Book Title: Anmerkunjen Zu Einer Buddhistichen Texttradition Parlokasiddhi
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner

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Page 16
________________ 94 mundlichen Quellen fur die Seelenvorstellungen der sogenannten tibetischen Volksreligion. Bei aller Unsicherheit konnen wir aber doch wenigstens eine negative Behauptung wagen, die fur unseren Zusammenhang genugt: Es hat im vorbuddhistischen Tibet zwar die Idee von einer vom materiellen Korper verschiedenen und von ihm trennbaren Seele gegeben, aber nicht die Idee eines ewigen Kreislaufs von Leben und Tod, nicht die Idee eines diesen Kreislaufs regulierenden Prinzips, und naturlich schon gar nicht die Idee eines ohne eine Seele moglichen Kreislaufs von Existenzen. Da nun, wenigstens fur die populare Form des Buddhismus, und mit Bezug auf seine gesellschaftsbestimmende Funktion, gesagt werden kann, dass die Durchsetzung seiner Morallehren ohne die Annahme der Ideenkomplexe von der Tat-Vergeltung und der Wiedergeburt nicht denkbar ist, liegt es nahe, hier das Motiv dafur zu suchen, dass die Tibeter unter ihren ersten buddhistischen Originalwerken, auch kleine Traktate uber die Wiedergeburt verfasst haben. Was wir in dem einzigen erhaltenen Beispiel, dem Werk des Prajnasena, vor uns haben, muss dann aber auch mit anderen Augen betrachtet werden. Nicht das einfache und ein wenig ungeschickt organisierte Beispiel eines spaten zusammenfassenden Traktates uber ein Seitenthema der buddhistischen Dogmatik hatten wir vor uns, sondern den einzigen erhaltenen Versuch eines tibetischen Spezialisten, diesen fur die Ausbreitung der Religion in der neuen kulturellen Umwelt wichtigen Vorstellungskomplex gestutzt auf die dogmatische Tradition des indischen Buddhismus zu erlautern. Dann aber verdient dieser Text unsere Aufmerksamkeit in all seinen Aspekten, vor allem aber in seinen Unvollkommenheiten. Denn welche Verstandnissschwierigkeiten und Interpretationsprobleme die Ubernahme der hochentwickelten buddhistischen Ideen- und Begriffswelt in die tibetische Kultur des 8. und 9. Jahrhundert bereitet hat, ist vorzuglich durch die Untersuchung von Texten wie des unseren zu erkennen. Druck: R. Spies & Co., 1050 Wien

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