Book Title: Die Gottesidee In Der Indischen Philosophie Des Ersten Nachchristlichen Jahrtausends
Author(s): Gerhard Oberhammer
Publisher: Gerhard Oberhammer

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Page 10
________________ 456 G. Oberhammer Für die typologische Übereinstimmung von Sankara's Brahman- und sâmkhyistischen Puruşa-Begriff ist es außerdem charakteristisch, daß Sankara, ausgehend von der Analyse des empirischen Bewußtseins, im Grunde keinen Zugang gewinnt zu der für sein System entscheidenden Erkenntnis, daß dieses so abgelei. tete Selbst (atma) identisch ist mit dem absoluten Prinzip der Welt, dem Brahma. Den Monismus, d. h. die Gleichung: Atma-Brahma übernimmt Sankara aus der Tradition der Upanişaden und der Brahmasûtren. Die Ableitung des AtmanBegriffes bei Sankara scheint daher nicht durch den Monismus der Brahmasútren bedingt, sondern vielmehr mit dem Typus des Puruşa-Begriffes gegeben zu sein. Tatsächlich gewinnt Sankara aber auf Grund des Åtman Begriffes und seiner Gleichsetzung mit dem Brahman-Begriff die Möglichkeit, die Brahman-Vorstellung durch den Begriff des Åtmâ rational zu strukturieren und zwar in der gleichen Weise, wie es der sâmkhyistische Yoga mit der Gottesvorstellung getan hatte. Genau wie Gott für den Yoga wird das eine Brahma für Sankara transzendentes, unveränderlich ewiges und daher grundsätzlich a-kosmisches Bewußtsein wie der Puruşa des Sâmkhya18 Wird aber Gott in Beziehung zur „Welt" gedacht, also in Beziehung zum ,,kosmischen" Nichtselbst, dann ergibt sich der merkwürdige Dualismus von höchstem Selbst (paramātma oder brahma) und „materiellem" Weltkeim, nämlich den „unentfalteten Name und Gestalt". Die Beziehung von Brahma und „unentfalteten Name und Gestalt" aber kann prinzipiell nur nach dem Schema. der Beziehung von Selbst und Nicht-Selbst gedacht sein, und es läßt sich daher die Bemerkung Sankara's, die er in Zusammenhang mit der Ableitung des Selbsts aus dem empirischen Bewußtsein macht, auch auf die „unentfalteten Name und Gestalt" anwenden: ,,Was vom Selbst verschieden ist, ist das Ungeistige, das, sofern es in Vereinigung mit anderem) wirkt, für anderes da ist; und nur soweit es zufolge seines Bewußtwerdens in den Vorstellungen von dem, was Freude, Leid und Stumpfheit hervorruft, für anderes (= das Selbst) da ist, ist dieses Nicht-Selbst vorhanden, in keiner anderen Form. Daher kommt [ihm] im eigentlichen Sinne kein Sein zu."10 Von diesem Ansatz her, ergibt sich, daß die „unentfalteten Name und Gestalt”, sofern sie Nicht-Selbst, d. h. vom Brahma „wesensverschieden" (svåtmavilakşanah) sind, nur soviel „Sein" haben, daß sie, sofern das höchste Selbst, das Brahma, existiert, in seinem Lichte bewußt werden (svasamved yah), in sich und unabhängig von diesem aber kein Sein haben. Nochmals kommt hier der Grundtypus zum Vorschein, der sich auch in der Yoga-Konzeption findet: Die Beziehung Gottes zur ,,Welt", durch die polare Einheit von Brahma und „unentfaltete Name und Gestalt" rational ausgelegt, besteht für Sankara prinzipiell nur für das empirische Bewußtsein infolge der Avidyâ, d. h. infolge der fälschlichen Übertragung des Selbstes auf das Nicht-Selbst. Sie ist keine Bestimmung Gottes im eigentlichen Sinne, für den sie ebensowenig existiert wie die ,,Welt". Und wie es im Sâmkhya und im sâmkhyistischen Yoga die Urmaterie (prakrtih) allein ist, die sich im Geschehen der Welt samsáraḥ) selbst bindet und selbst erlöst, während der Purusa, in a-kosmischer Transzendenz davon unberührt. diesem Vorgang lediglich das Licht der Bewustheit verleiht, so besteht „Welt" und Gottes Beziehung zur ,,Welt" nur für das empirische Bewußtsein und nicht 18 Zur typologischen Ubereinstimmung von Sankara's Atman Begriff und sâmkhyistischen Puruşa-Begriff paßt es auch ausgezeichnet, daß Sankara abweichend vom üblichen Vedānta-Usus dem höchsten Selbst wohl die Bestimmungen ,,sat" (seiend )und ,,cit" (geistig) zuordnet aber normalerweise nicht ,,dnanda" (Wonne), wie P. Hacker a. a. 0. 276f. bemerkt. In gleicher Weise bestimmt auch das Sâmkhya den Purusa wohl als seiend und geistig, schreibt ihm aber, meines Wissens, nie ,,ananda" als Bestimmung zu. 19 Upadeśasahasrî $ 109.

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