Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 11
________________ Zur Theorie der Kastenordnung in der indischen Philosophie 287 „vermischten Hierarchien“, die in „vorsystematischen“ Texten so geläufig sind 37). - Wir begegnen, in einer durch die Verteilung der drei guna sattva, rajas und tamas bestimmten aufsteigenden Ordnung, u. a. den folgenden Wesen: Pflanzen (sthāvara), Würmer (krmi), Schildkröten, Sūdras, Barbaren (mleccha), Löwen, Vögel, Heuchler (dāmbhikāḥ puruşāh), piśāca-Dämonen als wesentlich von tamas beherrscht; Ringkämpfer (malla), Schauspieler (nata), Kşatriyas, große Disputanten (vādayuddha pradhāna), Gandharven als hauptsächlich durch rajas bestimmt; Asketen (yati), gewisse Brahmanen (vipra), Sterne (nakşatra), rşi, deva, Brahmā, dharma, der mahān (d. h. die kosmische buddhi, „Erkenntnis"), und sogar das avyakta, d. h. die nichtmanifestierte „Natur" selbst, als wesentlich von sattva beherrscht. Innerhalb dieser Aufzählung gehen offenkundig mancherlei Gesichtspunkte und Kriterien durcheinander; die Bezeichnungen sind u. a. ethisch, charakterologisch, mythologisch, biologisch-kosmologisch oder auch auf die Erwerbstätigkeit bezogen. Innerhalb der menschlichen Sphäre gelten die vier varna nicht als umfassendes und ausschließliches Prinzip der Klassifikation und Subordination (die Vaiấya werden überhaupt nicht genannt). Daß es dabei zu mancherlei Überschneidungen und Vermengungen (dem von späteren systematischen Philosophen so sorgfältig vermiedenen „Überlappen der genera“, jātisamkara im logischen Sinne) kommt, bleibt ganz außer Betracht. Für solches Einfügen der vier varna in andersartige und umfassendere Hierarchien und Evolutionsreihen gibt es eine Reihe von Beispielen u. a. im Mahābhārata 38) und zuvor in der Literatur der Brāhmaṇa-Zeit, wie die von A. Weber aus dem agnicayana-Ritual zitierte „Schöpfungstabelle" zeigt 38). Die Frage, inwieweit in diesen Fällen eine ursprüngliche Verflechtung der varna-Ordnung mit anderen Hierarchien oder eine nachträgliche Zusammenfügung anzunehmen ist, können wir hier nicht näher diskutieren. – Bereits auf einem anderen begrifflichen Niveau steht der Abschnitt aus dem Sukānupraśna-Kapitel des Mahābhārata, der in fortschreitenden Dichotomien, in einer an Platons Sophistes und Politikos erinnernden dihäretischen Verfahrensweise, von biologischen Grundkategorien zum Begriff des wahren, das brahman kennenden Brahmanen führt 40). Solche aus biologischen und allgemein kosmologischen Kategorien heraus zu ethischen Begriffen führenden und schließlich im Begriff des wahren Brahmanen, als des wahrhaft Weisen oder des wahren Vedakenners, kulminierenden Aufzählungen haben im übrigen eine Tradition, 37) Manu XII, 42-52. 38) Vgl. z. B. XII, 200; zu den vier varna: v. 31–33. 38) Weber, Collectanea, S. 7; natürlich ist auch an Rgveda X, 90 zu erinnern. 40) Mahābhārata XII, 229, 12-25. [15]

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