Book Title: Erich Frauwallner Author(s): J Slauerhoff Publisher: J Slauerhoff View full book textPage 3
________________ Erich Frauwallner N kritik muß eine Wissenschaft der Formen werden“ , hatte Frauwallner die Möglichkeit gewonnen, den einzelnen Text oder Textteil als Moment der historischen Entwicklung, als geistige Gestalt in ihrer Abhängigkeit und Wirkungsgeschichte zu sehen. Charakteristisch für die Arbeitsweise Frauwallners sollte der fast phänomenologische Charakter dieses Erfassens der geistigen Gestalt sein, der durch die grundsätzliche ,,Einklammerung" jeder vom philosophischen Verstand her interpretierenden Deutung grundsätzlich der Philologie verpflichtet blieb. Sein Widerwille gegen Übersetzungen und der Wunsch, alles in der Originalsprache zu lesen, drängten ihn, immer neue für seine Arbeit notwendige Sprachen zu lernen. Hatte sich im Krieg der Wunsch, das Italienische zu erlernen, an einem Band Petrarca-Gedichte entzündet, den der junge Fähnrich in den Trümmern eines Hauses in Udine gefunden hatte - die einzige widerrechtliche Aneignung, die er sich zu schulden habe kommen lassen, wie er scherzhaft meinte-, so entsprang demselben Verlangen nach authentischer Begegnung mit fremdem Sprachgut der Entschluß, jene Sprachen zu lernen, in denen er wichtige Quellen indischer Geistigkeit verfaßt wußte; im besonderen Tibetisch und Chinesisch, in denen im ursprünglichen Sanskrit verlorene Werke ganzer Schulen erhalten waren, ohne daß sie der Geschichtsschreibung indischer Philosophie je systematisch erschlossen worden wären. Noch in den fünfziger Jahren machte sich Frauwallner die Mühe, Japanisch zu lernen, weil er die Arbeiten japanischer Kollegen lesen können wollte. So begann er in einer Zeit, in der die Erforschung der indischen Philosophie, von einigen wenigen Gelehrten abgesehen, kaum betrieben wurde und sich die Kenntnis des philosophischen Denkens Indiens weitgehend nur auf die Schablone-Vorstellung später Doxographen, oder auf einige wenige bekannte, immer wieder behandelte Autoren beschränkte, sich systematisch mit dem ganzen Material auseinanderzusetzen und sich von der Notwendigkeit der historischen Forschung zu immer neuen Schichten führen zu lassen, selbst wenn es sich um Werke handelte, die bisher nicht ins Blickfeld der Wissenschaft getreten waren. Daß sich dadurch die traditionellen Wertungen verschieben mußten, war unvermeidbar. Zunächst standen Untersuchungen an den Texten des Mokşadharma und der älteren Upanişaden im Vordergrund. In ihnen machte Frauwallner den Versuch, die verschiedenen Formen frühesten brahmanischen Philosophierens philologisch zu fassen. Sie bildeten die Grundlage seiner 1928 erfolgten Habilitation als Privatdozent für indische Philologie und Altertumskunde an der Universität Wien. Dann wandte er sich vorwiegend dem Studium der logischen Schule des Buddhismus zu, deren grundle 1 K. REINHARDT, Poseidonius, München 1921, p. 261.Page Navigation
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