Book Title: Die Theorie Der Schlussfolgerung Bei Parasarabhatta
Author(s): Gerhard Oberhammer
Publisher: Gerhard Oberhammer
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ DIE THEORIE DER SCHLUSSFOLGERUNG BEI PARĀŠARABHATTA Von Gerhard Oberhammer, Wien Im wesentlichen sind es drei Teilprobleme, an denen Parāśarabhattas 1 Lehre von der Schlußfolgerung so greifbar wird, daß es gelingt, die wenigen Fragmente seines Tattvaratnākaraḥ versuchsweise in ein gewisses System einzuordnen: Das Problem der Vyāpti, das damit engverbundene Problem des Upādhi und schließlich – wenn auch in beschränkterem Ausmaße – das der Scheinformen der Schlußfolgerung (anumānābhāsaḥ), das jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt werden soll. a) Die Lehre von der Vyāpti Die Vyāpti-Definition Parāśarabhattas ist ihrem Wortlaut nach nicht überliefert, doch bietet Srinivāsa in seinem Kommentar zu Venkatanāthas Abkürzungen: ATV Atmatattvavivekah. (Chowkhamba Sanskrit Series) Benares 1940. Rjuvim.p. Rjuvimalāpañcikă in: Bțhati of Prabhākaramiśra. 3 Bde. (Madras University Series No. 3, 1-2 und 24) Madras 1934-1962. PR Pāñcarătrarakşā of Vedānta Desika. (The Adyar Library Series 36) Madras 1942. Nay. dyum. Nayadyumaṇiḥ by Meghanādārisūri. (Madras Government Oriental Series No. 141) Madras 1956. Nyāyaparisuddhiḥ by Venkatanātha. (Chowkhamba Sanskrit Series No. 51) Benares 1923, NP1 Nyāyaparisuddhiḥ. A treatise on Nyayasastra by Sree Nigamantha Maha Desika, ed. by the Sree Visishtadvaitha Pravachana Sabha. Madras 1913. NVTP Nyāyavārttikatātparyaparisuddhiḥ by Udayanāchārya. (Bibliotheca Indica) Calcutta 1911 ff. Nyā. Siddh. Nyāyasiddhāñjanam by Venkatanātha Desika. Benares 1901. NP 1 Parāsarabhatta oder Obhattāraka (ca. 2. Hälfte des 12. Jh. n. Chr.) ist einer der bedeutenden Vertreter des Visiştādvaita vor Venkatanātha. Er scheint das Werk Vangivangesvaras gekannt zu haben (PR p. 53, 17), der als persönlicher Schüler Rāmānujas (PR p. 52, 17) und als Lehrer Närāyaṇamunis (PR P. 153, 1) belegt ist. Andererseits wird er von Sudarsanabhattāraka in dessen Srutaprakāśikā (Sribhāşyam, Vijayatetamăm 1959, p. 955, 11-12) zitiert (letzteres von mir nicht verifiziert). Sein Lehrer war Srivatsankamiśra (PR p. 111, 13). Von seinen Werken sind Srirangarājastavaḥ, Srigunaratnakośaḥ, Aştaśloki, Sriranganāthastotram, Bhagavadguṇadarpaņaḥ (ein Kom. zum Vişnusahasranāmastotram) erhalten. Unter seinem Namen ist weiters ein Subalopanişadvivaranam (TMK I, p. 173, 6) und sein philosophisches Hauptwerk, der Tattvaratnākaraḥ, belegt. Beide Werke sind nur in Zitaten faßbar. Es scheint, daß Parāśarabhatta noch ein weiteres Werk verfaßt hat. Dieses wird von Venkatanātha in seiner Sripañcarātrarakşā öfters zitiert. Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 254 GERHARD OBERHAMMER Nyāya parisuddhiḥ eine sinngemäße Paraphrase, die im wesentlichen dem Original entsprochen haben dürfte: asmin mate vyabhicārajñānavirahe svarūpe sati sāmānādhikaranyam eva vyāptih 2. Verdächtig ist in dieser Formulierung lediglich der Terminus sāmānādhikaranyam, den Srinivāsa öfters zur Interpretation des logischen Nexus verwendet, aber der in keinem der Fragmente Parāśarabhattas belegt ist. Vielmehr spricht dieser nur von sambandhaḥ oder anvayaḥ beziehungsweise, wenn es sich um das Fehlen dieses Nexus handelt, von einem vyabhicāraḥ. Der erste Teil der Definition hingegen dürfte authentisch sein, da er sowohl hinsichtlich des Gedankens wie auch der Formulierung den erhaltenen Fragmenten aus dem Problemkreis des Upādhi entspricht. Das Charakteristische dieser Definition der Vyāpti ist das Fehlen des Upādhi-Begriffes. Sowohl Udayana, dem Parāśarabhatta in der Upādhi-Lehre stark verpflichtet ist, wie auch Venkatanātha und Meghanādāri, um zwei erhaltene Visiştādvaita-Logiker jener Zeit zu nennen, hatten die Vyāpti mit Hilfe des Upādhi-Begriffes definiert 3. Wenn Parāśarabhatta trotzdem auf den Upādhi-Begriff bei der Definition der Vyāpti verzichtet, muß dies seine Gründe haben. Wenngleich die Fragmente, die vom Werk Parāsarabhattas erhalten sind, keinen Hinweis enthalten, drängen sich zwei solcher Gründe auf: Einmal scheint Parāśarabhatta, wie vielleicht der ganze Visiştādvaita seiner Zeit, hinsichtlich des Vyāpti-Begriffes der Tradition der Mimāmsā zu folgen, die in dieser Frage stehts stärker den Aspekt der Notwendigkeit der Verbindung, denn den mehr formalen Aspekt des Upādhi-Freiseins betont, und zum Zweiten hatte man gegen die Vyāpti- und Upādhi-Definition Udayanas und seiner Schule eingewendet, daß sie den Fehler des anyonyāśrayatvam aufweisen würden. 4 Parāśarabhattas Vyāpti-Definition wird durch ein Versfragment aus dem Tattvaratnākaraḥ, in dem die Frage der Feststellung der Vyāpti erörtert wird, wertvoll ergänzt: sambandho 'yam sakrdgrāhyaḥ pratītisvarasāt tatha || pratītayo hi svarasād dharmadharmyavadhin viduḥ || 5 2 „Nach dieser Meinung ist die Vyāpti Gemeinsames-Substrat-Haben sofern eine Eigenform gegeben ist, die von der Erkenntnis eines Abweichens (von Grund und Folge) frei ist.“ NP p. 104, 26f. 3 Udayana z. B. ATV, p. 403, 9f.; Venkatanātha NP, p. 102, 3; Meghanādāri Nay.dyum. p. 195, 4. 4 Im Unterschied zu Parāśarabhatta hat zum Beispiel Venkatanātha in seiner Vyāpti-Definition nirupādhikatayā niyataḥ sambandhaḥ den Upādhi-Begriff in die alte Vyāpti-Struktur des niyataḥ sambandhaḥ, wie sie in der Mimāmsă-Tradition zu finden ist, eingearbeitet. Er muß daher auch den Einwand des anyonyasrayatvam entkräften, was er auch tatsächlich NP, p. 110, 5 f. tut. 5.So ist diese Verbindung (=Vyāpti) infolge des Wesens der Erkenntnis in einem einzigen Male festzustellen. Denn die Erkenntnisse erfassen kraft ihres Wesens die Beschaffenheiten, den Eigenschaftsträger und [deren] Grenzen." NP, p. 104, 4f. Die Übersetzung des Kompositums dharmadharmyavadhin folgt in der Deutung dem Kommentar Sriniväsas. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhatta 255 Auch mit der hier enthaltenen Lehre, daß die Vyāpti durch eine einmalige Beobachtung festgestellt werden könne, weicht Parāśarabhatta sowohl von der Lehre des Nyāya ab, der die Feststellung der Vyāpti durch mehrfache Beobachtung vertreten hatte, wie auch von der gängigen Meinung des Visiştādvaita seiner Zeit, der in dieser Frage offenbar nicht von der Lehre des Nyāya abwich. So ist zum Beispiel von Varadavişņumisra ein Fragment überliefert, worin er ausdrücklich die mehrfache Beobachtung (bhūyodarśanam) als Mittel, die Vyāpti festzustellen lehrt 6. Venkatanātha, der beide Auffassungen referiert, wendet sich ausdrücklich gegen die Lehre Parāśarabhattas und schließt sich der Meinung an, daß man letztlich nicht um die Annahme einer mehrfachen Beobachtung herumkomme? Nur Meghanādāri 8 folgt in seinem Nayadyumaṇiḥ Parāśarabhatta", wie noch gezeigt werden wird. Die Gründe, die Parāśarabhatta veranlaßt haben dürften, diese unkonventionelle Auffassung zu vertreten, lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit, ja zum Teil mit Sicherheit angeben. Zunächst hatte schon Udayana, der auf die Logik Parāśarabhattas einen großen Einfluß ausübte, bemerkt, daß sich die mehrfache Beobachtung nicht auf eine bestimmte Zahl von Beobachtungen festlegen lasse: „Und nicht liegt ein Nutzen darin“, sagt er in seiner Nyāyavārttikatātparyaparisuddhiḥ, ,,die Anzahl der Male [der Beobachtung) zu begrenzen, weil die Menschen infolge des Unterschiedes einer geringen, mittleren oder überragenden Erkenntnis in ihrer Fähigkeit verschieden sind ... ... Denn auch hier muß sich schließlich die Einsicht einstellen, daß die Verbindung upādhi-frei ist, wie auch für die Unterweisung und Übung des Yoga die unmittelbare Erkenntnis einer Gegebenheit das Ende bedeutet, ohne daß diese durch eine festgelegte [Anzahl] von Malen bestimmt wären.“ 10 – Darüber hinaus aber vertritt der Visiştādvaita wie die gesamte Mimāmsā die Lehre vom svataḥprāmānyam jeder Erkenntnis, d. h. die Lehre, daß eine Erkenntnis, sofern sie Erkenntnis ist, aus sich heraus gültig ist, und zum Nachweis ihrer Gültigkeit keiner weiteren Erkenntnisse bedarf. Diese Lehre findet sich als Grund für die These, daß die Vyāpti durch einmalige Beobachtung festgestellt werden könne, im oben zitierten Fragment durch den Ausdruck pratītisvarasāt angedeutet, und ist in einem anderen Fragment Parāśarabhattas auch ausdrücklich als dessen Lehre belegt 11 Wenn also die Beobachtung der Ver * NP, p. 104, 2f. 7 NP, p. 106, 4ff. 8 Meghanādārisūri (1. Hälfte d. 13. Jh. n. Chr. ?) ist einer der wenigen, erhaltenen Visiştādvaita-Autoren vor Venkatanātha. Er ist Schüler Atreyanāthāryas (Nay. prak. zu I, 1, 1). Von seinen Werken sind Nayaprakäsikä, Bhäşyabhāvabodhanam und Nayadyumaṇiḥ erhalten, wenngleich das zweite unvollständig. Von den von ihm zitierten Autoren sind zu nennen: Sriharşa, Varadavişnumiára, Srīrāmamisra (Somāsiyāndān), Varadanārāyaṇabhattāraka u. a., er selbst scheint Venkatanātha bekannt zu sein. Nay. dyum. p. 197, 22 ff. 10 NVTP, p. 702, 2-6. 11 Nyā. siddh. p. 117, 23ff. Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 256 GERHARD OBERHAMMER bindung von Grund und Folge Erkenntnis sein soll, dann muß in ihr auch die Erkenntnis der Vyāpti in irgend einer Form enthalten sein und muß dies bereits in der ersten Beobachtung dieser Verbindung erkannt werden können. Parāsarabhatta hatte um dies zu erklären eine eigenwillige Theorie entwickelt. Verkațanātha berichtet in seiner Nyāyaparisuddhiḥ, Parāśarabhatta habe die Möglichkeit, die Vyāpti auf Grund einer einmaligen Beobachtung zu erkennen, dadurch erklärt, daß die Wahrnehmung infolge der einen Gemeinsamkeitsform (sāmānyarūpaikyāt) einer Gruppe von Einzelfällen alle zu dieser Gemeinsamkeitsform gehörenden Individuen erkennen könne 12. Um eine solche Wahrnehmung in ihrer Möglichkeit zu begründen, hatte er nach eigenem Zeugnis 13 eine dritte Art des Kontaktes angenommen, den er in folgender Weise beschrieb: sannihitadhūmādivyaktisamyuktasyendriyasya tadāśritadhūmatvādiḥ samyuktāśritas, tadāśrayatvena vyaktyantarāni samyuktāni 14. Näheres über diese besondere Art der Verbindung sowie über die damit engverbundene Lehre von der Gemeinsamkeit (sāmānyam), wie sie von Parāśarabhatta vertreten worden war, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen, da es keine weiteren Fragmente zu dieser Frage zu geben scheint und auch Venkatanātha über diese Lehren Parāśarabhattas nicht im Bilde ist, da ihm kein vollständiges Exemplar des Tattvaratnākaraḥ mehr zur Hand war 15. Fest steht lediglich, daß Parāśarabhatta mit seiner Lehre von der Gemeinsamkeit in gewissem Gegensatz zur üblichen Schulmeinung des Visiştādvaita seiner Zeit stand, nach der die Gemeinsamkeit nicht als eigene Kategorie aufgefaßt, sondern als Ähnlichkeit (sādséyam) und damit als Eigenschaft (gunaḥ) gedeutet wurde. Denn er stellt ausdrücklich fest: bhūyo 'vayavasāmānyam sädrøyam bahavo viduh | prthak prameyam tad iti prameye darśayisyate || 18 Andererseits kann aber Parāśarabhatta diese Ähnlichkeit oder Gemeinsamkeit nicht so aufgefaßt haben wie der Nyāya oder das Vaišeşika. Sonst würde ein längeres Fragment des Tattvaratnākaraḥ aus der Diskussion des Wortes und seines Gegenstandes unverständlich werden. Dort bringt Parāśarabhatta folgenden Einwand des Gegners: nanu dravyatva prthivītvaśuklatva pākatvādeḥ sāmānyasyānāśrayane vācyānām sva pravrttinimittānām ca samtatyavasthādīnām anekatvād eka prayojakābhāve katham aikaśabdyam vada, tava vā katham na mamaivaişa bharaḥ sarvo hi kālaḥ sarvam ityādişu bahuşv api sabdaikyam manyate. 17 Diesen Einwand beantwortet er mit einem zusammenfassenden Vers: 12 NP, p. 105, 1. 13 NP, p. 105, 6-7. 14 NP, p. 105, 3-5. 15 Nyā. siddh., p. 182, 19f. 16 ibid., p. 182, 17-18. 17 ibid., p. 182, 24-183, 2. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhatta 257 vācyasvarūpe 'tha tadīyarūpe dūrād upādhişu athavai kabhāvāt sādęsyabhedāgrahato 'thavaiņu vācyeşv ihaikīkaranam matam tat Aus demselben Zusammenhang muß ein kurzes erklärendes Prosafragment stammen, das Venkatanātha in unmittelbarem Anschluß daran zitiert: candraḥ sūrya ityādau vācyasvarūpaikyāt, ghataḥ pața ityādau tadākāraikyāt 18. Aus diesen Fragmenten folgt, daß Parāśarabhatta gegen eine Gemeinsamkeit (sāmānyam) etwa im Sinne des Nyāya-Vaišeşika argumentiert hat 19 und daher ein solches nicht selbst gelehrt haben kann, auch wenn er die Ähnlichkeit (sādęśyam) als eigenen Erkenntnisgegenstand betrachtet hat und sie daher nicht in die Kategorie der Eigenschaft (gunah) eingeordnet haben kann. Außerdem fällt in der Argumentation Parāsarabhattas auf, daß er im Grunde die ,,Gemeinsamkeitsform" (sāmānyarūpaikyam), die er in Zusammenhang mit der Feststellung der Vyāpti gelehrt hatte, auch hier als Grund für die Benennung von Dingen einer Klasse mit demselben Wort nennt. Ist nämlich bei einmaligen Dingen wie Sonne oder Mond ihr durch lange Zeit (dūrāt) gleichbleibendes Eigenwesen der Grund für ihre Bezeichnung mit immer demselben Wort, so ist es bei den in mehreren Exemplaren existierenden Dingen dieselbe eine Erscheinungsform (ākāraikyam), die Grund für ihre Benennung durch dasselbe Wort ist, und die nichts anderes als die Gemeinsamkeitsform" sein kann, die Grund für die Erkenntnis der Allgemeingültigkeit der Vyāpti ist. Daraus läßt sich erkennen, daß Parāśarabhatta diese ,,Gemeinsamkeitsform“ oder „Erscheinungsform“, die mehreren Dingen der gleichen Klasse zukommt, ganz im Sinne einer Gemeinsamkeit verwendet. Zusammenfassend kann man sagen, daß er die Ähnlichkeit (sādęśyam), wie er die Gemeinsamkeit terminologisch bestimmt haben dürfte 20, zwar nicht als Gemeinsamkeit im Sinne eines ewigen Realprinzips allgemeiner Erkenntnis, das den Dingen inhäriert, bestimmt hat, daß er sie aber doch als eigenen Erkenntnisgegenstand (prameyam) gelehrt hat, der die Funktion der Gemeinsamkeit zu vertreten hatte, und die er offenbar als das Besitzen von ein und derselben „Erscheinungsform" (äkāraikyam) oder „Gemeinsamkeitsform“ (sāmānyarūpaikyam) verstanden hatte. Von ihr hatte er weiters gelehrt, daß sie nicht durch eine der vermittelten Erkenntnisarten wie Schlußfolgerung oder Worterkenntnis erkannt wird, sondern durch die unmittelbare Erkenntnis der Wahrnehmung 21, und zwar auf Grund des ,,Kontaktverbundenes zur Grund 18 ibid., p. 183, 5-6. 19 Dies ist auch die Ansicht Venkatanāthas, der zu dieser Stelle bemerkt: tatra na tāvam mukhyam evākāraikyam vivaksitam jätiniräkaranāt. Nyā. siddh., p. 183, 6f. 20 Vgl. das Versfragment Nyā. siddh. p. 182, 17-18 und Venkatanāthas Bemerkung zu diesem Fragment: astu vā sādréyam anyat tanmatenāpi ..., die nahnlegt, daß er sädréyam als Subjekt des ersten Halbverses betrachtet. 21 Dies ergibt sich aus der Erklärung Parāśarabhattas für die Erkenntnis der Allgemeingültigkeit der Feststellung der Vyāpti durch den Umstand, daß alle zu 17 Festschrift - Frauwallner Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 258 GERHARD OBERHAMMER lage Haben“ (samyuktāšrayanam) genannten Kontaktes (samyogaḥ). Und wenn Parāsarabhatta im obenzitierten Vers als Grund für die Gleichheit der Wortbezeichnung anstelle der einen ,,Erscheinungsform" das „Nichterkennen eines Unterschiedes der Ähnlichkeit“ (sādréyabhedāgrahah) setzt, so kannn es sich, genauer gesagt, bei der Erkenntnis dieser ,,Gemeinsamkeitsform" wohl nur um eine „vorstellende Wahrnehmung" (savikalpikapratyakşam) handeln, die er als das „Ausschließen der Verbindung der Bestimmungen mit anderem" definiert hatte. 22 Nach diesem Exkurs über Parāśarabhattas Lehre von der Gemeinsamkeit muß nunmehr der Frage nachgegangen werden, wie von diesem Denker die Feststellung der Vyāpti in ihrer Möglichkeit begründet wurde. Ein Anhaltspunkt findet sich in der besonderen Bestimmung seiner Vyāpti-Definition vyabhicārajñānavirahe svarūpe sati, die es nahelegt, bei der Feststellung der Vyāpti zwei Momente zu unterscheiden, nämlich die Beobachtung des konkreten sambandhaḥ und die Erkenntnis, daß die beobachtete Verbindung von einem Abweichen (vyabhicāraḥ) des Grundes von der Folge frei ist 23, d. h., daß der Grund vom zu Beweisenden nur umfaßt (vyāptarūpam) und nicht auch nicht-umfaßt ist. Setzt man hier die Lehre Parāśarabhattas ein, daß die Gemeinsamkeit durch die Wahrnehmung erkannt wird und daß durch die Wahrnehmung der Gemeinsamkeit alle zu dieser Gemeinsamkeit gehörenden Individuen miterkannt werden, dann wird deutlich, wie Parāśarabhatta die Feststellung der Vyāpti erklärt hatte: In der Beobachtung der konkreten Verbindung, die im Prinzip nur einmal notwendig ist, ist die Erkenntnis der Gemeinsamkeit der beiden beobachteten Gegebenheiten enthalten und damit auch die Erkenntnis - wenngleich natürlich nicht im Sinne einer direkten vorstellungsfreien Wahrnehmung – aller zu diesen beiden Gemeinsamkeiten gehörenden Einzelfälle. Bei dieser Erkenntnis ergeben sich prinzipiell drei Möglichkeiten: a) man erkennt, daß alle Einzelfälle der beiden Gemeinsamkeiten mit einander in Verbindung stehen, b) daß alle Einzelfälle, die zur einen Gemeinsamkeit gehören, mit einem Teil der Einzelfälle der anderen verbunden sind, und c) daß nur ein Teil der Einzelfälle, die zu den beiden Gemeinsamkeiten gehören, mit einander in Verbindung stehen. Im ersten Falle erkennt man eine samavyāptih der beiden Gemeinsamkeiten, d. h. eine Vyāpti, die auch umkehrbar ist; im zweiten Falle besteht eine einseitige Vyapti und im letzten Falle einer Gemeinsamkeitsform gehörenden Individuen vermittels des samyuktasritaśrayanam wahrgenommen werden, und aus der Definition der Wahrnehmung durch Parāśarabhatta: aparokşapramādhyakşam āparoksyam ca samvidah | vyavahāryārthasambandhijñānajatvavivarjanam II NP, p. 71, 4-5. 11 Vgl. NP, p. 82, 6–7: vibesaņānām svāyogavyāvsttir avikal pake savikalpe 'nyayogasya vyavrttih samjñinā (v. 1. NP1, p. 45, 7: samjñitā) tatha || 13 Vgl. auch NP, p. 116, 6. Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhaṭṭa überhaupt keine. Es scheint in diesem Sinne zu sein, daß Parāśarabhaṭṭas eigene Begründung für die Feststellung der Vyapti auf Grund einmaliger Beobachtung zu verstehen ist:,,Denn die Erkenntnisse erfassen kraft ihres Wesens die Beschaffenheiten, den Beschaffenheitsträger und deren Grenzen" 24. 259 In diesem Zusammenhang verdient Meghanādāris Lehre von der Feststellung der Vyapti Beachtung, die der für Parasarabhaṭṭa erschlossenen zu entsprechen scheint. Bei näherer Untersuchung gewinnt man nämlich den Eindruck, daß Meghanādāri die Lehre Parasarabhaṭṭas im Wesentlichen übernimmt, sie jedoch in einem Punkte, nämlich in der Lehre von der Funktion der Gemeinsamkeit für die Feststellung der Vyapti abändert. Meghanādāri beginnt den betreffenden Abschnitt, es handelt sich um das Anumana-Kapitel seines Nayadyumaniḥ, mit der Definition der Schlußfolgerung und bestimmt in diesem Zusammenhang den Begriff des Anvaya (=Vyapti) im Sinne Udayanas als anaupadhikaḥ sambandhaḥ, wobei er sich zur Bestimmung des dadurch implizierten Begriffes des Upadhi einer weiteren Formulierung Udayanas, nämlich sadhanavyāpakatve sati sadhyavyāpakaḥ 25, bedient. Nach ausführlicher Diskussion eines für die Lehre der Schule wichtigen Beispiels einer upadhi-haften Schlußfolgerung beendet er, an der weiteren Lehre vom Upadhi uninteressiert, die Erörterung dieses Begriffes mit den Worten: anyat tv akṣapadiyagranthesu draṣṭavyam ity uparamyate 26, und kehrt nach Widerlegung eines wörtlich zitierten Einwandes Sriharṣas 27 gegen die Upadhi-Definition Udayanas zur Diskussion der Vyapti zurück: na ca bhūyodarśanāvaseyam eva tadavadharanam, na tu tata upadhiśankānirāsa iti jñānānām svataḥ prāmāṇyasya sädhitatvāt prathamasyāpi tadgrahaṇasya pramāṇatvāt, pramāṇasya prameyāvacchedarūpatvād vyāpyatvāvacchedasyāpi sakṛddarśanādhīnatvāt. anyata eva hi sankā bādho vā. śankāyām vā bādhāyām vā na prāmāṇyam. vyāptikarma hi vyāpyam tac ca deśataḥ kālato vā nyūnadharmaḥ. vyāpyatvāvagatiś ca vastuno yatpramāṇena yatsambandhavisiṣṭatayāvagatiḥ tatpramāṇād eva tatsambandhyantarasambandhavyāpyatadhir api. desadyavacchedo'pi na sambandhasya dharmatvena dharmantaraviseṣyatvānupapatteḥ, tadvibisyatve dharmanirupyadharmino na pratyabhijña dharmasyāpi dharmitvena svatantratvāt. yadā tu deśādina dharmyavacchede dharmasyapy antarbhāvaḥ, tadā agnyādivyāpyatā dhūmādeḥ siddhā sakṛddarśanad eva desakäläder ananvayat. tadanvaye ca tadviseṣavisistasyaiva vyäpyata syāt, na tu sarvadeśānugatasya. 24 Vgl. Anm. 5. 25 Nay. dyum., p. 195, 5 Udayana Ny. kus., p. 352, 1. 26 Nay. dyum. p. 196, 23. Mit anyat sind offenbar die übrigen Teilprobleme der Upadhilehre gemeint, nämlich upadhibhedaḥ, upadher duşakatabijatvam_und upadhyābhāsāḥ. Diese Bemerkung zeigt deutlich, wie stark man sich in dieser Frage vom Nyaya beeinflussen ließ. 27 Nay. dyum., p. 196, 24-197, 3 = Khand., p. 275, 2-7 (Acyutagranthamālā 1). 170 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 260 GERHARD OBERHAMMER nanu tathāpy agnyādyākṣtikavyaktibhedasamyogādisambandhavaddhūmādyakrtikavyaktibhedamātrasyaiva dsstatvāt tatsambandhavadvyaktyantarasya cădsstatvāt na vyāpyatvagraha iti, tan na vyaktibhedasyaiva tadopādhitvāt tasya ca vyaktyantaradarśananirasyatvāt. atha tatrāpy upādhisankā. na, agnitvadhūmatvavišiştatvākārena sarvānugatavyāpyatvagrahasya susakatvāt. evam ca tarkān mānād vyāpyatvagrahe ca lakşanīyatvam. nanu dhūmatvādivisistatvākārona sarvatadvyakti pratītau agnitvādivisistatadvyakter api tadaviseşāt pramitivisayatvena nānumāna prāmānyam. tan na adhigatārthavisayasyā prāmānyānangīkārāt. tatpratīteḥ samskuramātrajatvābhāvād na ca smrtitvam. nanu dhūmāsambaddhasyāpy agner darśanān na tadvyāpyatā dhūmāder iti, tan na, agner dhūmavyabhicãritve'pi dhūmasya tadavyabhicārāt. ataḥ sambandhaḥ sakrddarsanagamyaḥ, aupādhikašańkānirāsas tv asakyddarsanād astu. 28 28 ,,Und diese Bestimmung [der Vyāpti] wird nicht durch mehrfache Beobachtung erkannt sondern durch einmalige), dadurch wird aber die Befürchtung eines Upādhi nicht beseitigt; da wegen des Erwiesenseins der Selbstgültigkeit (svatah prāmānyam) der Erkenntnisse auch schon die erste diesbezügliche Wahrnehmung Mittel gültiger Erkenntnis ist, [und) weil, da eine gültige Erkenntnis in ihrer Form vom Erkenntnisgegenstand geprägt ist, auch die Prägung durch das Umfaßtsein (vyāpyatvam) von dieser einen Wahrnehmung abhängt. Im anderen Falle handelt es sich nämlich entweder um einen Zweifel (sankā) oder um eine Aufhebung (bâdhah), weder im Falle eines Zweifels noch im Falle einer Aufhebung liegt aber ein Mittel gültiger Erkenntnis vor. Objekt der Vyāpti ist nun das Umfaßte (vyāpyam) und dieses ist eine dem Ort oder der Zeit nach beschränktere Beschaffenheit (nyunadharmah) ...... Und nun die Erkenntnis des Umfaßtseins (vyāpyatvāvagatih) : Durch welches Erkenntnis. mittel ein Reales als durch die Verbindung mit welchem (anderen] bestimmt er. kannt wird, durch eben dieses Erkenntnismittel ergibt sich auch die Erkenntnis. des Umfaßtseins im Falle der Verbindung mit jenem anderen Relationsglied. Weiters kommt die Bestimmung durch Ort usw. nicht der Verbindung zu, da [diese) infolge des Beschaffenheitseins nicht durch eine andere Beschaffenheit bestimmt werden kann. Würde sie durch eine solche bestimmt werden, gäbe es keine Erkenntnis des durch Beschaffenheiten feststellbaren Beschaffenheitsträgers, da auch die Beschaffenheit zufolge ihres Beschaffenheitsträgerseins unabhängig wäre. Wenn aber in der Bestimmung des Beschaffenheitsträgers durch Ort usw. auch die der Beschaffenheit mitenthalten ist, dann ist das Umfaßtsein des Rauches usw. durch Feuer usw. eben auf Grund einmaliger Beobachtung erwiesen, da kein Zusammenhang mit Ort und Zeit besteht; bestünde ein solcher, dann müßte das Umfaßtsein nur dem durch diese Bestimmungen bestimmten [Rauch] zukommen, nicht aber überall. [Einwand:) Dennoch gibt es kein Feststellen des Umfaßtseins, da man lediglich einen Einzelfall beobachtet, der die Erscheinung (äkertih) des Rauches usw. hat und durch Kontakt usw. mit einem Einzelfall verbunden ist, der die Erscheinung des Feuers usw. besitzt, man aber keinen anderen Fall beobachtet, der mit derartigen verbunden ist. [Antwort:] Dies ist nicht (so), weil dann nur ein besonderer [beobachteter) Einzelfall Upādhi sein könnte, und dieser durch Beobachtung eines anderen Falles beseitigt werden würde. [Einwand: Und doch bleibt die Befürchtung eines Upadhi. [Anwort:) Nein, weil sich das allen zukommende Umfaßtsein leicht durch die Form des Bestimmtseins durch Feuer- und Rauchtum feststellen läßt. Auf diese Weise und auf Grund der Tarka-Argumentation bei Feststellung des Umfaßtseins ist dies darzulegen. [Einwand :] Sofern zufolge der Form des Bestimmtseins durch Rauchtum usw. die Erkenntnis aller betreffenden Einzelfälle sowie auch des betreffenden Einzel Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāsarabhatta 261 Schon bei oberflächlicher Betrachtung der hier dargelegten Gedanken zeigt sich der komplexe Charakter der Stelle: Die These, daß die Vyāpti auf Grund einmaliger Beobachtung festgestellt werden könne, indem die Verbindung auf Grund der allgemeinen Erscheinungsform (äkrtiḥ, bzw. agnitvam, dhūmatvam) der verbundenen Konkreta erkannt wird, entspricht der Lehre Parāśarabhattas. Andererseits ist der Einfluß sālikanāthas, mit dessen Darstellung Meghanādāri nicht nur gedanklich, sondern auch der textlichen Form nach übereinstimmt, nicht zu leugnen. Man vergleiche etwa Śālikanāthas Bemerkung in der Rjuvimalā: yad vastu yena pramāṇena sambandhavisistam gļhyate ... ... tasya tenaiva pramāņena sambandhe vyāpyatā pi gamyate 29 mit der Formulierung Meghanādāris: vyāpyatvāvagatiś ca vastuno yatpramānena yatsambandhavisistatayāvagatih, tatpramāņād eva tatsambandhyantarasambandhavyāpyatādhir api. Salikanātha referiert zwar an dieser Stelle die Lehre eines anderen, sodaß die Möglichkeit bestünde, daß Meghanādāri von jener anderen Quelle abhängt, doch zeigt der Vergleich der übrigen Darstellung Meghanādāris mit Salikanāthas Werk, vor allem seiner Prakaraṇapañcikā, deutlich die Abhängigkeit von Sālikanātha. So entspricht Meghanādāris Bemerkung, die Verbindung zwischen Grund und Folge sei nicht durch Ort und Zeit bestimmt, sondern wie Ort und Zeit eine Bestimmung des Eigenschaftsträgers, bei dessen Erkenntnis sie miterkannt werde, wobei sie eben wegen des nicht durch Ort und Zeit Bestimmtseins allgemein gelte 30, in der Prakaranapañcikā dem Abschnitt p. 70, 6–23 (Benares 1904). In gleicher Weise deckt sich der Einwand, die Schlußfolgerung könne nach dem bisher Gesagten kein Erkenntnismittel sein, da sie eine bereits eingetretene Erkenntnis zum Gegenstand habe 81, deutlich mit dem Abschnitt p. 71, 6-16 desselben Werkes. Es kann daher über die Beeinflussung der vorliegenden Darstellung durch sālikanātha kein Zweifel bestehen und es ergibt sich die Frage, wie die Komplexität dieser Stelle zu deuten ist. Vergleicht man zu diesem Zweck dasjenige, was sich als Lehre Parāsarabhattas erschließen ließ, mit der hier von Meghanādāri vertretenen Lehre, falles, der durch Feuertum usw. bestimmt ist, gegeben ist, [folgt), daß die Schluß. folgerung kein Mittel gültiger Erkenntnis ist, weil sie [bereits erfolgte] Erkenntnis zum Gegenstand, hat. [Antwort:) Dies ist nicht [80], weil nicht die Ansicht ver. treten wird, daß sein Erkenntnismittel), das etwas Erkanntes zum Gegenstand hat kein Erkenntnismittel ist, und weil diese Erkenntnis nicht nur auf Grund psychi. scher Engramme entsteht, handelt es sich nicht um Erinnerung. [Einwand:) Da man Feuer beobachtet, das auch nicht mit Rauch verbunden ist, ist Rauch usw. nicht von diesem umfaßt. [Antwort:) Dies ist nicht (so), weil der Rauch nicht ohne Feuer vorkommt, auch wenn das Feuer ohne Rauch vorkommt. Daher ist die Verbindung (= Vyāpti) auf Grund einmaliger Beobachtung erkennbar, die Beseitigung der Befürchtung eines Upadhi aber dürfte auf Grund mehrfacher Beobachtung geschehen." Nay. dyum., p. 197, 22-198, 20. 29 Rjuvim. p. II, p. 95, 24f. 30 Nay. dyum., p. 198, 3-6. 31 Nay. dyum., p. 198, 14-17. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 262 GERHARD OBERHAMMER so zeigt sich vor allem in einem Punkte ein entscheidender Unterschied. Parāśarabhatta hatte die Möglichkeit, die Vyāpti eines Grundes als allgemein gültig zu erkennen, mit der Erkenntnis aller Konkreta mittels der Wahrnehmung der ihnen zukommenden Gemeinsamkeit erklärt. Bei Meghanādāri ist es gerade diese Lehre, die fehlt; an ihre Stelle ist die These sālikanāthas getreten, daß die Verbindung zweier Gegebenheiten an sich, ohne durch Raum und Zeit bestimmt zu sein, wahrgenommen und daher allgemein gültig erkannt werde. Soweit sich bisher, die Lehre Parāśarabhattas beurteilen läßt, kann diese These aber nicht ursprünglich Bestandteil seiner Lehre gewesen sein, da in diesem Falle seine eigene Theorie unnötig gewesen wäre. Vielmehr erhält man den Eindruck, daß die Lehre Sālikanāthas in der Darstellung Meghanādāris die entsprechende Ansicht Parāśarabhättas ersetzen sollte. Nun ist Meghanādāri im Gegensatz zu Parāśarabhatta an der logischen Problematik nicht sonderlich interessiert, was unter anderem daraus ersichtlich ist, daß er die Lehre vom Upādhi kaum erörtert, sondern bemerkt, daß man die Einzelheiten dieser Lehre in den Werken des Nyāya nachlesen könne 83. Es scheint daher nicht sehr wahrscheinlich, daß dieser in Zusammenhang mit der Lehre von der Feststellung der Vyāpti eine neue eigene Lehre entwickelt haben sollte. Dazu kommt, daß Meghanādāri, der das Werk Sälikanāthas kennt 33, sich aber in der Lehre von der Gemeinsamkeit weder Parāsarabhatta noch sālikanātha anschließt 34, in diesem Falle kaum die These entwickelt haben dürfte, daß die Vyāpti in ihrer Allgemeingültigkeit auf Grund der Gemeinsamkeit erkannt werden könne, wie sie sich in seiner Darstellung p. 198, 12f. findet. Dies ist vielmehr typische Lehre Parāśarabhattas. Und zwar liegt es nahe anzunehmen, daß Parāśarabhatta sich in dieser Frage wie in anderen Punkten seiner Schlußfolgerungslehre vom Nyāya beeinflussen ließ, wenn gleich auch die Prabhākara-Mimāņsā Ausgangspunkt seiner diesbezüglichen Lehre gewesen sein könnte, die ebenfalls die Gemeinsamkeit als selbständigen, durch Wahrnehmung erkennbaren Erkenntnisgegenstand betrachtet hatte. Jedenfalls scheint es aber diese Lehre gewesen zu sein, die Anlaß dafür war, daß Meghanādāri Parāśarabhattas Theorie von der Feststellung der Vyāpti modifizierte. Es wird nämlich von Venkatanātha (NP p. 105,8) überliefert, daß Parāsarabhatta mit seiner Lehre von der Erkenntnis aller zu einer Gemeinsamkeit asarabhar tre Paris Schlußfola uch die 32 Nay. dyum., p. 196, 23. 33 Z. B. im selben Kapitel Nay. dyum., p. 201, 18. 84 Vgl. sådréyam api gunah, na ca gunakarmanor apy asritatvät tasya padārthantaratvam ...... tad eva sāmānyam. na ca sāmänyasyānuvrtti pratitivyavahārasiddhatvat sädráyasya ca tadabhāvāt padarthäntaratvam ucitam iti ... ...vastusādhāranadharmarūpasādréyäparaparyāyam samsthānam evanuorttidhihetuh jatir ity arthah. Nay. dyum., p. 260, 22-261, 3. Ob Meghanädāri sich an dieser Stelle auch mit Argumenten Parāśarabhattas auseinandersetzt, ist nicht zu entscheiden, wenngleich es wahrscheinlich ist. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhatta 263 gehörenden Konkreta auf Grund der Wahrnehmung eben dieser Gemeinsamkeit, auf Kritik innerhalb der eigenen Schule gestoßen ist. Meghanādāri scheint dieser Kritik Rechnung getragen und die anstößige Lehre durch jene Śālikanāthas ersetzt zu haben. Somit ergibt sich als mögliche Deutung der Darstellung Meghanādāris folgende Arbeitshypothese: Selbst an der logischen Problematik uninteressiert, hat sich Meghanādāri Parāśarabhattas Lehre hinsichtlich der Feststellung der Vyāpti soweit angeschlossen, daß er dessen Grundthese von der einmaligen Wahrnehmung als für die Feststellung der Vyāpti genügend übernahm. In der Darstellung Meghanādāris entspricht dem die Hauptthese und der kleine Abschnitt, wo Meghanādāri bemerkt, daß die Befürchtung eines Upādhi durch die Feststellung der Allgemeingültigkeit (sarvānugatavyāpyatvagrahaḥ) der Vyāpti auf Grund der Gemeinsamkeiten der in Verbindung beobachteten Konkreta sowie durch den Tarka ausgeschlossen werden könne 35. Beide Theoreme finden nämlich in seiner Darstellung keine Stütze und Rechtfertigung ebenso wenig wie bei Sālikanātha. Sie müssen daher von Parāśarabhatta stammen, will man nicht eine dritte, von diesem beeinflußte Quelle annehmen. In der prinzipiellen Begründung der Feststellung der Vyāpti auf Grund einmaliger Beobachtung jedoch hat Meghanādāri konsequent die Theorie Sālikanāthas - manchmal wörtlich – an die Stelle der ursprünglichen Lehre Parāśarabhattas gesetzt. In seiner Darstellung ist dies der Abschnitt p. 197, 24--198, 7. Außerdem scheint er auch noch den Einwand p. 198, 14-17 in Anlehnung an sālikanātha formuliert und beantwortet zu haben. Die etwas abrupt schließende Ableitung der Eliminierung der Befürchtung eines Upādhi durch mehrfache Beobachtung 38 hingegen könnte einen verkürzten Gedankengang Parāśarabhattas wiedergeben. Sie nämlich entspricht der Upādhi-Lehre Parāśarabhattas, und nicht die oben erwähnte Ansicht, von dem Ausschluß der Befürchtung eines solchen durch die Erkenntnis der Allgemeingültigkeit der Vyapti. Denn Parāsarabhatta hat zwar die These vertreten, daß die Vyāpti durch die Wahrnehmung der Gemeinsamkeiten auf Grund einmaliger Beobachtung erkannt werde, nicht aber daß dadurch auch schon ein möglicher Upādhi erkannt werden könne. Bei diesem Gedanken handelt es sich wahrscheinlich um eine ungenaue Folgerung aus Parāśarabhattas Ansatz, und nicht um ein Referat seiner genuinen Lehre. Nach diesem Versuch einer historischen Würdigung von Meghanādāris Darstellung als Umformung der Lehre Parāśarabhattas unter dem Einfluß der Thesen sālikanāthas, muß nunmehr zur Untersuchung dieser Lehre selbst zurückgekehrt werden und der zweite Problemkreis der Schlußfolgerungslehre besprochen werden, die Lehre vom Upādhi. 85 Nay. dyum., p. 198, 12f. 36 Nay. dyum., p. 198, 18-21. Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 264 GERHARD OBERHAMMER b) Die Lehre vom Upādhi In seiner Nyāyaparisuddhiḥ gibt Venkatanātha ein kurzes Referat über Parāśara bhattas Lehre vom Upādhi 37 und bringt in diesem Zusammenhang einige Zitate aus dessen Tattvaratnākaraḥ, die alle demselben Kontext, nämlich der Darstellung der Upādhi-Lehre, entstammen. Diese Darstellung scheint in gleicher Weise gegliedert gewesen zu sein wie die entsprechenden Darstellungen auf Seiten des Nyāya. Denn sie behandelte das Wesen (svarūpam) und die Definition des Upādhi, das Mittel (pramānam) einen solchen festzustellen, seine verschiedenen Arten (avāntarabhedāḥ) und die Erörterung seiner Fehlerhaftigkeit (dūşanatva prakārāḥ) 38. Ob Parāśarabhatta darüber hinaus auch die Scheinformen eines Upādhi (upādhyābhāsāḥ) behandelt hat, läßt sich aus der Darstellung bei Venkatanātha nicht entscheiden. Zwar scheint er im Gegensatz zu Meghanādāri die Upādhi-Lehre in allen ihren Aspekten dargestellt und damit auch die Frage der Scheinformen des Upādhi erörtert zu haben, doch beschränkt Venkatanātha seine Darstellung und damit auch die Zitate aus dem Tattvaratnākaraḥ auf die sachlich wichtigsten Punkte der Lehre, sodaß man von den Detailfragen oder von der Behandlung der mit der Upādhi-Lehre verbundenen Probleme durch Parāśarabhatta keinen Eindruck gewinnt. Verkatanātha zitiert in seinem Referat drei Abschnitte aus dem Tattvaratnākaraḥ, die er offenbar in derselben Reihenfolge wie im ursprünglichen Kontext aneinander reiht: Frgm. 1: kenacid yasya sambandho 39 yo 'vacchedaka eva hi tasyopādhir yathā vahner ārdraidho dhūmasamgame || frotratvayoge 40 nabhaso yathā vā karnašaşkuli samsārayoge jīvasya karmāvidyādi vā yatha || sādhyavyāptasādhanāvyāpaka 41 iti tam upalakşayanti 42 kecit sādhanāvyāpakah sādhyasamavyāptir iti ca ... ... 43 37 NP, p. 115, 8-117, 9. Die Abgrenzung der Darstellung der Lehre Parā. sarabhattas ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang der Zitate und auf Grund des Zeugnisses des Kommentators: tattvaratnākaragranthoktam svarūpädiprakāram udāharati yathetyādinā sarvasarkātiprasangapāțanapatiyāms ca tarka ityantena. ibid., p. 115, 23f. 38 Vgl. Anm. 43. 39 sambandho: NP1 sambandhe. 40 NP: Srotratvayogo offenbar Druckfehler für srotratvayoge, wie NP liest. 41 sādhyavyāpta : NP sädhyavyāpakah. NP gibt als v. l. auch sādhyavyāptah. 42 upalakşayanti: NPi lakṣayanti. 43 Der Kontext lautet: tattvaratnākare tu evam upādheḥ svarūpam pramānam avāntarabhedo dūşanatvaprakāras copapõditah; yatha ...... ityādinā svarūpam nidarsitam. NP, p. 115, 8-116, 5. Übersetzung des Fragmentes: ,,Denn dasjenige), was Abgrenzer (avacchedakah) dessen ist, was mit einem [andern] verbunden ist, ist der Upādhi; wie zum Beispiel das feuchte Brennholz für das Feuer im Zusammengehen mit dem Rauch, oder die Ohröffnung für den Äther in der Verbindung mit dem Gehörsein, oder Karma Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhatta 265 Frgm. 2: kim asya jñāpakam ? sādhanasya kvacitsambandhakhyāpakam 44 sambandhagrahaņavelānuyāyisvarūpavaikalyam vā, asambandhakhyāpakam ca vyabhicāradarśanam; tac ca sādhyaviruddhadharmakatayā niscite pramāņabādhite pakşe vipakşe vā hetor darśanam. agnisomiyaśāstrabādhite pakşe drstam hi himsātvam nişiddhatvam ātmana u pādhim kalpayati, prameyatvam ca nityātmādivipakşe drstam anityatvasādhane krtakatvādikam upādhim karoti 45 sa pakşeșu ca yāvadrūpavisistatayā sādhanam sādhyasambandhitvena drstam, tadanyatararūpavikalam cet pakşe drśyate, tada vyāptarūpāpratyabhijñānāt sarvarūpavićiştam evopādhayati yatha bhāvitanayaśyāmalimany anumeye maitriputratvam 46 bhūta putreşu drstam sākādyāhāraparināmaviseşanam 47. "evamjātiyake rūpavai kalyakalpito pādhike 48 hetāv aprayojakatvavyapadeśaḥ parīkşakānām . vyabhicārakalpitopādhikayos tu bādhito viruddho 'naikāntikaḥ 49. und Nicht wissen etc. für die individuelle Seele in der Verbindung mit der Seelenwanderung. Diesen [Upādhi] kennzeichnen einige als ,vom zu Beweisenden umfaßt (v. 1. das zur Beweisende umfassend), das Beweisende nicht umfassend und als das Beweisende nicht umfassend (und) eine genaue Vyāpti mit dem zu Beweisenden besitzendo ......" 44 kvacit- ... -khyāpakam: NP1 kvacit sādhyāsambandhakhyāpakam. 45 u pādhim karoti: NP upādhikaroti. 46 maitriputratvam: NP mitrā putratvam. 47 -vibesanam: NPi -visesam. 48 - kalpito-: NP gibt als v. l. auch -vikalpito.. 49 Npi add. iti. Frgm. 2 schließt unmittelbar an den Kontext von Frgm. 1 an und endet mit den Worten Venkatanāthas ityādinopādheh pramāṇāvāntarabhedădikam prapancitam. NP, p. 116, 5-117, 5. Der mit a bezeichnete Abschnitt ist auch noch im Kommentar NP, p. 276, 25f. für Parāśarabhatta belegt. Ubersetzung des Fragmentes: „Was ist es, das ihn (Upādhi) erkennen läßt ? [Einerseits] die Fehlerhaftigkeit der [der Vyāpti] eigenen Form, die sich im Anschluß an das Beobachten der Verbindung [ergibt) und eine nur gelegentliche Verbindung offenbart (bzw. nach NP ,,eine gelegentliche Nicht-Verbindung mit dem zu Beweisenden offenbart"), fandererseits das Feststellen eines getrennt Vorkommens (vyabhicārah), das eine Nicht-Verbindung offenbart. Dieses ist das Feststellen des logischen Grundes in einem Pakşa, von dem erwiesen ist, daß er eine mit der zu beweisenden (Beschaffenheit] in Widerspruch stehende Beschaffenheit [besitzt) und der [daher] durch ein Erkenntnismittel aufgehoben ist, oder ses ist das Feststellen des logischen Grundes) im Vipakşa. Denn das Töten, das in dem [durch die Vorschrift des] Opferrituals aufgehobenen Paksa beobachtet wird, fordert für sich das Verbotensein_als Upādhi; und das Erkennbarsein, das im Vipaksa zum Beispiel dem ewigen Atman festgestellt wird, macht das Hervorgebrachtsein zum Upādhi, wenn die Vergänglichkeit nachgewiesen werden soll. Wenn ein logischer Grund, der im Sapakşa durch eine gewisse Form bestimmt mit dem zu Beweisenden verbunden beobachtet wird, im Pakşa ohne diese andere Form beobachtet wird, erweist er eben wenn er durch die ganze Form bestimmt ist, einen Upādhi, weil er dann in (seiner) Form als Umfaßter nicht wiedererkannt wird, wie zum Beispiel, wenn man die schwarze Farbe eines künftigen Sohnes (der Maitri] erschließen will, das Sohn-der-Maitri-sein, das im Falle der vorhandenen Söhne als durch die Verdauung von Gemüsenahrung bestimmt festgestellt wird. Hinsichtlich eines derartigen logischen Grundes, für den infolge der fehlerhaften Form ein Upādhi angenommen wird, lehren die Fachleute, daß er unbrauchbar ist. In den beiden Fällen, wo infolge eines Getrenntvorkommens ein Upādhi angenommen wird, ist der logische Grund aufgehoben, widersprochen und zweifelhaft." Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 266 GERHARD OBERHAMMER Frgm. 3: evam copasamhṛtam: tad esa bahurupo 50 vyabhicara eva hi pratibandhābhavaḥ. upadhir eva vyabhicaranidānam. pramāṇāniscita 51 evopadhitvena sankaniyaḥ, sadhane sopadhiḥ sadhye nirupadhir evopādhitvena niśceyaḥ, sarvasankatiprasangapāṭanapaṭiyāmś ca tarkaḥ, 52 Es ist offenbar, daß diese drei Fragmente stark gekürzte Gedanken Parasarabhaṭṭas enthalten und aus einem Kontext stammen, in dem die in ihnen angedeuteten Probleme mehr oder weniger ausführlich erörtert worden waren. So ist es zum Beispiel wahrscheinlich, daß sich an Frgm. 1 eine Erörterung der am Ende des Fragmentes angeführten Definitionen des Upadhi angeschlossen hatte, oder daß unter anderem auch das Problem des paksetaraḥ angeschnitten worden war, das seit Udayana Gegenstand der Upadhi-Lehre war. Trotz des Fehlens dieser Erörterungen aber läßt sich doch ein allgemeines Bild der Upadhi-Lehre, wie sie im Tattvaratnākara enthalten war, gewinnen. Frgm. 1 enthält Definition und Wesensbestimmung des Upadhi 53. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß Venkaṭanatha das Zitat so gewählt hat, daß die Upadhi-Definitionen anderer Lehrer mitenthalten sind. Parāśarabhaṭṭa kann daher diese Definitionen nicht als gegnerische Meinung schlechthin erwähnt haben, um sie in der Folge zurückzuweisen, sondern als Bestimmung des Upadhi, die er als brauchbare Ergänzung seiner eigenen in den Versen von Frgm. 1 gebotenen Definition beibehalten wollte 54. Es liegt nahe anzunehmen, daß er die auch sonst gehandhabte Unterscheidung von Wesen (svabhavaḥ, svarupam) und Merkmal (lakṣaṇam) 55 dazu verwendet hat, um seine eigene Definition des Upadhi als Bestimmung des Wesens (svarūpam) 50 bahurupo: NP1 samksepahḥ. 51 pramānāniscita: NP1 pramāṇaniscita. 52 NP, p. 117, 5-9. Das Fragment endet mit iti und schließt unmittelbar an den Kontext von Frgm. 2 an. Falls, wie es wahrscheinlich ist, die Variante von NP richtig ist, müßte man den Ausdruck evam copasamhṛtam als Einleitung Venkatanathas auffassen. Für diese Auffassung spricht die Stellung des hi, sowie die Tatsache, daß das ganze Frgm. 3 eine fast wörtliche Paraphrase von Udayanas NVTP, pp. 676, 18-683, 2 und 695, 7 ist. Udayana beginnt aber diesen Abschnitt mit den Worten tad ayam samksepaḥ, sodaß es nahe liegt die Lesart von NP1 als die ursprüngliche zu betrachten. Übersetzung des Fragmentes:,,Kurz gesagt [verhält es sich] so: In der Tat ist dieses vielformige getrennt Vorkommen eben das Fehlen der Verbindung. (nach NP1:,,So wird [von ihm] zusammengefaßt: ,Auf kurze Formel gebracht [verhält ..."). es sich so]: Das getrennt Vorkommen ist eben das Fehlen der Verbindung.' Die Ursache des getrennt Vorkommens ist [nichts anderes als] der Upadhi. Ist [die Verbindung] durch ein Erkenntnismittel nicht nachgewiesen, so ist ein Upadhi zu befürchten, ist sie im Falle des logischen Grundes mit einem Upadhi versehen [und] im Falle des zu Beweisenden nicht, so ist ein Upadhi erwiesen. Außerdem ist der Tarka geeigneter jede Befürchtung [eines Upadhi] durch eine zuweit führende Konsequenz zu vernichten." 53 Dies bezeugt Venkatanatha NP, p. 116, 4f. vgl. die folgende Anmerkung. 54 Anderenfalls wäre es unverständlich, warum Venkatanatha Frgm. 1 mit den Worten ityādina svarupam nidarsitam einführen und das Fragment so abgrenzen sollte, daß die beiden fremden Definitionen noch eingeschlossen sind. 55 Vgl. E. FRAUWALLNER: Prabhakara Upadhyaya, WZKSO, Bd. 9 (1965), p. 199. Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhaṭṭa einzuführen, die von ihm nicht abgelehnten älteren Definitionen aber als Merkmal (lakṣaṇam) des Upadhi beizubehalten 56. Den Ansatz zu dieser Zweiteilung dürfte Parāśarabhaṭṭa schon bei Udayana gefunden haben 57. 267 Woher stammen aber diese älteren Definitionen des Upadhi? Die Definition sādhyavyāpakaḥ57a sādhanāvyāpakah ist eine Wiedergabe der Upadhi-Definition Udayanas. Schwieriger ist die Einordnung der zweiten Definition, die im Unterschied zur ersten die Beziehung von Upadhi und zu Beweisendem durch den Begriff der samavyāptiḥ bestimmt. Diese Art der Definition wurde von mehreren Autoren vertreten. So findet sie sich ausdrücklich bei Varadaraja und Śivadityamiśra 58. Sie wird aber vom anonym überlieferten Upadhidarpanah (fol. 2b) auch Udayana selbst zugeschrieben. Meines Wissens findet sie sich jedoch explicite nicht in den überlieferten Werken Udayanas, wenngleich sie der Sache nach bei ihm bereits sicher vorausgesetzt werden muß 59. In einem Manuskript von Varadarājas Tarkikarakṣā findet sich allerdings die Upadhi-Definition Udayanas - es handelt sich um jene aus dem Atmatattvavivekaḥ in der Form sādhanāvyāpakatve sati sādhyasamavyāptir upādhiḥ 60 Zusammen mit dem Zeugnis des Upadhidarpaṇaḥ könnte dies darauf hinweisen, daß die Upadhi-Definition Udayanas in seiner Schule sehr bald durch die bei ihm implicite vorhandene Samavyāpti-Form der Definition ersetzt worden war. Wenn Parāśarabhaṭṭa in Frgm. 1 beide Spielarten der UpadhiDefinition Udayanas neben einander erwähnt und sie offenbar als Merkmal des Upadhi gelten läßt, so weist dies darauf hin, daß auch für ihn beide Definitionen nur Varianten desselben Typus sind. Außerdem scheint Parāśarabhaṭṭa an anderer Stelle 61 direkt von Udayana beeinflußt zu sein. Es liegt daher nahe, weniger an Varadaraja oder Sivadityamiśra als mögliche Quelle dieser Definition in Frgm. 1 zu denken, als an einen frühen Kommentator Udayanas. Den gleichen Eindruck gewinnt man übrigens auch aus der Analyse des zweiten und dritten Fragmentes. Wenn auch die ursprüngliche und die modifizierte Upadhi-Definition Udayanas als Merkmal des Upadhi erhalten geblieben ist, so weicht Parāśarabhaṭṭa bei seiner eigenen Definition des Upadhi: kena cid yasya sambandho yo 'vacchedaka eva hi tasyopadhiḥ, deutlich von Udayana ab. Typisch für diese Definition ist die Verwendung des Terminus avacchedakaḥ,,,Abgrenzer", der in der späteren Entwicklung eine große Rolle spielt. Die Definition des Upadhi 56 Daß Parasarabhaṭṭa Udayanas Upadhi-Definition als gültig betrachtet hat, geht deutlich aus Frgm. 3 hervor. 57 Siehe Anm. 63. 578 Nach der Lesung von NP1. 58 Tarkikaraksa (Pandit Reprint), p. 66, 3f. und Saptapadarthi (Lalbhai Dalpatbhai Series Nr. 1, Ahmedabad 1963), p. 70, 22. 59 Anderenfalls wäre zum Beispiel der Ausdruck p. 694, 2 nicht verständlich. ubhayarupāḥ in NVTP, 60 Tarkikaraksa (Pandit Reprint), p. 68, Fußnote 1. 61 Vgl. Frgm. 3. Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 268 GERHARD OBERHAMMER inus avaso läßt Sie typolo als ,,Abgrenzer dessen (= sādhanam), das mit einem anderen (= sādhyam) verbunden ist“ schließt zwar nicht an Udayanas Charakterisierung des Upādih als sādhanāvyāpakatve sati sādhyavyāpakah an. Doch erinnert man sich der Formulierung Udayanas yo 'yam upādhim ādāya yena saha sambandhyate ... 62, die ohne Verwendung des Terminus avacchedakah nahe zu genau der UpādhiDefinition Parāśarabhattas entspricht, so läßt sich diese ohne Schwierigkeit von jener anderen Upādhi-Definition Udayanas typologisch ableiten, nach der der Upādhi sādhyaprayojakam nimittäntaram, „etwas anderes als der logische Grund, das [im Falle des Grundes) auf das zu Beweisende hinführt" ist 63. Auf das zu Beweisende hinführen kann der Upādhi nur dann, wenn er als Bestimmung des Grundes zufolge seiner eigenen Verbindung mit dem zu Beweisenden jede Nicht-Verbindung des Grundes mit dem zu Beweisenden ausschließt. In Übereinstimmung mit seiner Auffassung der Vyāpti hat Parāśarabhatta dies offenbar so gedeutet, daß der Upādhi die als Grund verwendete Beschaffenheit so „abgrenzt“ daß sie nur mehr jene Fälle des Grundes bestimmt bzw. erkennen läßt, die tatsächlich mit den zur zu beweisenden Gemeinsamkeit gehörenden Einzelfällen verbunden sind. Von Udayanas Wesensbestimmung des Upādhi ausgehend, konnte Parāśarabhatta daher für den als avacchedakah aufgefaßten Upādhi Udayanas formallogische Definition – in welcher Formulierung auch immer – als dessen Merkmal (lakşaņam) beibehalten, da er in der Auffassung des Upādhi nicht wesentlich von Udayana abweicht und die Formaldefinition schon bei diesem als Merkmal neben der Wesensbestimmung des Upādhi bestanden hatte 64. Leider fehlen Zitate aus dem Werk Parāśarabhattas, welche diese Ableitung des Upādhi als avacchedakaḥ mit ihren Einzelheiten und system-immanenten Voraussetzungen genau belegen würden. Historisch bemerkenswert ist es, daß Parāśarabhatta durch seine Definition des Upādhi als avacchedakaḥ im oben dargelegten Sinne in einer Entwicklung zu stehen scheint, die innerhalb des Nyāya von Udayana zu Prabhākara Upādhyāya führt, dessen Upādhi-Definition sādhanatāvacchedakabhinnena yena sādhanatābhimate sådhyasambandho 'vacchidyate, sa eva tatra sādhane višeşaņam upādhiḥ 65, die technisch-logisch vervollkommnete Definition Parāśarabhattas sein könnte 66. Das zweite von Venkatanātha aus dem Upādhi-Abschnitt des Tattvaratnākaraḥ zitierte Fragment behandelt in seinem ersten Teil die Frage nach der 62 NVTP, p. 696, 7. 63 ATV, p. 403, 11. 64 ibid. 65 Zitiert nach E. FRAUWALLNER: Prabhākara Upādhyāya. WZKSO Bd. 9 (1965), p. 200. 66 Ob diese typologische Übereinstimmung zwischen den beiden Definitionen auch eine historische Abhängigkeit impliziert und welche der beiden Definitionen die frühere ist, läßt sich leider solange nicht eindeutig entscheiden, als die beiden Denker nicht genauer datiert sind. Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhatta 269 Möglichkeit, das Vorhandensein eines Upādhi zu erkennen. Bei der Behandlung dieser Frage durch Parāśarabhatta fällt auf, daß er von den formallogischen Alternativen eines upādhi-haften Grundes ausgeht, um die grundsätzlichen Möglichkeiten der Feststellung eines Upādhi abzuleiten. Am Anfang der Erörterung stellt er zusammenfassend fest, daß es zwei solcher Möglichkeiten gäbe, die Unvollständigkeit der Eigenform der Vyāpti (sambandhagrahanavelānuyāyisvarūpavaikalyam) und die Beobachtung eines getrennt Vorkommens (vyabhicāradarśanam) von Grund und Folge. Daran anschließend bespricht Parāśarabhatta die drei möglichen Fälle eines upādhihaften Grundes: a) Ein logischer Grund fordert einen Upādhi, wenn er im Sapaksa vorkommt, im Vipakşa fehlt, aber einem Pakşa zukommt, von dem man durch ein anderes Erkenntnismittel weiß, daß er die der zu beweisenden Beschaffenheit entgegengesetzte besitzt und daher aufgehoben ist. b) Ein logischer Grund bedarf eines Upādhis, wenn er nicht nur im Pakşa und im Sapakşa vorkommt, sondern auch im Vipakşa. c) Ein Grund, der im Sapakşa nur durch einen gewissen Umstand bestimmt vorkommt, im Vipakşa nicht festgestellt wird, und im Paksa ohne diesen Umstand festgestellt wird, erweist mit der zusätzlichen Bestimmung versehen den Upādhi. In den beiden ersten Fällen kann der Upādhi, der den logischen Grund so abgrenzt, daß er mit dem zu Beweisenden durch Vyāpti verbunden ist, durch das getrennt vorkommen von Grund und Folge erkannt werden, im letzten Falle dadurch, daß sich das Umfaßtsein (vyāptarūpam) des Grundes vom zu Beweisenden nicht erkennen läßt. Diese drei möglichen Fälle, im Prinzip bereits bei Udayana vorhanden, illustriert Parāśarabhatta mit folgenden Beispielen. „Das Töten (himsātvam), das in dem durch das Opferritual aufgehobenen Pakşa (nämlich das Opfern lebender Wesen) beobachtet wird, fordert für sich das Verbotensein (nişiddhatvam) als Upādhi." In diesem Beispiel kommt der Grund (himsātvam), der sonst mit der Folge (pāpam) fest verbunden scheint, in einem Paksa vor, der durch ein anderes Erkenntnismittel, nämlich der hl. Überlieferung, als Verdienst erwiesen und daher als Fall der Sünde aufgehoben ist. Es kann daher keine Vyāpti zwischen Grund und Folge bestehen. Diese wird vielmehr erst durch den Upādhi ,,Verbotensein“ hergestellt, der als avacchedakaḥ den Grund auf jene Fälle einschränkt, die tatsächlich mit dem zu Beweisenden verbunden sind. Diese Schlußfolgerung entspricht Udayanas Beispiel vom Diamanten (vajraḥ), von dem auf Grund des Erdhaftseins bewiesen werden soll, daß er durch Eisen geritzt werden kann, und für den Udayana den Upādhi ,,Loseverbundene-Teile-Haben“ (praśithilāvayavatvam) angibt 67. Es scheint kein Zufall zu sein, daß Udayana im Anschluß an dieses Beispiel den Fall des Pakşetara (das vom Paksa Verschiedene) anführt, der durch aufhebende 67 NVTP, p. 704, 13–705, 13. Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 270 GERHARD OBERHAMMER Erkenntnis bedingt ist 68. Beide Fälle zeigen formallogisch dieselbe Struktur und wurden nach dem Zeugnis Vardhamānas auch tatsächlich als derart verstanden 69. Udayana selbst stellt beide Fälle neben einander. Da Parāśarabhatta unter den möglichen Fällen eines Upādhi den durch aufhebende Erkenntnis bedingten Pakşetara nicht eigens nennt, muß man wohl annehmen, daß er diesen Pakşetara unter den vorliegenden Fall subsumiert hat, falls Venkatanātha die von ihm gegebenen Beispiele vollständig zitiert hat. Das zweite von Parāsarabhatta gebotene Beispiel bedarf keiner weiteren Erklärung. Es entspricht genau dem Beispiel vom Rauch, der durch Feuer erschlossen werden soll und für den der Upādhi „feuchtes Brennholz“ erfordert ist. Das Beispiel bei Parāśarabhatta ist vielleicht logiseh schärfer gewählt, da es keinen Kausalnexus zwischen Grund und Folge suggeriert. Es lautet: Etwas ist vergänglich, weil es erkennbar ist. Die Erkennbarkeit kommt wie das Feuer nicht nur im Sapakşa sondern auch im Vipakşa vor. Es bedarf daher, soll der logische Grund schlüssig sein, eines Upādhi, nämlich das Hervorgebrachtsein (kytakatvam). Als drittes Beispiel verwendet Parāśarabhatta dieselbe Schlußfolgerung wie Udayana: Der zu erwartende Sohn der Maitri wird eine schwarze Hautfarbe haben, weil er ein Sohn der Maitrī ist. Für den hier verwendeten logischen Grund ,Sohn-der-Maitri-Sein" (maitritanayatvam) muß der Upādhi ,,Gemüsenahrung" (sākādyāhārapariņāmaḥ) angesetzt werden 70. Auch hier steht Parāśarabhatta im Wesentlichen auf dem Stand der Lehre wie bei Udayana. Dieser hatte den vorliegenden Schluß analysiert, indem er ihn mit dem Fall eines gültigen upādhi-haften Grundes, nämlich dem des Feuers, das mit feuchten Brennholz gemacht ist, konfrontierte: „[Merkmal eines Upādhi ist] 'Umfassen des zu Beweisenden beim Nicht-umfassen des Beweisenden'. Dieses Umfassendsein hinsichtlich des als zu Beweisendes gedachten Rauchtums bzw. Schwarzseins ist im Falle des feuchten Brennholzes bzw. der besonderen Ernährung nicht verschieden. Ebensowenig ist deren Nicht-Umfassen hinsichtlich des als logischen Grund gedachten Feuertums bzw. Sohn-der-MaitriSeins verschieden. Der Unterschied ist [vielmehr] dies: Für das Feuer wird das getrennt vorkommen (vinābhāvaḥ) vom feuchten Brennholz wie vom Rauch unmittelbar erkannt, für das Sohn-der-Maitri-Sein hingegen wird (das getrennt Vorkommen) von der besonderen Nahrung wie vom Schwarzsein nur auf Grund eines Upādhi 71 erkannt“ 72. Dies bedeutet mit anderen Worten, daß es sich bei der besonderen Ernährung formallogisch um einen Upādhi 68 NVTP, p. 705, 14—706, 2. 69 NVTP, p. 705, 15. 70 Nach Lehre der indischen Ärzte bewirkt Gemüsenahrung der Mutter während der Schwangerschaft eine dunkle Hautfarbe des Kindes. 71 Nämlich der Richtigkeit der Lehre der Arzte. 72 NVTP, p. 696, 9-11. Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhaṭṭa handelt, daß sich aber diese formallogische Struktur im vorliegenden Fall nicht unmittelbar erkennen läßt. Zwar kann man den logischen Grund in Verbindung mit dem Upadhi im Şapaksa, nämlich den bisherigen Söhnen der Maitri, zusammen mit dem zu Beweisenden, nämlich der schwarzen Hautfarbe, beobachten, man kann aber nicht erkennen, ob der logische Grund vom zu Beweisenden und vom Upadhi getrennt vorkommen kann. Das erste wäre aber notwendig um zu erkennen, ob der Grund eines Upadhi bedürftig ist, das zweite um zu erkennen, daß es sich bei der Gemüsenahrung tatsächlich um einen Upadhi handelt. Erst auf Grund eines weiteren Upadhi, nämlich dem,,Wort der Ärzte", stellt sich die Erkenntnis ein, daß dem logischen Grunde dieses doppelte getrennt Vorkommen zukommt. Parasarabhaṭṭa seinerseits bemerkt zu diesem Beispiel:,,Wenn ein logischer Grund, der im Sapaksa durch eine gewisse Form bestimmt mit dem zu Beweisenden verbunden beobachtet wird, im Paksa ohne diese andere Form beobachtet wird, erweist er (upadhayati), weil er dann in [seiner] Form als Umfaßter nicht wieder erkannt wird, eben wenn er durch die ganze Form bestimmt ist, einen Upadhi..." Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur Auffassung Udayanas, wenngleich dieser nicht im Prinzipiellen der Interpretation des Falles zu liegen scheint. Auch bei Parasarabhaṭṭa muß nämlich vorausgesetzt werden, daß die Vyapti des durch den Upadhi,,Gemüsenahrung" abgegrenzten logischen Grundes mit der zu beweisenden dunklen Hautfarbe nur infolge eines Upadhi, nämlich der Lehre der Ärzte, erkennbar ist; sonst könnte man nicht wissen, daß die Dunkelhäutigkeit der Kinder, und die Ernährung der Mutter durch Gemüsenahrung in einen Zusammenhang zu bringen sind. Verschieden ist lediglich das Mittel, das Vorkommen des Upadhi zu erkennen. Bei Udayana, der mit seiner formallogischen Definition des Upadhi sadhanavyāpakatve sati sädhyavyāpakatvam arbeitet, ist dieses Mittel die Abtrennbarkeit des logischen Grundes von zu Beweisendem und Upādhi, für Parasarabhaṭṭa der im Anschluß an die Wesensdefinition des Upadhi bei Udayana diesen als kenacid yasya sambandho yo avacchedakaḥ... tasya aufgefaßt hatte, bleibt als Mittel nur die Tatsache, daß man eine einmal erkannte Vyapti in einem gegebenen Fall infolge einer Unvollständigkeit ihrer Struktur nicht wiedererkennt. Im Sapakṣa, nämlich allen bisherigen Kindern der Maitri wird nämlich die Vyapti für den upadhi-haften Grund zurecht erkannt, es gibt keine zur beweisenden Gemeinsamkeit ,,Sohn-der-Maitri-Sein" gehörenden Fälle, die nicht tatsächlich Fälle der zu beweisenden Gemeinsamkeit „Dunkelhäutigkeit" wären und es kann daher ein getrennt Vorkommen von Grund und Folge nicht festgestellt werden. Erst wenn man im Pakṣa, dem zu erwartenden Sohn der Maitri, den Grund feststellt, ohne daß er durch den Upadhi abgegrenzt ist, erkennt man, daß die Vyapti im Sapaksa nur durch den Upadhi,,Gemüsenahrung" bedingt war. Und zwar nicht deshalb, weil man zum Beispiel die helle Hautfarbe erkennen würde, der Sohn der Maitri soll 271 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 272 GERHARD OBERHAMMER ja erst geboren werden, sondern deshalb, weil man durch die veränderte Form des logischen Grundes (Fehlen des Upādhi) sein Umfaßtsein (vyāptarūpam) durch das zu Beweisende nicht mehr erkennt, und damit das Feststellen der Vyāpti unmöglich wird. Im letzten Abschnitt von Frgm. 2 ordnet Parāśarabhatta schließlich die verschiedenen logischen Gründe, die eines Upādhi bedürfen, in seine Tafel der Scheingründe (hetvābhāsāḥ) ein: Wird der Upādhi durch getrennt vorkommen (vyabhicāraḥ) von Grund und Folge festgestellt, so handelt es sich bei dem in Frage stehenden logischen Grund (a) um einen aufgehoben widersprochenen (bädhito viruddhaḥ) Scheingrund, beziehungsweise (b) um einen zweifelhaften (anaikāntikah) Scheingrund. Wird der Upādhi aber durch die Unvollständigkeit der Vyāpti-form erkannt, so handelt es sich bei dem betreffenden Grund um einen unbrauchbaren (aprayojakaḥ) Scheingrund. Das letzte von Venkațanātha aus Parāśarabhattas Upādhi-Darstellung zitierte Fragment ist eine beinahe wörtliche Wiedergabe von Gedanken Udayanas 73, die den bisher gewonnenen Eindruck noch verstärkt, daß Parāsarabhatta seine Upādhi-Lehre in enger Anlehnung an Udayana und seine Schule entwickelt und sich mit seinem Verständnis der implizierten Probleme auf der gleichen Stufe der Entwicklung befindet wie dieser. Ob das Fragment im Tattvaratnākaraḥ wie bei Udayana eine zusammenfassende Funktion hatte, oder nur als Beleg eigener Gedanken zitiert war, läßt sich nicht sicher entscheiden. Für die erste Möglichkeit spricht der Umstand, daß es Venkatanātha, der diesen Teil des Werkes wohl vor Augen gehabt hat, mit den Worten evam copasamhrtam einführt, und sich auch der Kommentator mit der Bemerkung dūşakatva prakāra pratipädako pasamhäragrantham udāharati ... 74 derselben Auffassung anzuschließen scheint. Das Fragment wirft ein Licht auf einige bisher noch nicht zur Sprache gekommenen Aspekte der Upādhi-Lehre Parāśarabhattas. So zeigt es, daß dieser die Frage, warum der Upādhi einen logischen Grund als fehlerhaft (dūşanatvaprakāraḥ) erweise, ebenfalls in seiner Darstellung behandelt und diese in Übereinstimmung mit Udayana dahingehend beantwortet hatte, daß der Upādhi als avacchedakah des Grundes nicht nur dessen Verbindung mit dem zu Beweisenden bedingt, sondern durch sein Vorkommen auch Ursache dafür ist, daß dieser überhaupt getrennt vom zu Beweisenden vorkommen kann (vyabhicāranidānam). Darüber hinaus finden sich in Frgm. 3 zwei weitere Lehren angedeutet, die Parāśarabhatta von Udayana übernommen hat, nämlich die Gliederung der Upādhis in erwiesene (upādhitvena 73 Vgl. NVTP, p. 676, 18-183, 2; 695, 7. 74 NP, p. 117, 5 und 117, 13f. Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Theorie der Schlußfolgerung bei Parāśarabhaṭṭa niśceyaḥ) und befürchtete (upadhitvena sankaniyaḥ), und die Lehre, daß der Tarka das beste Mittel sei, die Befürchtung eines Upadhi auszuschalten 75. 273 Mit der Besprechung von Vyapti und Upādhi ist Parasarabhaṭṭas Lehre von der Schlußfolgerung in ihrem wichtigsten Aspekt skizziert und damit die Einordnung der diesbezüglichen Tattvaratnākara-Fragmente in einen geschlossenen Sinnzusammenhang möglich geworden. Um das Bild von Parāśarabhaṭṭas Logik abzurunden, sollte nun noch seine Lehre von den defizienten Formen der Schlußfolgerung (anumānābhāsāḥ) an Hand der einschlägigen Fragmente beschrieben werden. Doch würde eine derartige Darstellung, die auch die Lehre vom Beweis (sadhanam) und seinen Gliedern (avayavāḥ) behandeln müßte, den Rahmen dieser Arbeit, die nur der Lehre vom logischen Nexus im Tattvaratnakaraḥ nachgehen sollte, sprengen und wird daher an anderer Stelle nachgeholt werden. Summary The development of Visiṣṭadvaita between the period of Ramanuja and Venkaṭanatha though of great importance for a philosophical evaluation of this school has been hardly explored so far. Most of the philosophical works of the Visiṣṭadvaita authors of that time are not available and their teachings have to be reconstructed by a careful analysis of the works of Venkaṭanatha who quotes from them profusely. In some fortunate cases the exact wording of certain sections of the lost works may be restored by a systematic collection of the quoted fragments. It was the aim of this paper to reconstruct the theory of inference (anumanam) as expounded by Parasarabhaṭṭa in his philosophical main work Tattvaratnākaraḥ which is lost and to arrange systematically all fragments of it dealing with the problem of Vyapti and Upadhi which can be found in the works of Venkaṭanātha. As another result of this research it is noted that Parasarabhaṭṭa's theory of inference was decisively influenced by the works of the great Naiyayika Udayana and that he himself had a certain influence on the doctrine of Vyapti set forth by Meghanādāri in his Nayadyumaņiḥ. 75 Vgl. Nay. dyum., p. 198, 13. Zur Lehre Udayanas über die Beseitigung der Befürchtung eines Upadhi durch den Tarka vgl. G. OBERHAMMER: Der Svabhavikasambandha, ein geschichtlicher Beitrag zur Nyaya-Logik, WZKSO Bd. 8 (1964), p. 176ff. 18 Festschrift-Frauwallner Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Inhaltsverzeichnis Seite DIETER SCHLINGLOFF: Fragmente einer Palmblatthandschrift philo sophischen Inhalts aus Ostturkistan (Ms. Spitzer).................. 323 LAMBERT SCHMITHAUSEN: Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 329 ERNST STEINKELLNER: Die Entwicklung des Ksanikatvanumanam bei Dharmakirti ................................................. 361 ANANTALAL THAKUR: Textual studies in the Nyayavartika ............ A. N. UPADHYE: The Jaina conception of divinity CHARLOTTE VAUDEVILLE: The cult of the divine name in the Haripath of Dayandev ............... TILMANN VETTER: Zur Bedeutung des Illusionismus bei Sankara ....... 407 Vaula conception of divinity .................. .... 395