Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 21
________________ Zur Theorie der Kastenordnung in der indischen Philosophie 297 deutliche Konturen gewinnt 78). Wir müssen ja stets berücksichtigen, daß Kumārila hier einen pūrvapaksa-Abschnitt kommentiert, — wobei er jedoch zugleich weit über das bei Sabara Gebotene hinausgeht und keineswegs nur den pūrva paksa paraphrasiert, sondern seine eigene kritische Stellungnahme daran anknüpft. — Für das Verständnis der Diskussion ist ferner folgendes zu beachten: Der philosophischen Mimāņsā geht es darum, den Erkenntniswert der vedischen Offenbarung und der ihr folgenden heiligen Überlieferung (śruti, āgama, śāstra) im Rahmen der Lehre von den Erkenntnismitteln (pramāna) zu sichern; der Veda soll den Erkenntnismitteln Wahrnehmung, Schlußfolgerung usw. als Erkenntnis quelle eigener Ordnung, die sonst nicht zugängliche Erkenntnisinhalte zu vermitteln vermag, an die Seite gestellt werden 79). Diese Problemstellung ist auch auf die vier varṇa anzuwenden 80): Inwieweit sind sie überhaupt Gegenstand vedischer Offenbarung, und inwieweit sind sie durch weltliche Erkenntnismittel und durch normale menschliche Erfahrung erwiesen und ohne weiteres geläufig (loka prasiddha)? --- Kumārilas Stellungnahme hierzu ist vorsichtig und abwägend: Zwar sollen die varna grundsätzlich für den Bereich weltlichen Erkennens gesichert werden, jedoch bleibt der sruti eine hilfreiche und wichtige Rolle für die Entdeckung ihres wahren Wesens 81). - Daß die vier varna durch reale Universalien bestimmt sind, gilt für Kumārila - auch nach Auffassung seiner Kommentatoren und Opponenten 82) – als vorausgesetzt, ohne daß es besonders hervorgehoben würde. Aufgenommen wird zunächst der Anspruch, daß die Kasten durch normales menschliches Wissen erwiesen seien. Welcher Art soll dieses Wissen sein? Sinnliche Wahrnehmung? Läßt sich wirklich die Ansicht vertreten, daß die 78) Der Kommentator Somesvara sieht es als seine Aufgabe, gelegentlich ausdrück. lich auf Indizien zu verweisen, die andeuten, daß Kumärila hier in eigener Sache spreche; vgl. NS, S. 10: ašarkitā svābhiprayam avişkaroti. 79) Vgl. hierzu E. Frau wallner, Materialien zur ältesten Erkenntnislehre der Karmamimāmsā, Wien 1968 (Sb. Österr. Ak. Wiss.; Veröff. d. Komm. f. Sprachen u. Kulturen Süd- u. Ostasiens 6). 80) Sie ist ja insofern Ausgangspunkt der gesamten Diskussion, als, wie oben bemerkt, die Stelle aus dem Gopatha-Brāhmaṇa (s.o., Anm. 77) eben deshalb zitiert wird, weil sie nach Ansicht des pūrva paksin in Konflikt mit Inhalten sicherer weltlicher Erkenntnis steht und deshalb nicht als autoritative und eigenständige Erkenntnisinhalte vermittelnde Offenbarung gelten kann. 81) Vgl. dazu Someśvara, NS, S. 14:... pratyakşāvagatisambhavād anyatra sāstravyāpāro na-angikstah, iha tu tadasambhavāc chăstravişayatvam na-ayuktam ity äha, „na hi“. iti nanv ākārasāmyena kva cid api brāhmanyādivivekasya pratyakşena-avagatyasambhavāt sarvatra-āgamagamyatvam eva-angikāryam ity āšankām nirākurvann upasamharati ... 82) Someśvara, NS, S. 11, erklärt: tasmāt samānākāreşv api pindeşu vilaksanabrāhmanapratyayavedyabrāhmanyādijātir na-apahnotum sakyate, schon zuvor sagt er (a.a. O., S. 10), daß ein in allen Brahmanen anzutreffendes, ihnen von Fall zu Fall inhärierendes Etwas postuliert werden müsse, das den Gegenstand der Vorstellung ,,Brahmane" bilde (tasmāt sarveşu brāhmaneşu anusyūtam pratyekasamavetam brāhmaṇapratyayavisayabhūtam kiñcid avasyam estavyam). - Vgl auch sālikanātha, PP, S. 101. [25]

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