Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 9
________________ 285 Zur Theorie der Kastenordnung in der indischen Philosophie Weise interpretiert und als autoritatives Dokument der traditionell-geburtsmäßigen Auslegung der vier varna herangezogen worden ist. So zitieren traditionalistische neuzeitliche Pandits wie Vasudeva Sastrin Abhyankara und Durgāprasāda Dviveda die Bhagavadgitä-Stellen über svadharma usw. als Belege für die hereditäre Auffassung und gegen die ethisierende Zersetzung der Kastenbegriffe 2); dabei setzen sie voraus, daß die hereditäre Kastenzugehörigkeit und die den Kasten traditionell zugewiesene gesellschaftliche Rolle auch dem wahren und metaphysischen Wesen der jeweiligen Individuen entspricht. Nun gehört es zu den Eigentümlichkeiten der Bhagavadgitā, entschiedene Festlegungen zu vermeiden und allgemein zur Versöhnung, Synthese und Ambivalenz zu tendieren). Wir können also nicht erwarten, daß sie eine Bedeutung oder einen Aspekt des varna-Begriffs ausdrücklich und mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit gegen andere Bedeutungen und andere Aspekte ausspielt. Gleichwohl kann kein Zweifel daran bestehen, daß die grundsätzlich hereditäre Bedeutung der Kastenordnung hier durchaus nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr auf eine subtile und konziliante Art verteidigt wird, und zwar gegen eben diejenige vom Buddhismus vertretene ethisierende Deutung, der sie andererseits weit entgegenzukommen scheint; die Vermischung der Kasten (varnasamkara) wird in den Anfangskapiteln ja mehrfach als ein bedrohliches Phänomen genannt 30). Ethisch-charakterologische Klassifikationen erscheinen neben und innerhalb der biologisch-hereditären Kastenordnung, ohne sie zu ersetzen oder auch nur zu gefährden"1). Wir können hier gewiß nicht mehr von einem naiven und unreflektierten Nebeneinander der Bedeutungen und Aspekte reden wie in den alten, d. h. vor allem vorbuddhistischen Texten. Ethisches und Biologisch-Hereditäres überlagern und überschneiden sich, jedoch in einer Weise, daß die von den Buddhisten herbeigeführte Konfrontation der Bedeutungen offenbar vorauszusetzen ist 3). Der Begriff des svadharma, d. h. der jeweils eigenen, standesgemäßen Pflicht, der dem Ethischen viel Raum zu gewähren scheint, sichert und stabilisiert zugleich die hereditäre und überkommene Ordnung als Rahmen und Voraussetzung ethischer Wertung; und entsprechend der Lehre von der Wiedergeburt und der Nachwirkung aller Taten (samsära; karman u. a.) ist die Kastenordnung ja zugleich ein Gefüge, in der der ethische Rang früherer Existenzen seinen Ausdruck finden kann, ohne daß sie die ethische Qualität des jeweils gegenwärtigen Lebens anzuzeigen brauchte. Die in der 28) S. u., Anm. 105-106; sowie CV, S. 198; zu den drei guna: S. 2. 29) Dies hat bekanntlich zu unnötigen Spekulationen über verschiedene Textschichten und Interpolationen innerhalb der Bhagavadgită geführt. 30) S. o., Anm. 15. Zwar spricht in diesem Falle Arjuna; er wird hierzu jedoch von Krsna keineswegs eines besseren belehrt. In III, 24 (Krsna) steht samkara offenkundig für varnasamkara. 31) Vgl. z. B. Bhagavadgitā VII, 16. 32) Dies genügt natürlich nicht, um eine definitive Antwort auf die Frage nach dem buddhistischen ,,Einfluß" auf die Bhagavadgitā zu geben. [13]

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