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A. Wezler
Der sarvasarvatmakatvavida
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nicht gibt, bzw. daß ein jedes Ding, insofern es sarvatmaka ist, nicht zugleich auch es selbst ist (s. o. S. 393).
tungen von Einzeldingen einsthließt, der ebenfalls seiend, aber nicht wahrnehmbar ist, weil die Bedingungen für sein Erscheinen nicht gegeben sind. Dem tiefer dringenden Blick der Samkhya-Philosophen enthüllt sich hinter dem vai variipya, der Mannigfaltigkeit, der avibhaga, das Nicht-Getrennt sein, d. h. die letztliche NichtVerschiedenheit der Phänomene.
7.6. Der sarvasarvātmakatvavāda war offensichtlich früh verständlichen Angriffen ausgesetzt gewesen, oder es war bei ihm die Möglichkeit derartiger Angriffe von Vertretern des Samkhya vorwegnehmend einkalkuliert worden. Denn es fällt auf, daß in verschiedenen Textstücken (z.B. G, O. S. 371) auf den auch formal als solchen charakterisierten Einwand eingegangen wird, aus diesem Theorem würde sich ergeben, daß man, träfe es zu, in einem bestimmten Ding oder an einem bestimmten Ort (vgl. Textstück J, o. S. 378) alle anderen Dinge bzw. jedes Lebewesen, die angeblich in ihm enthalten sind, wahrnehmen können müßte. Die Notwendigkeit - sei sie nun durch tatsächliche gegnerische Einwände entstanden oder durch eigenes Nachdenken eingesehen worden-, systematisch zu begründen oder doch zumindest zu erklären, warum eine bestimmte, per definitionem materielle Konfiguration, obwohl sie sanatmaka ist, gerade z. B. als Kuh und nur als Kuh wahrgenommen wird, konnten die Vertreter des Samkhya, die hier offenbar selbst noch nicht die Möglichkeit sahen, die Entstehung des Irrtums, welche wohl erst später zu einem allgemein diskutierten Problem wurde, ontologisch zu rechtfertigen (S.O.S. 38Sil.), nicht in Verlegenheit bringen: der Begriff der abhivyakti, des In-Erscheinung-Tretens", der in der Ontologie des Systems fest verankert war (s. Anm. 85 u. S. 388ff.), eröffnete einen Weg, diese unerwünschte, der Erfahrung jedenfalls weithin widersprechende Konsequenz zu vermeiden. Es galt nur, in Ergänzung zu der systematisch folgerichtigen Verwendung der abhivyakti-Vorstellung nun diejenigen Faktoren zu benennen, die bedingen, daß sich Selendes zu einem bestimmten Zeitpunkt als bestimmtes Soseiendes offenbart, d.h. wahrnehmbar wird, und nicht gleichzeitig als ein beliebiges anderes.
Als entscheidend dafür, daß ein Ding als individuelles Soseiendes in Erscheinung tritt, wurden die Bedingungen Ort, Zeit, Form (akāra) und dharma" usw. angesehen (vgl. die Textsticke G, O. S. 371, H, 0. S. 375, 1. o. S. 376 sowie J. o. S. 3788.). Berücksichtigt man auch den ersten Satz des Textstickes H, dann kamen als weitere determinierende Faktoren noch Größe/Umfang (pramāna), Stärke (bala) und Form (rūpa) hinzu". Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt ist also real und nicht etwa eine Illusion; aber alle wahrnehmbaren Gegenstände sind insofern interdependent, als jede Individualität materiell mindestens einen Vertreter aller anderen Gat
7.7. Da dieses Aufgehobensein" aller seienden Gegenstände in einem jeden phänomenalen Einzelding anders als die Durchgängigkeit der Materie bzw. der Elemente sinnlicher Wahrnehmung entzogen ist. stellt sich erneut das Problem des Verhältnisses von sarasarvatmakatvavida als Lehrsatz" zur Nahrungskette" als gängiger Explikation dieses Theorems. Denn inzwischen ist klar geworden, daß die Deutung, welche Vertreter des Sämkhya den dabei für sie tatsächlich beobachtbaren Vorgängen geben, nicht nur als unmittelbare Erkenntnis aus der Anschauung der Dinge" entstanden sein kann, sondern, daß sie von bestimmten Prämissen ausgehen. Diese gedanklich-theoretischen Voraussetzungen können aber nicht in der spezifischen Samkhya-Konzeption der Urmaterie bestehen. Der sarvasarvatmakarvavada ist zwar von dieser Konzeption nicht zu trennen, und, daß er den Textzeugnissen zufolge als einer der (Analogie-)Beweise für die Existenz der prakti fungiert, kann deshalb auch nicht überraschen, ja man darf sogar vermuten, daß er hier und nur hier seinen Platz innerhalb des ausgebildeten Systems des Samkhya hat. Andererseits wäre aber im Hinblick auf die von Frauwallner behauptete Priorität der Lehrsitze und Posteriorität ihrer Begründungen zumindest mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sich auch die Begründungsfunktion des servisarvatmakatvavada Regenüber dem Theorem der Existenz der Urmaterie erst nachträglich entwickelt hat. Trotzdem wire es ganz und gar nicht einsichtig, daß und wie die Vorstellung vom sarw sarvatmakatva aus der Konzeption der Urmaterie abgeleitet worden sein sollte.
Nun vertritt Frauweliner offenbar die Ansicht, daß einer der kennzeichnendsten Lehrsätze des Systems, nämlich die Kausalitätslehre des Samkhya, die Lehre. daß die Wirkung bereits in der Ursache vorhanden ist, der sog. Satkaryavadah", auf dessen Verhältnis zum sarwasarvatmakatwavāda ohnehin hier noch einzugehen war, ,im Anschlub" an gegnerische Widerlegungsversuche jener Analogieschlüsse, durch die die Vertreter des Samkhya die Existenz der Urmaterie erweisen wollten. .ent. wickelt wurde . Es besteht aber eine enge gedankliche Zusammengehörigkeit und Korrespondenzbeziehung zwischen dem sarkaryavāda und dem sarvasarvatmakatvavada: erklärt ersterer auf eigentümliche Weise die Entstehung der Dinge in der
96 Zu dharma im Samkhya vgl. Frauwallner, G. d. L. Ph., 340 f. 97 Entsprechen pramane und rūpe zusammen dem Begriff akare, der in den anderen Text
sticken verwendet wird? - Der erste Satz des Textsticks A ist mir nicht ganz verständlich. Ist etwa nirytteh zu lesen und sind die Ablative prapter und nirritek als durch da gleichgeordnete Begründungen der Behauptung aufzufassen? Der Ablativ pratyāsatter wäre dann nirvytreh unterzuordnen und arayambhavyucchedanucchedáhyān als Instrumental dahin gehend zu interpretieren, daß bei dem ,,Hervortreten der Mannigfaltigkeit" notwendiger weise einerseits gewisse Veränderungen statthaben, andererseits sich keine Veränderungen ergeben.
98 S. o. S: 3741. u. 391. 99 Zitiert aus G. d. I. Ph. 385: entwickelt wurde" kann doch nur heißen entstanden ist":an
dererseits bemerkt Frau wallner In dem gleichen Satz vom sarkaryavada, daß er die oben wiedergegebenen Begründungen erst richtig verstehen läßt". Soll damit nun umgekehrt gesagt werden, das die Berlindungen für die Existenz der Urmaterie den ikäryavade voraus setzen? Ich habe mich dahingehend entschieden, daß Frauwallner vielmehr zum Ausdruck hringen will, da der Akaryawada, indem er in Anschluß an sie bew. die um sie entbrannte Auseinandersetzung entstanden ist, diese Begründungen Insofern erst richtig verstehen lift, als er in ihnen Impliziertes, aber noch nicht klar Gedachtes ins Bewußtsein hebt.