Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 26
________________ 302 Wilhelm Halbfass nung auch keinerlei Ubung, Vorbereitung oder Anleitung weiterhelfen: Es gibt kein reales Univerale „Brahmanentum"; es kann sich demnach auch nicht als Wahrnehmungsdatum zeigen. Die von Kumārila als Beispiel angeführte Behauptung, daß Erfahrungen auf dem Gebiete des Geruchs schließlich auch zu visueller Erfassung des Unterschieds zwischen Schmelzbutter und Sesamöl führen können 100), wird zurückgewiesen; sie läuft auf eine bloße Manipulation des Wahrnehmungsbegriffs hinaus, da sich in Wahrheit eine Schlußfolgerung darin verbirgt 101). Die vorgeblichen Kastenuniversalien sind nichts als „zusätzliche Bestimmungen" (upādhi), äußere, freilich durch die Tradition sanktionierte Rollen und Funktionen, und insofern sind sie nicht grundsätzlich verschieden von Tätigkeitsbezeichnungen wie ,,Kochtum“ (pācakatva), die in der Diskussion des Universalienthemas als geläufigste Beispiele ,,zusätzlicher Bestimmungen" gelten 102). Brahmanentum usw. bedeutet nichts anderes als die Abkunft von bestimmten Stammbäumen (santativisesa prabhavatva), und solche Stammbäume bedürfen keiner theoretischen und metaphysischen Erklärung, sondern sind den Menschen aus traditionellem Umgang vertraut und geläufig (lokata eva prasiddhāh). Es bedarf keiner Hypostasierung von Kastenuniversalien, um die Anwendbarkeit der Worte ,,Brahmane" usw. und die Vollziehbarkeit der nach den Kasten spezifizierten vedischen Vorschriften zu sichern. — Mālikanātha geht in diesem Zusammenhang auch auf das Problem der ehelichen Treue der Brahmanenfrauen ein 103), das sich bei den buddhistischen Kritikern des Kastenwesens einiger Beliebtheit erfreut 104). Freilich, eine ernstzunehmende Gefahr für die grundsätzliche Verläßlichkeit der traditionell akzeptierten genealogischen Zusammenhänge sieht er darin nicht, und er tut es als einen künstlichen Skeptizismus ab, über den das traditionelle Wissen und Verhalten der Menschen ohne weiteres hinweggeht. — Wo Kumārila eine eigenständige metaphysische und erkenntnistheoretische Grundlegung zu geben versucht, beschränken sich die Prābhākaras auf eine Sanktionierung dessen, was in der Tradition ohnehin akzeptiert ist. Dieses Verfahren ist jedoch nur scheinbar naiv und unreflektiert: Der Verzicht auf eine metaphysische Konstruktion im Sinne Kumārilas erweist sich seinerseits als eine durchaus philosophische 100) So jedenfalls versteht Salikanātha das in sehr knapper und etwas kryptischer Sprache gebotene Beispiel im ślokavārttika (s.o., Anm. 74). 101) Vgl. PP, S. 101: na hi tadānim cākṣuşas ya samvedanasya vişayātirekaḥ kim tv anumānam eva tatra sarpisah. 102) Vgl. die oben, Anm. 52, genannte Arbeit. 103) PP, S. 102: katham punas tajjanyatvam eva bakyam avagantum, strinām aparadhasambhavät. sambhavanti hi pumócalyo striyah parinetāram vyabhicarantyah; vgl. auch Kumārilas Erörterung dieser Frage, TV, S. 6-7. 104) S.o., Anm. 63 (zu Santaraksita und Kamalasila). Sehr entschieden drückt die Vajrasūci diesen Zweifel aus; niemand könne sicher sein, ob er überhaupt Brahmanensohn (brāhmanaputra) sei; vgl. Vajrasūci, ed. Weber, bes. S. 220; 232. ." [30]

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