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Der sarvasarvatmakatvavada
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A. Wexler
dhaika ahur asadevedamagra asid ekam evād vitiam/tasmādasata sallayata // kutas tu khalsomyaivan syad in hovica / katham astal saj javetei / saf vera somyedam are asid ekan evadviriyam // „Dieses Universum, mein Lieber, war im Anfang ein Seiendes (und nicht ein Nichtseiendes oder etwas weder Seiendes noch Nichtseiendes), ein einzelnes und nicht mehr, also ein, alleiniges. - Dazu sagen nun Manche: Dieses Universum war im Anfang ein Nichtselendes, ein einzelnes (und nicht mehr, also ein) alleiniges. Dann wurde aus diesem Nichtselenden das Seiende reboren'. - Woher aber, mein Lieber, könnte das so sein? - so sprach er. Wie sollte aus einem Nicht seienden ein Seiendes geboren werden? Vielmehr war, mein Lieber, dieses Universum im Anfang ein Seiendes (und nicht ein Nichtseiendes oder etwas weder Seiendes noch Nicht seiendes), ein einzelnes (und nicht mehr, also ein alleini
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Erscheinungswelt, so letzterer auf nicht weniger eigentilmliche Weise ihr Verkehen: bestimmt ersterer die Wirkung als bereits in der Ursache unsichtbar vorhanden, so letzterer sie, nachdem sie ihrerseits zur Ursache von etwas geworden ist, als nach wie vor vorhanden.
Der sarvasarvālmakatvarāda bildet also nicht nur einen konstitutiven Bestandteil der Kausalitatslehre des Systems, sondern es ist doch auch wegen der evidenten gedanklichen Kohärenz zwischen beiden gar nicht zu bersehen, daß sich In beiden Lehren gleichermaßen das besondere Seinsverständnis des Sümkhya ausdrickt, das gemiß einem im Abhidharmakolabhasya des Vaubandhu bewahrten Fragment von den Virsaganya so formuliert wurde: yad asty asty eva tad/yan nästi nästy ewa fad asato năstil sambhavah/sato nästi vinälah"..das Selende ist ausschließlich seiend, das Nichtselende ausschließlich nichtseiend. Nichtselendes kann nicht entstehen, Selendes nicht vergehen . Wie aufgrund dieses Begriffs des Seienden eine jede Wirkung (karya) bereits in der Ursache vorhanden (ser) sein muß, so muß auch ein jedes Ding, nachdem es sich als Wirkung offenbart hat, wenn es ..vergeht", d. h. aus der Sichtbarkeit entschwindet (8. o. S. 388ff.), in Wahrheit weiterhin existent sein. Genau diese zweite gedankliche Konsequenz aber spricht der sarwasaramakarvavada aus! Sein ist ein anfangs und endloses Sosein (vgl. aber unten, S. 400), aber dieses ewige Kontinuum weist eine sich weltperiodisch wiederholende mehr oder minder kurze Phase des In-Erscheinung-Tretens und damit Wahrnehmbarwerdens auf.
Man millte also, wollte man sich Frauwallners Ansicht zu eigen machen, annchmen, daß auch der eigentümliche Seinsbegriff des Samkhya, da er offensichtlich die gemeinsame gedankliche Grundlage des sarkaryerada und des sarnasarvatmakatwaveda bildet, erst nachträglich entwickelt wurde, um den Lehrsatz von der Existenz der Urmaterie zu begrunden! Welches aber wäre dann die unmittelbare Erkenntnis aus der Anschauung der Dinge" gewesen, als die sich dieser Lehrsatz ursprünglich ergeben hat? Und wie steht es um die Herkunft des Seinsbegriffes?
Mir scheint, Frauwallners Darstellung der Geschichte des Systems bedarf in die sem zentralen Punkt der kritischen Überprüfung. Diese kann hier nicht vorgenommen werden, doch das Problem soll nicht ausgeklammert werden, ohne nicht doch wenigstens eine - notwendig hypothetische - andere und, wie ich glaube, plausiblere Entwicklungsmöglichkeit mit einigen Strichen zu skizzieren.
Der Seinsbegriff des Sāmkhya, den die Bhagavadgita in den berühmten Satzen Masato vidyafe Bhavo nabhavo vidyafe satah (2.16 ab) vorträgt. Ist m. E. historisch nicht zu trennen von der nicht weniger bekannten Lehre Uddalaka Arunis, wie sie in Ch U6,2.1-2 überliefert ist: sadeva somtydamagra asid ekam evad vitlyam tad
Gewid, Hacker hat zu Recht betont, daß das Selende hier allerdings nicht in einem Sinne verstanden wird, den wir strikt ontologisch nennen würden, sondern cher kosmologisch oder naturphilosophisch, primar sogar kosmogonisch. Das Seien de ist hier das Erste Seiende, das Urselende, ein ens primum, das zugleich eine Art materia prima ist101. Diese Beobachtung schließt aber die von mir ins Auge gefaßte Möglichkeit, ja hohe Wahrscheinlichkeit einer historischen Abhängigkeit des Seinsbegriffs des Samkhya von Ch U 6.2 keineswegs aus. Unlängst ist es Ruping Relungen, von Arbeiten Frau wallners und Hackers ausgehend, die Emanationslehre des Systems über den Mokşadharma-Abschnitt des Mahübharata hinaus bis auf seine vedischen Grundlagen zurückzuverfolgen '04. bei denen es sich ebenfalls um kosmoRonische Texte handelt. Es besteht also kein Anlaß, eine Abhängigkeit des Samkhya berriffs des Seienden von Ch U 6.2 deshalb für unmöglich oder unwahrscheinlich zu halten, weil dort noch eine primar kosmogonische Lehre vorliegt. Ebensowenig gibt el soweit ich sehe, stichhaltige Gründe dafür, dem Erklärungsmodell einer erst spa teren Wiederaufnahme und rezeptiven Benutzung von Ch U 6.2 gegenüber der Annahme den Vorzug zu geben, daß der Seinsbegriff des Simkhya durch eine ununter brochene Traditionslinie mit Ch U unmittelbar verbunden ist. Denn zieht man außerdem noch den Fortgang dieses Textstückes mit in Betracht, also Ch U 6.2.3, wo es von diesem Ur-Seienden' heißt: tad aikata bahu syām prajyeyetl....da nahm es wahr (sah): Ich könnte/möchte vielerlel/vieles sein, ich konnte/möchte mich fortzeugen..", und erinnert man sich, daß Rāmānuja in der oben (S. 387) zitierten Passage aus seinem Sribhāsya genau diese Stelle als Schriftbewels" für das sarvasarātmakatva zitiertlos, dann gewinnt die Annahme einen denkbar hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, daß dieser upanischadische Text bzw. die in ihm vor
100 Zitiert wus Abhidharma Kota Bhayya of Vasubandhu. ed. by P. Pradhan, Patna 1967,
3012 101 Zitiert wus Frau wallner, G. d. LM, 385, in Anm. 203 verweist Frauwallner of L'Abhi
dharmakola de Vaubandhu" traduit par L de la Valle Pousin, Paris 1923-1931, V, S. 63 (C) sowie Additions (p. 150), wo - ergänze: p. 63 1.31 - ohne Angabe der Quelle die tibetische Version dieses Zitats angeführt wird.
102 Obersetzung in Anlehnung an P. Thieme, Upanischaden. Ausgewählte Sticke", Stuttgart
1966,45. 103 Kleine Schriften", hrsg. von L. Schmithausen, Wiesbaden 1978, 293. 104 In: Studien zur Indologie und Iranistik, Hfl. 3 (1977), 3-10. 108 Das Riminuje bew, die von ihm herangezogene thelstische Schule diesen Satz zitiert
und nicht etwa den eigentlichen Anfang des kosmogonisch philosophischen Mythos, liegt offenbar daran, da diese Aussage des erreurmekatwe, wie es von ihm bew. ihr ver standen wurde, unmittelbar bezeugt.