Book Title: Die Gottesidee In Der Indischen Philosophie Des Ersten Nachchristlichen Jahrtausends
Author(s): Gerhard Oberhammer
Publisher: Gerhard Oberhammer

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Page 6
________________ 452 G. Oberhammer [von einer Seele] verschiedene Eigenschaften besitze, da doch ihre Erkenntnis ewig und einheitlich sei und alles zum Gegenstand habe". Offenbar hatten einige Nyâya-Lehrer, z. B. Pakşilasvâmin (2. Hälfte d. 5. Jh. n. Chr.), den Versuch unternommen, Gott nach dem Vorbild des sâmkhyistischen Yoga mit Hilfe des Seelenbegriffes (atma) der Schule zu bestimmen, ohne zu berücksichtigen, daß der Seelenbegriff des Vaiseşika im Gegensatz zu jenem des Sâmkhya weder die Dimension der Transzendenz noch die des Geistes im eigentlichen Sinne enthielt. Für das Vaiseșika war der Atmâ seinem Wesen nach einer der kosmologischen Bestandteile der Welt, d. h. erkennend, wollend und wirkend und damit real der Seelenwanderung verfallen. Er war daher der Welt in keiner Weise transzendent. Andererseits besaß er Bewußtsein und Erkenntnis nur als vergängliche Eigenschaften, die nicht schon mit der Seinsweise des Atmâ gegeben waren. Wenn man daher Gott als Seele im Sinne des Systems verstehen wollte, mußte man ihm z. B. diese Eigenschaften als ewige zuschreiben, um nur eine der Schwierigkeiten zu nennen. In Erkenntnis dieser Unzulänglichkeiten des Atman Begriffes zur Interpretation des Wesens Gottes hatten andere Nyâya-Lehrer, z. B. Uddyotakara (Mitte d. 7. Jh. n. Chr.) die These vertreten, daß Gott wohl eine Substanz, aber keine Seele sei, und daß daher zu den von der Schule anerkannten neun Arten der Substanz noch eine weitere, nämlich Gott, anzunehmen sei. Die Tatsache, daß Gott auf jeden Fall, ob man ihn nun als Seele oder als Substanz sui generis bestimmte, zu einem Seienden wie jedes andere gemacht wurde, erregte weiter kein Unbehagen, sondern prägte letztlich gerade den Gottesbegriff der Schule, wie sich im folgenden zeigen wird. Man hatte angenommen, daß alle einfachen Substanzen, die Atome der vier Elemente, sowie Ather, Raum und Zeit, die psychischen Organe und die Seelen ewig sind und hatte sich nicht die Frage gestellt, wieso es möglich ist, daß bestimmte Seiende in ihrem Wesen begrenzt und doch ewig sein können, ohne in ihrem Sein von anderem abzuhängen - eine Frage übrigens, die sich meines Wissens die indische Philosophie niemals gestellt hat. Wurde nun Gott als ein weiteres, ewiges Seiendes angesetzt, wenn auch besonderer Art, so war dies ganz im Sinne des Systems, welches auf diese Weise die ursprüngliche religiös-mythologische Gottesvorstellung im Sinne eines naturphilosophischen Prinzips auslegen konnte, als Seiendes neben anderem Seienden, dem lediglich eine besondere Funktion im Weltganzen zukam. Welches war diese Funktion? In der scholastischen Sprache des Systems besagte die funktionelle Definition Gottes, daß Gott veranlassende Ursache (nimittakaranam) der Welt sei; nicht freilich im Sinne einer creatio ex nihilo, ein Begriff, welcher der gesamten indischen Philosophie fremd ist, sondern im Sinne einer Ursache, die den Weltablauf auslöst und in Ubereinstimmung mit dem Karma der Seelen lenkt, ohne jedoch die Grundelemente der Welt zu erschaffen. Sofern nun das Nyâya-Vaiseşika Gott als Seele oder jedenfalls als geistige Substanz bestimmte, legte sich der Begriff der ,,veranlassenden Ursache" weiter aus in den Begriff des „erkenntnisbegabten Wirkers" (buddhimatkarta) von Entstehen und Vergehen der Welt. Doch in einem noch spezielleren Sinne wurde Gott als ,,veranlassende Ursache" des Weltablaufes verstanden. „Abhängig von der betrachtenden Erkenntnis (apeksabuddih) Gottes", schreibt Prasastapada (2. Hälfte d. 6. Jh. n. Chr.) in seinem Padârthadharmasamgrahah, „entsteht in den Feinatomen und in den Zwei-Atomen die Vielzahl (bahutvasamkhyá) und diese bewirkt in der durch [die Feinatome] hervorgebrachten Wirkung (kâr yadravyam), die drei-atomig ist usw., gleichzeitig mit dem Entstehen von Farbe usw. (auch] Größe und * Tattvasamgrahapañjikâ (G. 0. S. Nr. 30) Bd. I. S. 40, 26-41, 1. Baroda 1926.

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