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Albrecht Wezler
Die "Vorstellungen, die so eng mit Beobachtungen verbunden sind, daß es besonderer Anstrengung bedarf, ihr Vorhandensein zu erkennen und ihren Inhalt zu bestimmen 47, "jene geistigen Operationen, die sich so eng an die Sinne anschließen 48. ..., daß eine Trennung nur schwer möglich ist", nennt er vielleicht nicht ganz glücklich 49 "natürliche Interpretationen", spricht aber auch von "ideologischen Bestandteilen unserer Erkenntnis, insbesondere unserer Beobachtungen" 50 und ergänzt, daß sie in der Geistesgeschichte "entweder als apriorische Voraussetzungen der Wissenschaft betrachtet" wurden, "oder aber als Vorurteile, die zu beseitigen sind, ehe eine ernsthafte Untersuchung einsetzen kann."51
Wenn es auch nicht möglich ist, diesen Gedanken Feyerabends hier weiter nachzugehen, so darf doch dies als vorläufiges wichtiges Ergebnis notiert werden: Die Schwierigkeiten, von denen oben (S. 328) die Rede war, liegen höchstwahrscheinlich nur zum Teil in Charakter des Textmaterials selbst; daneben ist gewiß mit Schwierigkeiten zu rechnen, die ganz allgemein 'Beobachtungsaussagen als solchen eignen und dadurch bedingt sind, daß mit den beobachteten Erscheinungen "natürliche Interpretationen" so eng verbunden sind, daß sie von demjenigen, der eine Aussage über seine Wahrnehmung macht, nicht als besondere Annahme empfunden werden. Daß die Texte, in denen von Naturbeobachtung zeugende Aussagen begegnen, nicht nur aus einer anderen Zeit stammen, sondern auch aus einer frenden Kultur und Geisteswelt, kann, aber muß dem Philologen nicht notwendig die Aufgabe erleichtern, das Vorhandensein "natürlicher Interpretationen zu erkennen und ihren Inhalt zu bestimmen. Allfällige "ideologische Bestandteile" indischer Naturbeobachtungsaussagen unter den Begriff "Spekulation" subsumieren zu wollen, wäre widersinnig, weil auf alle Menschen zutrifft, daß sie nicht nur lernen können, "die Welt genau so zu sehen, wie sie durch die Beschreibungen dargestellt wird", sondern auch,
47. 0.c., S. 89; s. Anm. 44.
48. 0.c., S. 94, zitiert aus Francis Bacon, Novun Organum, Einleitung.
49. Denn sie sind ja u.a. gerade durch die Überlieferung einer Kultur und die Erziehung eines Individuums gesetzt, "natürlich" also allenfalls in den Sinne von "selbstverständlich erscheinend und nicht reflek
tiert".
50. 0.c., S. 99. Es heißt dort außerden: "Sie werden auf kontrainduktive Weise entdeckt."
51. 0.c., S. 94.
Naturbeobachtungen
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daß ihre "Fähigkeit zum Denken und Wahrnehmen beseitigt würde", wollte man alle "natürlichen Interpretationen" beseitigen 52. Aber auch Gedanken, die von Indern auf der Basis von 'Beobachtungsaussagen entwickelt wurden, sollte man vielleicht doch nicht einfach als "Spekulation" abstenpeln, und nicht nur deshalb nicht, weil es sich dabei um eine wertende begriffliche Kategorie, die von außen an das indische Material 53 herangetragen wird, und damit also um eine 'etische"" Vorgehensweise handelt. Bei von Naturbeobachtung zeugenden Aussagen sind zwei Arten von 'Verflechtungen zu unterscheiden: die enge Verbindung zwischen Wahrnehmungen und "natürlichen Interpretationen" einerseits und die Beziehung zwischen 'Beobachtungsaussagen und Sätzen, die dazu dienen, das Beobachtete zu erklären, also Hypothesen, wie wir sagen würden, andererseits.
3. Im Zusammenhang dieser mit dem Begriff 'Naturbeobachtung selbst gegebenen Problematik, aber auch in manch anderer Hinsicht verdient ein Textstück erneute Kenntnisnahme, das nicht nur von Seal an jener Stelle. 54 seines Buches" zitiert wird, auf welche Wilhelm Rau gelegentlich der Erwähnung der Vorstellung von schlafenden, sehenden und tastenden Pflanzen verweist, sondern auf das auch ganz allgemein inner dann Bezug genommen zu werden pflegt, wenn die Anschauung der Inder belegt werden soll, daß "die Pflanzen tatsächlich beseelt sind und eine Sinnestätigkeit auszuüben. vermögen" 56. So begegnet man ihm, um nur zwei Zufallsfunde zu nennen, übersetzt in von Glasenapps "Der Hinduismus "57, und Hacker5 verweist auf
58
52. Zitiert aus "Über die Methode. Ein Dialog" von P. Feyerabend, in: Unter dem Pflaster liegt der Strand, Bd. 3, Berlin 1981, S. 127 bzw. aus o.c., S. 97.
53. Vgl. den Überblick bei René Gothóni, "Emic, etic and ethics. Some remarks on studying a 'foreign' religion", In: Proceedings of the Nordic South Asia Conference held in Helsinki, June 10-12, 1980, ed. by A. Parpola, Helsinki 1981, pp. 29-41.
54. Brajendranath Seal, The positive sciences of the ancient Hindus, London 1915 (Nachdrucke: Delhi/Varanasi/Patna 1958, 1985), p. 176.
55. 0.c., p. 233 (13), Anm. 27.
56. Zitiert aus von Glasenapps "Hinduismus", s. Anm. 57.
57. Der Hinduismus. Religion und Gesellschaft in heutigen Indien, München 1922, S. 62f.
58. "Two Accounts of Cosmogony". In: Jñanamuktavali. Commemoration Volume in Honour of Joh. Nobel, ed. by Claus Vogel, New Delhi 1963, p. 86 = Kleine Schriften, hrsg. von L. Schmithausen, Wiesbaden 1978, S. 398.