Book Title: Zur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass

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Page 10
________________ 286 Wilhelm Halbfass schon zitierten Stelle IV, 13 zu findende Rede von der „Einteilung der guna und der Werke“ (gunakarmavibhāga) ist ohne Zweifel im Rahmen der Lehre vom samsāra zu verstehen. Die Anwendung des Ausdrucks karman auf die vier Kasten bleibt in aufschlußreicher Weise zwiespältig: Während für die beiden höheren varna (brāhmana, ksatriya) „Werke" im Sinne ethisch relevanten Handelns (ācāra) als eigentümlich betont werden, werden für die beiden niederen varņa (vaisya, sūdra) ,,Werke" im Sinne von Beschäftigungsweisen, Erwerbsfunktionen hervorgehoben 33). Der Hintergrund dieser Verfahrensweise ist leicht zu durchschauen: Der Brahmanenstand, in geringerem Maße auch der Stand der Kşatriya, ist seit alters her mit inhaltlich gefüllten ethischen Wertvorstellungen wie Weisheit, Wahrhaftigkeit und Selbstzucht verknüpft, die den höheren Kasten vorbehalten bleiben und keineswegs auch den niederen Kasten als „standesgemäße Pflicht“ (svadharma) zugewiesen werden können. Diese sind ja (hauptsächlich im Falle des Sūdra) mit ethischen Unwertvorstellungen wie unreine Lebensweise, Zügellosigkeit und Stumpfsinn assoziiert, von denen man jedoch gleichfalls nicht erwarten kann, daß sie als „standesgemäße Pflicht“ zugewiesen und anempfohlen werden. Was demnach bleibt, ist die Zuweisung von Beschäftigungsweisen, die auch für die niederen Kasten den svadharma-Begriff mit Inhalt füllen können und deren getreuliche Erfüllung sodann auch die Dimension des ethisch Wertvollen eröffnet 34). Insofern kann zwar ein Śūdra ein „guter" Śūdra sein; jedoch kann ihm solche ethische Standesqualität in keiner Weise dazu verhelfen, das dem Brahmanen genuin zugehörige, ,,eingeborene" Verhaltenspotential (brahmakarma svabhāvajam; XVIII, 42) zu erreichen. Es ist eine überdeutliche Paraphrase dieses Standpunktes, wenn ein Pandit des 19. Jahrhunderts, ,, Soobajee Bapoo“, die rhetorische Frage stellt, ob denn ein noch so tüchtiger (d. h. seine Eselsfunktion noch so perfekt erfüllender) Esel jemals zu einem Rosse werden könne 36). Es ist recht bezeichnend, daß die zentralen Feststellungen der Bhagavadgitā über den svadharma auch in Manus Gesetzbuch Verwendung finden 36). — Manu bedient sich im übrigen auch der guņa-Theorie, um einer von ihm präsentierten hierarchischen Klassifikation aller Lebewesen gleichsam metaphysisch-kosmologischen Nachdruck zu verleihen. Es handelt sich hier um eine der typischen 88) Vgl. a.a. O. XVIII, 41-44; auch IV,13; sowie D. P. Vora, Evolution of Morals in the Epics, Bombay 1959, S. 129. — Andere Stellen des Mahābhārata gehen in der ethi. sierenden Tendenz weiter als die Bhagavadgitä; s.o., Anm. 11. 34) Natürlich haben auch die höheren Kasten ihre traditionellen Erwerbstätigkeiten; es ist jedoch charakteristisch, daß diese an den zitierten Stellen nicht genannt werden. 35) Soobajee Bapoo in Vajrasūci, ed. Weber, S. 236. 36) Vgl. Bhagavadgitā III, 35; XVIII, 47 und Manu X, 97; der Begriff avadharma findet sich ferner Bhagavadgitā II, 31; 33; VIII, 35; auch in der Maitri-Upanişad (IV, 3) spielt er eine entsprechende Rolle; ähnlich svakarman, z. B. Gita XVIII, 45f. [14]

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