Book Title: Anmerkunjen Zu Einer Buddhistichen Texttradition Parlokasiddhi
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner

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Page 6
________________ 84 Die Beantwortung dieser Frage ist leider beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht einfach. Die Anziehung sprachlicher Kriterien zu ihrer Entscheidung ist z. B. fast unmöglich, und zwar aus folgendem Grund: Während es nämlich zwischen der Sprache der religiösen Übersetzungstexte und der der weltlichen originaltibetischen Texte klar erkennbare Unterschiede nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Syntax gibt, sind solche Unterschiede innerhalb der religiösen und gelehrten Texte, seien sie übersetzte oder originaltibetische, nicht oder kaum feststellbar. Man bediente sich auch als Tibeter bei der Abfassung eines Textes dieser Art der nämlichen Sprache, die man von der Welt der übersetzten Texte her als inhaltsentsprechend gewöhnt war. Diese Form der tibetischen Schriftsprache wird gewöhnlich treffend als Chos-skad. (,,Religionssprache“) bezeichnet 14. Es bleiben also die textlichen Kriterien, bei denen ich für unsere Zwecke formale und inhaltliche unterscheide. Sie sind deshalb nicht so eindeutig wie die sprachlichen, weil sie voraussetzen, daß man nicht nur den Text richtig verstanden hat, sondern auch den richtigen Kontext zum Vergleich anziehen kann – dieser ist ja unter Umständen auch überhaupt nicht mehr oder nur noch lückenhaft vorhanden. Daß aber Entscheidungen auf Grund solcher Kriterien möglich sind, möchte ich an Hand der Beurteilung der Glossen zeigen. Es ist nämlich auch bei den Glossen keineswegs von vorneherein klar, daß es sich um eine originaltibetische Arbeit handelt, denn wir kennen auch den Fall, daß Glossen einfach Auszüge aus Kommentaren sind, die ihrerseits übersetzt worden sind. Von den Gründen, die ich für tibetische Autorschaft bei den Glossen anführen kann, sei nur ein Beispiel gebracht, weil es zeigt, wie gerade der Versuch des Glossisten sich besonders traditionell und ,,indisch“ zu geben, sein Tibetertum enthüllt. In der Glosse 4 wird der Terminus mu-stegs-can erklärt, mustegs-can ist die übliche Entsprechung für Skt. tirthika, ein Wort, das im buddhistischen Kontext Vertreter der verschiedenen indischen Religionen bezeichnet, soweit sie nicht Buddhisten sind, und das zum Wort tirtha- „Furt, ritueller Badeplatz, Wallfahrtsort“ gehört. Die im lexikalisch-etymologischen Werk des sGra-sbyor bam-po gñis-pa (= Madhyavyutpatti) erhaltene indische Etymologie des 14 Vgl. SEYFORT RUEGG, loc. cit., 228.

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