Book Title: Studien Zum Dvadasaranayacakra Des Svetambra Mallavadin
Author(s): A Wezler
Publisher: A Wezler

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Page 18
________________ A. Wezler Außerdem fungiert die Nahrungskette" gar nicht, auch nicht formal, als Begründung, sondern als Explikation des Satzes sarvam sarvātmakam. Und diese aus unmittelbarer Beobachtung gewonnene, in ihrem naturwissenschaftlichen" Ansatz ja auch richtige Erkenntnis besagt natürlich weder, daß z. B. ein bestimmtes einzelnes pflanzenfressendes Tier die gesamte pflanzliche Materie, in Pflanzen umgewandelte Materie-Teilmenge, in sich enthält, noch, daß es eben aus der gleichen Materie wie auch die Pflanzen gebildet ist; denn, was beobachtet wur de, war ja u.a. gerade die wechselseitige Beziehung und Abhängigkeit von pflanzlichem Leben, eine Beobachtung, die historisch weit zurückdatiert und, zumindest was die Abhängigkeit tierischen Lebens von pfanzlichem anbelangt, in religiösen, mythischen und magischen Anschauungen der vedischen Zeit mannigfalti gen Ausdruck gefunden hat. Die Beziehung von Tieren zu Tieren und Pflanzen einerseits und von Pflanzen zu pflanzlichen und tierischen Stoffen andererseits ist, wie die Erfahrung zeigt, dadurch charakterisiert, daß die einen den anderen als Nahrung dienen. Dieser Vorgang ist nun von Sämkhya-Denkern so aufgefaßt worden, daß z. B. ein bestimmtes Tier-Individuum die Materie aller anderen Tiere und/oder Pflanzen, die es im Laufe seines Lebens frißt, in umgewandelter Form in sich enthält. Das Gleiche gilt natürlich auch für jedes Individuum dieser als Nahrung aufge nommenen Tiere und/oder Pflanzen, insofern sich dieser Prozeß ungezählte, wenn auch endliche Male, während einer Weltperiode (kalpa) wiederholt. Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, daß diese aus unmittelbarer Anschauung abstrahierte Erkenntnis in dem Satz sarvam sarvätmakam formuliert wurde, demzufolge ein jedes Einzelding überhaupt alle anderen Einzeldinge materiell in sich enthält. Man darf dabei allerdings nicht übersehen, daß die Auffassung des Samkhya ein Element beinhaltet, das nicht nur für Menschen mit dem neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Weltbild weniger leicht nachzuvollziehen ist, sondern das sich auch nicht als unmittelbare Erkenntnis aus der Anschauung der Dinge", jedenfalls nicht aus der bloßen Beobachtung der Nahrungskette" ergeben haben kann. Für die Vertreter des Sämkhya geht es nämlich nicht allein um die Durchgängigkeit" (samanvaya) der Materie im Kreislauf der Stoffe in der Natur", sondern sie deuten diese Vorgänge dahingehend, daß die als Nahrung aufgenommenen Tier- und Pflanzenindividuen nach wie vor als solche existent (sat) sind, und es wird sich zeigen (s. u. S. 398f.), daß die Entstehung dieser Deutung nicht einfach durch das Fehlen einer wirklichen Kenntnis der Stoffwechselprozesse zu erklären ist. Im Hinblick auf das Beobachtungsfeld darf man den Satz sarvam sarvātmakam folglich übersetzen: „Der Körper eines jeden Vertreters [einer Gattung von Lebewesen] enthält die Körper der Vertreter sämtlicher [anderer Gattungen von Lebewesen in umgewandelter Form] in sich", d.h. stellt das Produkt der Umwandlung im Sinne einer bestimmten anderen Anordnung oder im Sinne des Entschwindens bestimmter Eigenschaften und des Erscheinens bestimmter neuer Eigenschaften - der Materie zahlloser anderer Lebewesen einer jeden vorkommenden Gattung dar, ohne daß die 392 90 Zur Beziehung zwischen anna und prina vgl. H. W. Bodewitz, Jaiminiya Brahmana I, 165...", Leiden 1973, 231 u. 271 ff. Der sarvasarvätmakatvavida als Nahrung aufgenommenen anderen Lebewesen deshalb aufhörten zu sein. Damit ist die außerordentliche Mannigfaltigkeit (vaifvarüpya) der Erscheinungsformen des Lebens nicht nur auf die unter der Oberfläche liegende Durchgängigkeit der Materie hin durchschaut, sondern zugleich auch auf die vermeintlich gegebene totale Interdependenz aller Phänomene, die sowohl jeweils sie selbst als auch alle anderen sind. 393 7.3. Insofern der sarvasarvātmakatvavāda immer wieder mittels der Nahrungs. kette" expliziert wird, könnte man dennoch fragen, ob diese Vorstellung etwa mitbeinhaltet, daß ein jedes individuelle Lebewesen neben der Substanz der anderen Lebewesen, die es als Nahrung zu sich nimmt, auch eine ureigene Stofflichkeit be. sitzt, die es nicht als Ergebnis von solchen Umwandlungsprozessen erworben hat. Diese Frage ist eindeutig zu bejahen. Denn nichts wäre, wenn ein jedes nur die anderen wäre, etwas. Dabei muß man aber auch Folgendes im Auge haben: Da der in den zitierten Textstücken regelmäßig wiederkehrende Begriff jangama den Menschen miteinschließt, ist hier zu berücksichtigen, was das Samkhya über die Entstehung des menschlichen Körpers lehrt und darf angenommen werden, daß die entsprechenden Aussagen in mehr oder minder abgewandelter Form auch für Tiere und Pflanzen gelten. Obwohl sich die oben behandelten Textstücke nicht explizit dazu äußern, ist also davon auszugehen, daß die Anschauung des Samkhya die war, daß die spezifischen Stoffe, welche die Eltern zur Bildung des Embryo beisteuern, nämlich Samen und Blut, ihrerseits durch die Umwandlung bestimmter Lebewesen oder Bestandteile von Lebewesen, die den Eltern als Nahrung gedient haben, entstanden sind, so daß der Mensch bereits in der vorgeburtlichen Lebensphase, bevor er selbst pflanzliche oder tierische Nahrung direkt aufnimmt, durch Partizipation an dem elterlichen sarvātmakatva auch seinerseits sarvātmaka ist. Diese Annahme ist nicht so sehr wegen ihrer systematischen Folgerichtigkeit berechtigt - denn beim Fehlen eindeutiger relevanter Textaussagen läßt sich schwer mit letzter Sicherheit ausmachen, bis zu welchem Grad die Lehren einer Schule von ihren Vertretern in allen Einzelheiten systematisch durchdacht waren, als vielmehr zum einen, weil die Vorstellung der Entstehung des männlichen Samens aus der Nahrung in Vor-Samkhya-Texten wohlbezeugt ist, und zum anderen, weil sich in den zitierten Textstücken entsprechende Indizien finden. Denn es wird dort, jedenfalls hinsichtlich der Ergebnisse der Umwandlungsprozesse, differenziert: aus einer bestimmten Nahrung bzw. bestimmten Bestandteilen derselben entstehen bestimmte Bestandteile eines tierischen oder pflanzlichen Organismus wie u.B. Blut oder Saft (mit seinem je spezifischen Geschmack) usw. Neben dieser Zuordnung bestimmter Nahrungsstoffe zu bestimmten konstitutiven Elementen eines Organismus verdient Beachtung auch die mehrfache Erwähnung der jeweiligen Elemente. Dabei werden meistens Wasser und Erde genannt; im Textstück H (o. S. 375) wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch die 91 Vgl. E. Frauwallner, G. d. i. Ph., 364. 92 Z.B. Ch U 5.10.6, Prafna U 1.14.

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