Book Title: Wirklichkeit Und Begriff Bei Dharmakirti
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner

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Page 24
________________ 202 ERNST STEINKELLNER Ansatz in der Praxis: Wahrheit oder Falschheit eines Begriffes erweisen sich in der Praxis des Handelns. Ergibt sich in der Praxis der Zweifel, ob ein Begriff richtig sei, dann ist eine Schlußfolgerung angebracht, ihn zu bestätigen oder zu korrigieren. Besteht aber dieser Zweifel nicht, dann bedarf es auch keiner Schlußfolgerung 84, weil der entsprechende Begriff der Praxis genügt. Ein Begriff kann demnach als gültiger Ausgangspunkt einer Schlußfolgerung dienen, solange er nicht seinerseits durch die Ausweitung der Erfahrung problematisch geworden ist. Als zweites setzt die Schlußfolgerung voraus, daß es zwischen den beiden Begriffen, dem bekannten, dem Grund (hetuḥ), und dem problematischen, der Folge (sādhyam), einen logischen Nexus, eine ,,Umfassung“ (vyāptiḥ) 85, gibt. Dieser Nexus besteht entweder darin, daß der umfassende, umfangreichere Begriff dort, wo der umfaßte, umfangärmere Begriff vorkommt, niemals fehlt, oder darin, daß der umfaßte Begriff nur dort vorkommt, wo auch der umfassende Begriff vorkommt 86. Es ist das Verdienst Dignāgas für die Entwicklung der indischen Logik, den logischen Nexus für Grund und Folge in festen Regeln formalisiert zu haben; Dharmakīrtis Verdienst ist es, die Frage nach dem Grund für den logischen Nexus beantwortet zu haben. Und das Wesentliche seiner Antwort ist, daß er zeigt, daß und wie der logische Nexus auf einer realen Verbindung beruht und bei welchen Begriffen diese Verbindung in der Wirklichkeit gegeben ist. Dharmakīrti betrachtet als Bedingung für den logischen Nexus zweier Begriffe ihre Verknüpfung durch den Svabhāva (svabhāvapratibandhaḥ) 87. Sie ist dann gegeben, wenn beide Begriffe dieselbe Wirklichkeit bestimmen, also das, was der eine Begriff bestimmt, mit dem, was der andere bestimmt, identisch ist 88. Der logische Nexus zweier, Begriffe beruht also auf ihrer realen Identität. 84 „Und einer, der den Zweifel, ob eine Übertragung der Form dieses [fremden Dinges (hier: Nichtfeuer)] vorliegt, nicht hat, würde zur Erkenntnis des [Dinges (hier: Feuer)] keine Schlußfolgerung bemühen.“ (tadākārasamäropasamsayarahitaś ca tatpratipattau na lingam anusaret. PVSV 27, 22f.) 85 Synonym sind „Nicht-ohne-Vorhandensein" (avinābhāvah), ,,feste Zuordnung" (niyamah). 86 vyāptir vyäpakasya tatra bhava eva vyāpyasya vă tatraiva bhāvah. PVSV 2, 12 f. Zur Interpretation der Definition vgl. HB II, 90. 87 ,,Denn wenn eine Verknüpfung durch den Svabhāva vorliegt, verfehlt die eine Sache (der Grund) die (andere) Sache (die Folge) nicht.“ (svabhävapratibandhe hi saty artho 'rtham na vyabhicarati. PVSV 2, 19 f.) Vgl. auch PVSV 8, 12f.: apratibaddhasvabhāvasyāvinābhāvaniyamabhāvāt; PVSV 17, 12: tasmät svabhävapratibandhād eva hetuḥ sādhyam gamayati. 88 ,,Und diese [Verknüpfung besteht] auf Grund der Tatsache, daß [der Grund) das Selbst der [Folge] ist.“ (sa ca tadatmatvāt. PVSV 2, 20f.)

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