Book Title: Bemerkungen Cu Einigen Van Naturbeobuchtung
Author(s): A Wezler
Publisher: A Wezler
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Albrecht Verler Bemerkungen ru einigen von Natur beobachtung Eeugenden Textstellen und den Problemen ihrer Interpretation In seiner jüngsten Arbeit' lenkt Wilhelm Rau die Aufmerksamkeit nicht nur der Fachkollegen w.a. auf die Naturbeobachtung der alten Inder. Grundslit:lich stellt er dazu fest: "Wer die Überlieferung, welchen Inhalts sie auch sei, aufmerksam liest, stößt immer wieder auf Aussagen, die von Naturbeobachtung deugen". Kein Indienphilologe dürfte ihn da vidersprechen; ungevil freilich bleibt, ob andere, durch seine Beschäftigung sit diesen Themenkomplex angestoßen, aus eigenen Leseerfahrungen Einschlägiges so fleißig beisteuern werden, das tatsächlich in nicht allzu ferner Zukunft trotz der außerordentlichen Menge von Material so etwas wie ein "Mosaik als Gesantbild entstehen könnte. Mein eigener sehr bescheidener Beitrag will in erster Linie als ein Versuch verstanden werden, Begriff und Then der Naturbeobachtung! - mehr an konkreten Beispielen als in Form methodologischer Reflexion - zu problematisieren, wobei ich mir durchaus bewußt bin, daß ich weithin allenfalls Fragen explizit stellen kann, die Wilhelm Rau selbst sicherlich nicht übersehen hat. Insofern ich also vor allem explizierend und differenzierend, auf jeden Fall aber mit konstruktiv kritischer Intention an seine Darstellung 1. Saturbeobachtung und Handverkskunst in vorislanischen Indien, (sit rungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main, Bd. XXIII, Nr. 4), Stutt gart 1950. 2. Siche dazu o.C., S. 217 - 07). 3. 0.c., S. 217 (7). 4. Wenn einzelne auch die Fähigkeiten der Inder zur Naturbeobachtung sehr negativ beurteilen; so 2.0. J. von Negelein, der (Der Traunschlüssel des Jagaddeva. Ein Beitrag zur indischen Mantik, Cieben 1912, S. 245) die folgenden törichten Sätze schrieb: "Der ausgeprägte Baunkultus] macht es uns verständlich, warum die Inder so schlechte Naturbeobachter varen: ihr Verstandesleben lag viel zu tief in den Ketten einer danonologischen Furcht, als daß es sich zur freien Naturbeobachtung hätte durchringen können. Die Unterscheidung zwischen heiligen und ominosen Baunen ist der Sanskritliteratur weitaus geläufiger als die zwischen schadlichen und nützlichen POlanzen in wirtschaftlichen Sin ne." 5. Ibiden. Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 322 Albrecht Wezler Natur beobachtungen 323 unmittelbar anknüpfe, darf ich vielleicht hoffen, den Vorwurf zu entgehen, . ich hatte die ungeschriebenen Gesetze gröblich verletzt, welche heute für die Abfassung von Festschrift-Beiträgen zu gelten scheinen. 1. Den Relativsatz (in Relativsatz) in dem obigen Zitat habe ich gesperrt, weil es mir zunichst einmal darauf ankommt, mit Wilhelm Rau zu betonen, dab nicht etwa gewisse, 2.0. religiöse oder philosophische Texte, aus dem Korpus der aufmerksam zu lesenden Quellen ausgeschlossen werden dürfen. Er selbst zögert nicht, auch philosophische Texte heranzuziehen, so wenn er auf das von Unasvati, und zwar Tattvarthadhigamasutra 2.1318.', "entworfene zoologische System" hinweist, "in den er die Tiere nach der Zahl ihrer Sinne ordnete". Dan aber nicht nur hinsichtlich des Textmaterials jegliche Ausgrenzung fehl an Platze wire, sondern die Naturbeobachtung auch gar nicht behandelt werden kann, ohne religiöse Überzeugungen, philosophische Anschauungen und ähnliches zu berücksichtigen, deutet Wilhelm Rau 2.B. dadurch an, daß er unmittelbar anschließend an den soeben zitierten Teilsatz folgendermaßen fortführt: "Dies wird ebenso wie der Glaube an empfindende Gewachse dadurch nahegelegt worden sein, daß nach indischer Überzeugung die Seele im Kreislauf der Wiedergeburten neben Pflanzen- auch Tierleiber zur Wohnung nehmen kann". Es bleibe hier dahingestellt, ob dieser Annahme zuzustimmen ist oder nicht, auf jeden Fall spiegelt sich in ihr die allgemeine Erfahrung wider, dan der zwangsläufig auf Textaussagen angewiesene Forscher kaum 'reinen Satur beobachtungen begegnet, Beobachtungen also, die gänzlich frei wären von "Spekulationen" - ob diese nun "kindlich wirken" oder nicht - dan er es in der Regel vielmehr mit Naturbeobachtungen zu tun hat, die auf komplexe Weise mit Vorstellungen, Überzeugungen usw. verflochten sind, - u.t. sogar, ohne dal er dessen innevird. Auch für diese Verflechtung findet man in den von Wilhelm Rau ausgehobenen Material ein, wie mir scheinen will, recht lehrreiches Beispiel. Denn als "altesten datierbaren Beleg" für die Meinung, daß "auch die Pflanzen Bewußtsein besaben", führt er aus Patanjalis Mahabhisya an: "Nach unten (geneigt) schläft die diripal-Blüte), d.h. Albizzia Lebbek Benth. - Die suvaroaia wandert mit der Sonne herum'." Sieht man von dem engeren und weiteren Kontext der Diskussion zu Pan. 3.1.7 einmal ab - Über den man sich anhand von Thienes Untersuchung bequem informieren kann - und betrachtet man das von Wilhelm Rau erörterte Problen der Identität der suvaroald genannten Pflanze zunächst als gelöst, dann hat man hier zwei fellos cinen Fall, bei dem in den Aussagen selbst Naturbeobachtung und "Spekulation" ineinanderzufließen scheinen. Aber laßt sich der Spekulationsteil hier nicht doch, jedenfalls in abstracto, abtrennen, und tritt dann nicht der in Natur beobachtung bestehende "Kern klar hervor? Kann der Interpret nicht säuberlich scheiden: Die Blüte von Albizzia Lebbek Benth. ist, wenn geschlossen, nach unten geneigt, bzw. Lactuca scariola L. "stellt die Blätter im direkten Sonnenlicht senkrecht in die Nord-Sud-Richtung, so daß die Sonnenstrahlen sie zur Mittagszeit nur im Profil und nicht auf der ganzen Fläche treffen" , - dies waren die Beobachtungen, und an sie geknüpft die "Spekulationen" bzw. Folgerungen 4 . 'Die Blüte des Baumes "schlift" und das Kraut aus der 6. 0.c., s. 224 = (14). 7. Man sollte hier vielleicht noch verweisen auf H. Jacobi. "Einer Jai na-Dogmatik. Umasvatis Tattvarthadhigama-Sutra übersetzt und erläu tert" in: ZDMG 60 (1906), S, 287-325, 512-551, speziell S. 303. 8. Angesichts der Parallelstellen aus kanonischen Texten, die man ange führt findet bei Muni, Sri ātmaranaji, Tattvarghasutra-Jainagama samanvaya, Delhi, Lala Sadirana Gokilacanda Jauhari, 1934 (vgl. dazu auch N. Balbirs Rezension von Robert J. Zydenbos, Moksa in Jainism, according to Umasvati, Wiesbaden 1983 in: JA 272 (1984), p. 4551. - zu der nachgetragen werden könnte, daß das Buch des Muni noch einmal 1936 in Rohtak publisiert vurde, allerdings in Oktay-Format) kann man Umasvati bestenfalls zuschreiben, dieses Systen klar herausgearbeitet bzw. zusammenhangend dargestellt zu haben. Vgl. auch H.-P. Schmidt, "Ancient Iranian Animal Classification" in: Festschrift Paul Thieme zur Vollendung des 75. Lebensjahres dargebracht ... (= STII 5/6), 1980, S. 235 in. 63. 9. Zitiert aus Rau, O.C., S. 217 = (7). lo. Ed. Kielhorn II 15.2.: Siripo 'dhah svapiti / suvarcala adityan anu paryeti /. Die NS-Edition, auf die Rau gleichfalls verweist, liest Serpo 'yam sua, siehe dazu unten S.325. 11. 0.c., S. 223 = (13). 12. "Beseelung in Sprache, Dichtung und Religion" in: Paideuna VII (1960), S. 313-324 - Kl. Schriften, Wiesbaden 1971, S. 374-385. 13. Zitiert aus Rau, O.C., S. 223 = (13). 14. Ersteren Ausdruck gebraucht Rau 0.c., s. 217 = (7); den Folgerungscha rakter deutet er an, indem er (s. 223 = (13)) feststellt: "Also schlafen, sehen und tasten die Pflanzen." Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Naturbeobachtungen 325 Albrecht Verler Fanilie der Korbblütler sieht (und kann deshalb "ait der Sonne herunvander)'? Und bietet es sich dann nicht vie von selbst an, diese Beobachtungen als richtig tu apostrophieren und die Folgerungen als falsch abzutun? Es gibt nun aber einen erst neuerdings leicht tuganglichen Kommentar Lun Mahabhasya, nilich den Mahâbhâsyasiddhantaratnaprakada des Sivaranendrasarasvati, und seine Erläuterungen tu dieser Stelle sind dazu angetan, hier doch Zweifel zu erzeugen, die nicht leicht su serstreuen sind, denn man liest (VI 46.9-11)": kasydroit tithau nahantsi phalopattisamaye dirigo bhānau svapiti / tasmin samaye mahavirera aakalabhutanigrahasamarthena tacadkhap ehittwintya taya paduke kryete eet tdbhydp khesaraganna bhavatiti vadanti / akvarcalti / padhi videaa ya kuundny dditydbhim khány ev sada" bhavanti /. "An einen bestimmten (lunaren) Tag um Mitternacht zur Zeit der Entstehung der Früchte schlift der drip-Baum) auf der Erde. Wenn in dieser Zeit ein großer Meld, der instande ist simtliche Gespenster (?) zu besvingen, einen Ast von ihn abschneidet, sitnimmt und [sich daraus) ein Paar Pantinen machen lot, dann kann) er mit ihrer Hilfe durch die Luft fliegen, - 30 sagt nan. Die Varaald: Die Blüten dieses speziellen Krautes sind ständig der Sonne sugekehrt." Sivaramendrasarasvati ist demnach der Meinung - um mit dem zweiten Beispiel Patanjalis zu beginnen -, daß hier von einer bestimmten Form des Heliotropismus der Blüten einer Pflanze die Rede ist, über deren Identitat er sich allerdings ausschweigt auf eine aus dieser Beobachtung gezogene Schlubfolgerung geht er überhaupt nicht ein, so daß man den Eindruck gevinnen könnte, daß das Element der "Spekulation" bei ihn gänzlich fehle. Ungekehrt führt seine Erklärung des ersten Beispiels so sehr in den Bereich märchenhaft-phantastischer bow. tantrischer oder, wenn man so vill, magischer Vorstellungen, daß man sich fragen mub, ob die Aussage überhaupt noch ron irgendeiner Naturbeobachtung zeugt. Ist es bei seiner Explikation des weiten Beispiels noch möglich, sein Schweigen zu "Spekulationsteil durch die Annahme plausibel zu erklären, daß er diesen durch den Zusammenhang des Mahabhasya selbst für ausreichend klar angezeigt hält, so läßt sich in Hinblick auf seine Paraphrase des ersten Beispiels nicht in analoger Weise argumentieren. Sivaranendra zufolge ist es also der Baun und nicht dessen Blüte, von der gesagt wird, daß er "schlift"; seine Deutung geht zwar von der Lesart diriqo 'yap aus, die Kielhorn zu Recht verworfen hat", sie ist ihn aber ersichtlich nicht erst durch diese eingegeben worden“- und nicht eben schon deshalb als verfehlt beiseitezulegen; grammatisch befriedigt sie insofern nehr, als sie den in den Wörterbüchern verzeichneten Bedeutungsunterschied zwischen diripa "m. der Baua, A. (stets n. nach Siddh.K. 249, 5,5") die Bluthe" (PW) entspricht 4. Ähnlich wird man seine 15. Rau scheint die Richtigkeit für gegeben su halten, denn er benutzt die entsprechende Aussage zur Identifizierung der Pflanze. S. dazu auch unten S. 327. 16. Mahabhasya Pradipa Vyakhyanani, ed. par M. S. Narasimhacharya (Publi cation de l'Institut Français d'Indologie No. 51,6), Pondichéry 1979. In der Handschrift mit den Sigel pa fehlt sada; man hat in der Tat den Verdacht, daß es eine sekundare Explikation des vorangehenden eua darstellt. 18. Da der Baum und nicht die Blüte geneint ist, ergibt sich noch klarer aus den nachfolgenden Sats. 19. Cakrapaņidatta zu Caraka, Sutrasthana 46.262 gibt als Synonym surya varta an, und dies ist laut Meulenbeld (Anhang 1 in R. P. Das! Dissertation Surapalas Vrksayurveda", die 1988 in den Alt- und Neu-Indischen Studien veröffentlicht werden soll) = Cynandropsis gynandra Linné. -20. Der dem oben zitierten Text stück vorangehende pratika lautet: dirigo 'yam svapititi /; 3. aber Anm. 22. 21. Siehe den Apparat zu II 15.2 auf p. 447. 22. Angesichts des von ihm verwendeten Ausdrucks bhiman (avapiti) fragt man sich, ob er nicht docho 'dhah sua gelesen haben könnte. 23. Da sich das PV auf eine mir nicht zugängliche Ausgabe bezieht, meinte ich nach vielfaltigem vergeblichen Suchen aufgeben zu müssen, bis sich Jh. Oberlies (Tübingen) auf den Linganusasana-Anhang zu S.-Kaumudi vervies, und zwar Nr. 94 dort. Es scheint mir sicher, dal Bohtlingk/Roth dieses "sutra' in Auge hatten, wenn in ihn auch strikt genomen nur gelehrt wird, daß eine Reihe von Wörtern, deren vorlet: ter Laut ist, darunter diripa, gegen 'sutra' 93 Neutrum sind. 24. Man beachte aber, was :.3. Mallina tha zu den Ausdruck cute in Kum.s. 1.27 anmerkt, nämlich: Ate utakusume / Cauayave ca pranipratyayasya Lukprakarane (lies: Luppra und vgl. vartt. I tu Pan. 4.3.166, II 327,20), 'puppamilapu barulam' (vartt. 2 zu Pan. 4.3.166] iti paghandl Luk 11. -Am Rande sei notiert, daß für Mallinatha die Blüte einen vikara des Baumes darstellt. Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 326 Albrecht Wezler Explikation des Satzes suvarcala adityam anu paryeti für semantisch überzeugender halten; denn daß das an Lactuca scariola (korrekt heute: serriola) Linné vie anderen sog. Kompaßpflanzen zu beobachtende Phänomen der Ausrichtung der Blätter senkrecht in die Nord-Süd-Richtung in direkten Sonnenlicht, d.h. wenn und solange die Sonne scheint bzw. an höchsten steht, als ein "der Sonne nach Herungehen/Sichbewegen bezeichnet worden sein soll, leuchtet nicht nur auf Anhieb nicht ein. - Nun wird man die Stärke des Arguments, das durch die Erläuterung Sivaramendras gegeben ist, nicht überschätzen, sondern u.a. in Rechnung stellen, daß er (2. Hälfte des 17. Jhdts.25) nahezu 2000 Jahre jünger ist als Patanjali. Freilich müßte man dann annehmen, daß das beobachtete Phänomen, das der Aussage über diriga in Mahabhasya zugrunde liegt, dem erheblich jüngeren Kommentator nicht (mehr) bekannt var oder aus irgendwelchen Gründen von ihn durch seine phantastische Deutung ersetzt wurde, obwohl der so bezeichnete Baum in ganz Indien verbreitet ist. Daß Bäume in dem von. Sivaranendrasarasvati explizierten Sinne "schlafen", muß als ausgeschlossen gelten Geht man aber davon aus, daß Skt. iriga als Albizzia Lebbek 27 Bentham richtig identifiziert ist, und diese Annahme nacht auch Wilhelm Rau, dann kann man sich mit der Deutung, Patanjalis Aussage beziehe sich auf die Blüte dieses Baumes, deshalb nicht befreunden, weil von einer nach unten gerichteten Schlafstellung seiner gelben Blütenstände 26 25. Gemäß P.-S. Filliozats, "Introduction" zu: Mahabhaşya Pradipa Vyakhyanani, Adhyaya 1 Pada ahnika 1-4, ed. par M. S. Narasimhacharya, Pondichéry 1973, p. XIII.. 26. "The praying palm tree" von Faridpur, der "lay down in the evening when the temple bells called the people to prayer and again, in the morning stood erect" und von dem Sir Jagadish Chander Bose in einem Vortrag in Januar 1918 berichtete (s. z.B. Sir Jagadish Chander Bose. His Life, Discoveries and Writings, Madras (G. A. Natesan and Co.) o.J., p. 33 and 143ff.) war gewiß ein einmaliges botanisches Kuriosum. 27. In den Wörterbüchern findet man noch die alte Bezeichnung Acacia Siris sa Buch.; zu den Synonyma vgl. G. J. Meulenbeld, The Madhavanidana and its chief commentary..., Leiden 1974, p. 603. Naturbeobachtungen 327 30. nichts bekannt ist 25, Beobachtet wurde? 29 an ihm jedoch ein anderes Phänomen, daß sich nämlich seine Fiederblättchen in Schlafstellung senken, und man wird deshalb dafürhalten, daß Patanjali eben diese Erscheinung meint. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einen Verweis G. P. Majumdars aufzugreifen. In einem bestimmten logiktheoretischen Zusammenhang führt Dharnottara in seinen Kommentar zu Dharmakirtis Nyaya bindu das Beispiel an31: cetands taravaḥ svapád, "die Bäume sind cetana, weil sie schlafen", und benerkt anschließend, daß "der in Sich-Zusammenziehen der Blätter charakteristisch bestehende Schlaf in einem Teil [des Subjekts des Schlusses, d.h. der Bäume] nicht vorkommt" (... pattrasankoca lakeaṇaḥ svapa ekade se na siddhaḥ), "denn nicht alle Bäume weisen das Sich-Zusammenziehen der Blätter in der Nacht auf, sondern nur einige/gewisse" (na hi sarve vrksă râtrau pattrasa kocabhájaḥ kim tu kecid eva) 32. Dem buddhistischen Erkenntnistheoretiker war also bekannt, daß bestimmte Bäune nachts schlafen und diese Feststellung sich auf die Beobachtung stützt, daß sich ihre Blätter "zusammenziehen". Da Albizzia Lebbek Bentham zu dieser Gruppe gehört, muß es als sehr wahrscheinlich gelten, daß auch Patanjali eben dieses Phänomen einer auffälligen Schlafstellung im Auge hatte. Was aber die suvarcala genannte Pflanze angeht, so scheint mir die folgende Argumentation noch am plausibelsten: Liegt der Aussage bei Patanjali keine 'Naturbeobachtung zugrunde oder eine, die sich als solche nicht direkt herausdestillieren läßt, dann taugt sie nicht zur Identifizierung, kann umgekehrt allenfalls dann verstanden werden, wenn die suvarcală aufgrund anderer Quellen identifiziert worden ist, - ob dabei nur ein Aquivalent oder deren mehrere gefunden werden. Unterstellt man andererseits, daß von Patanjali eine tatsächlich beobachtete Erscheinung verbalisiert 29. 30. 29. Ich stütze mich hier und in folgenden auf Auskünfte, die mir Herr Dr. Heinrich Nothdurft, Hauptkustos am Institut für Allgemeine Biologie und an Botanischen Garten der Universität Hamburg, freundlicherweise gegeben hat und für die ich ihm auch an dieser Stelle herzlich danken möchte. Von Gärtnern des Botanischen Gartens in Hamburg. Vanaspati. Plants and Plant-Life in Indian Treatises and Tradition, Calcutta 1927, p. 49. 31. Pandita Durveka Miśra's Dharmottarapradipa (Tibetan Sanskrit Work Series Vol. II), ed. by Pdt. Dalsukhbhai Malvania, Patna 1955, p. 92 1. 7. 32. Durveka Misra expliziert: tintiḍikaprabhṛtayah. Zu tintiḍíká s. R. P. Das, o.c. (Anm. 19) Vers 253 Anm. 3. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 328 Albrecht Wezler Naturbeobachtungen 329 wird, dann wäre für die Identifizierung von dem austugehen, was über die Pflanze ausgesagt wird; und bis zum Beveis des Gegenteils kann dies, 30 meine ich, nur dahingehend verstanden werden, daß Heliotropismus in spesiellen Sinne des Wortes gemeint ist, also eine phototropische Bewegung uit der Sonne im Laufe eines Tages. Insofern ist Vilheln Rau beizupflichten, wenn er die Identifisierung von suvareala als Polanisia icosandra W. et A. (= Cleome viscosa Linné, die heute geläufigere Bezeichnung mit dem Argument ablehnt, daß diese "keine heliotropen Eigenschaften" hat. Die Ausdrucksweise Patanjalis verbietet es m. E. aber, dann nach einer Pflanze zu suchen, die einen beliebigen auffiligen Phototropismus zeigt. Deshalb überzeugt der Vorschlag nicht, nan könne cher an Lactuca serriola Linné denken. Ich vernag meinerseits keine Lösung anzubieten, achte aber beiläufig noch ervahnen, daß Helianthus annuus Linné, die Sonnenblune, aus Mittelamerika stannt und erst mit den Europäern nach Indien gelangt sein kann, und das Oynandropsis gynandra Linnea Cleone gynandra Linné, 50 die heute übliche Bezeichnung) nach meinen Informationen ebenfalls nicht heliotrop ist Singh und Chunekar allerdings behaupten, daß Gynandropsis gynandra "... can be called Suryavarta or Surya bhakta due to the behaviour of its leaves in orienting their position with the movement of Sun". Ven soll man nun glauben, und last sich überhaupt eine Entscheidung treffen, ohne da san selbst zu Beobachter vird? ten Gebiete verschiedener naturwissenschaftlicher Facher - außerdem noch andere Gründe für sie verantwortlich sind. In Frage kane da in erster Linie der Begriff und das Phänomen der (Natur-)Beobachtung selbst. Schon aus der Keise, wie dieser Ausdruck in der Alltagssprache gebraucht werden kann (zufallige, einmalige, viederholte Beobachtung usw., "guter, geschulter, scharfer. genauer Beobachter" usw. usw.), laßt sich ableiten, daß es - gans unabhängig vom Gegenstand - qualitativ sehr unterschiedliche Formen von Beobachtung gibt. Sich dies in Erinnerung zu rufen und gegenwärtig zu halten, ist auch dann sinnvoll, ja letztlich notwendig, wenn das Textmaterial - wie es ja nur zu häufig vorkonnt - gar nicht erlaubt, die Art der bezeugten Beobachtung niher zu bestimmen: Spätestens bei der Wertun der jeweiligen Beobachtung, bei der man auch kaum nit den Kategorien "richtig und falsch" auskonnen dürfte, wird man dann mit der Behutsankeit vorgehen, die w.a. aus diesen Grund eben dringend geboten erscheint. Beobachtet, um einer Erkenntnis willen aufmerksan betrachtet wird aber namentlich von Wissenschaftlern, und demzufolge gilt die Beobachtung auch als Crundlace säntlicher Erfahrungswissenschaften. Deshalb bietet es sich an, vor allem in wissenschaftstheoretischen Werken Auskunft über den Begriff Beobachtung einzuholen. Stark vereinfachend heißt es da etwa": "Man beobachtet Tatsachen in der Erfahrungswelt, so wie sie sich eben der Wahrnehmung darbieten, und hält sie fest, inden man seine Beobachtungen aufschreibt oder aufreichnet"; und man erfährt des veiteren, das die Aufteichnung von Beobachtungen Protokoll und die in dieses Protokoll stehenden Sätze bzw. Aussagen daher Protokollsätze bzw. Protokollaussagen genannt werden, die es gelte, so richtig und genau wie möglich zu formulieren". "Hinsichtlich der logischen Natur der zur Basis der Erfahrungserkenntnis gehörenden Aussagen gehen die Ansichten der Philosophen und Wissenschaftstheorektiker aber "veit auseinander", und in Zusannenhang 2. Nun sind die mannigfachen und teilweise intrikaten Probleme, welche diese ivet sitschen aus dem Mahabhasya involvieren, wie gesagt, keinesvegs singular, sondern ungekehrt gerade typisch. Insofern bieten sie Anlab zu überlegen, ob die Schwierigkeiten, mit denen der Philologe nahezu auf Schritt und Tritt zu kämpfen hat, wenn er sich mit von 'Natur beobachtung zeugenden Aussagen beschäftigt, denn ausschließlich durch den Charakter seines Textmaterials bedingt sind oder ob nicht - abgesehen auch von den nicht ganzlich risikofreien Expeditionen in die gewohnlich veniger bekann 37. H. Seiffert, Einführung in die Vissenschaftstheorie 1. Sprachanalyse - Deduktion - Induktion in Natur- und Sozialwissenschaften (Beck'sche Schwarze Reihe Bd. 60), München 1969, S. 138. 39. H. Seiffert, 0.c., 1.c. 39. Zitiert aus V. Stegnüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung (Kröners Taschenbuchausgabe Bd. 308), Stuttgart 1963, S. 446. 33. Vgl. Meulenbeld, 0.c., p. 577. 34. Dies ist die Identifikation von surydvarta, 3.0. Anm. 19. 35. S. Anm. 28. Die Blüte öffnet sich abends und ist am folgenden Morgen schon verblüht. 36. Balwant Singh/K. C. Chunekar, Glossary of Vegetable Drugs in Bhattra yi (The Chowkhanba Sanskrit Studies Vol. LIIXLI) Varanasi 1972, p. 441. Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Albrecht weer Satu beobachtungen 331 danit verden teilweise auch andere Ausdrucke ("Beobachtungssätze", "Basissatse") bevorzugt. Für den Indologen stellt sich zunächst jedoch die simple Frage, ob er Aussagen in seinen Texten, sofern sie von Naturbeobachtung zeugen, überhaupt als Protokollaussagen oder Ihnlich bezeichnen darf. Auch damit gibt er sich nicht einer intellektuellen Spielereihin, vertut er seine Zeit nicht mit den Jonglieren von Begriffen, sondern seine Aufmerksankeit wird auf nachdrückliche und sehr förderliche Weise auf eine durchaus zentrale Frage gelenkt, die nämlich nach den Status und Charakter der fraglichen Textaussagen - auch wenn diese allenfalls in einen weiteren, in Grunde aber schon uneigentlichen Sinn "Protokollaussagen" darstellen - und vor allen nach den Verhältnis, in den diese Sätze zu den - nehmen wir an: richtig postulierten - ursprünglichen Beobachtungen stehen. Auf das Problem dieser Relation stößt der Interpret oft schon, wenn er noch un das Verständnis des reinen Wortlauts ringt (s.0.). Nun hat es den Anschein, als sei gerade diesen Probleno von den Wissenschaftstheoretikern bisher kaun Beachtung geschenkt worden, mit einer wichtigen Ausnahme freilich, Paul Feyerabend. Ihm folgend soll zunächst einnal festgehalten werden, da die Produktion einer Beobachtungsaussage "aus svei ganz verschiedenen psychologischen Ereignissen" besteht: "1. einer klaren und eindeutigen Wahrnehmeng" - man möchte ergänzen: in der Regel mittels des Gesichtssinnes und von Vorgängen - "und 2. einer klaren und eindeutigen Verknüpfung zwischen dieser Wahrnehmung und gewissen Tei len der Sprache", durch die "die Wahrnehmung zum Reden gebracht" wird" Durch die Qualifikation der Wahrnehmung als "klar und eindeutig" sollen offensichtlich (optische) Täuschungen, Verzerrungen, Kontraste, Verdeckungen, Ergänzungen und ähnliche Phänomene ausgeschlossen werden, - mit deren Existens natürlich auch bei indischen "Naturbeobachtern zu rechnen vare. Die Berlegung dieses Vorgangs ist laut Feyerabend aber nur abstrakt möglich: "Cnter gewöhnlichen Umständen" "liegen nicht zwei Akte vor - die Wahrnehmung einer Erscheinung und ihr Ausdruck mittels der entsprechenden Aussage -, sondern nur einer, nämlich daß man in einer bestinnten Beobachtungssituation sagt oder denkt oder feststellt, > der Mond folgt mir oder > der Stein fallt auf geraden Wege zu Boden ." "Die Beschreibung einer bekannten Situation ist für den Sprecher ein Ereignis, bei den Aussage und Erscheinung fest aneinanderkleben", wobei sich diese Einheit aus einen Lernvorgang ergibt, der schon in der Kindheit beginnt". Feyerabend vertritt nun die höchst benerkenswerte These, dal "Beobachtungsaussagen, experimentelle Ergebnisse, entweder theoretische Annahmen enthalten oder sie durch die Art ihres Gebrauchs machen, und erweist sie u.a. anhand von wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen. 12. 0.c., S. 95f. 43. Vgl. 0.c., S. 36 sovie M. Stadler/F. Seeger/A. Raeithel, Psychologie der Wahrnehmung (Grundfragen der Psychologie), München 1977, s. 1o. 11. 0.c., s. 92. Feyerabend entwickelt seine These anhand einer vissen schaftsgeschichtlichen Untersuchung su Galilei; die Überschrift des entsprechenden (6.) Kapitels lautet: "Als Beispiel für einen solchen Versuch" (nämlich, "die Grundsätze aufzudecken, die in den üblichen Beobachtungsbegriffen stecken ...", s. Überschrift von Kapitel 5) "betrachte ich das Turnargument, mit dem die Aristoteliker der Erdbevegung viderlegten. Es enthält natürliche Interpretationen - Vorstellungen, die so eng mit Beobachtungen verbunden sind, daß es besonderer Anstrengung bedarf, ihr Vorhandensein zu erkennen und ihren Inhalt zu bestimmen. Galilei ermittelt die natürlicher Interpretationen, die Kopernikus behindern, und ersetzt sie durch andere." - Zur Kritik an dieser These Feyerabends s. Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends hrsg. von H. P. Duerr, 2. Bd. (edition suhrkamp 1068) Frankfurt 1981, s. 15911. und 2981f.Feyerabends Entgegnung s. 0.C., 5. 327ff. 45. 0.c., s.45. Zu der "importance of previous experience and learning in perception", auf der Feyerabend hier argumentativ aufbaut, vgl. 3.. R. L. Gregory, Eye and Brain, the psychology of seeing, London 1979, p. 179, 189-218 u. 224. 46. 0.c., S. 36. 40. Von der bewußten oder unbewußten Beeinflussung des beobachteten Lebeve sens durch den Beobachter wird hier abgesehen; vgl. dazu 2.B. Hediger, Tiere verstehen. Erkenntnisse eines Tierpsychologen (dtv Sachbuch 10222), München 1984, s. 33, 112ff., 142., 151. 41. Wider den Methodenzwang (sty 597), Frankfurt 1986. - Man vgl. aber auch das Einstein-Zitat: F. v. Kutschera, Wissenschaftstheorie II (UTB 198), München 1972, S. 489: "Nach meiner Überzeugung muß man sogar viel mehr behaupten: die in unseren Denken und in unseren sprachlichen Außerungen auftretenden Begriffe sind alle - logisch betrachtet - freie Schöpfungen des Denkens und können nicht aus den Sinnes-Erlebnissen induktiv gewonnen werden. Dies ist nur deshalb nicht so leicht zu merken, weil vir gewisse Begriffe und Begriff-Verbindungen (Aussagen) gewohnheitsalbig so fest mit gewissen Sinnes-Erlebnissen verbinden, daß wir uns der Kluft nicht bewußt werden, die - logisch unüberbruckbar - die Welt der sinnlichen Erlebnisse von der Welt der Begriffe und Aussagen trennt ...". ihr vorhandenseaturlichen Interpretat gur Kritik an gen) das wir uns elt der Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 332 Albrecht Wezler Die "Vorstellungen, die so eng mit Beobachtungen verbunden sind, daß es besonderer Anstrengung bedarf, ihr Vorhandensein zu erkennen und ihren Inhalt zu bestimmen 47, "jene geistigen Operationen, die sich so eng an die Sinne anschließen 48. ..., daß eine Trennung nur schwer möglich ist", nennt er vielleicht nicht ganz glücklich 49 "natürliche Interpretationen", spricht aber auch von "ideologischen Bestandteilen unserer Erkenntnis, insbesondere unserer Beobachtungen" 50 und ergänzt, daß sie in der Geistesgeschichte "entweder als apriorische Voraussetzungen der Wissenschaft betrachtet" wurden, "oder aber als Vorurteile, die zu beseitigen sind, ehe eine ernsthafte Untersuchung einsetzen kann."51 Wenn es auch nicht möglich ist, diesen Gedanken Feyerabends hier weiter nachzugehen, so darf doch dies als vorläufiges wichtiges Ergebnis notiert werden: Die Schwierigkeiten, von denen oben (S. 328) die Rede war, liegen höchstwahrscheinlich nur zum Teil in Charakter des Textmaterials selbst; daneben ist gewiß mit Schwierigkeiten zu rechnen, die ganz allgemein 'Beobachtungsaussagen als solchen eignen und dadurch bedingt sind, daß mit den beobachteten Erscheinungen "natürliche Interpretationen" so eng verbunden sind, daß sie von demjenigen, der eine Aussage über seine Wahrnehmung macht, nicht als besondere Annahme empfunden werden. Daß die Texte, in denen von Naturbeobachtung zeugende Aussagen begegnen, nicht nur aus einer anderen Zeit stammen, sondern auch aus einer frenden Kultur und Geisteswelt, kann, aber muß dem Philologen nicht notwendig die Aufgabe erleichtern, das Vorhandensein "natürlicher Interpretationen zu erkennen und ihren Inhalt zu bestimmen. Allfällige "ideologische Bestandteile" indischer Naturbeobachtungsaussagen unter den Begriff "Spekulation" subsumieren zu wollen, wäre widersinnig, weil auf alle Menschen zutrifft, daß sie nicht nur lernen können, "die Welt genau so zu sehen, wie sie durch die Beschreibungen dargestellt wird", sondern auch, 47. 0.c., S. 89; s. Anm. 44. 48. 0.c., S. 94, zitiert aus Francis Bacon, Novun Organum, Einleitung. 49. Denn sie sind ja u.a. gerade durch die Überlieferung einer Kultur und die Erziehung eines Individuums gesetzt, "natürlich" also allenfalls in den Sinne von "selbstverständlich erscheinend und nicht reflek tiert". 50. 0.c., S. 99. Es heißt dort außerden: "Sie werden auf kontrainduktive Weise entdeckt." 51. 0.c., S. 94. Naturbeobachtungen 333 daß ihre "Fähigkeit zum Denken und Wahrnehmen beseitigt würde", wollte man alle "natürlichen Interpretationen" beseitigen 52. Aber auch Gedanken, die von Indern auf der Basis von 'Beobachtungsaussagen entwickelt wurden, sollte man vielleicht doch nicht einfach als "Spekulation" abstenpeln, und nicht nur deshalb nicht, weil es sich dabei um eine wertende begriffliche Kategorie, die von außen an das indische Material 53 herangetragen wird, und damit also um eine 'etische"" Vorgehensweise handelt. Bei von Naturbeobachtung zeugenden Aussagen sind zwei Arten von 'Verflechtungen zu unterscheiden: die enge Verbindung zwischen Wahrnehmungen und "natürlichen Interpretationen" einerseits und die Beziehung zwischen 'Beobachtungsaussagen und Sätzen, die dazu dienen, das Beobachtete zu erklären, also Hypothesen, wie wir sagen würden, andererseits. 3. Im Zusammenhang dieser mit dem Begriff 'Naturbeobachtung selbst gegebenen Problematik, aber auch in manch anderer Hinsicht verdient ein Textstück erneute Kenntnisnahme, das nicht nur von Seal an jener Stelle. 54 seines Buches" zitiert wird, auf welche Wilhelm Rau gelegentlich der Erwähnung der Vorstellung von schlafenden, sehenden und tastenden Pflanzen verweist, sondern auf das auch ganz allgemein inner dann Bezug genommen zu werden pflegt, wenn die Anschauung der Inder belegt werden soll, daß "die Pflanzen tatsächlich beseelt sind und eine Sinnestätigkeit auszuüben. vermögen" 56. So begegnet man ihm, um nur zwei Zufallsfunde zu nennen, übersetzt in von Glasenapps "Der Hinduismus "57, und Hacker5 verweist auf 58 52. Zitiert aus "Über die Methode. Ein Dialog" von P. Feyerabend, in: Unter dem Pflaster liegt der Strand, Bd. 3, Berlin 1981, S. 127 bzw. aus o.c., S. 97. 53. Vgl. den Überblick bei René Gothóni, "Emic, etic and ethics. Some remarks on studying a 'foreign' religion", In: Proceedings of the Nordic South Asia Conference held in Helsinki, June 10-12, 1980, ed. by A. Parpola, Helsinki 1981, pp. 29-41. 54. Brajendranath Seal, The positive sciences of the ancient Hindus, London 1915 (Nachdrucke: Delhi/Varanasi/Patna 1958, 1985), p. 176. 55. 0.c., p. 233 (13), Anm. 27. 56. Zitiert aus von Glasenapps "Hinduismus", s. Anm. 57. 57. Der Hinduismus. Religion und Gesellschaft in heutigen Indien, München 1922, S. 62f. 58. "Two Accounts of Cosmogony". In: Jñanamuktavali. Commemoration Volume in Honour of Joh. Nobel, ed. by Claus Vogel, New Delhi 1963, p. 86 = Kleine Schriften, hrsg. von L. Schmithausen, Wiesbaden 1978, S. 398. Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 334 Albrecht Wezler Naturbeobachtungen 335 "Mbh. 12.184-59 anlablich der Besprechung des Verses Manu 1.499, dessen vesentlichen Inhalt er mit den Worten "plants have consciousness" viedergibt. Das fragliche Textstück steht also in Mokşadharna und bildet dort einen Teil des "Gesprächs zwischen Bhrgu und Bharadvaja". Es wurde sonit bereits 1922 von Deussen - und Straub - übersetzt und zuletst, venn ich recht sehe, von Frauvallner behandelt. In seiner alteren Untersuchung des gesamten "Gesprächs" (Mbh. 12. 182-187) geht Frauvallner aber auf den hier interessierenden Teil gar nicht ein. Eine Bemerkung, die er macht, nämlich "Wir finden hier" (d.h. in den alten Teilen des Gesprächs) "wenig Material, denn die metaphysischen Probleme treten vor naturvissenschaftlichen Fragen Fans zurück", erklärt, warum die entsprechenden Verse unberücksichtigt blieben. An Frauvallners Einschätzung der philosophischen Bedeutung scheint sich auch spliter nichts geändert zu haben: Er spart es svar bei der Besprechung der Philosophie des Epos in seiner "Geschichte der indischen Philosophie nicht mehr aus, rechtfertigt sein Eingehen auf das "Gespräch als Kantes bezeichnenderveise aber in einer eingehenden Erklärung "Dieser Text ist eines der verhältnismäßig seltenen Beispiele eines cher naturwissenschaftlich gerichteten Interesses. Er hat also rein philoso phisch nicht so viel zu bieten. Da aber ahnliche Fragen auch verschiedentlich, in den philosophischen Systemen behandelt werden, verdient er hier besprochen zu werden. Gleichzeitig gibt er mit den in ihn aufgeworfenen Fragen und den gebotenen eigenartigen Lösungsversuchen eine willkonnene Ergänzung des Bildes von der Gedankenwelt der damaligen indischen Denker." Ob man nun Frauvallners Philosophie-Begriff übernehmen will oder nicht, es liebe sich eine ganze Reihe von Gründen dafür vorbringen. daß eine erneute Behandlung - jedenfalls des Teilstücks - an der Zeit ist. Diese reichten von der dank der kritischen Mbh. -Ausgabe veranderten philologischen Ausgangslage bis hin tur ideengeschichtlichen Würdigung - und aktualisierenden Konfrontation mit ähnlichen Gedankengut aus den Westen - die u.a. unter den Eindruck der Unwelt-Problematik heute doch ganz anders ausfallen dürfte. Das Nötige im Rahmen dieses Beitrags zu leisten, ist nicht möglich. Ich werde mich deshalb in wesentlichen darauf beschränken, das Teilstück in der Forn tu zitieren, wie es in der Poona-Ausgabe konstituiert ist, und auf einige Mitverständnisse hintuveisen, denen Deussen/Straub- und, ihnen folgend, auch Frauvallner - erlegen sind. Mit "Textstück" sind die Verse 10-18 des Adhyaya geneint, der in der kritischen Ausgabe die Nummer 177 trägt. Unmittelbar voran gehen vier verse, in denen Bharadvaja - unter Angabe von Gründen - bestreitet, das die Pflanzen (athavara) - ebenso wie die Tiere und Menschen (agama) - aus den fünf Elementen (Ather, Wind, Feuer, Wasser und Erde) gebildet sind Eine zentrale Voraussetzung seiner Argumentation ist dabei die von Bhru - venn auch nicht mit der nötigen Explisitheit - vorgetragene Ansicht, dan 59. Diese Angabe bezieht sich auf die Bombayer Ausgabe, der auch Deussen Strauß und Frauvallner w.a. folgten. 60. Siehe dazu meinen Aufsatz "On the tern antahaarfria", der in der R. O. Bhandarkar 1 Soth Birth Anniversary Special Number der ABORI erscheinen soll. - Schon die Kommentatoren zu M. 1.49 verweisen freilich auf diese Mahabharata-Stelle, die in Indien selbst offensichtlich schon so etwas wie ein locus classicus gevorden ist. 61. Vier philosophische Texte des Mahabharatam .., Leipzig 1922, s. 1 Soff. 62. "Untersuchungen run Mokşadharna: Die nicht-sankhyistischen Texte". In: JACS 45 (1925), pp. 51-67 - Kleine Schriften, hrsg. von G. Oberhammer und E. Steinkellner, Wiesbaden 1982, S. 38-54. L.C., P. 62 - S. 49. Wichtig ist allerdings Frauvallners Feststellung (p. 60 = S. 47), dal überhaupt ... der ganze Hauptteil (183-187) nichts" zeigt, "was auf samkhyistischen Einflu hinweisen würde, auber wenigen Versen, deren Art sie deutlich als Zusatz kennzeichnet", wobei er anschließend plausibel macht, daß es "den Interpolator nur darauf ankan, durch eine ganz außerliche Identifikation eine frende Lehre mit seiner eigenen gleichzusetzen" - eine Erscheinung, für die Hacker später den problematischen Begriff Inklusivismus' geprägt hat. 64. Bd. I, Salzburg 1953, s. 124. 65. Vgl. auch o.c., S. 127. 66. parleabhir yadi bhutare tu yuktan sth varajargandh / sthavardan na drdyante darire partea dhatavah // 6 aruandin acestándin ghandnar caiva tattuatah / vrkpdndip nopalabhyante darire parica dhatavah // 7 na & panti ne padyanti ma gandharassevinah / na od sparsam vijananta te kathan parleabhautikah 1/8 adravatud anagnituid abhaumatudd aváyutan / akadaaydprameyat vad urkpdndy násti bhaut ikam // 9. 67. S. 12.177.5: ity etaih paricabhir bhutair yuktar sthavara jangan / Srotro ghranan rasa apardo drstid cendriyasalita 11. Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Albrecht Wezler Naturbeobachtungen die Elemente in den Lebewesen auch zu den Sinnesorganen werden. (die in der gewohnten Fünfzahl angenommen werden) . Strittig ist also, ob die Pflanzen ihrerseits aus den fünf Elementen bestehen, und damit zugleich, ob sie folglich auch über fünf Sinnesvermögen verfügen. Bharadvaja entgegenet nun: ghananan api vpkpanan akado'sti na sadayah / tepar puppaphale vyaktir nityam samupalabhyate // 10 prato glänaparnandin tuak phalar puppam eva ca/ mlayate casua oftena sparsaa tenátra vidyate // 11 viyvagnya dan inispesai phalapu par vidiryate / drotrena hyate sabdas tasnie chrnuante pddapah // 12 valli ventayate vpkpap sarvatas caiva gacchati / na hyadrated ca mirgo 'sti tasnit payanti padapah // 13 punyapuyais tathd gandhair dhupaid ca vividhair api / arogdh puppita santi tasmij jighranti pddapah // 14 padaih salilapanam ca vyadhinan api dardanam / wyddhipratikriyat vác ca vidyate raaanam drume // 15 waktrenotpalandlena yathordham jalan dadet/ tatha pavanasamyuktah padaih pibat padapah // 16 grahanat sukhadunkhasya chinnasya ca virohadt/ jivam pafyumi vrkpañan acaitanyom na vidyate // 17 tena taj jalam adattan jarayaty agrimarutau / dharaparinando ca sneho vrddhis ca jayate // 18 keines weiteren Nachweises." Er fährt fort mit Bezug auf Vers lo: "Das Vorhandensein des Äthers ergibt sich daraus, daß die Pflanzen stets die Möglichkeit besitzen, Blätter und Blüten zu entfalten. Es nub also Äther vorhanden sein, der ihnen Raun çevährt. Bei diesen beiden Sätzen stutst man denn doch. - und selbst wenn man den Text noch gar nicht eingesehen hat. Sie sollte denn jemand verneinen, mit der Beobachtung, dan den Bäumen in diesem Sinne Huberlich "Raun gewährt wird, - falls Frauvallner wirklich das sagen will - argumentativ die These stützen zu können, daß das Element Äther in ihnen vorhanden ist? Wenn es dies ist, was in Vers lo erviesen werden soll - und das es dies ist, daran libt der Kontext jedenfalls nicht den geringsten Zweifel -, dann mub Bhrgu doch ein Argument anführen, aus den zumindest abzuleiten ist, daß auch in Bäumen das vorhanden ist, als was er ákada zuvor (177.4) selbst erklärend bestimmt hat, nämlich kha, Hohl-) Raun" bzw. "Hohlräume"; die Argumentation sollte auberdem derjenigen hinsichtlich der "beweglichen" Lebevesen entsprechen, und bei diesen wird klärlich auf Hohlräume im Korper, und zwar Ohr (Gehörgang), Nase, Mund, Herz und Leibeshöhle verwiesen. Es dürfte außerden kaum zweifelhaft sein, daß Bhrgu in der Tat auch so, wie zu erwarten steht, argumentiert und Vers lo zu übersetzen ist: "Die Bllune haben obwohl sie fest (d.h. massiv) sind (d.h. den Anschein nach keine Hohlräume enthalten) (vie du gesagt hast''). [doch) Äther (d.h. Hohlraune), (daran gibt es keinen Zweifel. An ihren Blüten und Früchten wird das Sich-Zeigen (des vorhandenseins von Hohlräumen in ihnen) innerdar wahrgenonnen."** "Was das Vorhandensein aller Elemente in den Pflanzen betrifft" - führt Frauvallner, das Fehlen einiger Argumente in dieser Reihe gevib richtig deutend, aus -, '50 bedarf das Vorhandensein von Erde und Wasser il. Vgl. 12.177.22: drotraw ghránam athaayam ea hidayam koetham eua ca/ dkádat praninam ete sartre parica dhatavah 11. 72. Nanlich in 12. 177.7, 5.0. Ann. 66. Eine Reihe von Handschriften liest phalair, und es ist in der Tat kaus möglich, zwischen dieser Lesart und phale zu entscheiden: Der Instrumental wirkt univerständlicher, andererseits ist das singularische Dvandva gebräuchlicher. Erst nachträglich konnte ich C. P. Majumdars Buch (s.o. Ann. 30) einsehen, wo (p. 56) unter Berufung auf "Kaliprasanna Singha's translation" des Mbh. ins Bengalische (welche der verschiedenen in Calcutta erschienenen Ausgaben (s. Catalogue of the Library of the India Office, Vol. II Pt. IV. Bengali Books by J. F. Blumhardt, London 1923, p. 1701.] gemeint ist, wird nicht klar) der gedankliche Inhalt dieses Verses richtig so wiedergegeben ist: "Brahman, we cannot indeed perceive the existence of ether in them through the naked eye because they are solid (ghanibhita), but when we ponder over the fact how 68. Zitiert aus Frauvallner, o.c., S. 125. 69. Vgl. die Ausdrücke tala- bzw. vajrani pepa. 70. 0.c. (Ann. 64), S. 120. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 338 Albrecht Vezler Naturbeobachtungen Es ist zuugeben, daß die Lesung der von Deussen/Straub benutzten Bombayer Ausgabe puspapha lavyaktir, die vielleicht tatsichlich sekundar ist, das, was der Verfasser sagen will, eher verhüllt. Aber selbst wenn man ihr folgte, behielten die obigen Argumente gegen Deussens und Frauwall ihre Gültigkeit. Meine eigene Deutung bedarf deshalb kaun weiterer Rechtfertigung. Trotzdem seien noch einige Bemerkungen an sie angefügt. Sie deckt sich mit der des Konmentators Arjunamisra, der zu diesem Vers anführt: hanand apti/adr dyandechidranan api vpkpandir taddhat uprabhauapha lapuspaderland antaneamedro ati vdyoh/ tasya aduakadap vini na sambhava ity anumitanumánan kadaprakdakan /. "Bei den Blumen gibt es, obwohl sie massiv sind, ein Sich-darin-Bewegen des Windes, weil nan Früchte und Bluten (an ihnen) wahrninnt, deren Ursache dieses Element (d.n. das Element Vind) ist. Und dieses (Sich-darin-Bewegen des Windes) ist ohne Raum (d.h. ohne aus Äther bestehende Hohlräume) nicht möglich. Somit 18 (diese Argument als ein Schlub, bei dem aus etwas (seinerseits schon) durch Schlubfolgerung Erkannten (auf etwas Weiteres gefolgert wird, (das Vorhandensein des Elenentsj Ather erkennen. Und das Arjunamisras Erläuterungen, abgesehen von der Bestimmung des Schlusses als anumitundna, durchaus als philologisch-historisch zutreffende Interpretation gewertet werden dürfen, wird alsbald noch plausibler verden. Kein Zweifel dürfte es auch sein, daß schon der Opponens (vgl. 177.6 gegenüber 7) statt von Pflanzen schlechthin (ethuara) vielmehr von Bäumen (upkpa) spricht; denn bei zahlreichen Pflanzen, darunter gerade auch Nutzpflanzen, sind Hohlräume ja selbst mit unbewehrten Auge leicht zu erkennen,- und von einer dieser Planzen wird gleich noch die Rede sein. Bei den Baunen Jedoch kann das Fehlen des Äthers" wegen der Nicht sichtbarkeit der Geräte (Tracheen etc.) von Bharadvaja bestritten werden und kann anschließend von Bhrgu nur mittels einer - in diesem Fall richtigen - Schlubfolgerung bewiesen werden: In der Beobachtung, daß Bäume bichen und Früchte tragen, sieht er eine Auswirkung (u.a.) der Hohlräume in ihnen. Dals diese Phänomene andererseits nur möglich sind, weil der sie umgebende Ather" den Baumen "Raum gewährt", spielt in vorliegenden Zusannenhang überhaupt keine Rolle, und zu Recht nicht, denn das gilt ja in gleicher Keise für viele von Menschen hergestellte Gegenstande, für die auch die alten Inder nicht den Begriff des Lebendigen in Anspruch genonnen haben bow. hatten. "Das Vorhandensein des Windes", 50 setzt Frauvallner sein Referat fort, ist aus den Empor saugen des Wassers durch Wurzeln und Stengel zu schließen. Denn ohne das Vorhandensein von Luft wäre diese Saugvirkung nicht möglich." Ob er auch hinsichtlich des hier relevanten verses 16 Deussen Straub folgt oder nicht, wird nicht hinreichend klar. Deren Obersetzung jedenfalls bedarf der Korrektur, lautet sie doch, obwohl schon die Bombayer Ausgabe hier las wie die kritische: "Da die Pflanzen [:.B.) durch den Stengel der Lotosblume als Mund das Wasser in die Höhe zieht, 50 ml sie mit Luft versehen sein, um mittels der Wurzeln emporzusaugen." Schon die Korrelation zwischen yatha in Vordersats und tatha in Nachsats viderspricht dieser Auffassung) was hier in Wahrheit gesagt wird, scheint mir in übrigen 50 klar, das ich wieder neine, auf eine eingehende Begründung meiner eigenen Wiedergabe versichten zu dürfen: "Wie man mit den Mund mittels des (hohlen) Stengels einer Nymphaeen®°C-Blüte] Wasser nach oben an sich zieht (d.h hochsaugt), ebenso trinkt (auch ein Baum (d.h. kann auch ein Baum nur) wit den Wurzeln (trinken), insofern er mit dem Element) Wind verbun they constantly produce fruits and flowers this existence becomes manifest to us." Seine Interpretation ist aber zum Teil phantastisch. - In den entscheidenden Punkt richtig verstanden hat den Vers auch Arunkumar Misra, dessen Aufsat: "Consciousness of Plants" (Indian Journal of History of Science, 9, 1971, 178-184; vgl. Rau, o.c., S. 234 (24)) aber kaum mehr bietet als ein pietapesana. 75. Obwohl die unkomponierte Lesung als Versuch verstanden werden kann, einen möglichen Mißverständnis des primären Kompositums vorzubeugen; zum Crundsätzlichen s. S. A. Srinivasan, Vacaspatimisras Tattvakaumudi ..., Hamburg 1967, S. 357. (5 1.4.5.10). 76. Kontextuell logischer wäre freilich hier eakadam; an der Aussage selbst Anderte sich aber nichts. Andererseits könnte auakada Explikat und also doch korrekt sein. 77. S. oben Ann. 66. Die übliche Wiedergabe dieses Terminus durch "nicht-bewegliche Lebewesen" befriedigt nicht ganz stationär, ortsgebunden" ( (an einen bestimmten Platz feststehend") wäre sicher besser. 79. Und nicht nur solche, die durch Nodien von anderen getrennt und also in sich abgeschlossen sind. So. Vgl. W. Rau, Lotusblumen" in: Asiatica. Festschrift Friedrich Weller, Leipzig 1954, S. 505-513. - Gemeint sein könnte auch der Blattstiel, da die beiden sich in dieser Hinsicht anatomisch nicht unterscheiden Beide weisen in gleicher Weise vier zentrale Hohlräume auf. 78. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 340 Albrecht Wezler Das Vorhandensein des den ist (d.h. das Element Wind in sich enthält)."" Windes in den Bäumen wird also durch einen expliziten Analogieschluß bewiesen, bei dem von einer bestimmten Beobachtung aus der Lebenswelt des Menschen ausgegangen wird, dem Hochsaugen von Wasser mittels einer dünnen Röhre durch Einatmen/Saugen; daß es sich bei dieser Röhre hier um einen hohlen Pflanzenstengel handelt, hat seinen Grund gewiß ausschließlich in dem Unstand, daß man allein dergleichen eben zu diesem Zweck in alt-indischen Alltag gebraucht hat. Wie bein Nachweis des Vorhandenseins von "Hohlräunen in Bäumen ist man auch, was das Vorhandensein des Elementes Wind betrifft, auf eine Schlußfolgerung angewiesen. Daß in den Bäumen Wasser vorhanden ist, und zwar bis in die von der Wurzel entferntesten 82 Teile und Spitzen, bedurfte, wie Frauwallner richtig bemerkt "keines weiteren Beweises"; denn, so wäre zu ergänzen, das ließ sich. leicht beobachten 3. Die Fließbewegung des Wassers "nach oben" aber verlangte sehr wohl nach einer Erklärung, und da bot sich die Analogie des Hochsaugens mittels eines Röhrchens durch den Menschen an: Die Kraft, die dort die Umkehrung der bekannten Fließrichtung bewirkt, muß auch hier, in den Bäumen, angenommen werden, also der Wind, der sich insofern, wie auch Arjunamiśra bemerkt, "innen (d.h. in ihnen) bewegt". J 81 Es gilt auch in diesem Zusammenhang zu beachten, daß Bhrgu sich primär auf Bäume, und nicht auf Pflanzen schlechthin bezieht; im übrigen läßt sich letztlich auch gar nicht übersehen, daß der hohle Nymphaeen-Stiel als solcher weder geeignet väre, das Vorhandensein von Hohlräumen in Pflanzen jeglicher Art, einschließlich von Bäumen, durch direkte Anschauung zu beweisen, noch ein taugliches Argument für das Vorhandensein von Wind in ihnen abgeben würde. Damit tritt aber eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit dieses Textstücks noch klarer hervor: Was für den Verfasser ersichtlich im Vordergrund steht, sind die Funktionen der einzelnen Elemente in lebendigen Pflanzenorganismus, so daß auch von daher gesehen Arjunamiśra durchaus als glaubwürdig erscheinen muß. Bäume, die größten und eindrucksvollsten Pflanzen, enthalten Äther, also Hohlräume; in diesen bewegt 81. Auch in diesem Fall haben Majumdar (s. Anm. 30), Singha folgend, (o.c., p. 32 und 57) und Misra (s. Anm. 71)) das Richtige getroffen. 82. 0.c., S.126. 83. Vgl. auch ChU 6.11.1ff. Naturbeobachtungen 341 sich der Kind und saugt das lebensnotwendige Wasser hoch. Eben deshalb sind die Bäume und andere Pflanzen "Fußtrinker" (pádapa), d.h. Lebewesen, die ihren Durst dadurch stillen, daß sie mit ihren Wurzeln Wasser aufnehmen; und dieser Ausdruck war ja schon mehrfach in vorangehenden Versen (12ff.) gebraucht worden, und der Vorgang als solcher (padath salilapdnam hatte in Vers 15 eines der Argumente für die These gebildet, daß Bäume auch über Geschmacksempfindung verfügen. I'm Funktionen geht es schließlich auch im letzten der zitierten Slokas. Auch in diesem Fall geht aus Frauwallners Wiedergabe des gedanklichen Inhalts nicht klar bzw. unverzerrt hervor, wie der Verfasser selbst argu84 mentiert. Frauwallner schreibt:" "Da schließlich der Assimilationsvorgang durch Feuer und Wind erfolgt, so muß neben dem Wind auch Feuer in den Pflanen angenommen werden." Schaut man sich den Vers 18 an, dann gewinnt man zunächst einmal den Eindruck, daß in ihn zwei Propositionen nur durch ein miteinander verbunden werden, und eine kausale Relation gar nicht gegeben ist. Erst bein zweiten Hinsehen und, wenn man sich die Argumentationsweise etwa von Vers lo oder 16 wieder vor Augen führt, wird die impli zierte Struktur sichtbar, d.h. erkennt man, daß Vers 18, was den Gang der Argumentation anbelangt, von rückwärts gelesen werden muß: Aus der Beob achtung, daß Bäume wachsen und eine gewisse Form von Ausscheidungen" 85 zel 54. 0.c., S. 126. Auch Majumdars Wiedergabe dieses Verses (o.c., p. 33 und 57) befriedigt nicht. 55. Deussen/Strauß geben sneha durch "klebriger Saft" wieder. Obwohl semantisch und sachlich durchaus möglich, bleibt diese Wiedergabe zumindest solange unbefriedigend, als nicht erkannt ist, daß auf jeden Fall eine Ausscheidung gemeint ist. Daß ergibt sich mit aller nur wünschenswerten Klarheit, wenn man die Spur weiterverfolgt, welche durch das hier greifbare In-Analogie-Setzen von Pflanze und Mensch ins Blickfeld gerückt ist. Es zeigt sich dann nämlich, daß sneha ein Terminus des Ayurveda, und zwar für eine bestimmte der verschiedenen körperlichen Verunreinigungen (mala) bzw. Ausscheidungen (kitta) ist; an deutlichsten ist wohl Sufrutasanhità, Sutrasth. 46.527 (bzw. 529 nach anderer Zählung), wo in einer Aufzählung der dhätundm maidh, "der Verunreinigungen der [7] Grundelemente", von tuaku sneho die Rede ist, also von "fettigen/öligen Substanzen auf der Haut". Man vergleiche Astangasangraha 3 Vols., Trichur 1913-26], Sarirasth. 6, p. 336b) sowie Carakasamhita, Cikitsasth. 15.19. Meulenbeld (The Madhavanidana and its Chief Commentary. Chapters 1-10..... Leiden 1974, p. 488ff.) dem ich letztlich diese Hinweise verdanke, ervähnt daneben auch Manu 5.135, wo der Ausdruck vasd des Grundtextes in der Tat von mehreren Kommentatoren als käyasneha, d.h. "Fett auf/an den Körper" erklärt wird. Für die indischen Mediziner ist. ... Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Albrecht Wezler Natur beobachtungen gen, wird - und svar eindeutig in Analogie zu den Gegebenheiten bei menschlichen und tierischen Körpern - geschlossen, dass auch bei Blumen bzw. Plansen generell eine 'Assimilation stattfindet, also eine "Umwandlung der Nahrung/dessen, was von Organismus aufgenommen wird", d.h. des Wassers, das die Pflanze "trinkt"; eine solche 'Assimilation setst aber voraus, daß - wie bein Menschen - die Speise suver vom Vind, Renauer der sandina genannten Unterart des Vindes und von Feuer "aufgelöst/verdaut" (jarayati) worden ist. Obwohl die Prlansen der für das Verdauungsfever charakteristischen Varme ernangeln, kann man also durch Schlubfolgerungen beweisen, daß das Element Feuer auch in ihnen wirksam ist. Pflanzen denen des Menschen analog sind. Wachstum und Ausscheidungen von Pflanzen bilden den empirischen Ausgangspunkt für verdeckte Schlubfolgerungen, denen Eweifellos die Cberzeugung von einer grundsätzlichen Übereinstimmung svischen beiden Lebensfornen zugrundeliegt. Man mub sich ja sogar fragen, ob die Entdeckung, das auch Pflanzen Ausscheidungen in Form von skera haben, nicht überhaupt erst gemacht wurde aufgrund der bereits gegebenen Vorstellung von der Analogie zwischen Pflanze und Mensch hinsichtlich des Wachstums, als einer der - eigentlich eben zwei - Virkungen von Sahrungsaufnahme, Verdauung und Umwandlung" der dabei entstehenden Stoffe. Es besteht darüberhinaus guter Crund zu der Annahme, das auch in den beiden anderen Fällen, d.h. beim Nachweis des Vorhandenseins der Elenente Luft und Äther, die Argunentation letztlich auf der gleichen Analogie beruht. So gewinnt man den Eindruck, daß das Bild, das sich die Verfasser des Teststücks bzw. die alten Inder von den Funktionen der fünf Elemente in Pflanzenorganismus gemacht haben, insgesamt und ganz entscheidend eben von der - hier stillschweigend gemachten, vielleicht selbstverständlich erscheinenden, wohl nicht reflektierten - Annahne bestinnt ist, das es eine C'bereinstimmung mit den entsprechenden Vorgängen bein Menschen geben mul). 4. Wenn auch nur drei Verse aus den Textstuck etwas genauer betrachtet verden konnten - und zwar diejenigen, velche von Vorhandensein der Elemente Äther, Luft und Wasser in den Bäumen handeln , so ist danit doch demonstriert vorden, das auch in Bereich des Verständnisses des Wortlauts durchaus noch Fortschritte zu erzielen sind. Es böte sich nun an, im Sinne der oben angedeuteten Problematisierung des Begriffs Beobachtung und der Relation swischen Beobachtung und Spekulation in die Tiefe zu gehen. Das mul ich mir aber für eine andere Gelegenheit vorbehalten, und vill deshalb hier nur ein Ergebnis der Untersuchung ein wenig weiterverfolgen. Bei der Besprechung von Vers 18 hat sich geseigt, daß die Argumentation die These impliziert, daß bestimmte physiologische Erscheinungen bei Nun könnte man an dieser Feststellung natürlich Bemerkungen über den Analogieschluß anfügen und darüber, was mit diesem Zauberstab alles angestellt wurde und wird. Wichtiger aber dünkt mich, daran zu erinnern oder zu betonen, daß es uns Menschen generell und nach wie vor ersichtlich schwer fallt, bei der Beschäftigung mit tierischen und pflanzlichen Leben, sei sie nun vissenschaftlich oder nicht, nicht der Versuchung zu erliegen, von uns aus zu sehen, deuten und verstehen zu wollen. So lat :.B. Horst Stern in seinem gerade erschienenen Buch "Mann aus Apulien Friedrich II die Einsicht formulieren: "oft auch führt den Tierbeobachter die Intelli sneha ein mala des Grundelements majjan, "Mark". Bei der Übertragung vom Menschen auf die Pflanze ist offenbar aber nur an die "fettige Substanz auf der Körperoberfläche" selbst gedacht, zu der man ja in der Tat ein Analogon auf der Epidermis vieler Pflanzen findet in Gestalt der Cuticula bzw. vor allem der Wachsschicht. Dab "klebriger Saft" als Ausscheidung gewisser Pflanzen nicht auch gemeint sein könne, soll hier nicht behauptet werden. Entscheidend jedoch ist der Ausscheidunscharakter dessen, was in Vers 18 als sneha bezeichnet vird. 86. Ich setze diesen Terminus in einfache Anfhrungszeichen nicht nur weil er keine genaue Entsprechung im Sanskrit hat, sondern auch, weil er u... die Photosynthese miteinschließt. 87. Vel. ..B.J. Jolly, Medicin (Crundriß der indo-arischen Philologie und Altertumskunde Bd. III, lo), Straßburg 1901, S. 40. 88. Die von den Sinnesempfindungen handelnden Verse sollen zusammen mit weiteren einschaligen Material gesondert behandelt werden. 59. Der Vergleich zwischen Baum und Mensch, bzw. ein In-Analogie-Setzen beider findet sich ja schon in BĀU 3.9.28; vgl. dazu P. Horsch, Die vedische Gatha- und Sloka-Literatur, Bern 1966, s. 155-160. S. außerden Gunaratnasuri zu Saddarsanasamuccaya Karika 49: ... anekavidhavanaspat inain etani sarirani na jivavyaparan antarena masyadari rasamanadharmabhiji bhavanti / ... s. auch Wilhelm Rau, O.C., S. 13 nebst Anm. 24. 90. 5. 72. Vgl. auch Geo Nr. 9, Sept. 1986, S. 40-48. Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ H ULA HILMAILU 344 Albrecht Wezler genz, die er an die Erforschung seiner Pfleglinge wendet, ganz in die Irre. Da ihre innere Welt ihm immer fremd bleiben wird, kann er sie nicht anders als mit menschlichen Erfahrungen deuten und mit menschlichen Wortern beschreiben." Weniger skeptisch sind das die Verhaltensforscher oder gar ein 91 - der Ethologie kritisch gegenuberstehende - Tierpsychologe wie Hediger", der "das Tier als Subjekt, als ein empfindendes, erlebendes und - in Grenzen - verstehbares Subjekt, als Individuum, ja unter Umstanden als Personlichkeit" betrachtet, der sich aber auch, wenn er Affekte wie Angst und Wut untersucht, durchaus dessen bewusst bleibt, dass "selbstverstandlich die den menschlichen Empfindungen entsprechenden tierischen Empfindungen"92 gemeint sind. unseres l'orstellungsvermogens - wir uns uber die Cefuhle und Interessen der Pflanzen klar werden konnten". Es bleibe dahingestellt, ob dies wirklich der einzige Weg ist, und ob wir uns nicht etwa mit dem klaren Bewusstsein der vorlaufigen Unuberwindbarkeit der Fremdheit begnugen sollten; eines aber kann nicht bestritten werden: Vorstellungen von Selbigkeiten zwischen Menschen und Pflanzen sind dazu angetan, die Anerkennung der Rechte der Pflanzen zu befordern. Und dies ist ein Aspekt, unter dem das Textstuck aus dem Mahabharata - uber das ihm gebuhrende philologische und historische Interesse weit hinaus - auch heute noch und gerade in der unmittelbaren Gegenwart vernehmlich zu uns allen spricht. Die Neigung zur Projektion menschlicher Vorstellungen, Erfahrungen usw. auf nicht-menschliche Mitgeschopfe - als ein dem Menschen eigentumlicher 'Auswuchs der auch beim Tier nachweisbaren Angleichungstendenzo - lasst sich trotz aller kritischen Selbstreflexion der modernen Wissenschaften auch bei Ausserungen uber (die) Pflanzen beobachten. Ja, man hat geradezu das Gefuhl, dass sie sich dort umso starker entfaltet, je intensiver um ein Verstehen gerungen wird. Die Schwierigkeiten, denen sich 2.B.. der Tierpsychologe gegenubersieht und von denen er zugibt, dass sie "zunehmen, je weiter wir uns von den Saugetieren in Richtung Einzeller bewegen"94, erreichen bei den Pflanzen ein solches Ausmass, dass das menschliche Verstehen, nicht wie bei den hoheren Tieren aufgrund der entwicklungsgeschichtlichen Nahe, sondern gerade wegen des ausserordentlichen Grades der Fremdheit auf sich selbst zuruckgeworfen wird. Und in der Tat kann man mit Meyer-Abich die Frage stellen", "wie denn sonst - wenn nicht kraft 96. e Vorstellung davon erfahren. [Zu den s. 102 nebst 91. Tiere verstehen. (s. 0. Anm. 40), s. 28; vgl. auch s. 21. - Zur Kritik an der "objektiven Verhaltensforschung" s. auch s. 86f. 92. 0.c., S. 23 (Sperrung von mir). Mit dem Begriff der "homologen oder analogen Entsprechung" verdeckt Hediger freilich die Schwierigkeiten, von denen auch der geschulte Tierpsychologe bei dem Versuch steht, sich eine Vorstellung davon zu bilden, wie Tiere - und seien es hohere - selbst z.B. Affekte erfahren. [Zu den "Anpassungswortern", 2.B. "wie" und "entsprechend" s. P. Feyerabend, 0.c., s. 102 nebst Anm. lo). 93. Vgl. Hediger, 0.c., s. 85ff. 94. Hediger, o.c., s. 26; vgl. auch s. 41. . 95. Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie fur die Umweltpolitik, Munchen/Wien 1984 (Taschenbuchausgabe; Munchen 1986 als dtv-Sachbuch 10661), s. 184. Denn auch Meyer-Abichs Position verrat (trotz seiner beispielhaften Bemuhung um dessen Uberwindung) immer noch in gewisser Hinsicht den Einfluss eines anthropozentrischen Weltbildes. - Die philosophische Reflexion uber das Grundproblem der Moglichkeit z.B. zu verstehen "Wie es ist, eine Fledermaus zu sein", wird vorangetrieben von Th. Nagel in seinem so betitelten Aufsatz (s. P. Bieri (Hrsg.), Analytische Philosophie des Geistes, Konigsstein/Ts. 1981, S. 261-275).