Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 28
________________ 304 Wilhelm Halbfa88 Abhyankaras Argumentation zeichnet sich durch besondere Schärfe und Prägnanz aus, ist jedoch, was ihren Inhalt angeht, keineswegs ein Einzelphänomen. Durgāprasāda Dviveda argumentiert in seiner Cāturvarnyaśikṣā auf derselben Basis, — daß nämlich die vier varna in einer allem Verhalten vorausliegenden Weise in ihrem Sein konstituiert, und das bedeutet für ihn, durch wirkliche Universalien festgelegt sein müssen 108). Auch der Pandit ,,Soobajee Bapoo", der für L. Wilkinson die 1839 erschienene Textbearbeitung der Vajrasūci vorgenommen sowie eine eigene kritische Stellungnahme, den Tanka (,,Tunku“), hinzugefügt hat, argumentiert grundsätzlich in diesem von Kumārila exemplarisch vertretenen Sinne 109). Nach diesem Überblick über die im wesentlichen apologetischen kastentheoretischen Stellungnahmen der Mimāmsā (genauer der Pūrva- oder Karmamimāņsā) bleibt uns nun noch die Frage, welche Position der auch als Uttaramīmāmsā bekannte Vedānta, speziell der Advaita-Vedānta, zu diesem Thema bezieht. 7. Zur Einschätzung des Kastensystems im Advaita-Vedānta Während die bisher erwähnten philosophischen Theorien in der sozialen und politischen Diskussion im modernen Indien keine nennenswerte Rolle spielen, ist die Philosophie des Advaita-Vedānta sehr oft auf soziale und politische Themenstellungen bezogen und als metaphysische Grundlage ethischpraktischer Forderungen und Programme beansprucht worden. Dies ist vor allem in der weitläufigen, unter der Bezeichnung Neo-Vedānta lose zusammengefaßten Bewegung geschehen, und es hat in erheblichem Maße ins öffentliche Leben sowie auch in die internationale Selbstdarstellung Indiens hineingewirkt. — Es wäre nicht schwer, Hunderte von Erklärungen zusammenzustellen, in denen dem Advaita-Vedānta nicht nur soziale Anwendbarkeit im indischen Bereich, sondern fundamentale Relevanz für die Zukunft der gesamten Menschheit zugeschrieben wird. Begriffe wie Toleranz, Gleichheit, friedliche Koexistenz, Brüderlichkeit, Internationalität, Gemeinschaft der Völker, Demokratie, soziale und ökonomische Gerechtigkeit - aber auch Nationalismus und Anarchismus — werden mit dem Advaita verknüpft bzw. aus ihm ,abgeleitet" 110). Wir begegnen Schlagworten wie ,,Vedāntic socialism" (Ramatirtha), „political Vedāntism" (Aurobindo) u. dgl.; wir hören über ,,collective economic liberation on an idealistic (d. h. Vedāntic) basis“111), 108) CV, S. 198-199; auch S. 1: asvādivaj jātigunakriyabhir vibhinnabhāvātisayam prapannāḥ ...; immerhin wird das Verhalten (kriya) in einer Weise einbezogen, die gegenüber Kumārila weniger strikt erscheinen mag. 109) Vgl. Vajrasuci, ed. Weber, bes. S. 237, 239; 252. 110) Vgl. S. L. Malhotra, Social and Political Orientations of Neo-Vedantism, Delhi 1970, S. VII-VIII. 111) G. C. Dev, Idealism and Progress, Calcutta 1952, S. 440 ff.; ders., The Philosophy of Vivekananda and the Future of Man, Dacca 1963, S. 96f., nennt den Vedānta „the Gospel of Emancipation of Common Man". [32]

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