Book Title: Wirklichkeit Und Begriff Bei Dharmakirti
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner

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Page 16
________________ 194 ERNST STEINKELLNER wird 55, das die Erwartungen, die man an den Begriff knüpft, nicht erfüllen kann. Daß er übertragen werden kann, bedeutet, daß er zu ungenau ist, das heißt, daß bei der begriffsbildenden Beurteilung noch zuviel als gleich bestimmt wurde55a. Eine,,Übertragung" findet daher eigentlich gar nicht statt, der Vorstellungsirrtum besteht vielmehr darin, daß die Beurteilung auf Grund von zu geringer Erfahrung eine Gleichheit dort feststellt, wo keine ist. So betont etwa Dharmakirti auch beim alten Irrtumsbeispiel einer Wasser-Vorstellung, wenn in Wirklichkeit nur Sonnenstrahlen vorliegen, daß beide Dinge, Wasser und Sonnenstrahlen, in gleicher Weise den „Irrtum" verursachen, weil sie eben beide eine solche Wahrnehmung hervorrufen, die ihrerseits eine Beurteilung als gleich veranlaßt 56. Der Vorstellungsirrtum besteht also nicht vordergründig in der falschen Übertragung eines Begriffes auf ein Ding, sondern in der durch die Irrtumsnatur der Vorstellung 57 bedingten unvollständigen und daher falschen Begriffsbildung 58, welche die falsche,,Übertragung" erst möglich macht. Eine irrtümliche Vorstellung in engerem Sinne (WasserIrrtum) ist nicht etwa eine entartete Vorstellung, sondern nur ein Fall, an dem die Irrtumsnatur der Vorstellung als solcher besonders deutlich sichtbar wird. 55,,Wenn nicht durch einen Anlaß zum Irrtum eine fremde Eigenschaft [mit dem Ding] verbunden würde, wie die Silberform mit der Perlmutter, weil man eine Ähnlichkeit der Gestalt beobachtet." (no ced bhrāntinimittena samyojyeta guṇāntaram | śuktau vā rajatākāro rūpasādharmyadarśanāt || v. 4446.) Anlaß zum Irrtum (bhrāntinimittam) ist dabei die Ähnlichkeit von Silber und Perlmutter. 55a,,Dieser [Wasserirrtum] entsteht vielmehr auf Grund einer Unschärfe bei der Bestimmung des Unterschieds [von Wasser und Sonnenstrahlen] durch ein ursachbedingtes* Erwachen des betreffenden [psychischen] Eindrucks." (sā tu višeṣalakṣaṇāpāṭavāt pratyayāpekṣiņā svavāsanāprabodhena janyate. PVSV 51, 12f.) * D. h. man sieht die Sonnenstrahlen und erinnert sich an die Ähnlichkeit mit Wasser (PVSVT 212, 30f.). 56 maricikādiṣv api hi jaladibhrāntes tav evābhinnākāraparāmarśapratyayanimittänubhavajananau bhāvau kāraṇam bhinnav api. PVSV 50, 4-6. 57 vikalpa eva hy avidya. PVSV 50, 20. Vgl. PVSV 50, 15-51, 5. Übersetzt bei VETTER, Erkenntnisprobleme. 37. 58 Eine andere Quelle für die Falschheit der Begriffe ist natürlich die Wahrnehmung. Ist die Wahrnehmung nämlich durch einen mangelhaften Ursachenkomplex — z. B. durch die Organstörung beim Timira-Kranken — irrig, dann zieht dieser Irrtum in der Anschauung auch falsche Begriffe nach sich, weil die Begriffsbildung in diesem Fall von einer irrigen Anschauung ausgeht. Zum Wahrnehmungsirrtum bei Dharmakirti vgl. L. SCHMITHAUSEN, Mandanamiśra's Vibhramavivekaḥ mit einer Studie zur Entwicklung der indischen Irrtumslehre. Wien 1965, 215.

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