz eines Textes oder gar einer ganzen Literatur zu schliessen, ebenfalls der kritischen Uberprufung bedurfte. Diese Annahme wurde u. a. erklaren, dass und warum in alteren vedischen Texten bereits Ausserungen zum 'Recht' begegnen. Wie immer die Prozesse der Kodifizierung von acara im einzelnen abgelaufen sein mogen, LARIVIERE liegt zweifellos richtig, wenn er davon ausgeht, dass .there certainly was 'distortion or sanitizing in the brahmanas' recording of custom" und dabei hinweist auf,the utter absence of any temporal reference and the fog of the fictional Vedic source", die klar zeigen, ..that they are doctoring the record"," aber wenn er mit Blick auf die Mischkastentheorie davon spricht, dass , this sort of explanation is where brahmana authors become inventive and paint the data with their unique perspective. Mir will auch scheinen, dass er zentrale Stichworte der Analyse dieser Prozesse schon genannt hat, indem er 8. Aber bei dem Versuch, die Entstehung der fruhen Dharmasastra-Texte als eine Vedisierung und zugleich Brahmanisierung uberkommener Sitte und tradierten Brauches zu begreifen, muss man doch noch etwas genauer hinsehen - auch was die Motive betriff- und ausserdem uberlegen, ob diese Beschreibungskategorien ausreichend sind oder weitere hinzukommen. Unter Vedisierung ist zunachst einmal die Entwicklung der Vorstellung vom vedamilatva zu verstehen. ,Der Veda ist die Wurzel des dharma", heisst es in GautDhS (1.).1.1. Gautama mnacht aber, wie oben S. 83 gesagt worden ist, keine Aussage uber die Entstehung oder gar die historische Herkunft des dharma, den er darlegen will, sondern uber die bzw. eine Quelle seiner Kenntnis. Das zeigt mit aller Deutlichkeit auch das nachste sutra ((1.).1.2) tadvidam ca smrtisile, in dem, wie gesagt, der Begriff dharmamilam fortgilt und das also zu ubersetzen ist ,,Und Tradition sowie Praxis derjenigen, die ihn (d.h. den Veda) kennen, sind die Wurzel des dharma)." Worum es Gautama - wie auch den Verfassern anderer Dharmasutras und Smtis - geht, ist, gleich eingangs, am Anfang ihrer Werke, Klarheit daruber herzustellen, woraus die Kenntnis von dharma gewonnen wird. Obwohl im GautDhs - wie in vielen anderen Fallen auch - mit der Nennung der Ursachen der Kenntnis des dharma zugleich auch ihre relative Autoritat gelehrt wird, bleibt die Offenlegung der Erkenntnisgrundlage(n), wie bereits dargelegt, doch in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Wichtiger aber ist fur die gegebene Fragestellung, dass das zweite sutra die Moglichkeit ausschliesst, dass mit dharma der vedische dharna gemeint ist. Nicht vom ve "Ich stimme LARIVIERES - impliziter - Annahme zu, dass die Kodifizierung in verschiedenen Regionen und zu verschiedenen Zeitpunkten von statten gegangen ist, was naturlich nicht heisst: ohne jedwelche Verbindung zueinander. - Ein mogliches Bild dieser Prozesse versucht LINGAT (The Classical Law of India, Berkeley - Los Angeles - London 1973 p. 7311) zu zeichnen. * L. c.(Anm. 31). S. 102. "L. c. S. 103. - In diesem Fall ist das Theoretisieren freilich besonders leicht als solches zu erkennen, wahrend man sonst haufig nur auf Vermulungen angewiesen ist. "L. c., S. 104 S.O.S. 70. Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 9 3 dischen dharma wird hier gesagt, man erkenne ihn aus dem Veda - was ohne den Zusatz allein" auch eine vollig banale Feststellung ware -, sondern vom dharma des Dharmasastra! Da ich eine entsprechende Untersuchung nicht angestellt habe, kann ich nicht behaupten, dass dies uberall die Bedeutung des bahuvrihi-Kompositums vedamula ist, aber ich halte die Annahme fur berechtigt, dass es jedenfalls die ursprungliche ist, die auch der von HALBFASS betonten spateren Radikalisierung dieses Begriffes durch Kumarila zugrundeliegt. Von dieser klassischen Behauptung, dass der gesamte Dharma auf dem veda beruhe oder bereits in ihm enthalten sei", stellt HEESTERMAN zu Recht fest, sie sei ein frommes Axiom, das sich in Luft auflost, sobald man versucht, die angcblich enge Verbindung zwischen beiden aufzuzeigen." Dass der ganze dharma, wie er von Manu jeweils fur jemanden (d.h. die einzelnen Stande) verkundet wurde, im Veda gelehrt ist", behauptet aber schon der Vers Manusmrti 2.7.102 Soll man also annehmen, dass er erst nach Kumarila entstanden und in die Manusmyti eingedrungen ist, oder soll man nicht eher den Verdacht hegen, dass die besagte Radikalisierung, die Umwandlung der vedamulatva-These in einen All-Satz, schon vor Kumarila eingesetzt hat? Niemand hat m. W. bestritten, dass es gewisse inhaltliche Verbindungen" zwischen dem Veda und dem Dharmasastra gibt, die Lehre von den 4 Standen und vieles uber die einzelnen Lebensformen, wenn auch nicht uber das System der Lebensstadien, sind ja auch schlagende Beispiele neben anderen. Deshalb kann man die Aussage, der dhanna bzw. ein Teil des dhanna werde aus dem Veda erkannt, nicht einfach als falsch bezeichnen. Aber man muss sich doch fragen, ob Gautama und seine Kollegen uberhaupt an konkrete Einzelverbindungen gedacht haben oder ob sie nicht vielmehr auf ein generelles, aber unscharfes Gegrundetsein der Kenntnis vom dharma auf den Veda hinauswollten, d.h. letztlich wohl cine solche Form der Legitimierung erreichen wollten, dass jede Moglichkeit ernsthafter Infragestellung, z. B. durch weltliche Machthaber, ausgeschlossen schien. Gautamas Aussage ist ja auch nicht unbedingt so zu verstehen, dass der dharma im Veda in Form von klar formulierten Rechtssatzen' vorgefunden wurde; im Gegenteil, dies ist die eindeutig weniger wahrscheinliche Annahme. Es ist, wie man sieht, gar nicht so einfach, die alte, noch nicht radikalisierte vedamularva-Behauplung als reine Fiktion zu entlarven, diesen zweifellos berechtigten Verdacht auch zu erharten. Vedisierung zeigt sich aber nachweislich in dem bereits mehrfach zitierten Sutra GautDhS (1.)1.2 radvidam ca smytisile: Tradition und Praxis der Vedakenner werden hier zusammen als zweite Quelle der Kenntnis des dharma genannt. Und dass der Ausdruck vedavid cher nur eine Gruppe innerhalb der Brahmanenschaft bezeichnet als eine Gruppe Brahmanen + x, bedarf keiner expliziten Begrundung. Neben der Vedisierung also auch Brahma 10. c. (s. Anm. 19). p. 328. Ritual, Offenbarung und Achsenzeit", in: Kulturen der Achsenzeit, Teil 2, ed. W. SCHLUCHTER. Frankfurt a. M., S. 235. Vgl. auch . Veda and Dharma", in: The Concept of Duty in South Asin, ed. by W. DONIGER O' FLAHERTY (and) J. D. M. DERRETT, New Delhi (etc.) 1978, p. 81. Von diesem Aufsatz hatte man auszugehen, wollte man den Versuch einer Geschichte der Entwicklung der vedamulatve-Vorstellung unternehmen und ihrer kriti schen Wurdigung. Meine eigenen hier vorgetragenen Gedanken bezichen sich auf eine fruhere Zeit, sozusagen die Vorgeschichte dieser Idee, daher meine nur beilaufige Erwahnung von HEESTERMAN. Analoges gilt fur einen weil ren im vorliegenden Zusammenhang relevanten Aufsatz HEESTERMANS, namlich ,,Power and Authority in Indian Tradition", in: R. J. MOORE (ed.). Tradition and Politics in South Asia, New Delhi 1979, pp. 60-85; cine erweiterte Fassung ist in: The Inner Conflict of Tradition... Pp. 141-157 erschienen Indesign Tradisablen Anges 12 S. dazu A. WEZLER, ..Manu's Omniscience: On the Interpretation of Manu 11, 7", in: Indology and Law Studies in Honour of Professor Duncan M. Derrett, ed. by G. D. SONTHEIMER and P. K. AITHAL, Heidelberg 1982, 79-105, bzw. J. C. HEESTERMAN, .Veda and Dharma" (S. Anm. 101, p. 851) 1) Vgl. z. B. auch HEESTERMAN, I. c. (Anm. 101) p. 85ff. 104 Siche dazu jetzt O. OLIVELLE, The Asrama System. The History and Hermeneutics of a Religious Institution, New York - Oxford 1993. Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 95 schon eine allgemeine Wahrscheinlichkeit und erst recht konkrete Einzelbeobachtungen, wie LARIVIERE sie gemacht hat bzw. anfuhrt, dafur sprechen, dass in Wahrheit ein weiterer Kreis von Aryas Trager der Sitte und des Rechtsbrauchs war, der in den Dharmasutras und Smrtis zum Text geronnen ist, obwohl die fuhrende Rolle der Brahmanen - auch in dieser Hinsicht, d.h. als Sammler und Bewahrer der Tradition ebenso wie als Gegenstand der diesbezuglichen Beobachtung von Wirklichkeit - kaum bestritten werden kann. 94 A WEZLER nisierung bzw. Anbindung an den Teil der Brahmanenschaft, der sich vor allem oder ausschliesslich der Pflege der Tradition des Veda widmet! Der Bereich von Tradition und Praxis, aus dem der dharma abgeleitet werden darf, wenn er Geltung haben soll, wird eingeschrankt auf die Kenner des Veda", solche Brahmanen, die ihrer Standespflicht zum Studium des Veda auch wirklich nachkommen. Diese Einschrankung geht klar uber die anderwarts bezeugten Versuche hinaus, die fur den dharma massgebliche Gruppe zu bestimmen, etwa die zuvor (S. 64) in HACKERs Ubersetzung zitierte Stelle aus den ApDhS (1.7.20.6-8), wo die Aryas genannt werden, oder BaudhDhS 1.1.1.4, wo die - den aptas in der Erkenntnistheorie vergleichbaren - sistas begegnen. Die Vedisierung manifestiert sich im Gaur Dhs, also in einer signifikanten Verengung der Personengruppe, deren Verhalten als exemplarisch angesehen wird. Ohne der ersichtlich notwendigen vergleichenden Untersuchung und Betrachtung der offenbar recht komplexen Vorstellungen uber diese Personengruppe in den alteren Dharmasastra-Texten vorgreifen zu wollen, darf man doch die Vermutung aussprechen, dass die Position Gautamas entweder eine Radikalisierung darstellt oder einen ursprunglich eigenen, anderen Ansatz, von dem dann aber festzustellen ware, dass er sich weitgehend durchgesetzt hat. Die zweite der im Baudh Dhs uberlieferten Definitionen des Begriffes sista, Baudh DhS 1.1.1.6, lautet z. B. ((those are called) Sistas who in accordance with the sacred law, have studied the Veda together with its appendages.....10% Desweiteren darf man wohl sagen, dass Gautama historisch nicht glaubwurdig ist, dass 9. Zum Text geronnen" ist zugegebenermassen ein irrefuhrendes Bild, da diese Texte naturlich gemacht worden sind, und zwar - wie sollte es im alten Indien anders sein? - von verschiedenen vedischen Schulen angehorenden Brahmanen, und damit von Brahmanen, die selbstverstandlich vielfaltige eigene Interessen dabei verfolgten, die Etablierung und Sicherstellung des eigenen gesellschaftlichen Vorranges, wirksame Hilfe bei der Wahrung der eigenen Privilegien, der mehr oder minder subtilen Auseinandersetzung mit den Ksatriyas' usw. Religionshistorisch entscheidend und fur diesen dharma-Begriff grundlegend war aber ein anderer Aspekt der Vedisierung, der freilich durch die These von dem inhaltlichen Zusammenhang des dharna mit dem Veda gewissermaBen vorbereitet war, namlich die Ubertragung, die Ausweitung der Vorstellung vom heilskonstitutiven Charakter der Opfer auf den dharma des Dharmasastra, d.hseine Sakramentisierung. ,,He who knows and follows the sacred law is called) a righteous man, (h)e becomes most worthy of praise in this world and after death gains heaven", lehrt z. B. Vasistha,'' und am Ende des Gauths heisst 105 dharmepadhigato yesam vedas saparib hapah/ sists tadanumanajaab Srutipratyaksabctavah II. Vgl. Manu 12.109 sowie VesDhS 6.43. 1* Zitiert aus BOHLER, O.C. (Anm. 47), p. 143f. 10? In dieser Hinsicht besonders aussagekraftig die von B. KOLVER, O. c. (vgl. Anm. 28). S. VII angefuhrte Stelle BAU 1.4.14 (auch die Ksatriyas sind dem dharma als dem hochsten Ordnungsprinzip unterworfen). 10 Namlich 1.3: prasnsyalamo bhavati loke pretya ce svargalokam Samasnute Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 97 Opfer, dank der Ubertragung der in bezug auf diese entwickelten Vorstellungen auf den dharna des Dharmasastra." es (28.52 = (3.)10.50)..(h)e who knows the sacred law obtains heavenly bliss, more than other) righteous men, on account of his knowledge of, and his adherence to it.110 Ich habe also das Thema des Symposions nicht ganzlich verfehlt, bin ihm auch nicht etwa ausgewichen, sonder musste sehr viel weiter ausholen, um die vorgangige Frage zu beantworten, welcher dharma denn nun eigentlich als ereignishafte Vermittlung der Transzendenz zum Heil verstanden werden mul", bzw. dass und warum das eben auch auf den dharma des Dharmasastra zutrim. Auch von diesen Vorschriften gilt, dass ihre Erfullung ... Heil wirkt", dass, sind sie erst einmal erkannt, ihre Berechtigung durch nichts uberprufbar und hinterfragbar ist. Auch dieser dharma ,wird ... zu einer Mythisierung der Transzendenz", deren ,,mythische Gegenwart durch die Vermittlung" richtigen Verhaltens im alltaglichen Lebensvollzug ,,raum-zeitlich zur Anschauung kommt.!!..Der Dharma ist", wie HACKER sagt,"? ..ein konkretes, positiv-heilswertiges Verhaltensmodell, das schon vor dem Vollzug irgendwie existiert und auf Realisierung wartet, bzw. eine Sammlung solcher Modelle. Dharma im Vollzug ist dann das diesem Modell entsprechende, Adharma das ihm widersprechende Handeln. Schliesslich existiert die Dharmasubstanz aber auch nach dem Vollzug als das realisierte Verhaltensmodell. Es ist dann so etwas wie ein zu einem ubersinnlichen Wirkstoff geronnenes Tun, die Substanz der getanen Tat." Und diese Substanz bewirkt ..Aufstieg" (abhyudaya) (grundsatzlich) so wie der Vollzug von Srauta 10. Wenn man diese Vorstellungen naher zu betrachten sucht, stosst man auch auf solche, bei denen man zogert, von ihrer Ausdehnung oder Ubertragung auf den dharma des Dharmasastra zu sprechen, und uberlegt, ob sie nicht, insofern sie auch mit Bezug auf ihn schon vorher bestanden, vielmehr diese Ausdehnung oder Ubertragung als solche, wenn auch nicht erst ermoglicht, dann aber doch befordert haben. Andockstellen sozusagen oder, mikrobiologisch gesprochen, Rezeptoren. Es liegt in der Natur des menschlichen Gedachtnisses, dass diachrone Veranderungen von Sitte und Brauch - in traditionalistischen Gesellschaften - nicht wahrgenommen werden, allenfalls regionale Unterschiede. Sitte und Brauch erscheinen deshalb als et was Unveranderliches, Zeitloses. Die Frage nach dem Warum, wird sie uberhaupt gestellt, wird von den Eltern/den Alteren mit der Behauptung zuruckgewiesen: ..Das war immer so, so ist das immer gemacht worden". Die - auch fur die Nachfolgezeit historisch nicht richtige - Vorstellung, dass der dharma des Dharmasastra ein ewiges unwandelbares 'Gesetz' ist, durfte also nicht erst durch Ubertragung zustande gekommen sein. Sie durfte schon mit dem Wort dharma(n) verbunden gewesen sein, einer weiteren Gemeinsamkeit der beiden Bereiche, des Veda und des Inhalts des Dharmasastra, wobei ich nicht so sehr an die Wortbildung denke als an die Bedeutungen des Wortes, die von HORSCH" untersucht wurden. Beides, ..(d)harman im rituellen" wie ..(d)harman im cthisch-sozialen Sinne", das Opfer als den Kosmos stutzende und dharmipan visesepa svargam lokam dharmavid ipnotijan bhinivesabhyam. "Zitiert aus BOHLER, O. c. (Anm. 15). p. 310. Damit wird aber auch das Studium des dharma angelegentlich empfohlen. "Alles dies ist zitiert aus OBERHAMMERS ,,Vorlaufigen Gedanken zum Thema" (s. o. S. 63) "L. c (Anm. 4), S. 105 (= 506) "Das Bewirken von Heil" wird geradezu zur inhaltlichen Bestimmung des dharme Begriffs; vgl. z. B. Cakradhara, Nyayamanijarigraathibhaiga (ed. NAGINJ. SHAH, Ahmedabad 1972, p. 147) - zu NM (od. K. S. VARADACHARYA, bhag 2, Mysore 1983, p. 109: sa eva ca dharmah) - freyaska. rasy dharmarvat radanushanac ca sreyovaple. "P. HORSCH. Vom Schopfungsmythos zum Weltgesetz", in: Asiatische Studien XXI (1967), S. 31-61. Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 98 A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 99 Leben erhaltende Kraft und das Gesetz', nach dem sich die Menschen zu richten haben","") sind in der Vorstellung - nicht nur menschlicher Umgestaltung entzogen, sondem auch ewig. d. immer gleich, eben eine vorgegebene unwandelbare Ordnung des Seins und des Lebens, der der Mensch, um heil zu sein und schliesslich zum Heil zu gelangen, aufgefordert ist, handelnd zu entsprechen. Und in diesem Charakter als Appell an den Menschen wird man wohl eine weitere, zur besagten Ubertragung geradezu einladende, von Anfang an gegebene Ubereinstimmung beider Bereiche sehen durfen. Selbst fur die Wissenschaft ist es oft schwie. rig, den Zweck bestimmter Sitten und Gebrauche zu bestimmen. Insofern liegt es nahe zu erwagen, ob nicht auch mit diesem dhar ma fur die alten Inder bereits die Vorstellung verbunden war, dass er seinem Wesen nach adrstartha ist, also ein Handeln darstellt, bei dem sich keine Motive, die im Bereich des Sichtbaren liegen, ausmachen lassen. Dass der dharma des Dharmasastra an dem Merkmal der adrsjarthata zu erkennen ist - dass diese also fur ihn uberhaupt charakteristisch ist -, sagt Baudhayana (BaudhDhS 1.7.20.24)" mit unmissverstandlichen Worten. Ich muss aber einraumen, dass ich mir in diesem Punkt ganz und gar nicht sicher bin und mich frage, ob es sich nicht doch um ein anderes Element der Obertragung von Ideen vom vedischen dharma auf den dharma des Dharmasastra handelt. Die Quellenlage ist so, dass es mit Evidenz fur die eine oder die andere Alternative nicht zum besten bestellt ist, und die Vedisierung ist zudem so geschickt von den Brahmanen ins Werk gesetzt worden - soweit sie nicht unbewusst vollzogen wurde, - dass man immer wieder Schwierigkeiten hat, ihnen auf die Schliche zu kommen. cben deren Forderung (.promotion"), the basic motive for their recording the customs in the first place. !!! Es ist sicher richtig davon auszugehen, dass dem ein ganzes Bundel von Motiven zugrundeliegen durfte - und diese Annahme ist nicht bloss eine Verlegenheitslosung angesichts der Unmoglichkeit, durch Evidenz begrundet, zwischen verschiedenen sich anbietenden Erklarungen zu entscheiden. Aber lassen sich diese Motive auch-schon - gewichten? Mir ist offengestanden auch nicht ganz klar, was LARIVIERE mit ..promotion" cigentlich meint. Falls ..promotion" soviel heissen soll wie, Werbung", dann musste unbedingt prazisiert werden, dass sie in einer geradezu revolutionaren Erweiterung, ja Verlagerung der Heilsmoglichkeiten besteht, grundsatzlich analog der Gewichtsverlagerung zwischen srauta- und grhys-Opfern." Allein durch Handeln in Obereinstimmung mit dem dharma, ein Handeln freilich, das nicht einem sichtbaren Zweck dient, kann man den ..Aufstieg" erreichen, ja das hochste Heil ... erringen, so wie der Theist durch die Verehrung Gottes und der Monist durch die Erkenntnisrealisierung der All-Einheit".!!! Diese ,,Dharmafrommigkeit", dieser ,,Dharmismus", um weiter HACKERs Worte zu benutzen, bedeutet er nicht eine, man ist versucht zu sagen, Demokratisierung des Zugangs zum Heil durch die radikale Aufwertung des dharma, wie er fur die vier Stande gilt und von ihnen im Lebensvollzug zu realisieren ist, weg von nur fur eine kleine Gruppe Vermogender erschwinglichen Srauta-Opfern? Ich vermute mit anderen Worten, dass die Vedisierung und Sakramentisierung des dharma des Dharmasastra in einem Zusammenhang mit dem Verfall des feierlichen vedischen Opferwesens steht und dass unter den Motiven - etwa dem Ideologem der Mitverantwortung fur das Wohlergehen der Wesen (GautDhS (1).8.1) - auch das Interesse 11. Alles andere als einfach ist auch die Frage nach den Motiven der, wie LARIVIERE sagt, Integration von Sitte und Brauch in die brahmanisch-vedische ,,Weltanschauung". Ihm zufolge war L. c. (Anm. 31), S. 104. " Vgl. dazu BRIAN K. SMITH, Rellections on Resemblance, Ritual and Religion, New York - Oxford 1989, p. 193.1. Zitiert aus P. HACKER, L. c. (Anm. 4), S. 104 (= 506). S. P. HORSCH, 1. e., S. 39 bzw. 41. * Vgl. P. HACKER, 1 c (Anm. 4), S. 96. (499) Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 101 ANHANG: ZU MANUSMRTI 1.107: asmin dharmo 'khilenokto gunadosau ca karmanam/ catumam api vamanam acaras caiva sasvatah I. 100 A WEZLER der Brahmanen zu nennen ist, fur sich selbst die Moglichkeit zum ,,Aufstieg" auch ohne Opfer sicherzustellen und sich Einkunftsmoglichkeiten auch jenseits der Funktion als Opferpriester zu verschaffen, z. B. als Experte in allen den dharma betreffenden Fragen, als in der Rechtspflege tatiger Beamter usw. Ein religionssoziologischer Ansatz durfte, so meine ich, hier weiterfuhren. Denn auch HACKERS rein religionsgeschichtlicher Interpretationsvorschlag, dass namlich ,(d)er Begriff des Arya-Dharma zum klaren Bewusstsein zuerst gekommen zu sein" scheint in der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus", und dass ,.darum immer wieder die Bezogenheit auf den Veda betont wird", befriedigt nicht voll: Die Herausforderungen, denen die Brahmanen mit der Entwicklung ihres Begriffs des Arya-Dhanna zu begegnen trachteten, schlossen meiner Ansicht nach auch durch die Entwicklung der vedischen Religion selbst bewirkte Veranderungen mit ein. Ausserdem empfiehlt es sich, den Buddhismus in den weiteren und auch alteren historischen Kontext der fruhen Askese-Bewegungen zu stellen und deshalb zu uberlegen, ob die Vedisierung und Sakramentisierung des dharma nicht auch als Propagierung einer innerweltlichen, allgemein, d.h.jedem grhastha zuganglichen, im alltag. lichen Lebensvollzug erreichbaren Heilsmoglichkeit gewurdigt werden sollte. Die Ubersetzer sind sich - wie nicht anders zu erwarten - nicht ganz einig. DESLONGCHAMPS (1839) hat .Le loi s'y trouve completement exposee, ainsi que le bien et le mal des actions et les coutumes immemoriales des quatre classes", und ihm scheint BURNELL (1891) zu folgen mit ,,In this treatise) dharma (is) fully declared, also the good and bad qualities of actions; likewise also the perpetual usages of the four castes", wahrend sich BOHLER (1886) - an den sich KANE"21 angelehnt zu haben scheint - fur ,,In this (work) the sacred law has been fully stated as well as the good and bad qualities of (human) actions and the immemorial rule of conduct, (to be followed) by all the four castes (varna)" entschieden hat. Bei JHA (1920) liest man ..Herein has been expounded Dharma in its entirety: the good and bad features of actions of all the castes; as also eternal morality". DONIGER and SMITH (1991) hingegen meinen, dem Original mit der Wiedergabe ,,This (caching) describes religion in its entirety, as well as the virtues and vices of the effects of past actions and the eternal rule of conduct for the four classes" gerecht werden zu konnen. Man muss nicht noch weitere Ubersetzungen" heranziehen oder gar Vollstandigkeit anstreben, um die letztlich banale Fest 121 S.O.S. 75, Anm. 41. Etwa die von HOTTNER (1797) (vgl. JOHANN CHR. HOTTNER, Die Gesetze des Manu, bearbeitet von RENATE PREUSS, Husum 1981). In diesem Buch wird das System der Gesetze ausfuhrlich dargestellt mit den guten und bosen Beschaffenheiten menschlicher Handlungen und mit den uralten Gebrauchen der vier Kasten" oder die von HAUGHTON (1825) (The Institutes of Manu, od. by G. CH. HAUGHTON, 4 Vols., repr. New Delhi 1982). In this book appears the system of law in its full extent, with the good and bad properties of human actions and the immemorial customs of the four classes". 120 L. c. (Anm. 4), S. 105 (508). Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 102 A WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 103 meinsamo", und das heisst hier, der fur alle Menschen" unabhangig von ihrem Stand (varna) ..[geltende dharma)" gemeint, ,,das, was purusadharma heisst" (purusadharmakhyah (unmittelbar der gerade zitierten Phrase sadharando vorangehend)). So begegnet das Kompositum purusadharma denn auch bei Kulluka wieder, durch dessen Erlauterung (varacatustayasyaiva purusadharmarupe acarah sasvatah) jedoch noch einmal deutlich wird, dass dieser Ausdrick ahnlich wie, aber wohl noch eindeutiger als sadharanadharma'' selbst oder samasika dharma' oder samanyadharma! eben Verhaltensnormen meint, welche als die Menschen (schlechthin)" bindend angesehen werden. Offen bleiben muss dabei freilich, ob die Kommentatoren den Ausdruck ,,alle vier varnas" in 1.107 dahingehend verstanden haben - und ob der Verfas stellung treffen zu konnen, dass das zentrale Problem der Interpretation des Wortlauts, wenn es denn uberhaupt erkannt worden ist, offenbar auf unterschiedliche Weise gelost wurde, aber selbst in der annotierten Ubersetzung von BOHLER nicht einmal erwahnt wird. Was ich meine, ist naturlich das logische Verhaltnis, in dem die Nominative dhannah, gunadosau und acarah zucinander sichen. Die Mehrheit der Ubersetzer geht, gewiss unter dem Eindruck der auf den zweiten wie den dritten Nominativ folgenden Konjunktion (ca), allem Anschein nach von der Annahme aus, dass die Aufzahlung von drei voneinander verschiedenen Dingen intendiert ist. Nur JHA schlagt einen anderen Weg ein, indem er dhanna als den beiden anderen ubergeordneten Begriff versteht. Folgt JHA damit Medhatithi, dessen Bhasya er ja zugleich ubersetzt? Ersichtlich, denn gemass Medhatithi dient der Ausdruck karman, da (der Begrin) dharma genannt ist, (lediglich) zur Erfullung der metrischen [Notwendigkeiten]" (dharma ity ukte kar magrahanam vittapuranartham) - ein Argumentationsschema, von dem er gern Gebrauch macht!" -, und, wird der dharma, der auf acara dem acara als massgeblicher Erkenntnis(quelle) beruht, [hier] als acara bezeichnet" (acarapramanako dharma 'acara' ity uktah).'* Andere Kommentatoren stellen explizit fest, dass (der) acira auch dharma ist, d.h. unter den Begriff dhamma fallt und, ..da dem so ist, seine) gesonderte Nennung dem Zweck dient, aul (scine, (des) acara besondere Wichtigkeit hinzuweisen" - ein weiteres Argumentationsschema; so Kulluka - und wortlich ubereinstimmend Manirama: dharmatve 'py acarasya pradhanyakhyapanaya ptharinirdesah, wobei Kulluka sich wahrscheinlich von Govindaraja hat inspirieren lassen (sadharanapradhanyakhyapanarthai casya prthaggrahanam). Mit sadharana bei letzterem ist der ge 1 Vgl. z. B. Govindasvamin zu BaudhDhS 1.1.3 (unter Zitierung von Gaur DhS (10.1 (2.1.1)) APTE (The Practical Sanskrit-English Dictionary Kyoto 1978) zitiert s.v. sadharapa den Vers shimsa satyam asteyam Saucam indriyanigrahah/ damah ksamarjavam dana dharmam sadharapan vidub I, der zwar an Yajas 1.122 erinnert, welchen L. STERNBACH (Maha-SubhasitaSarigraha, Vol. II, Hoshiarpur 1976, p. 109 allein zitiert), von dem aber nicht klar ist, in welchem Verhaltnis er zu ihm steht. sadharapd bei Govindaraja ist sicher verkurzles Kompositum fur sidharapadharma. 1* Vgl. z. B. Manu 10.63: whimsi satyam asteyam faucam indriyani grahah / eta samasikan dharmam citurvamye 'bravin manuh II. Man beachle den Zusatz von caturvarpyn, der daraufhin deuten konnte, dass der Ausdruck simasika dharma selbst nicht absolut klar, also bereits terminologisch festgelegt ist. Medhatithi erklart samasikam durch samastasya sarvamanusyabhedajter uklani, na brahmapadijativibhagena. 12) Vgl. z. B. scinen Kommentar zu Manu 1.4. " Ich zitiere Medhatithi - und andere Kommentatoren - aus II DAVES Ausgabe (Manu-Smrti with nine commentaries ..., Vol. 1 (Adhyayas 1-2), Bombay 1912 (p. 1381 ) Auf den zitierten Satz folgt ubrigens der Verweis dvitiye cainam (scil. Acara) viveksyamah, der sich auf das Manubhisya zu 2.6 bezieht und nicht zu 2.4, wie JHA in seiner Ubersetzung behauptet. *** Vgl. P. HACKER, ,,Dharma im Hinduismus" Lc. (vgl. o. S. 62 Anm. 4), S. 498, leider ohne Stellenangabe; vgl. auch P. V. KANE, History of Dharmasastra. Vol. II, Poona 1974. p. 3. Nandapandita aber gebraucht den Ausdruck am Anfang seiner Erlauterungen zu Visou 2.16 und 17, wahrend es im Grundtext selbst (17cd) heisst: anabhyasuya ca fatha dharmah samanye uc yale // (mit adjektivischem samanys,allen gemein"). Vgl. auch die bei KANE, O. c, I. c., Fussnote 28 aus dem Brahmapurana zitierte Stelle. Aus KANE O. c. I. cFussnote 27 und 28 lasst sich als weiterer einschlagiger Terminus noch sirvavarpika dharma ausheben. Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 104 A. WEZLER Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 105 ser ihn vielleicht auch so gebraucht hat -, dass auch die Gruppen unterhalb der Sudras- miteingeschlossen sind. Eine inhaltliche Erklarung von purusadhara geben Kulluka und der epigonale Masirama nicht, aber sie durften die Elemente der Sitte und Gesittung im Sinn gehabt haben, von denen Sarvajnanarayana" und Nandana sprechen, also ,,das Ausspulen des Mundes usw." (acamanadi) bzw. aus Reinheit, Ausspulen des Mundes usw. bestehende besondere/bestimmte Handlungen als Voraussetzung fur die Berechtigung (zur Praktizierung) des dharma' (dharmadhikaranimittam saucacamanadilaksanah kriyavieesa (acarah)). Nandana durfte damit nur variieren, was sein alterer Vorganger (seinem acamanadi vorangehend) schon mit den Worten ,,acara [bedeutet), wenn er auch nicht direkt dharmal-Substanz) hervorbringt, Glied/untergeordnetes Hilfsmittel eines Mittels der Erlangung von dharma(-Substanz)" (acarah saksad dharmam aja. nayann api dharmasadhanargam ...). Die beiden letztgenannten Scholiasten scheinen sich damit von Kulluka- und Manirama - in ihrer Auffassung zu unterscheiden. Wahrscheinlich aber durfte nur ihre Ausdrucksweise abweichen, hinsichtlich der nur relativen (rcligiosen) Bedeutung des Ausspulens des Mundes usw." aber vollige Ubereinstimmung zwischen allen vier herrschen. Das bestatigt der altere Govindaraja, wenn auch der letzte Satz seiner Tika zu 1.107 in der uberlieferten, jedenfalls bei MANDLIK und DAVE dargebotenen Form nicht voll verstandlich, da offenbar verderbt, ist Auch JOLLY!30 und der Dharmakosa helfen hier nicht weiter: Der Satz lautet: evam caiva tatsannidhau dharmasabdo 'tra sadharanah sandhyopisanadiprativacanah. Da tar sich nur auf das Wort acara beziehen kann, den Grund fur dessen gesonderte Nennung" Govindaraja unmittelbar zuvor erlautert hat, dharmasabdo 'tra eindeutig das Wort dharma in diesem (Vers)" bedeutet und, last but not least, dic "Morgen- und Abendandacht nur von Zweimalgeborenen durchgefuhrt werden kann, da nur sie die Savitri rezitieren durfen, muss man sicherlich atrasadharapah lesen und sandhyopasanadivacanah verbessern. Govindaraja markiert also die Grenzlinie zwischen generellem" und speziellem" dharma von der anderen Seite her und konnte somit die expliziteren Erlauterungen Kullukas und, direkt oder indirekt, auch der anderen jingeren Kommentatoren provoziert haben. Medhatithi legt besonderes Gewicht auf die Vollstandigkeit" dieses Dharmasastra-Werkes: Nach der einleitenden Erlauterung, dass , [Manu) jetzt feststellt, dass sein eigenes Sastra von anderen unabhangig ist, da es seinen Lehrgegenstands-]Bereich vollstandig abdeckt" (idanim Da LAXMANSHASTRI JOSHI regelmassig die Kommentare zusammen mit einem Vers aus der Manusmrti zitiert - und durchgangig um ein genaues Verstandnis bemuht ist, wurde der Dharmakosa wohl einen richtigeren Text bieten, enthielte einer der erschienenen Bande Manu 1.107. 112 S.O.S. 102 1) Govindaraja hat anscheinend auch eine Sandhyamantradipika verfasst; vgl. K.-L. JANERT und N. NARASIMHAN POTI, Indische und pepalesische Handschrillen, Teil 4 (VOHD Bd. 11,4), Wiesbaden 1975, S. 76 (zu Nr. 1211) Oder ist es der Name eines entsprechenden Abschnitts sciner Smimarjari (zu welcher s. P. V. KANE, History of Dharmasastra, Vol. I (Revised and colarged), Poona 1975, p. 656 - 663)? 134 Vgl. z. B. Manu 2.101-104 und 4.93. Wie z. B. gemass Sarvajnanarayana zu Manu 10.63, insofern er erlautert: bihyaih saba caturvarpyam = caturvarinim. Die zehn dharmalak. yapas (dhti, ksama, dama, asteya, Sauce, indriyanigraha, dhi, vidya, salya. akrodbe), von denen Manu 6.91.94 handelt, andererseits gelien nur fur die 3 oberen varus. Man beachte seine Erlauterung von gupadosar: dharmidharmasadhanam karmagupadosau / himsadikarmapi vaidhalve gupavalivam svwidhutve dosavattvam. 10 Ich beziehe mich auf seinen ,,Manufikasangraha, being Series of Copious Extracts from Six Unpublished Commentaries of the Code of Manu. Calcutta 1885-89, repr. 1986, p. 63. "Ich vermute mit anderen Worten hier eine mechanische Verderbnis, hielte aber auch pratipidekah fur moglich. Etwas Besseres fallt mir nicht dazu cin, denn auch die Annahme einer Textlucke bringt mich zu keinem Ergebnis, das ich vorzichen wurde. smin bezicht sich auf dem Sastram in 1.102; vgl. dazu auch 1.104 und 106 Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 106 A WEZLER sastrasyx svavisaye sakalyena vptter anyanirapeksatim iha) fahrt er - den Gedanken in fast redundanter Weise weiter ausfuhrend - fort:..Was auch immer als dharma (d.h. als Element des dharma) bezeichnet wird, das ist alles in diesem, (d.h.) in diesem Sastra zur Ganze gelehrt; deshalb muss man, um zu wissen, sob elwas) dharma ist (oder nicht), kein anderes (Dharma Sastra/keine anderen (Dharmasastra]Werke berucksichtigen" (kas cid yo nama dharma sa sarva sastre 's min kartsnyenabhihitahna tasmad dharmajnanaya sastrantarapeksa kartavya). Damit nicht genug, an seine Erklarung des Pada b, also istaniste phale guna dos au karmanam yagadibrahmahatyadinam (..Vorzug und Nachteil (d.h. positive und negative Qualitat) von/der Taten (bedeutet) crwunschtes und unerwunschtes Resultat (von Taten) wie Opfer usw. (einerseits) und Totung eines Brahmanen usw. (anderer seits)"), fugt er noch die Bemerkung an: ,,denn auf diese Weise kommt Vollstandigkeit zustande, dass die Natur einer Handlung, die besondere Art, wie sie zu vollziehen ist, das bestimmte Resultat (das sie zeitigt), (ihre) Verbindung mit einer bestimmten Person (von der sie vollzogen wird/werden soll) und die Unterscheidung zwischen dem Charakter (der Handlung) als obligatorisch (auf der einen Seite) und einem [bestimmten] Wunschziel dienend (auf der anderen) (angegeben wird)" (eva hi sakalyam bhavati yat karmasvarupam itikartavyata phalavisesah kartvisesasambandho nityakamyatavivekah). Aus seinem abschliessenden Resumee all dies ist durch das Wort gunadosa angekundigt" (etat sarvair gunadosapadena pratijfatam) folgt allerdings, dass die Idee der Vollstandig. keit in diesem Versviertel noch einmal, aber anders ausgedruckt ist. Schliesslich stellt Medhatithi zu caturnam api varnanam analog fest, dass auch dies um der Vollstandigkeit willen (gesagt ist]" (etad api sakalyartham), wobei aber auf eine bestimmte Gruppe Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 107 von Personen abgehoben wird, namlich alle die, die irgend die Berechtigung zum dharma haben" (yo narna kascid dharme 'dhikrtas tasya sarvasyeto dharmalabhah ). Man darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht ubersehen, dass Medhatithis oben zitierte Einleitungssatze in den Worten gipfeln also der hyperbolische Lobpreis" (ity atisayoktih stutih); denn damit gibt er ja nicht nur zu verstehen, dass Manu 1.107 als arthavada zu klassifizieren ist, sondern auch, dass der Anspruch auf absolute Vollstandigkeit, der hier erhoben wird, eine rhetorische Ubertreibung darstellt: Aus seiner Sicht fallen Anspruch und Wirklichkeit nicht ganz zusammen, und er kann sich bei dieser Feststellung wohl der Zustimmung seiner Zunftgenossen, der Dharmasastrins, sicher sein, fur die der Umgang mit mehreren Dharma-Sutras und -Smrtis, die sich inhaltlich nicht vollig decken. sich vielmehr wechselseitig erganzen (wenn die - vermeintlich - scheinbaren Widerspruche zwischen ihnen aufgelost sind), selbst verstandlich war. Gerade die Voreingenommenheit (auch) Medhatithis ist Anlass, sich die Frage vorzulegen, ob denn der Verfasser von Manu 1.107 selbst bewusst ubertrieben hat. Dem Vers geht ein Abschnitt (1.103-106) voran, in dem die Notwendigkeit des Studiums der Smrti durch Brahmanen und die Frucht solchen Tuns mit ganz unverhohlen werbender Absicht herausgestellt wird. Diesem Preis des vorliegenden Sastra" schliesst sich der Vers 1.107 nahtlos an, wenn er auch seinerseits ein naheres Eingehen auf den acara in den auf ihn folgenden Slokas (1.108-110) hervorzurufen und deshalb auch eine Uberleitungsfunktion zu haben scheint. Aus der Intention des Werbens fur diesen Text lasst sich aber nicht auf beabsichtigte Ubertreibung schliessen. Werbung kann auch in sachlichem Informieren uber ein Produkt bestehen, in Hinweisen auf 197.,bezeichnet wird" ist Wiedergabe von nima. Oder gehort nama zu kascid yo? Vgl. S. 104 Anm. 129. Oder, welche", d. h. Relativsatz? 199 Mit ..irgend" versuche ich, dama Rechnung zu tragen. Ich bin mir aber nicht sicher, dass ich verstehe, was die Partikel hier bedeutel. * Mit labhw ist hier eindeutig ein kognitives, Erlangen" gemeint; vgl. PW s. v. 4). Auffassung. Erkenntnis". S.O.S. 105. Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 108 A. WEZLER nach Uberzeugung des Verfassers - wirklich vorhandenen Vorzuge seines Werkes." War der Verfasser nun voll uberzeugt von dem, was er hier in diesem Abschnitt einschliesslich von 1.107 sagt, oder nicht? Ahnlich wie bei der Frage nach intendierten Doppeldeutigkeiten stosst man hier spurbar an Grenzen der Interpretation. Einen nicht mehr lebenden Autor der Unwahrhaftigkeit in der Form einer Ubertreibung wider besseres Wissen zu uberfuhren, ist meist nicht moglich. Es bleibe dahingestellt, ob das gelingen kann, wenn die Indologie - irgendwann - uber genaue Textsortenanalysen, namentlich Untersuchungen der religiosen Rede verfugen wird. Man wird anders als Medhatithi eine Betonung der Vollstandigkeit der Manusmrti auch nur dort akzeptieren, wo sie in 1.107 semantisch klar ausgedruckt ist, also im 1. Pada (akhilena) und im 3. Pada (api nach dem Zahlwort). Aber man muss zugleich uberlegen, ob zusammen mit dem Pradikat (ukrah) auch das damit verbundene Adverb zu den Nominativen im 2. und 4. Pada zu erganzen ist. Diese Frage fuhrt aber zuruck zu dem Ausgangsproblem, dem Verhaltnis, in dem die drei Nominative zueinander stehen. Bezuglich der Genitive empliehlt es sich, die Grenze zwischen den beiden Vershalften erster zu nehmen, als Ramacandra und JHA es tun - aus Grunden, uber die nur Mutmassungen angestellt werden konnen 6-, also von der Annahme einer naturlicheren syntaktischen Struktur des Verses auszugehen, und caturnam api varnanam mit dem folgenden Nominativ, nicht dem Geni Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 109 tiv karmanan!" am Ende von Pada b zu verbinden." Das Problem, dem der Interpret gegenubersteht, ist - um es noch einmal zu sagen, ob das Bezeichnete von karmanam gunadosau und von (caturnam api vamanam) acarah dem subsumiert ist, was durch den Nominativ dharmah ausgedruckt ist, oder nicht. Liegt eine Reihung von Begriffen nach dem Schema ..A und B und C" vor oder die Explikation des ersten Begriffes durch die beiden nachfolgenden, also das Schema ,,A : B und C"? Bei der letztgenannten Alterative mussen zwei mogliche Explikationsbezichungen unterschieden werden, und zwar erstens, dass B und C den Inhalt von A erschopfend angeben, oder zweitens, dass B und C aus einem bestimmten, wenn auch unbekanntem Grund, mehr oder minder wichtige Ausgliederungen aus A darstellen. Der Annahme, dass in Manu 1.107 Verschiedenes, obwohl sachlich Zusammengehoriges ausgezahlt wird, stehen andere Aussagen im Text entgegen, denen zufolge in ihm der dharma (wortl. die dharmas) vollstandig behandelt wird, und zwar samtlicher Stande (einschliesslich der sog. Mischkasten), und in denen von einer direkten, die Subsumtion implizierenden Beziehung zwischen dharma sowie adharma und den Handlungen (karman) die Rede ist." Unterstellt man eine in dieser Hinsicht gegebene innere Koharenz der Manusmrti, dann begrunden diese Zeugnisse die Entscheidung gegen das Schema ,,A und B und C" - und damit auch gegen die Moglichkeit, dass als Pradikat zu gunadosau und acarah akhilenoktau bzw. akhilenoktah zu erganzen ist. Die beiden ca nach gunadosau und nach acaras waren dann durch sowohl ... "Die Stellung des zweiten ca ist naturlich kein hinreichender Grund, cafurpam api varpanam von scaras zu trennen. "Dalin pride b sachlich die gleiche Personengruppe - als Subjekt der Handlungen - gemeint ist, steht auf einem anderen Blatt 1 Die herauszustellen allerdings im Widerspruch zu dem traditionellen Gestus der Bescheidenheit stunde. Mit einigen solchen Doppeldeutigkeiten bzw. vermeintlichen Doppeldeutigkeiten mochte ich mich in einem anderen Aufsatz beschaftigen "" Vgl U. Eco, Die Grenzen der Interpretation, Munchen-Wien 1992 "*Vgl. scine Erlauterung asmin dharmasastre calurpimapi varpinimgupadosav ukiau. I S.O.S. 102 14 Vgl. Manu 1.581. 150 Vgl. Manu 1.2 1 Vgl. Manu 1.26 Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 110 Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 111 richten. Diese mussten eigentlich in derselben eingehenden Weise analysiert werden, wie es mit Manu 1.107 hier versucht wird. Aber auch bei kurzer Betrachtung ist erkennbar, dass sie ihrerseits, sit venia verbo, der Verherrlichung des acara dienen: Er ist, so erfahrt man, als in der sruti und smrti" gelehrt der hochste, bzw. der hochste in der sruti und smrti gelehrte dharma, ! ihn muss ein A. WEZLER als auch wiederzugeben." Es fragt sich aber, welchen argumentativen Wert die Annahme innerer Koharenz bei einem Text haben kann, der verschiedentlich genau umgekehrt inkoharent ist. Deshalb kann die Alternative des Schemas ..A und B und C" interpretatorisch nicht vollig ausgeschlossen werden. Entscheidend aber fur diesen Exkurs ist das (Teil-)Ergebnis, dass Manu 1.107, wenn man von dieser syntaktischen Struktur ausgeht, ganz gewiss nicht die Behauptung DERRETTS rechtfertigt, in diesem Vers werde gesagt, dass das Dharmasastra selbst, the fruit of customs" sei. Wie aber steht es um die beiden verbleibenden Moglichkeilen (,,A: B und C" und ..A: B und C und X")? Kann wenigstens zwischen diesen beiden eine Entscheidung getroffen werden? Von der Sache her, d.h. von der inhaltlichen Bestimmung des Dharma her, nicht, denn karman und acara sind dehnbare Begriffe, und dharma selbst ist auch nicht klar definiert. Das Attribut sasvata, ,,auf einer kontinuierlichen Folge/[Uberlieferungs-Reihe beruhend hilf in dieser Hinsicht nicht weiter, wenn es auch prazisiert, dass unter acara traditioneller Brauch als ein Gesamt verbindliches Verhaltensmuster gemeint ist. Was den engeren Kontext von Manu 1.107 anbelangt, ware der Blick vor allem auf die nachsten drei Verse (1.108-110) zu acarah paramo dharmah Srutyuktah smarta evaca/ tasmad asmin sada yukto nityam syadatmavandvijah //108 // acarad vicyuio vipro na vedaphalam asnute/ acarepa lu sampyuklab sampurpaphalabhak smptab//109 // evam acaralo drsivi dharmasya munayo galim/ sarvasya tapuso mulnm Acaram jagshub puram // 110 // smarta kann in der Tat, wie Medhatithi - wenn auch in freier Deutung des eigentlich nur die Zugehorigkeit ausdruckenden Sekundarsuffixes - erlautert, nur smrtisuk bedeuten. Selbst wenn man srulyuktah und smarta CVN ce mil dharmah verbindet, ergibt sich, dass hier die starke, den icire auf hochste aufwertende Behauplung aufgestellt wird, er sei..im Veda gelehrt". 1 Dass ca trotz der Subsumtion von B und unter den Oberbegriff dharma als satzanschliessende Konjunktion verwendet ist, ware zumindest un logisch S.O.S. 74 nebst Anm. 38. 154 Vgl. G. KLINGENSCHMITT, ,,Altindisch sas val", in: MSS, Heft 33 (1975), S. 67-78. *** Ob der Verfasser von Manu 1.107 selbst bereits, wie Medhatithi meint, durch jetzt lebende [Menschen) in Gang gesetzte Verhaltensformen (viddhaparamparayi nedinintanaih pravartitah) zuruckweisen wollte, bleibe dahingestellt. Trotzdem verdient Medhatithis Explizierung der Grundhaltung jedes Traditionalismus unsere Beachtung. Vgl. auch seine Feststellung yo yah purvatara sa sa pramapalaro lokenabhyupagamyale "atpramipam bidarayapasya' (cf. MS 1.1.5) iti (am Ende seines Kommentars zu Manu 1.4) 1 KANE (History of Dharmasastra, Vol. III, Sec. Ed., Poona 1973, p. 875) setzt sich eingehender mit diesem Vers auseinander: ,,Two constructions are possible: (1) that the word acara is qualified by the words 'Srutyuktal and smarta' and that the first half declares that usages declared in the Veda or smrti are transcendental law ...(2) that ackra by itself and other rules of conduct declared in the sruti or smrti are transcendental (i.e. bere in the first half of the verse there is a reference to three kinds of acaras ... )" Und er vertritt dann die Ansicht, dass (or we look to the preceding verse and the following verses (thal eulogise acara) the 2nd construction looks more natural and bas been accepted by the decided cases when they lay down that 'immemorial usage is transcendental law' (SIR WILLIAM JONES' translation of Manu 1.108) ..". Mir will jedoch scheinen, dass dies gerade die weniger naturliche Konstruktion ware, setzt sic doch voraus, dass dharma mit srutyukte und smartah) zu verbinden ist, paramo Pradikal zu allen drei Subjekten ist und vor al Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Uber den sakramentalen Charakter des Dharma 113 112 A. WEZLER Zweimalgeborener immerdar" zu pflegen trachten, er bildet die Voraussetzung fur die Erlangung des vedaphala (d.h. sehr wahrscheinlich der Frucht des Vollzugs von im Veda gelehrten Opferhandlungen), 1deg er bestimmt den ,,Zugang zum dharina", wie die. munis erkannt haben, (d.h. wohl, ob man dharina-Substanz erwirbt oder nicht),161 er ist also "62 die letzte/letztlich die Wurzel aller Askese (tapas). 163 Auf diese Weise zu zentralen Begriffen der hinduistischen Tradition in Verbindung gebracht, gewinnt der acara nicht nur ganz erheblich an Bedeutung, sondern auch an Umfang: Der acara ist das Gesamt richtigen Verhaltens vor dem Vollzug wie im Vollzug und damit ein ganz besonders wichtiger Teil des vedischen wie des dharma des Dharmasastra. Beiden Schemata (,,A : B und C" und ,,A : B und C und Xn) gemeinsam aber ist genau dies, dass der acara als ein Bestandteil des Dharma dargestellt wird. Dieser Feststellung gegenuber ist die Frage, was denn nun genau in Manu 1.107 gemeint ist, nachgeordnet. Sie soll auch unbeantwortet bleiben, denn gleichgultig, ob der acara von dem Verfasser als einer von zwei Teilen oder einer von mehreren Teilen betrachtet wird, uber die kausale oder histori sche oder kognitive Beziehung zwischen ihm und dem Dharma wird damit keine Aussage gemacht. Die Behauptung DERRETTS, Manu sage in 1.107, dass das Dharmasastra selbst ,,the fruit of customs" sci , kann, so ist auch in diesem Fall wieder festzustellen, nicht aufrechterhalten werden. Als -- konstitutiver - Teil des Dharma wird der acara auch in Manu 1.108104 angesehen, und man kann deshalb von ihm sagen, dass er einer der Gegenstande darstellt, von denen das/dieses Dharinasastra handelt, aber mehr eben nicht. Dic Charakterisierung des acara als sasvata in 1.107 macht zwar deutlich, dass er als etwas Unwandelbares, seit unvordenklichen Zeiten Gegebenes gedacht ist. Manu darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass er hier etwas uber die historische Beziehung des Dharmasastra zu dem als acara Bezeichneten aussagt: Fur ihn ist der acara das ideale richtige Verhalten als Norin und Praxis, erangelt also jeglicher historischer Dimension. Er will nicht die oder einen Teil der Entstehung bzw. Herkunft seiner Smsti erklaren, sondern - werbend - ihren inhaltlichen Umfang angeben. Was die einheimischen Rezipienten aus diesem und den folgenden Versen hinsichtlich der Frage der Duldung - mehr oder weniger alter - regionaler Brauches herausgelesen haben, ist wiederum etwas anderes. 166 lem, dass mit asmin, wie Nandana expliziert, traye gemeint ist. - Vgl. auch R. LINGAT, 0. c. (s. 0. S. 69, Anm. 20), p. 197f. 19 Auch wenn man, was naheliegt, sada mit yukto und nityam mit syad (atmavan) verbindet, ist die Emphase spurbar, die hier auf immerwahrende Rechtschaffenheit gelegt wird. 164 Vgl. o. S. 111 Anm. 156. 160 Medbatithis Explizierung vedavihitakarmanusthanaphalam vedaphalamity uktam / samagrany avikalani vaidikani karmapy anutisthan yady acarabhrasto na tatah putrakamadiphalam asnuta iti ninda) ist gewiss der Nandanas (vedoktaphalam dharmaphalam iti yavat) bzw. Ramacandras (vedaphalam vedadhyayanam) vorzuziehen. 101 Vgl. etwa Medhatithi und Sarvajnanarayana (gatim (=) praptim), bzw. Govindarajas (dharmasya praptim) bzw. Kulluka (dharmapraptim). 165 Vgl. auch R. LINGATS, 0. c. (s. 0. S. 69 Anm. 20) p. 14, Ermahnung, dass ,,(one must take care to avoid consusing this ideal "custom" with what we call custom, that is to say practices confirmed by immemorial usages, custom followed by everyone, habitual practices of a group, perhaps arising from convention". 162 Diese Wiedergabe von evam beruht auf Kullukas Interpretation (uktaprakarepa). 1) Eine langere Abhandlung uber tapas in der Manusmrti habe ich in Vorbereitung. 100 Auf Wunsch der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften verzichte ich auf die Anfugung des ,,ceterum censeo ..." am Ende des Aufsatzes. Intcressierte finden es am Schluss aller meiner Arbeiten der letzten Jahre und werden ihm auch in Zukunft wiederbegegnen".