Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 12
________________ 288 Wilhelm Halbfass die sich vom Satapathabrāhmaṇa zu manchen jüngeren Texten verfolgen läßt 41). Kehren wir nun zu unserem Thema der Auslegung der varna-Ordnung durch die guņa-Theorie zurück, so bleibt zu bemerken, daß die drei guna nicht nur im Rahmen allgemeiner und umfassender Hierarchien, sondern auch speziell und individuell auf die vier varna angewendet werden - nicht selten im Zusammenhang mit der Lehre von den Kastenfarben 42). Dabei stellt sich freilich die Schwierigkeit oder zumindest Unbequemlichkeit ein, daß ein Dreierschema zur Erklärung und Rationalisierung einer Vierergruppe dienen soll und daß, ganz allgemein, zwei Schemata miteinander verbunden werden, die aus gänzlich unabhängigen, wenn nicht divergenten Quellen stammen 43). Eine scheinbar naheliegende, im indischen Kontext freilich doch überraschende Lösung dieses Konflikts bietet die Anugītā im Mahābhārata; sie läßt es bei drei varna bewenden: ,,Das tamas ist dem Sūdra, das rajas dem Ksatriya eigen; das sattvam als Höchstes dem Brahmanen; so treten in den drei Kasten die drei guņas auseinander" 44). — Nun wäre es gewiß verfehlt, von einem durchaus subalternen Text wie der Anugītā eine kritische, autonome Anwendung philosophischer bzw. kosmologischer Begriffe auf gesellschaftliche Konventionen, und d. h. eine kritische Rekonstruktion und Reform der varnaOrdnung am Maßstab der guna-Metaphysik zu erwarten; und mehrere andere Stellen lassen keinen Zweifel daran, daß die Anugītā keinesfalls ernstlich die Vierzahl der varņa in Frage stellt 45). Andere Autoren versuchen, die Diskrepanz, die in der Anugītā offenbar durch bloße Nachlässigkeit umgangen ist, durch Hilfskonstruktionen zu überbrücken, meist in der Weise, daß den Vaisya eine Kombination aus rajas 41) Vgl. Weber, Collectanea, S. 97; an späteren Texten ist z. B. an Vivekacūdāmani (Einl.), auch an populärere Texte wie Adhyātmarāmāyaṇa und Rāmcaritmanas zu erinnern. 42) Zur Zuordnung von guna und Kastenfarben vgl. Mahābhārata XII, 181,5; Weber, Collectanea, S. 10-11; vgl. auch Yogasutra IV, 7; H. von Glasenapp, Die Lehre vom karman in der Philosophie der Jainas, Leipzig 1915 (Diss. Bonn), S. 59 ff. 43) Zu einer ähnlichen Unbequemlichkeit kommt es auch bei der Zuordnung der guna zu den ,,Lebenszielen" (puruşārtha), die nur dann unproblematisch ist, wenn man sich an die alte Dreiergruppe (trivarga) ohne „Erlösung“ (mokşa) hält; dies tut z. B. Manu XII, 38 mit der Zuordnung kāma -- tamas, artha - rajas, dharma -- sattva. Bhagavan Das, der auch mokṣa mit unterbringen will, muß zu einer umständlichen Hilfskonstruktion Zuflucht nehmen (vgl. The Science of Social Organisation I, Adyar 21932, S. 78). 44) Anugitā 39, 11; nach der Ubersetzung von P. Deussen/O. Strauss, Vier philosophische Texte des Mahabharatam, Leipzig 1906, S. 956. - Vgl. auch 43, 1, mit räjanya als dem „mittleren" guna entsprechend. – Die Anugitā findet sich im Mahābhārata XIV, 16-51. 45) Vgl. Anugitā 35, 43, wo von drei Kasten der Zweigeborenen die Rede ist, also insgesamt vier Kasten vorauszusetzen sind. - Die Vaisya werden ja übrigens auch in Manus oben erwähnter ,,vermischter Hierarchie" nicht genannt. [16]

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