Book Title: Zur Genese Des Buddhismus In Seinem Geschichtlichen Context
Author(s): Johannes Bronkhorst
Publisher: Johannes Bronkhorst
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur Genese des Buddhismus in seinem geschichtlichen Kontext Proprium - Abgrenzung gegenüber hinduistischen Traditionen und Jinismus Johannes Bronkhorst Über den Buddha und seine Lehre gibt es keine Einstimmigkeit - nicht unter Buddhisten, nicht unter akademischen Gelehrten und nicht zwischen Buddhisten und akademischen Gelehrten. Alles, was wir über den Buddhismus des Buddha (vorausgesetzt, daß so ein Ausdruck überhaupt sinnvoll ist) wissen oder zu wissen glauben, ist hypothetisch. Ich werde versuchen, einige der bestehenden Hypothesen kurz darzustellen, und auch nicht verschleiern, welche Hypothese mir am gesichertsten erscheint. Die meisten Buddhisten glaubten und glauben, daß sie das wahre Buddhawort besitzen und auch richtig interpretieren. Die meisten modernen Forscher sind damit nicht einverstanden. Die dem Buddha zugeschriebe. nen Worte stammen aus sehr verschiedenen Zeiten, und es ist wohl sicher, daß nur die ältesten erhaltenen Sammlungen eventuell Worte und Lehren des Buddha enthalten könnten. Wir werden uns hier auf die Sammlungen von Lehrreden (sütra) und Ordensregeln beschränken, die die Schulen des sogenannten Hinayana oder Srävakayāna erhalten haben. Falls die Worte und Lehren des historischen Buddha nicht völlig verlorengegangen sind, finden sie sich ohne Zweifel irgendwo und irgendwie in diesen Sammlungen. Aber enthalten diese Texte tatsächlich Worte und Lehren des historischen Buddha? Auf den ersten Blick scheint diese Frage übertrieben kritisch. So gut wie alle Buddhisten haben diese alten Sammlungen als Buddhawort anerkannt. Warum sollten wir ihnen darin nicht zustimmen? Einige Gelehrte glauben auch, daß die Forschung kaum die Möglichkeit hat, weiter als eben über diese vollständigen Sammlungen zurückzureichen. Was spricht eigentlich Dieser Aufsatz geht in vielen Hinsichten auf meinen Beitrag. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen", in: H. Bechert u. a., Der Buddhismus I. (Religionen der Mensch heit: 24,1), Stuttgart 2000, 23-213, zurück. Für viele Einzelheiten sei deshalb darauf verwiesen. 191 Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gegen die Annahme, daß die ältesten Schulen des Buddhismus die Worte und Lehren des Buddha zuverlässig überliefert haben? Die Antwort ist: ziemlich viel. Es ist zum Beispiel bekannt, daß die buddhistische Tradition selber nicht sicher wußte, wie das Buddhawort von anderem zu unterscheiden sei. Es wird nicht nur berichtet, daß ein Mönch namens Purana, kurz nach dem Sterben des Buddha, sich nicht dem damals abgehaltenen Konzil anschloß, weil er es bevorzugte, die Worte des Buddha so beizubehalten, wie er sie vom Buddha gehört und sich gemerkt hatte; es werden im weiteren dem Buddha Regeln für die Nachprüfung der Echtheit von Texten und damit für ihre Anerkennung als seine Lehre in den Mund gelegt. Es ist auch bekannt, daß die alten Sammlungen jahrhundertelang nur mündlich überliefert worden sind und daß sie vielleicht noch bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte hinein erweitert wurden. Aber das wichtigste Argument ist wohl, daß die alten Texte überhaupt nicht einheitlich sind. Sie enthalten viel mehr oder weniger Widersprüchliches. Beispiele werden später noch zur Sprache kommen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß die meisten Forscher zu dem Schluß gekommen sind, die alten Sammlungen könnten in ihrer Gesamtheit nicht als Buddhawort aufgefaßt werden. Wie geht man von hier weiter? Viele Forscher haben versucht, Kriterien festzulegen, die es erlauben würden, zwischen Buddhawort (oder vielleicht besser: Buddhalehre) und Nichtauthentischem zu unterscheiden. Ein Kriterium empfiehlt sich dabei im besonderen: Lehren, die irgendwie nicht in ihren kanonischen Kontext passen, stellen höchstwahrscheinlich Überbleibsel der ursprünglichen Buddhalehre dar. Die spätere Tradition, so lautet die Argumentation, hat die ursprüngliche Lehre zwar eingehend abgeändert, konnte die festverankerten alten Passagen aber nicht einfach über Bord werfen. An sich ist dieses Kriterium überzeugend. Die Schwierigkeit ist jedoch, daß, wenn man nur dieses Kriterium benutzt, die Buddhalehre mehr oder weniger per definitionem von den in den alten Texten enthaltenen Hauptlehren abweicht. Es besteht kein Mangel in der wissenschaftlichen Literatur an Beispielen von Rekonstruktionen der ursprünglichen Buddhalehre, die so gut wie nichts mehr mit dem, was wir in den alten Texten finden, Vgl. zum Beispiel O. von Hinüber, Der Beginn der Schrift und frühe Schriftlichkeit in Indien (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Geistesund Sozialwissenschaftliche Klasse 1989; 11), Stuttgart 1989, 26 f. 192 gemein haben. So gesehen ist von der ursprünglichen Buddhalehre nur noch sehr wenig im buddhistischen Kanon erhalten geblieben. Nur Textstellen, die Ansichten und Lehren darstellen, die in Widerspruch mit allgemein anerkannten kanonischen Standpunkten stehen, würden Reste des sogenannten präkanonischen Buddhismus enthalten. Oder man läßt sogar. die gesamten alten Textsammlungen beiseite und versucht, die Buddhalehre mit Hilfe von anderen Quellen, wie zum Beispiel den Inschriften des Kaisers Aśoka, zu rekonstruieren. Eine derartige Anwendung dieses an sich überzeugenden Kriteriums scheint mir zu weit zu gehen. Auch wenn die buddhistische Überlieferung die Lehre des Buddha nicht fehlerfrei erhalten hat, braucht dies noch nicht zu bedeuten, daß sie diese Lehre nur aus Versehen, und dann nur in einigen versteckten Nischen ihres Kanons, bewahrt hat.' Diese Art von Miẞtrauen gegenüber der buddhistischen Überlieferung ist genauso extrem wie das volle Vertrauen gegenüber derselben von seiten anderer. Die Wahrheit wird wahrscheinlich zwischen diesen beiden Extremen zu suchen sein. Wie aber unterscheidet man Buddhalehre von allem anderen? Ein Vorschlag, der gemacht worden ist, richtet sich auf das dem Buddha zugeschriebene Wort. Das dem Buddha direkt zugeschriebene Wort sollte zuverlässiger sein als andere Teile des Kanons. Man könnte sich tatsächlich vorstellen, daß die Tradition sich scheute, dem Buddha neue Auch Erich Frauwallner äußert sich so einer Haltung gegenüber kritisch: Nun hat Oldenberg in seinem klassischen Werk gezeigt, daß die Pali-Überlieferung hinsichtlich der Persön lichkeit des Buddha zahlreiche vollkommen glaubwürdige Züge enthält, und ich sehe nicht ein, warum das gleiche nicht auch für seine Lehre gelten soll, an deren Überlieferung seinen ältesten Anhängern sicher mehr gelegen war, als an der Überlieferung über seine Person. Natür lich müssen wir mit verschiedenen Umformungen rechnen, wie sie eine längere mündliche Überlieferung bedingt. I... Wer jedoch diese Lehrsätze dem Buddha abspricht oder meint, darüber hinaus eine ursprüngliche Lehre des Buddha rekonstruieren zu können, dem fällt die Pflicht zu, in glaubwürdiger Weise darzutun, wie die überlieferte Lehre des Kanons entstanden ist und wie sie dazu gekommen ist, das ursprüngliche Buddhawort zu verdrängen." In: E. Frauwallner, Geschichte der indischen Philosophie, Bd. 1 (Wort und Antwort; 6, 1), Salzburg 1953, 465 f. + Tilmann Vetter stellt in einigen Aufsätzen u. a. die Vinaya-Version der ersten Predigt, wie auch,Buddhawort' im allgemeinen, als besonders wichtig dar: vgl. T. Vetter, Bei Lebzeiten das Todlose erreichen. Zum Begriff amata im alten Buddhismus, in: G. Oberhammer (Hrsg.), Im Tod gewinnt der Mensch sein Selbst: Das Phänomen des Todes in asiatischer und abendländischer Religionstradition. Arbeitsdokumentation eines Symposions (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte; 624/Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens; 14), Wien 1995, 211-230; ders., Das Erwachen des Buddha, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 40 (1996) 45-85; ders., Tod im Buddhismus, in: C. von Barloewen (Hrsg.), Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen, München 1996, 296-328. 193 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Lehren zuzuschreiben. Leider beweist nichts, daß man in dieser Hinsicht zurückhaltender war als mit Bezug auf andere Teile des Kanons. Noch problematischer für diese Sichtweise ist, daß auch die dem Buddha direkt zugeschriebenen Worte Widersprüche enthalten, und zwar die gleichen, die es auch anderswo im Kanon gibt. Diese Methode scheint deshalb gleichfalls unsicher und wenig versprechend. Hier möchten Sie vielleicht wissen, inwieweit durch philologische Analyse eine Textschichtung vorgenommen werden kann. Eine derartige Analyse ist natürlich äußerst wichtig und muß bei jeder eingehenden Diskussion in Betracht gezogen werden. Leider ist sie nur ziemlich selten möglich und hat bis jetzt relativ wenig definitive Ergebnisse geliefert. Dazu kommt, daß sehr häufig das Urteil- und dies bedeutet oft das Vorurteildes Untersuchers dabei eine wichtige Rolle spielt. Vorurteile können nur vermieden oder wenigstens relativ harmlos gemacht werden, wenn man die Texte selber sprechen läßt. Aber welche Texte? Bloße philologische Analyse reicht relativ selten, um mehr oder weniger sichere Resultate zu erreichen. Neben ihr brauchen wir noch etwas anderes. Aber was? Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Die alten Textsammlungen können nicht einfach als Buddhawort betrachtet werden, weil sie zu viel Verschiedenes enthalten. Sie enthalten zum Beispiel nicht nur einen Weg zur Befreiung, sondern mehrere voneinander sehr verschiedene. Es handelt sich dabei nicht um Einzelheiten, sondern um vollig unterschiedliche Methoden. Manchmal werden sogar an einer Stelle Methoden gelehrt, die anderswo in den alten Texten verworfen werden. Die späteren Buddhisten haben diese unterschiedlichen Methoden natür. lich irgendwie miteinander in Einklang gebracht; dies sollte uns nicht erstaunen noch auch täuschen. Diese späteren Buddhisten waren Theologen, deren Aufgabe es gerade war, ihre Schriften einheitlich zu interpretieren. Aber Theologie und Philologie beschreiten nicht immer den gleichen Weg: die Philologie kann Widersprüche anerkennen, wo die Theologie dazu nicht bereit ist. Widersprüche gibt es nun tatsächlich in den alten buddhistischen Texten. Wir werden davon ausgehen, daß von zwei widersprüchlichen Stellungnahmen - die die Praxis oder auch die Lehre betreffen können-nor. malerweise höchstens eine authentisch sein kann. Aber welche? Es stellt sich heraus, daß es in vielen Fällen einfacher ist festzustellen, welche von zwei widersprüchlichen Stellungnahmen nicht authentisch ist, als das Gegenteil. Ein Kriterium für Authentizität läßt sich, soweit ich sehe, nicht erarbeiten, aber ein Kriterium dagegen ist öfters möglich. Ich werde bald erklären, wie Zuerst möchte ich hier betonen, daß es in dieser Weise mög. lich scheint, durch Beseitigung von nicht-authentischen Elementen zum älteren, vielleicht auch ursprünglichen Kern durchzudringen. Wie entscheidet man, daß bestimmte Elemente nicht authentisch sind? Auf zweifache Weise: Erstens werden solche Elemente manchmal in den buddhistischen Texten akzeptiert, während die gleichen Elemente anderswo in den gleichen Texten auch explizit oder implizit kritisiert werden. Zwei. tens unterscheiden sich diese Elemente durch ihre Ähnlichkeit zu Lehren und Praktiken, die außerhalb der buddhistischen Gemeinde zu finden waren, während ihre Konkurrenten, mit denen sie in Widerspruch stehen, den nicht-buddhistischen Lehren und Praktiken nicht oder weniger ähneln. Dieses Kriterium für Nichtauthentizität ist also ein doppeltes und ist im Prinzip nur gültig, wenn beide Bedingungen erfüllt sind. Wo beide erfüllt sind, liegt es nahe zu schließen, daß die buddhistische Gemeinde, oder auch nur einige Mitglieder dieser Gemeinde, während des Lebens des Bud. dha, oder wahrscheinlicher kürzere oder längere Zeit nach seinem Tode, diese Elemente nicht-buddhistischen religiösen oder intellektuellen Stromungen entlehnt haben. Wesentlich bei diesem methodischen Vorgehen ist natürlich, daß wir soweit möglich festzustellen versuchen, was es zur Zeit des Buddha an sonstigen religiösen Strömungen gab. Und dies ist nicht einfach, weil uns sicher nur ein Bruchteil der damals lebendigen religiösen Ideen und Prak. tiken bekannt ist. Glücklicherweise helfen uns die buddhistischen Texte selber, weil sie öfters Andersdenkende kritisieren und ihre Ideen und Prak. tiken dabei manchmal beschreiben, zugegebenermaßen in kritischer oder sogar ironischer Weise. Diese Beschreibungen können aber mit Hilfe der alten erhalten gebliebenen nicht-buddhistischen Texte, die hautpsächlich jinistischer und brahmanischer Herkunft sind, geprüft und öfters auch bestätigt werden. Es ist hier natürlich nicht möglich, die Ergebnisse eines solchen Vergleiches in Einzelheiten darzustellen. Es ist aber möglich, einen Komplex von Meinungen und Praktiken zu erwähnen, der in der Zeit des Buddha anschei. nend weit verbreitet war und gegen den der frühe Buddhismus-d. h. wahr. scheinlich: der historische Buddha selber - sich zu wehren versucht hat. Siche dazu weiter unten den Appendix: Die Versliteratur des alten Buddhismus 194 195 Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Dieser Komplex bewegt sich um den Glauben an einen Kreislauf von Wie dergeburten, der durch die Werke (karman), die man in einem vorangegangenen Leben getan hat, bestimmt wird. Verschiedene religiöse Bewe. gungen jener Zeit suchten diesem Kreislauf, jedenfalls auf individueller Ebene, ein Ende zu setzen. Um dies zu erreichen, glaubten einige, daß man alle Werke unterdrücken müsse; bestimmte Asketen gingen so weit, durch bewegungsloses Fasten den Tod zu suchen. Andere wiederum glaubten, es gehe darum zu entdecken, daß der Kern des menschlichen oder auch, im Falle von Tieren und anderen Lebewesen, des nicht-menschlichen) Wesens, sein wahres Selbst, überhaupt nicht an Werken beteiligt und deswegen beständig und nicht dem Wechsel unterworfen ist. Wenn man dies entdeckt oder realisiert hat, sei man vom Kreislauf der Wiedergeburten befreit. Wie gesagt, die soeben besprochene Methode führt zu dem Schluß, daß die älteste uns erreichbare Form des Buddhismus - und ich werde auch weiterhin, obwohl mit Vorsicht, vom Buddhismus des Buddha sprechen - diese beiden Wege zur Befreiung abgelehnt hat. Man erreicht die Befreiung nicht durch bewegungslose Askese noch auch durch die Einsicht in die wahre, d. h. nicht-aktive Natur des Selbstes. Aber die Ausgangsproblematik - der Glaube an einen durch Werke bedingten Kreislauf von Wie. dergeburten und die Suche nach Befreiung davon - durchdringt die alten buddhistischen Texte und könnte von Anfang an dem Buddhismus eigen gewesen sein. Es ist sogar wahrscheinlich, daß die Ablehnung der zwei üblichen Befreiungsmethoden - in Verbindung mit der vorhandenen Problematik von karman und Wiedergeburt - die spätere Tendenz des Buddhismus, fremde Lehren in leicht angepaßter Gestalt in sich aufzunehmen, weitgehend erklären kann. Wenn nämlich Werke zu Wiedergeburten führen, dann liegt es auf der Hand, daß man, um nicht mehr wiedergeboren zu werden, den Werken ein Ende setzen muß; auch das Realisieren, daß man in Wirklichkeit nie gehandelt hat, führt zum erwünschten Resultat. Haupt. sache ist aber, daß den Werken in befriedigender Weise Rechnung getragen wird. Es sieht so aus, als ob für bestimmte Buddhisten die vom Bud. dha gepredigte Lösung nicht so elegant und befriedigend auf die Problematik der Werke gepaßt hat wie die ihrer Konkurrenten. Der Vorschlag ist gemacht worden, daß der historische Buddha überhaupt, oder vielleicht nur am Anfang seiner Laufbahn, nicht an den Kreis lauf von Wiedergeburten geglaubt hat. Dieser Vorschlag ist auf den ersten Blick sehr verlockend. Falls es zutreffen würde, daß der Buddha (wenigstens anfangs) keine Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten gesucht und später gepredigt hat, könnte man ihm auch nicht vorwerfen, daß seine Lösung nicht auf die Problematik der Werke eingeht. Leider ist es so gut wie unmöglich, diesen Vorschlag zu beweisen. Die gerade dargestellte Methode ist ihm gegenüber hilflos, weil der Glaube an den Kreislauf von Wiedergeburten in den alten Texten meines Wissens nie bestritten wird. Die Frage ist auch gestellt worden, ob karman schon im frühen Buddhismus in der Wiedergeburtslehre eine Rolle gespielt hat. Hier wird der Glaube an die Wiedergeburt zwar anerkannt, nicht aber die Rolle der Werke als bedingendes Element. Auch diese Annahme würde die gerade dargestellten Schwierigkeiten lösen. Und tatsächlich erwähnen die alten Texte statt der Werke öfters den Durst als bedingendes Element. Es scheint mir, daß die soeben dargestellten Probleme weder die erste noch auch die zweite Lösung brauchen. Die Vorstellung von Werken im Buddhismus ist nicht streng physisch, wie dies zum Beispiel im Jinismus der Fall gewesen zu sein scheint. Im Buddhismus spielen der Durst und die Absicht eine große Rolle, und nichts spricht dagegen, daß dies vom Anfang an der Fall gewesen sei. So gesehen ist das Verlangen oder der Durst genauso wichtig oder sogar wichtiger als die konkret-physischen Werke.' Und weil es nun eben nicht in erster Linie um die konkret-physischen Werke ging, waren die Immobilisierungsversuche anderer keine möglichen Lösungen zum Problem. So gesehen war es das Mißverständnis späterer Buddhisten über die Natur der Werke innerhalb ihrer Religion, das letzten Endes für die Entlehnungen aus anderen Religionen verantwortlich ist. Übrigens reden die alten buddhistischen Texte nicht nur von der Befreiung von Wiedergeburten, sondern ebenso von der Befreiung vom Leiden, Tatsächlich hat man öfters den Eindruck, daß das Leiden wenn möglich noch wesentlicher ist für den frühen Buddhismus als der Kreislauf von Wie. dergeburten, wie zum Beispiel in der folgenden Textpassage: „Früher wie auch heute, o Mönche, lehre ich nur das Leiden und die Aufhebung des Leidens." Die Unterweisung in der Lehre des Buddha, sagen andere Textstellen, bezieht sich auf das Leiden, auf dessen Ursprung, dessen Aufhe Bronkhorst, The Twn Traditions of Meditation in Ancient India, Delhi 1993, 31-67. Ähnlich Brhadāranyaka-Upanisad 4,4,6 (vgl. Vertet. Das Erwachen des Buddha, a, a, O. (Anm. 4) 54. Anm. 20. 196 197 Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ bung und auf den Weg, der dazu führt; dies sind die vier edlen Wahrheiten. Dem Thema der Befreiung vom Leiden wird, soviel ich weiß, in den alten buddhistischen Texten nie widersprochen. Wir können also davon ausgehen, daß es ein Hauptthema der Unterweisung des Buddha war. Dieses Thema wird sehr oft in der Form der sogenannten vier edlen Wahrheiten ausgedrückt. Die Erklärung der vier edlen Wahrheiten verbindet nun aber das Leiden mit dem Kreislauf von Wiedergeburten. Sie identifiziert die Entstehung des Leidens als den Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führt. Es scheint mir deshalb gewagt und auch nicht nötig zu behaupten, der Buddha habe nur die Befreiung vom Leiden gepredigt ohne Glauben an den Kreislauf der Wiedergeburten. Nach diesem Exkurs über die wahrscheinliche Motivation des historischen Buddha wenden wir uns jetzt der Frage zu, wohin uns unsere Methode bezüglich der durch ihn gepredigten Lehre führt. Der Buddha hat die Befreiung vom Leiden und (wahrscheinlich) vom Kreislauf der Wiedergeburten gepredigt, eine Befreiung, die er angeblich selber gefunden hat. Zu dieser Befreiung führt ein Weg, den der Buddha selber gegangen sein soll. Über diesen Weg gibt es viele oft widersprüchliche Angaben in den alten Texten, und gerade hier ist die oben dargestellte Methode imstande, das Nichtauthentische - oder vielleicht besser: einiges Nichtauthentisches - auszuscheiden. Was übrigbleibt, ist im wesentlichen folgendes: Um die Befreiung zu erreichen, muß man sich aus der normalen Welt zurückziehen. In späterer Zeit bedeutet dies meistens, daß man als Mönch in ein Kloster eintritt. In ältester Zeit zog man, wie es aussieht, jedoch als Bettler herum, ganz alleine. Nebst dem Befolgen von sittlichen Geboten und Verboten werden besonders Aufmerksamkeit und Bewußtheit bei allem Handeln als äußerst wichtig betont. Um die Befreiung zu erlangen ist es zunächst nötig, sich der Versenkung zu widmen. Diese kulminiert in den vier sogenannten Versenkungsstufen (dhyana), die öfters wie folgt beschrie. ben werden: Nachdem er den) Hindernissen entsagt hat und die schwächenden Störungen des Sinnes erkannt hat, erlangt er durch Loslösung von den Begierden und Loslösung von den unheilsamen psychischen Eigenschaften, unter Nachdenken und Überlegen, durch diese Loslösung entstandene Befriedigung und Wohlbehagen und verharrt darin. Das ist die erste Versenkungsstufe. Nachdem Nachdenken und überlegen zur Ruhe gekommen sind, erlangt er innere Beruhigung und Konzentration des Geistes und so, frei von Nachdenken und Überlegen, durch diese Sammlung entstandene Befriedigung und Wohlbehagen und verharrt darin. Das ist die zweite Versenkungsstufe. Nach Abkehr von der Befriedigung verharrt er gleichmütig, aufmerksam und bewußt und empfindet mit seinem Körper Wohlbehagen. Das ist es, wovon die Edlen sagen: Er ist gleichmütig, aufmerksam und verharrt in Wohlbe. hagen." Das ist die dritte Versenkungsstufe. Nachdem er Wohlbehagen und Mißbehagen von sich getan hat und früher noch Wohlgefallen und Mißfallen geschwunden sind, erlangt er frei von Misbehagen und Wohlbehagen, reinen Gleichmut und Aufmerksamkeit und verharrt darin. Das ist die vierte Versenkungsstufe. Diese vier Versenkungsstufen sind immer noch bloße Vorbereitung. Das entscheidende Geschehnis findet in der vierten Versenkungsstufe statt, ist aber nicht mit ihr identisch. Dieses Geschehnis wird in den Texten in vie. lerlei unterschiedlichen Weisen beschrieben, doch stimmen die meisten wohl darin überein, daß hier mit Hilfe einer bestimmten Erkenntnis die Befleckungen vernichtet werden. Was genau mit dem Wort Befleckungen' (ásrava/āsavagemeint wird oder besser: wurde, ist nicht klar. Das Resultat ist aber unverkennbar. Die Texte bringen es folgendermaßen zum Ausdruck: Indem er solches erkennt, solches schaut, wird sein Geist von den Befleckungen (die Texte zählen hier drei Arten von Befleckungen auf, die ich aber weg. lasse, JB]" erlöst. Nachdem der Geist befreit ist, entsteht bei ihm die Ein: sicht: Ich bin befreit, Vernichtet ist die Wiedergeburt, gelebt ist der hei. lige Wandel, getan ist, was zu tun war, damit ich nicht wiederum hierher zurückkehre." Also erkennt er! Viel bleibt notwendigerweise unklar in diesen und ähnlichen Textpassagen. Zu bemerken ist, daß hier die Befreiung in erster Linie als Befreiung von der Wiedergeburt dargestellt wird. Nach der Erkenntnis: Ich bin befreit", folgt nämlich sofort: Vernichtet ist die Wiedergeburt". Das Leiden wird hier überhaupt nicht erwähnt. . Einiges scheint mir klar aus diesen und ähnlichen Textstellen hervorzugehen: Erstens wäre es ein Irrtum zu glauben, der Buddha habe in erster Linie einer mystischen Erfahrung nachgestrebt. Dies scheint mir in Widerspruch mit den Texten. Das Ziel ist, soweit ich sehe, nie die Erfahrung, sondern die Befreiung. Wenn mystische Erfahrung überhaupt auftritt, dann . Ch. Zafiropulo gibt Gründe an für die Annahme, daß die Unterteilung in drei oder vier Arten von Befleckungen erst später zustande gekommen ist diese Annahme ist auch aus ande ren Gründen verlockend. In: L'illumination du Buddha: de la quête à l'annonce de l'éveil Essais de chronologie relative et de stratigraphie textuelle Innsbrucker Beiträge zur Kultur wissenschaft. Sonderheft, 87), Innsbruck 1993, 101 1. Er gibt auch (S. 125) eine originelle Deu. tung des Unterschiedes zwischen dem Teil der vier edlen Wahrheiten und dem, der die Auf. hebung der Befleckungen betrifft. 198 199 . Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ wohl nur, weil man ausschließlich mit ihrer Hilfe die Befreiung erreichen kann. Es scheint mir ebenfalls unrichtig zu behaupten, der Buddha- und seine Schüler - habe der Uberzeugung nachgestrebt, befreit zu sein. Man kann als Forscher natürlich dazu neigen kundzutun, daß man nicht an die buddhistische Befreiung glaubt und daß es sich im Falle des Buddha und seiner Schüler bestenfalls nur um eine (falsche) Überzeugung gehandelt haben kann. Doch rechtfertigt eine derartige Neigung nicht die Behauptung der Buddha und seine Schüler hätten nur so einer Überzeugung nachgestrebt. Dies ist sicher falsch, weil die Texte ganz klar besagen, daß sie der Befreiung und nicht der Uberzeugung, befreit zu sein, nachstreben. Viele Christen streben danach, den Himmel zu erreichen, und würden sicher nicht mit der Behauptung einverstanden sein, sie suchten nur die Uberzeugung, den Himmel zu erreichen. eine Form von Gewalttätigkeit völlig fehlt. Hauptkennzeichen der wahr. scheinlich authentisch buddhistischen Versenkung sind Gleichmut und Aufmerksamkeit während Befriedigung, Wohlbehagen usw. sich als Begleiterscheinungen einstellen. Die Lehre des Buddha unterschied sich anscheinend von den anderen asketischen Bewegungen seiner Zeit noch in anderer Hinsicht: Die buddhistische Befreiung fand zu Lebzeiten statt, die Befreiung der nicht-buddhistischen Asketen erst beim Tode. Dies hat damit zu tun, daß die buddhistische Befreiung eine geistige, d. h. psychische Umwandlung war, während die nicht-buddhistischen Asketen der endgültigen Immobilisierung nachstrebten. (Die Idee einer Befreiung bei Lebzeiten ist mehr bei denen zu Hause, die die Erkenntnis der wahren, nicht-aktiven Natur des Selbstes als befreiende Einsicht anerkennen; sie setzt sich in der Literatur aber nur ziemlich langsam durch.") Die Beobachtung über die psychische Umwandlung als Ziel der Buddha. lehre ist übrigens nicht ohne Wichtigkeit in einem Treffen, wo der Buddhismus als Religion besprochen wird. War der Buddhismus des Buddha eine Religion? Die frühen abendländischen Forscher haben den Buddhismus öfters vielmehr als eine Art Philosophie betrachtet. Darin hatten sie sicher unrecht. Andere Forscher neigen hingegen dazu, die schamanistischen oder mythologischen Elemente im alten Buddhismus zu entdecken." Hier ist es wichtig, den möglicherweise vorhandenen Unterschied zwi Falls wir jetzt versuchen festzustellen, wie die Lehre des Buddha sich aller Wahrscheinlichkeit nach von den wichtigsten anderen Lehren seiner Zeit unterschieden hat, müssen wir von den Übereinstimmungen ausgehen. Sowohl der Buddhismus wie die meisten anderen asketischen Bewegungen jener Zeit gingen vom Glauben an die durch Werke bedingte Wiedergeburt aus. Beide sahen den Kreislauf von Wiedergeburten als außerst unbefriedigend an und suchten einen Ausweg, d. h. die Befreiung. Vielleicht betonte der Buddhismus relativ stark das Leiden und das Ziel, vom Leiden befreit zu werden. Ein anderer wichtiger Unterschied war, daß der Buddhismus die Werke nicht konkret-physisch auffaßte, sondern dem Durst und der Absicht viel Gewicht beimaß. Der Buddhismus und die anderen Bewegungen jener Zeit lehrten Wege, d. h. Methoden, um die Befreiung zu erreichen. Hier nahm der Buddha, wie es scheint, eine Sonderstelle ein, weil er die Methoden der anderen Bewegungen zurückwies. Die anderen Bewegungen lehrten hauptsächlich zwei Wege: einen asketischen und einen erkenntnismäßigen. Der Buddha lehnte die nach Unbeweglichkeit strebenden Methoden der asketischen Strömungen ebenso ab, wie die von anderen gelehrte Erkenntnis des wahren (untätigen) Wesens des Selbstes. An ihrer Statt lehrte er Aufmerksamkeit und Bewußtheit, gefolgt von einer Reihe von Versenkungsstufen. Diese Versenkungsstufen sind nicht mehr oder weniger gewaltsame Versuche, alle geistige Aktivität zu unterdrücken, wie sie in den nichtbuddhistischen Bewegungen unternommen wurden. Ganz im Gegenteil, die kanonischen Beschreibungen vermitteln den Eindruck, daß dabei irgend Vgl.J. F. Sprockhoff Vorbereitung der Vorstellung von der Erlösung bei Lebzeiten in den Upanisaden, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 6 (1962) 151-178; W. Slaje, Nihsreyasam im alten Nyaya, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 30 (1986) 163-177; G. Oberhammer La Délivrance, dès cette vie (livanmukti Publications de l'Institut de Civilisation Indienne; 61), Paris 1994; P. Schreiner. Nårāyaniya-Studiun (Purana Research Publi. cations; 6), Wiesbaden 1997, 178, W. Slaje (vgl. ders, Vom Moksoplya-Sastra zum Yogavasistha Mahārāmāyana Osterreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte; 6091, Wien 1994, 69) glaubt, daß geschichtlich gesehen die Möglichkeit eines tieferen Zusammenhanges des jivanmukti Gedankens mit dem sopadhises. nirvana des Buddhismus erwagenswert ist. # Der Buddhismus wurde zum Beispiel als eine Entwicklung aus der Samkhya-Philoso phie oder einfach als eine Dharma-Theorie betrachtet: siehe . W. de Jong A Brief History of Buddhist Studies in Europe and America, Varanasi 1976,32; H. von Glasenapp, Zur Geschichte der buddhistischen Dharma-Theorie, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesell. schaft 92 (N.F. 17) (1938) 383-420 Neudruck in: Von Buddha zu Gandhi, Aufsätze zur Geschichte der Religionen Indiens von Helmuth von Glasenapp, Wiesbaden 1962, 47-801. Zu früheren europäischen Vorstellungen über den Buddha als Philosoph siehe R.-P. Droit Le culte du néant. Les philosophes et le Bouddha, Paris 1997,61. "Siehe). W. de Jongs Bemerkungen la. a. O. Anm. 10 28 f.) Über den Gegensatz zwi. schen der mythologischen Methode des Emile Senart und der rationalistischen Methode des Hermann Oldenberg Bud buddhistischen 1938) 383-420 IN Helmuth von Glasens Philosoph sieh 200 201 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ schen der Lehre des Buddha und den Ansichten sogar seiner frühesten Schüler zu betonen. Bestimmte Forscher weisen wohl mit Recht darauf hin, es spreche nichts dagegen, daß der Buddha schon während seines Lebens mehr oder weniger als ein Gott betrachtet wurde. Der Buddhismus des Buddha und der Buddhismus seiner ersten (und späteren) Jünger sind also vielleicht völlig verschiedene Sachen. Was ich versucht habe Ihnen anzubieten ist eine Beschreibung der Lehre des Buddha, wie die Texte dies zu ermöglichen scheinen, und nicht das, was seine Schüler geglaubt und praktiziert haben. Und hier finden wir, daß die philologische Analyse der alten Texte dem Gedanken zuzustimmen scheint, daß jeden falls der Gründer des Buddhismus,nur' eine psychische Umwandlung gelehrt hat. Ist dies Religion oder Psychotherapie? Die Antwort hängt wohl davon ab, wie man Religion definiert. Dazu kommt noch folgendes. Wenn man damit einverstanden ist, daß der historische Buddha einen Weg zur Befreiung vom Leiden und von der Wiedergeburt gelehrt hat, einen Weg, wie die Texte es immer wieder betonen, den er selber bis zum Ende gegangen ist, stellt sich im weiteren die Frage, ob ihm dies tatsächlich gelungen ist. Hat der historische Buddha wirklich die Befreiung vom Leiden und von der Wiedergeburt erlangt? Und ist so eine Frage überhaupt sinnvoll? Für diejenigen, die nicht an Wiedergeburt glauben, ist die Frage nach der Befreiung von der Wiedergeburt eine religiöse Frage, die nur inner. halb einer Tradition, in der Wiedergeburt anerkannt wird, sinnvoll ist. Die Wissenschaft kann sich nicht mit ihr beschäftigen. Das gleiche gilt aber nicht für die Befreiung vom Leiden. Das Leiden wird folgendermaßen beschrieben: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden, kurz die fünferlei Objekte des Ergreifens sind Leiden." Befreiung vom Leiden in diesem Sinne ist etwas, das jede Person, vielleicht in ganz banaler Weise, beschäftigt. Und Leiden in diesem Sinne ist nicht auf eine oder mehrere religiöse Stromungen beschränkt. Es scheint deshalb sinnvoll und in bestimmter Weise auch notwendig zu fragen, ob es dem historischen Buddha tatsächlich gelungen ist, durch eine psychische Umwandlung die völlige Vernichtung des Leidens zu erreichen, wie es die Texte behaupten. Die Frage ist berechtigt, die Antwort aber äußerst schwierig. Auch wenn wir mit Sicherheit wüßten, was der Buddha gelehrt hat (und Sie haben gesehen, daß so eine Sicherheit kaum zu erreichen ist), würden wir noch immer nicht wissen, ob er die Wahrheit gesprochen hat. Er konnte übertrieben oder sich getäuscht haben. Vielleicht hat er sich auch so geäußert, nur um seine Anhänger anzuregen. Aus den Texten werden wir dies nie wissen. Diese erzählen uns nur, daß der historische Buddha manchmal krank gewesen ist und anscheinend an einer Vergiftung gestorben ist. Dies wurde zwar durch einzelne seiner späteren Schüler als problematisch erfahren, nicht aber, wie es aussieht, durch den Buddha selber. Das bedeutet wohl, daß die von ihm gepredigte Befreiung vom Leiden sich irgendwie nicht auf Krankheiten selber, sondern vielmehr auf das durch sie verursachte Leiden bezieht. Wie dem auch sei, wenn wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß der historische Buddha sich tatsächlich vom Leiden (oder von bestimmten Arten von Leiden) befreit hat, werden wir, wie es mir scheint, nicht mit einem religiösen, sondern mit einem psychologischen Problem konfrontiert. Hier ist nicht die Gelegenheit, weiter auf diese Problematik einzugehen. Hauptsache ist, daß die soeben gestellte Frage: Ist der Buddhismus des Buddha Religion oder Psychotherapie? nicht einfach auf die Seite gelegt werden kann. Zum Schluß noch eine wichtige Frage. Gelangt man mit der Rekonstruktion der Lehre des Buddha zum Proprium des Buddhismus? An dieser Stelle möchte ich den deutschen Indologen Paul Hacker zitieren, der in den folgenden spottenden Worten die Suche nach Ursprüngen kritisiert hat: Der Gelehrte hat einen totalen Sieg errungen. Auf dem philologischen Schlachtfeld liegen die Textkörper, zerschlagen und entseelt, schön in einer Reihe geordnet, neben einem Schutthaufen von inneren Widersprüchen, Mißverständnissen, Verderbnissen. Über dem Totenfeld aber leuchter in der Ferne in positivistischer Abstraktheit die romantische blaue Blume des Ursprungs." Hacker hat wohl recht, Ursprungsfragen kritisch zu betrachten. Leider gibt es keinen anderen Weg, wenn man versucht, etwas über den Ursprung des Buddhismus zu entdecken. Aber Hacker hat sicher recht, daß in dieser Weise vielleicht wenig vom Buddhismus, das heißt von der Religion, die wir heute als Buddhismus kennen und anerkennen, übrigbleibt. Siehe z. B. P. Harrison, Some Rellections on the Personality of the Buddha, in: Otani Gakuho 74 (1995) 1-28, hier: 181. "Siehe P. Harrison, a. a. . (Anm. 12,81; weiters P. Demiéville, Byo - Maladie, in: Hobogirin 3 11937) 224-265, hier: 232 1. "Maladie et sainteté"). .P. Hacker, Kleine Schriften (hrsg. von L. Schmithausen, Wiesbaden 1978, 10. 202 203 . Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Nichts garantiert, daß die Suche nach dem Ursprung des Buddhismus uns viel über den Buddhismus lehren kann. Ist das, was die moderne akademische Forschung über Jesus sagt, notwendigerweise auch das, was Christen als Kern ihrer Religion anerkennen? Dies ist sicher nicht selbstverständlich und im Falle des Buddhismus sehr wahrscheinlich falsch."Viele, vielleicht sogar die meisten akademischen Forscher sind wohl einverstanden, daß viel von dem, was in den kanonischen Texten enthalten ist, nicht mit der Lehre des historischen Buddha übereinstimmt. Die von mir gerade dargestellte Methode ist vergleichsweise konservativ in dem Sinne, daß sie versucht, im Prinzip so viel wie möglich in den alten Texten als authentisch anzuerkennen. Aber auch diese Methode ist gezwungen, viele sehr wichtige Lehren und Methoden des späteren Buddhismus als nicht authentisch zur Seite zu schieben. Und die Frage, was der frühe Buddhist geglaubt, gefühlt und erlebt hat, ist hier überhaupt nicht berührt worden. Und trotzdem haben unsere Überlegungen etwas ans Licht gebracht, das den Buddhismus in grundsätzlicher Weise von christlichen und sonstigen abendländischen Vorstellungen unterscheidet. Der Buddha ist nicht einfach ein Mensch, der bestimmte Erfahrungen gehabt hat; er ist vielmehr ein Wesen, das den menschlichen Zustand ein für allemal überwunden hat; Rückfall ist bei ihm außer Frage. Diese Vorstellung hat den Buddhismus in wahrscheinlich all seinen Erscheinungsformen begleitet, und unsere geschichtliche Analyse legt nahe, daß der historische Buddha selber auch dieser Meinung gewesen ist; wir haben uns gerade mit der Frage befaßt, ob er vielleicht sogar recht gehabt hat. Dieser Umstand macht Vergleiche mit christlichen Mystikern äußerst gefährlich und irreführend. Christliche Mystiker sind ja Menschen; Buddhas, wenigstens von buddhistischer Sicht her, sind es eben nicht. Versen Spuren des alten und ursprünglichen Buddhismus. Der japanische Gelehrte Noritoshi Aramaki tut dies ganz systematisch", andere tun es mehr oder weniger bei Gelegenheit." Gründe für die Altertümlichkeit von Teilen dieser Sammlungen gibt es nun tatsächlich. Einige werden schon in einer Inschrift des Asoka erwähnt, andere werden anderswo im Kanon zitiert, ihre Sprache ist altertümlich." Es ist sicher nicht auszuschließen, daß einige dieser Sammlungen wirklich das älteste sind, das uns in relativ unveränderter Gestalt bewahrt geblieben ist. Sollte man sich also bei der Rekonstruktion des ursprünglichen Buddhismus auf diese Verse be. schränken? Hier ist zuerst zu beachten, daß tatsächlich die alten Versammlungen als Grundlage für die Untersuchung nicht immer zum gleichen Schluß führen wie die Lehrreden in Prosa. Die Frage ist vor kurzem durch Lambert Schmithausen besprochen worden in Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über das Empfindungsvermögen von Pflanzen im ältesten Buddhismus. Geht man von den Versammlungen aus, liegt der Schlußnahe, daß der Buddhismus am Anfang Pflanzen als lebendige Wesen betrachtet hat, wie es der Jinismus und die vedische Religion taten. Die Lehrreden hingegen vermeiden es, Pflanzen als empfindungsfähig und lebendig zu bezeichnen. Schmithausen versucht, diese zwei Arten von Quellen zu versöhnen durch die Annahme, das Empfindungsvermögen von Pflanzen würde im frühen Buddhismus als Grenzfall betrachtet. Als Lösung scheint dies sehr plausibel, ändert aber nichts an dem Sachverhalt, daß die Verssammlungen öfters den anderen Religionen Indiens, besonders dem Jinismus näher sind als die Lehrreden in Prosa. Jinistischen Einfluß in mehre. ren dieser Verse haben auch andere Gelehrte betont." Und man hat den Appendix: Die Versliteratur des alten Buddhismus Verschiedene Gelehrte haben Teile der im alten Kanon erhaltenen Versliteratur als besonders alt identifiziert und suchen gerade in diesen alten har en 24-27 permokkha rhes Colleg " Siehe z. B. N. Aramaki, A Text-strata-analytical Interpretation of the Concept .pancaskandhas", in: The Humanities (College of Liberal Arts) 26 (1980) 1-36; ders., The Development of the Term patimokkha' in Early Buddhism. Premier Colloque Etienne Lamotte (Bruxelles et Liège 24-27 septembre 1989) (Publications de l'Institut Orientaliste de Louvain; 42), Louvainla-Neuve 1993, 33-49, ders., Some Precursors of the Subconscious Desire in the Attadanda. Sulta, in: Zinbun (Annals of the Institute for Research in Humanities) 28 (1993) 49-94. Vel. T. Vetter. Some Remarks on Older Parts of the Suttanipata, in: D. Seyfort RuegeL. Schmithausen (Hrsg.), Earliest Buddhism and Madhyamaka (Panels of the Vilth World Sanskrit Conference, 2), Leiden u. a. 1990, 36-56. 10. von Hinüber, A Handbook of Pali Literature (Indian Philology and South Asian Studies; 2), Berlin u. a. 1996, 49. # L. Schmithausen, The Problem of the Sentience of Plants in Early Buddhism (Studia Phi. lologica Buddhica: Monograph Series: 6), Tokyo 1991, 67 f. R. Gombrich, The Buddha and the Jains, in: Asiatische Studien 48 (199419951), 1069-1096, hier: 1078 1. W. 8. Bollée (The Pädas of the Sultanipata, with Parallels from the "Ahnlich P. Harrison, Searching for the Origins of the Mahayana: What are we looking forlin: The Eastern Buddhist (N. S.) 28 (1995) 48-69, hier: 49. * Vgl. in diesem Zusammenhang z. B. den Aufsatz von Richard King Is ,Buddha-nature Buddhist? Doctrinal Tensions in the Srimala Sütra- an Early Tathagatagarbha Text, in: Numen 42 (1995) 1-20, wo die Frage, ob eine später entwickelte Vorstellung wie die des TathagataRarbha wirklich buddhistisch ist, behandelt wird. 204 205 Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Vorschlag gemacht, daß viele dieser Verse ursprünglich nicht ausschließlich buddhistischen Wanderasketen zuzuweisen sind." Muß man also bei der Suche nach der Lehre des Buddha von den Verssammlungen ausgehen oder nicht? Unsere methodischen Überlegungen haben wohl deutlich gemacht, daß man Teile des buddhistischen Kanons, die dem Jinismus und anderen alten Religionen nahestehen, am besten mit Mißtrauen ansehen kann. Man kommt auch hier wieder auf die alte Frage zurück: Falls die Lehre des Buddha der des Jinismus (oder einer anderen Religion) ähnlich war, wer hat dann die angeblich späteren, typisch buddhistischen' Elemente in den Buddhismus hineingebracht? Das Vorhandensein jinistischer Elemente hingegen läßt sich ganz einfach durch jinistischen Einfluß oder durch Entlehnung aus dem Jinismus erklären. Der Umstand, daß schon sehr alte Verse jinistischen Einfluß verraten, beweist nur, daß dieser Prozeß praktisch von Anfang an im Buddhismus eine Rolle gespielt hat. Diesen Überlegungen ist noch hinzuzufügen, daß- wie Tilmann Vetter betont die wichtigste Aufgabe dieser Verssammlungen darin zu bestehen scheint, den Leser an zentrale Begriffe der Lehre und Praxis zu erinnern, so daß man in ihnen grundsätzlich keine Details und Aufzählungen erwarten darf. Wenn also zum Beispiel die vier dhyānas hier nicht erwähnt werden, darf man daraus alleine nicht schließen, daß sie in der ältesten Überlieferung abwesend waren. Ayáranga, Süyagada, Uttarajjhäyä, Dasaveyäliya and Isibhäsiyaim (Studien zur Indologie und Iranistik: Monographien; 71, Reinbek 1980) hat mehrere Parallelen zwischen Suttanipäta und alten Texten des jinistischen Kanons ans Licht gebracht. So J. W. de Jong A Brief History of Buddhist Studies in Europe and America, Tokyo 1997, 971. "T. Vetter, Das Erwachen des Buddha, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 40 (1996) 45-85, hier: 63. 206 Anfragen und Gesprächsbeiträge [Arbeitskreis 1] Ähnliches in anderen Traditionen - Kriterium Khoury Eines der Kriterien, die geeignet sind, die Echtheit oder Unechtheit von Texten erkennen zu lassen, ist nach Ansicht von Herrn Bronkhorst der Umder Unechtheit? stand, daß sich Ähnliches bzw. Paralleles in anderen Traditionen-hier, was den Buddhismus anbelangt, im Jinismus findet oder nicht. Ist dies der Fall, so die methodische Annahme, würde es sich nicht um ursprüngliche Inhalte der betreffenden Tradition handeln. Müßte man aber dann nicht auch das Umgekehrte annehmen? Wären unter dieser Annahme nicht im konkreten Fall auch jene jinistischen Texte als unecht anzusehen, für die es Parallelen in der buddhistischen Überlieferung gibt? Was jedoch offensichtlich in einen Argumentationszirkel führen würde. Schmithausen Dies trifft zweifellos zu, wenn keine zusätzlichen Kriterien vorliegen. Herr Bronkhorst sieht ein zusätzliches Kriterium dieser Art aber in solchen Fällen als gegeben an, wo es zwei verschiedene Positionen innerhalb des buddhistischen Kanons gibt und eine davon mit Nichtbuddhistischem, näherhin mit jinistischen Aussagen koinzidiert. Damit wäre eine etwas schärfere Eingrenzung gegeben, die allerdings nur dann aus dem von Herrn Khoury aufgezeigten Zir. kel hinausführt, wenn zugleich vorausgesetzt wird, daß die Texte der Jinisten nur diese eine Position enthalten. Daraus würde Herr Bronkhorst folgern, daß dies wahrscheinlich nicht die echte Position der Buddhisten ist, weil sie auch von den Jinisten vertreten wird und dort als einzige. Khoury Ist nicht in der Religionsgeschichte damit zu rechnen, daß es auch wechselseitige Beziehungen gibt, Interaktionen von einer Religion zur anderen, insbesondere im Falle ihrer mehr oder weniger synchronen Entstehung und Entwicklung? Warum sollte also unter Beziehungen zwischen den Religionen 207 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ von Fall zu Fall entscheiden Verzicht auf Frage nach dem Ursprung? den angeführten Umständen ein jinistischer Text Kriterium sein für die Unechtheit eines Textes in der buddhistischen Tradition und nicht umgekehrt? Kann nicht auch der Jinismus selbst profitiert haben von einer ursprünglichen Lehre des Buddhismus und seine eigene Lehre in der Folge entsprechend formuliert haben? Schmithausen Wenn ich versuche, von der Position des Referenten aus zu argumentieren, und nimmt man als weiteres Kriterium hinzu, daß von zwei Positionen, die in buddhistischen Texten vertreten werden, die eine in das buddhistische Gesamtkonzept paßt und die andere nicht, letztere jedoch sich in das jinistische Gesamtkonzept fügt, so könnte in einem solchen Fall die Vermutung, daß die zweite Position vom Jinismus in die buddhistischen Texte hineingekommen ist, einige Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen. möglicherweise Deninger-Polzer Gilt dies nicht unter der Vorausvorbuddhisti- setzung, daß Mahavira und der Buddha Säkyamuni scher Jinismus Zeitgenossen waren, was heute doch in Frage gestellt wird? Schmithausen Die Sache ist komplizierter: Mahavira hatte der jinistischen Tradition zufolge einen Vorgänger, den Pärsva, mit dessen Anhängern die Texte die Schüler Mahaviras Diskussionen führen lassen, die stets zugunsten der letzteren ausgehen. Die buddhistischen Texte kennen zwar Parsva nicht, wohl aber die ihm in den Jaina-Quellen zugeschriebene Lehre. Bezieht man diese Pårsva-Tradition mit ein, die móg. licherweise doch eine Reminiszenz an eine historische Person oder zumindest Bewegung spiegelt, so erscheint die Annahme eines,vorbuddhistischen ProtoJinismus' nicht abwegig. Und selbst wenn man bezweifelt, daß der Buddha und Mahavira Zeitgenossen waren, so ist doch unbestreitbar, daß Mahavira unter dem Namen Nätaputta im buddhistischen Kanon durchaus bekannt ist, so daß Übernahmen aus dem Vel. A Mette The Synchronism of the Buddha and the Jina Mahavira, in: H. Bechert (Hrsg.). The Dating of the Historical Buddha, pt. 1, Göttingen 1991, 134-137. Jinismus in den buddhistischen Kanon (der ja manches enthält, was kaum auf die Zeit des Buddha zurückgehen dürfte) ganz gewiß nicht a priori ausgeschlossen werden können. Nihom Gibt man sozusagen dem amerikanisch-englischen Pragmatismus Vorrang gegenüber dem deutschen Idealismus, erscheint es wichtiger, von Fall zu Fall zu entscheiden, welcher Text jeweils der ursprüng. liche ist, als im Rahmen theoretischer Überlegungen abstrakte Kriterien aufzustellen. Becker Das Referat war mir zu methodisch angelegt, es wäre mir auch auf inhaltliche Differenzpunkte angekommen. von Doemming ist nicht die Frage nach den methodischen Kriterien davon abhängig, welche Bedeutung man der Frage nach dem Ursprung beimißt? Der Ge. samttenor des Referates schien mir jedenfalls auf die Aufhebung der Frage nach dem Ursprung und nach dem Sinn von Tradition abzuzielen. War nicht auf diese Weise der Gedanke des Auszugs, der Hauslosigkeit beim Buddha auf unser Verhältnis zur Rückfrage nach dem Ursprung, nach der Authentizität der Tradition übertragen und radikalisiert worden? Schmithausen Gewiß ist die Frage nach dem Ursprung nicht die einzig wichtige, und die Idee, daß man nur so zur reinen, authentischen Lehre vorstößt, problematisch. Auf der anderen Seite wird man eine ideengeschichtliche, eine religions- oder philosophiegeschichtliche Entwicklung besser nachvollziehen können, wenn man weiß, wie alles angefangen hat und - wenn diese Organismusmetaphern erlaubt sind - wie dies dann wei. tergewachsen oder vielleicht auch wieder gealtert, verknöchert oder abgestorben ist. So sehr es also verkehrt wäre, die Ursprungsfrage zum alleinigen Ziel der Forschung zu machen und sich auf sie zu versteifen, ist sie doch keine sinnlose Frage. Sie bleibt ein Element in der Frage nach einem bestimm 208 209 Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ kreativer Umgang mit der Tradition und seine Herausforderung ten Phänomen, und ihre Beantwortung kann auch nützlich sein für das Verständnis der Gesamtentwicklung. von Doemming Persönlich von der Sinnhaftigkeit der Frage auch heute noch überzeugt, scheint mir doch manches dafür zu sprechen, den Stellenwert der Orientierung an der Tradition und ihrer geschichtlichen Herkunft zu relativieren. Hier denke ich an den Philosophen Vilém Flusser, der vom Ende der Geschichte", vom „Ende der Schrift" oder vom Ende des linearen Denkens" und vom Universum der Bilder" spricht." Dahinter stecken Theorien und Erfahrungen der heutigen Welt, die etwas mit der,Bodenlosigkeit, mit der ,Hauslosigkeit als Metapher zu tun haben. Schmithausen Es gibt heute gerade auch im westlichen Buddhismus Versuche, mit der buddhistischen Tradition kreativ umzugehen. Soll sie auf unsere Gegenwartsprobleme antworten, ist ein kreativer, flexibler Umgang mit ihr legitim. Doch haben merkwürdigerweise gerade solche Autoren oft das Bedürfnis, ihre Auffassungen an der Tradition festzumachen und zu behaupten: dies war die ursprüngliche Lehre des Buddha, so war es im Urbuddhismus, so sind die kanonischen Texte zu verstehen. Man verhält sich also einerseits kreativ zur Tradition, hält aber anderseits eben jene von Frau von Doemming angesprochene, Hauslosigkeit nicht aus. Zumal dann, wenn sich dies mit offener Polemik gegen die Ergebnisse philologischhistorisch ausgerichteter westlicher Wissenschaft verbindet, komme ich, als Vertreter solcher Wissenschaft, in Schwierigkeiten, wenn die alten Quellen die gewünschte Deutung nicht stützen oder gar deutlich dagegen sprechen. Ein konsequent durchgehaltener Schritt in die, Hauslosigkeit hingegen würde den historischen Ansatz m. E. nicht tangieren. Vgl. V. Flusser, Ende der Geschichte, Ende der Stadt?, Wien 1992; ders., Krise der Linearität, Bern 1988, ders., Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen '1990, sowie: Bodenlos. Eine philosophische Autobiographie (Bollmann-Bibliothek; 10), Bensheim u. a. 1992. 210 Buddha zu Lebzeiten divinisiert"? Heller Hieß es, daß der Buddha schon zu Lebzei ten vergöttlicht wurde Is. oben S. 201 f.), ist dann die sogenannte, Abschlußpredigt' des Buddha, die im Mahāparinibbana-Sutta (DN 16) überliefert ist, als abwehrende Reaktion Buddhas auf die sich abzeichnende Vergöttlichung zu verstehen? Denn in diesem Sutta verweist der Buddha angesichts seines bevorstehenden Todes und der darum aufkommenden Unruhe unter seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen von sich weg auf die Lehre und erinnert seine Gemeinde daran, daß die Lehre- und nicht die vergängliche Person des Buddha - ihnen Zuflucht und rettende Insel sein solle.' Nihom Was die Frage der Vergöttlichung des Buddha anbelangt, sollte man jedenfalls daran denken, daß es in Indien die Tradition der Gurus gibt: des acarya, des Meisters, der immer in einer bestimmten Weise vergöttlicht bzw. verehrt wird. Es gälte daher im Interesse der gestellten Frage, dem nachzugehen, wie in den Zeiten des Buddha die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gelebt und verstanden wurde. In jedem Falle sollte man es vermeiden, die sehr ausgeprägte Idee des Lehrers, wie sie in den Upanisaden zutage tritt, ohne weiteres auf die Zeit des Buddha zu übertragen. Schmithausen Ich finde den Begriff, Vergöttlichung' etwas problematisch, jedenfalls differenzierungsbedürftig. Gewiß ist dem Buddha schon zu Lebzeiten aufgrund seiner spirituellen Vollkommenheit und seines Charismas Verehrung gezollt worden, und es dürften ihm aus dem gleichen Grunde übernormale Fähigkeiten zugetraut worden sein. In gewissem Sinne steht er, als Erlöster und Erwachter, sogar über den Göttern (vgl. Vin I: 8), die ja nach buddhistischer Auffassung immer noch im samsåra befangen sind. Die spätere Vgl. M. Winternitz, Der ältere Buddhismus nach Texten des Tipitaka, Tübingen '1929, 17-27. 211 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ in früher Ikonographie nur symbolische Darstellungen 212 und Reliquienverehrung Vorstellung hingegen vom Buddha als einem in para-Divinisierung' diesischer Herrlichkeit lebenden überweltlichen Wesen findet sich im alten Kanon noch nicht. Maithrimurthi Im Päli-Kanon findet sich viel Material über die Verehrung, die dem Buddha'von seiten seiner Schüler zuteil geworden ist und die sie dazu veranlaßt hat, ihn im Zeichen ihrer Liebe und ihrer tiefen Hingabe als einen, Übermenschen' zu sehen. Man kann darin vielleicht erste Ansätze dafür sehen, dem Buddha übermenschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Die Behauptung freilich, er würde im Päli-Kanon in,göttlicher Weise dargestellt, ist noch einmal etwas anderes und geht darüber hinaus. Deninger-Polzer Man kann auch über die Entwicklung von der ikonoklastischen zur ikonoplastischen Kunst im Buddhismus verfolgen, daß die Vorstellung von einer Divinisierung des Buddha bereits zu Leb- die Frage nach zeiten so nicht stimmt. Denkt man etwa an die Dar-der Historizität stellungen am großen Stupa von Säñchi oder an die und ihre erhaltenen Reste von Amaravati, sieht man, daß der Relevanz für Buddha zunächst nie figürlich dargestellt wurde. Viel-den Glauben mehr ging es darum, die großen Vorkommnisse seines Lebens (die drei Wunder" nach buddhistischer Terminologie) in Symbolen und nur in Symbolen darzustellen: seine Erleuchtung im Symbol des bodhi-Baumes, das In-Bewegung-Setzen des Rades der Lehre durch das Rad, den Tod (parinirvana) durch den Stúpa. Niemals aber wird der Buddha in Person, in menschlicher Gestalt dargestellt; allenfalls die Fußspur, die Rahula verehrt. Schmithausen Auch nach meiner Auffassung spricht diese Art von bildlichen Darstellungen (deren älteste, in Sanchi, übrigens nicht vor die zweite Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts zurückreichen) nicht für eine frühe Divinisierung des Buddha, sondern ist wohl eher Ausdruck der Überzeugung, daß sich seine Einzigartigkeit, das, was den Buddha zum Buddha macht, nur symbolisch darstellen lasse. Eine, Vergöttlichung des Buddha dürfte sich vor allem bei den Laienanhängern angebahnt haben bzw. dürfte im Hinblick auf ihre Bedürfnisse entwickelt worden sein. Ob man in der Verehrung der Reliquien des Buddha, die der Überlieferung zufolge schon bald nach seinem Tod eingesetzt haben soll, bereits den Ansatz für eine Divinisierung sehen darf, sei dahingestellt. Deninger-Polzer Aus der christlichen Tradition wissen wir um eine Reliquienverehrung, ohne daß damit die Heiligen, um deren Reliquien es dabei ging, divinisiert worden wären. So ist bekannt, daß Johannes vom Kreuz einen Finger der Teresa von Avila als Reliquie aufbewahrt hat, ohne die Genannte auf diese Weise divinisieren zu wollen. Der Streit um die Reliquien des Buddha müßte also nicht unbedingt in die Richtung einer Divinisierung führen. Heller Eine Bemerkung noch zur Aussage des Referates (vgl. oben S. 204], die Wissenschaftler würden, was die Frage nach dem historischen Jesus betrifft, in der Entwicklung des Buddhismus gewisse Ähnlichkeiten feststellen zur Entwicklung im Christentum und dies würde nicht unbedingt von großem Belang sein für die Gläubigen. Christlicher Glaube hat demgegenüber, wie ich meine, ein existentielles Interesse an dieser Frage. Und unter diesem Gesichtspunkt wäre es interessant zu wissen, ob sich der wissenschaftlich geschulte Gläubige im Buddhismus an dem Ideal ausrichtet, das ihm im,authentischen Buddhawort' begegnet, wie es von der historisch-kritischen Forschung herausgearbeitet wird, oder ob er seinen Glauben auf das im Pali-Kanon Überlieferte abstützt, auch wenn ihm die Wissenschaft vor Augen führt, daß dahinter eine jahrhundertelange Entwicklung steht. Maithrimurthi Ich konnte bisher nichts entdecken, was von der modernen Forschung her- sei es in der Methodenfrage, sei es in inhaltlicher Hinsicht - sich letztendlich in Widerspruch befände zu den Auffassungen traditioneller Buddhisten, auch wenn ihnen Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ dieses oder jenes vielleicht weniger gefällt. So etwa, wenn sie die Bedeutung der Einsicht, prajna, für das Erwachen hervorheben im Unterschied zu den Bemühungen, in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Versenkung, samadhi, zu betonen, wie dies durch Herrn Vetter geschieht. Darin sehe ich weniger einen Konflikt als eine Bereicherung. Finden sich doch beide Wege bereits in der Tradition und wird nun in dieser oder jener Hinsicht aufgrund neuerer Forschungen die eine oder andere Ansicht noch deutlicher herausgearbeitet, vielleicht auch kritisiert oder korrigiert. Warum sollte es einen traditionellen Buddhisten maßgeblich irritieren, wenn ich aufgrund meiner Forschungen herausfinde, daß die brahmavihāras (siehe oben S. 69 f.) ein alter Erlösungsweg waren? Bringt dies nicht aufs Ganze gesehen eine Bereicherung mit sich? Ich habe jedenfalls in dem, was die moderne Wissenschaft erarbeitet hat, bislang nichts entdecken können, was der buddhistischen Lehre einfachhin widersprechen würde, mit ihr also unvereinbar wäre. Nihom Man kann in diesem Zusammenhang auch auf die Idee von kausalya (Geschicklichkeit im Umgang mit Vermittlungsstrategien hinweisen, die sich am ehesten im Mahāyāna-Buddhismus vertreten findet: daß es letzten Endes nicht von Belang ist, ob es einen historischen Buddha überhaupt gegeben hat. Damit wäre es auch nicht so wichtig, ob und wieweit der Glaube der Buddhisten im Westen heute mit dem identisch ist, was der Buddhismus ursprünglich gelehrt hat. Religion ohne einen inneren, psychischen Vorgang vorstellen? Hat man im Westen immer wieder behauptet, der Buddhismus sei im Grunde genommen keine Religion, sondern eben nur eine Psychologie, so hat man dabei vielleicht seine eigene Religion gar nicht richtig verstanden. Pöhlmann Damit ist natürlich unlösbar die Frage verbunden, die gestern schon angesprochen worden ist Ivgl. oben S. 111-114): Was ist überhaupt Religion? Nach dem, was Herr Bronkhorst auch unter Hinweis auf den Begriff der Psychotherapie gesagt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, daß für den Buddha u. U. doch die psychologischen Aspekte im Vordergund standen, die von ihm gelehrte psychische Umwandlung - und erst seine Anhänger diese Lehre dann theologisiert haben. Wurde m. a. W. das eigentliche Anliegen des Buddha durch seine Anhänger verändert, ähnlich wie man- wenn auch inhaltlich in ganz anderer Weise - in bezug auf das Christentum gerne davon gesprochen hat, daß Jesus das Reich Gottes verkündet hat, gekommen sei aber die Kirche? Schmithausen Die psychische Umwandlung - die gezielte Umwandlung negativer psychischer Faktoren in positive bzw. deren Ausschaltung - spielt ohne Zweifel von Anfang an eine große Rolle. Etwas anderes aber ist es, wenn man sagt, das sei alles, das nirvana oder die Befreiung sei eine rein diesseitige. Es gibt ja im Kanon tatsächlich eine alte Textgruppe (den Athakavagga), die diesen Eindruck erweckt und ganz auf die Erlangung eines Zustandes innerer Ruhe in diesem Leben ausgerichtet ist. Ich gehe aber davon aus, daß man diesen Zustand als irreversibel betrachtet hat. Herr Vetter versteht ihn ohnehin als eine mystische Tran Religion oder Psychologie? Mitterhöfer Im Referat wurde auch die Frage: Buddhismus - Religion oder Psychologie, angesprochen. Einerseits, so hieß es, sei der Buddhismus nicht mit Psychologie zu verwechseln, anderseits wurde darauf hingewiesen, daß die alten Texte von einer psychischen Umwandlung sprechen. Kann man Religion und Psychologie überhaupt trennen, kann man sich eine Ders., Zur religiösen Hermeneutik buddhistischer Texte, in: G Oberhammer (Hrse 1 Beiträge zur Hermeneutik indischer und abendländischer Religionstraditionen Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens; 6), Wien 1991, 187. Vgl. auch T. Vetter. Some Remarks on Older Parts of the Suttanipata, in: D. Seyfort Ruegg - L. Schmithausen (Hrsg.). Earliest Buddhism and Madhyamaka, Leiden 1990, 42-52. 214 215 Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ szendenzerfahrung. Sie stünde dann anderen Stellen nahe, an denen es heißt, daß die,todlose Stätte' (amatam padam) mit dem Körper berührt werde. Das klingt nicht nach bloßer Psychotherapie. Es trifft zwar zu: daß in den Texten manchmal erlösende Erfahrungen beschrieben werden, die den Eindruck einer relativ intellektualistischen Einsicht machen. Deshalb aber den anderen Strang, demzufolge die erlösende Erfahrung auf einer anderen, tieferen Ebene abläuft, auszugrenzen, weil es das auch außerhalb des Buddhismus gibt - im Sinne der bereits diskutierten Kriterien für die Authentizität bzw. Inauthentizität bestimmter Texte (vgl. oben S. 207 f.) - erscheint mir doch problematisch. Nihom Herr Bronkhorst hat, wie ich meine, implizit davon gesprochen, daß Religion immer etwas Numinoses an sich hat, und das möchte er größtenteils vom Buddhismus, insbesondere vom frühen Buddhismus, ausgeschlossen wissen. Natürlich kann man sich fragen, ob das eine gute Definition von Religion ist, was ich selber eher bezweifeln möchte. Neufeld von einer anderen Seite kommt der folgende Versuch, die Fragen, die sich im Anschluß an das letzte Referat ergeben haben, miteinander in Beziehung zu bringen. Der Begriff, religio'ist ja im Christentum sehr lange für das Ordensleben gebraucht worden: der homo religiosus'ist der Ordenschrist. In diesem Licht betrachtet- es war ja auch öfters vom Buddha als Gründer eines Ordens oder einer ordensähnlichen Gemeinschaft die Rede-könnte man meinen, daß der Schwerpunkt seiner Lehre auf einer Art Lebensregel liegt, daß seine Lehre zunächst einmal nicht eine Theorie ist, sondern Anweisung zu einer Lebensform. Was aber soll in dieser Lebensform geschehen? Offensichtlich - ähnlich wie im Christentum, aber auch in anderen Religionen - so etwas wie eine Bekehrung eine Entscheidung zu etwas Radikalerem, Verbindlicherem, zu etwas Forderndem. Ist in diesem Sinne nicht auch der Buddhismus zu verstehen: nicht nur als eine theoretische Ausrichtung, sondern als Versuch einer radikaleren Lebensausrichtung? Heißt es dort nicht so sehr, daß ich irgendeine Wahrheit gefunden habe, die die anderen nicht so gesehen haben, als viel mehr: ich habe eine Verpflichtung entdeckt, der ich jetzt nachleben will und deren Wert auch darin liegt, wieweit ich ihr nachlebe? Vielleicht kann diese Überlegung auch helfen, eine gemeinsame Basis zu finden in Fragen, bei denen man oft Gefahr läuft, Worte zu gebrauchen, die in dem einen Sinn so und in einem anderen Sinne wieder anders zu verstehen sind, wie dies beispielsweise bei dem Begriff, Divinisierung' zutrifft. Hat der Buddha keinen Gottesbegriff, hat doch offensichtlich die ganze Frage, ob der Buddha, divinisiert worden ist, von vornherein einen ganz anderen Stellenwert. Becker Damit nimmt unsere Diskussion jetzt eine ganz interessante Wendung, so daß ich mich als christlicher Theologe frage, ob wir uns nicht dem Zeitgeist hier im Westen so sehr ausgesetzt haben, daß wir von Bekehrung von Ordensleben usw. gar nicht mehr reden können und jetzt im Buddhismus auf Elemente stoßen, die auch Teil unserer Religion sind und die uns dazu veranlassen, wieder nach entsprechenden Begriffen zu suchen. Schmithausen Was Herr Neufeld sagte, finde ich sehr zutreffend. Es läßt sich auch zu fast allem ein entsprechender buddhistischer Terminus finden. Was wir mit,die Lehre' wiederzugeben pflegen, ist nicht desana (das Lehren'), sondern dhamma, und dhamma (skt. dharma) hat einen ausgeprägt praktisch-normativen Sinn. In der Hindu-Tradition werden damit Normen des Verhaltens, des richtigen Verhaltens, bezeichnet. Dies trifft auch für den Buddhismus an vielen Stellen zu, an denen mit dhamma moralische Verhaltensweisen oder spirituelle Praktiken gemeint sind. Und es sind in der Tat die Mönche und Nonnen, die ,religio' als Anweisung zu einer radikaleren Lebensform 216 Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ihr Leben radikal auf die Verwirklichung dieser Verhaltensweisen ausrichten. Ähnlich kann man den Begriff Bekehrung mit dem Terminus vinaya in Zusammenhang bringen, wenn darunter nicht das Textkorpus der Ordensdisziplin verstanden wird, sondern - im Sinne des zugrunde liegenden Verbums vieni, das oft mit bekehren' wiedergegeben wird, aber eigentlich, wegführen, domestizieren, erziehen' bedeutet - davon die Rede ist, daß der Buddha Personen gewissermaßen in eine andere Richtung führen will. Zum Begriff der Divinisierung kann man noch den Gedanken hinzufügen, daß man ihn erst dann sinnvoll gebraucht, wenn der Buddha in Analogie zu den großen hinduistischen Göttern Vişnu usw. zu einer Gestalt entwickelt wird, die diesen nicht nur ähnlich, sondern gar noch überlegen ist. nur ein anderer Weg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten? Schmithausen Zumindest aus dem indischen Buddhismus ist mir nichts Derartiges bekannt. Anderseits kann auch der Buddhismus nicht an der Tatsache vorbei, daß die Menschen (bzw. die Lebewesen) schon mit unheilsamen Dispositionen geboren werden. Es wird dies aber nicht auf einen Sündenfall' im Sinne eines in der Weise eines geschichtlichen Ereignisses geschilderten Verstoßes gegen Gottes Gebot zurückgeführt, der dann wieder nur durch einen Gnadenakt Gottes geheilt werden kann. Die unheilsamen Dispositionen werden im Buddhismus vielmehr im allgemeinen nicht auf ihren zeitlichen Ursprung hin befragt bzw. ein solcher zeitlicher Ursprung durch die Annahme der Anfanglosigkeit des samsára abgewiesen. Gewiß. in dem bereits erwähnten Agganna-Sutta (DN III: 84 ff; vgl. oben S. 182 f.) wird ein zeitlicher Anfang der Übel in der Welt mit dem Aufkommen von Gier erklärt, doch geht es auch hier letztlich nur darum, die unheilvollen Auswirkungen der Gier aufzuzeigen und die Hörer anzuspornen, sich von ihr zu befreien. Nach Auffassung zumindest des älteren Buddhismus im Unterschied etwa zum Amida-Buddhismus) ist man dabei entscheidend auf die eigene Anstrengung angewiesen (vgl. Dhp 162: Man ist ja doch selbst sein eigener Helfer; wer anders sollte einem denn helfen?"). Abstandnehmen von schlechten Taten ist im Buddhismus Voraussetzung nicht nur für günstige Wiedergeburt, sondern auch für ein erfolgreiches Beschreiten des Erlösungsweges. Das bedeutet allerdings nicht, daß jemand, der vorher schlechtes karman angesammelt hatte, zwangsläufig dadurch von der Erlösung ausgeschlossen wäre. Selbst der vielfache Mörder Angulimala wird, nach seiner Bekehrung durch den Buddha, zum Arhat. An einer Stelle im Kanon (AN III: 435 f; vgl. AN-a III: 413) findet sich jedoch der Begriff des Tat-Hemmnisses' (kammavarana), das heißt, besonders schlimmer Taten wie Elternmord als Hindernis für die erlösende Einsicht. Ferner verhindert in früherem Mitterhöfer Im Verhältnis von Buddhismus und Hinduismus spielt die karman- und Wiedergeburtslehre bzw. der Versuch, diesem Kreislauf zu entkommen, eine wichtige Rolle. Hebt sich der Buddhismus nur insofern von den hinduistischen Traditionen ab, als er einen anderen Weg der Befreiung daraus aufzeigt und weist? Und haben die erwähnten Anschauungen von karman und Wiedergeburt etwas mit dem christlichen Begriff von einer Ursünde' zu tun? Nihom Im früheren Sivaismus gibt es so etwas wie eine, Ursünde' in der Weise des angeborenen anavamala, das eine Befleckung meint, eine Beschmutzung die angeboren ist und die nur von dem Gott, d. h. von Siva weggenommen werden kann. Es ist für mich fraglich, ob es im Buddhismus eine vergleichbare Anschauung gibt. und die Frage einer, Ursünde Vgl. dazu die Ausführungen von G. Oberhammer, in: A. Bsteh (Hrsg.). Der Hinduismus als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie (Studien zur Religionstheologie; 3), Mód. ling 1997, 2481 218 219 Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Wiedergeburt anatman-Lehre wie versteht sich der Buddhismus selbst? Dasein begangenes karman die Erlösung, wenn es zur Folge hatte, daß jemand in einer Existenzform, in der die für den Erlösungsweg erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, wiedergeboren wurde (z. B. als Tier). In diesem Falle kann der Erlösungsweg erste in einer späteren Existenz beschritten werden, vor fationales versus ausgesetzt, diese fällt günstiger aus. Numinosum'? Ladstätter Stellen wir Christen diese Frage nach der Wiedergeburtslehre im heutigen Kontext und wollen sie im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Hinduismus und Buddhismus beantwortet wissen, so zielt das wohl auch auf den Unterschied ab, der mit der anatman-Lehre im Buddhismus verbunden ist; eine Lehre, die im Gegensatz zu hinduistischem Verständnis nicht mehr an der Vorstellung von einem wandernden Selbst festhält. Das dürfte jedoch im Zusammenhang mit der Besinnung auf die buddhistische Anthropologie als ganzer noch zur Sprache kommen. Gegen Ende des Referates war die Frage gestellt worden, ob der Buddha nun tatsächlich sein Ziel erreicht und das Leiden besiegt habe. Im Zusammenhang damit hieß es, daß er das Leiden nicht physisch, sondern psychisch überwunden habe, da er doch selbst am Ende seines Lebens krank geworden und an vergifteter Nahrung gestorben sei. Das Ziel wird also hier auf der psychischen Ebene gesehen. Damit stellt sich natürlich im weiteren auch die Frage, als was sich der Buddhismus selbst sieht; wird doch von buddhistischer Seite oft gesagt, wir Europäer hätten aus dem Buddhismus eine Religion gemacht oder cinc Psychologie oder hätten ihn zu einer Philosophie herabgewürdigt, ihn jedenfalls so verstanden. Das Gespräch mit Buddhisten hat demgegenüber immer wieder deutlich gemacht, daß sie Wert darauf legen, ihre Praxis nicht als Religion im gängigen Sinne zu betrach ten, sondern im Sinne eines Weges und ähnlicher Metaphern. Hier kann man sicher auch an das denken, was in diesem Gespräch bereits zum allgemeinen Cha rakter der buddhistischen Lehre gesagt wurde, sie nämlich in erster Linie als Anweisung zu einer praktischen Lebensform zu verstehen, bei der es um Bekehrung, um die Entscheidung für eine radikalere Lebensausrichtung geht. Nihom Was die Buddhisten zögern läßt, ihre Lehre als Religion zu kennzeichnen, hängt sicher mit ihrer Distanz zu dem zusammen, was wir im Kontext von Religion' gerne als Numinosum bezeichnen, als das Nichtrationale, auch Nichtintellektuelle. Im Prinzip ist der Buddhismus rational - bei allen Entwicklungen im einzelnen, die das nicht sind, jedenfalls nicht im Sinne des Descartes. Innerhalb Indiens hat sich der Buddhismus daher größtenteils natürlich auch vom orthodoxen Hinduismus abgesetzt, insbesondere von der Purvamimamsa, in der es um Vorschriften geht, die selbst für die Inder unlogisch sind, die aber zu befolgen sind, weil es der Veda so vorschreibt. Die Buddhisten haben das als unlogisch betrachtet und lehnen, kulturgeschichtlich gesehen, in der Folge alles ab, was nicht rational gesehen werden kann. Schmithausen Der Påli-Kanon wirkt in der Tat, trotz mancher nicht-rationaler Elemente wie z. B. Wunderkräfte, im Vergleich zu vielen anderen indischen Traditionen (und auch manchen späteren Formen des Buddhismus) verhältnismäßig nüchtern und rational. Dennoch hat die starke Betonung der Rationalität des Buddhismus bei modernen Buddhisten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz wesentlich auch eine apologetische Funktion in der Auseinandersetzung mit dem Glauben und Offenbarung betonenden Christentum. Khoury Vermutlich ist es angezeigt, auch an dieser Stelle auf die verschiedenen Richtungen im Buddhismus hinzuweisen, etwa auf den Unterschied zwischen dem Theravada-Buddhismus einerseits und dem Mahayāna-Buddhismus auf der anderen Seite, der doch eine klassische Religion geworden ist. 220 Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 1Arbeitskreis 21 zum Begegnungs- teld von Buddhis- mus und anderen indischen Traditionen bewegungslose Askese Deninger-Polzer Abgesehen davon, daß es, wie auch hier immer wieder betont wurde, den Buddhismus nicht gibt, scheint es mir nicht zulässig, irgendeiner Richtung des Buddhismus einen Bezug zum Tran- szendenten oder Numinosen ganz abzusprechen, m. a. W. den Buddhismus gänzlich auf Rationalität, auf Philosophie oder Psychologie zu reduzieren. Dazu noch folgender Gedanke: Hat sich der Buddha dagegen gewehrt, die hinduistische Götterwelt als wichtig für seine Religion anzunehmen - ohne sie zu verwerfen-, so scheint mir diese Einstellung mit der des Plato vergleichbar, der, wenn er es ernst gemeint hat, nicht von Zeus und Hera und all den anderen Göttern gesprochen hat, sondern entweder vom DELOV Th, vom Göttlichen im Menschen oder einen unbelasteten, neuen Begriff verwendet, indem er vom auto TÓ đycalov, von der Idee des Guten an sich spricht was für ihn letztlich Transzendenz bedeutet. Grund dafür war vermutlich, daß die damalige Götterwelt für Plato einfach zu anthropomorph war, um dieser letzten Instanz, die er suchte, einem letzten Nichthinterfragbaren gerecht werden zu können. Ob nicht dem Buddha in ähnlicher Weise die ganze Götterwelt, die sich ja letztendlich auch dem Kreislauf der Wiedergeburten unterworfen zeigte, nicht ausreichte, um in sei nem Sinne eine letzte Transzendenz zu begründen, und im nirvana - mit aller Vorsicht -am ehesten etwas Vergleichbares zu Platos Idee vom αυτό το αγαθόν gesehen werden kann, von einer letzten, nicht mehr hinterfragbaren Transzendenz? Bsteh P. Vom Titel des Referates her blieb für mich offen, auf welche hinduistische Traditionen bezogen Parallelen bzw. Unterschiedlichkeiten zum Buddhismus näherhin ins Auge zu fassen waren. Ich hatte gerne noch Genaueres über das Verhältnis des Buddhismus zum Jinismus erfahren. Bronkhorst Als Antwort auf das Problem von Wiedergeburt und karman habe ich zunächst auf die Immobilisierung als einen Komplex von Ideen hingewiesen, der mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig schien. Die bewegungslose Askese, die gerade im Jinismus geübt wurde, findet sich in den alten Schriften der Jainas, die zwar schwierig zu datieren sind, ausführlich besprochen. Wir wissen, daß sich der Buddha mit den Jainas befaßt hat und darüber verwundert war, sie bewegungslos anzutreffen. Sie glauben, daß das Leiden durch Sünden in früheren Leben verursacht würde, und wenn er sie in dieser schrecklichen Weise leiden sieht, scheinen sie in ihren vorangegangenen Leben große Sünder gewesen zu sein, wie in den buddhistischen Texten in ironischer Weise bemerkt wird. Inhaltlich wird diese Praxis bewegungsloser Askese in den alten Texten des Jinismus bestätigt. Dieser Ideenkomplex, der im übrigen auch in (späteren) hinduistischen Texten bezeugt wird, war lange Zeit hindurch in der Praxis anzutreffen und hat sich da und dort möglicherweise bis in unsere Zeit gehalten. Eine andere Frage, die für die Abgrenzung des Buddhismus gegenüber den anderen indischen Traditionen, insbesondere gegenüber dem linismus eine wichtige Rolle spielt und die ich auch in meinem Referat behandelt habe, ist die der Entdeckung des Selbstes, das nicht aktiv ist. Das findet sich natürlich am besten in der vedischen Literatur, insbesondere in den Upanişaden, bekundet. Und es gibt Forscher, die längere Zeit hindurch versucht haben, alles, was später in die Entdeckung des Selbstes 222 223 Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Indien geschah, aus dieser vedischen Literatur abzuleiten. Es ist freilich keineswegs selbstverständlich, daß die vedischen Bewohner nicht die einzigen Bewohner Indiens waren. In einer genauen philologischen Analyse habe ich schon vor einiger Zeit nachzuweisen versucht, daß es neben der vedischen Tradition in Indien eine andere Tradition gab, in der die Vorstellungen von der Wiedergeburt und dem karman entstanden sind, daß also das, was wir in den Upanişaden finden, ent- im besonderen lehnt worden ist, wie es auch die vedischen Texte sel. karman-Begriff ber eingestehen. Denn es ist gerade die vedische Tra- liegt das dition - die sich immer in den Upanişaden, wo diese Proprium neuen Lehren verkündet werden, als authentisch prasentiert in der einem Brahmanen gesagt wird: Ihr Brahmanen, ihr wußtet dies nicht - aber andere, die ksatriyas genannt werden, die wußten das schon und darum hatten sie immer die Macht (Chandogya-Upanişad 5,3,7). Das heißt, daß die betreffenden Texte selbst, in ihrem eigenen Stil, eingestehen, daß es hier um Vorstellungen geht, die sie nicht selbst entwickelt haben, sondern die sie entliehen haben. Auch wenn es hier unterschiedliche Meinungen gibt und Gelehrte, die das alles aus der vedischen Religion abzuleiten suchen, bin ich fest davon überzeugt daß es neben der vedischen Tradition diese anderen Traditionen gab, die ich mit dem Begriff der SramanaTradition in Verbindung bringe, aus der heraus diese anderen Traditionen in der Zeit vor dem Buddhismus hervorgegangen sind. Die meisten jinismus-Forscher stimmen darin überein, daß es den Jinismus bereits in Form einer älteren Tradition innerhalb dieser SramanaBewegung gegeben hat. Historisch gesehen ist dieser Bewegung dem vedischen Traditionsgut gegenüber ohne Zweifel eine Eigenständigkeit einzuräumen. Bestreitet daher beispielsweise der Buddhismus be stimmte Ideen, die wir heute in der vedischen Literatur finden, dann beweist das nicht ohne weiteres, daß der Buddha die Upanisaden etwa gekannt hätte. Es weist eher darauf hin, daß diese Ideen, die damals verbreitet waren, Eingang gefunden hatten in die vedischen Texte und daß der Buddha sie vielleicht in einer anderen Form gekannt hat. Das alles läßt sich nicht mit großer Sicherheit sagen, es spricht jedoch so manches dafür. Steinkellner Greift man das karman-Verständnis in dem von Herrn Bronkhorst erwähnten Sinne als Proprium heraus - ohne dabei weiter auf die Frage nach dem Verhältnis des, Buddhismus des Buddha' (von dem Herr Vetter ja meint, daß sich dort der karman Begriff erkennbar entwickelt hat) zu dem älteren Buddhismus' einzugehen - läßt sich m. E. zeigen, daß sich zunächst der in der vedischen Kultur verankerte karman-Begriff, grob gesprochen, als, Handeln im Ritual beschreiben läßt, daß sich im weiteren der mit dem Jinismus zu verbindende karman-Begriff in Richtung der Vorstellung von einer feinstofflichen Belastung darstellt und demgegenüber der karman-Begriff des älteren Buddhismus schließlich eine ganz entscheidende Wendung bzw. Neubetonung erfahren hat, die man auch als ethische Veränderung im Verständnis dieses Begriffes bezeichnen kann: insofern der Begriff, so verstanden, nicht so sehr, Handeln' meint, als vielmehr Denken' oder, wie Herr Bronkhorst sagte, Absicht'; m. a. W. letztendlich das Denken die Tat (das karman) ist, nicht dic Tat selbst. Das scheint mir das Entscheidende zu sein, das habe ich immer für ein ganz wichtiges Proprium des Buddhismus gehalten. Bin ich mit dieser Auffassung zu spät angesiedelt oder kann man das dem älteren Buddhismus wenigstens schon zumuten? Bronkhorst Tatsächlich ist diese ethische, oder wie ich persönlich lieber sagen würde, diese psychische bzw. psychologische Vorstellung das, was nach mei Eigenständigkeit der sramanaTradition Vgl.. Bronkhorst, The Two Sources of Indian Asceticism, Delhi'1998. 225 224 Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ tiefgreifende Psy- chologisierung hinzugekommen nem Verständnis den , Buddhismus des Buddha' von ein Floß, um das den anderen Bewegungen unterscheidet. Das haben andere Ufer zu jedoch anscheinend nicht alle Buddhisten verstanden, erreichen? sonst hätten sie nicht später immer wieder den anderen, allgemein verbreiteten karman-Begriff hereingeholt: ja, es gibt Formen der Meditation, die das Den ken völlig auszuschalten versuchen. Bsteh A. Ist dann der Buddha und die Bewegung, die von ihm ausgegangen ist, eigentlich im Raum der indischen Traditionen, die auch unabhängig von ihm da waren, geblieben? Hat seine Bewegung nur eine dieser Traditionen im Sinne der Neuinterpretation des karmans als Denken bzw. als Absicht gleichsam weiterentwickelt - ohne aber den angestammten Raum selbst auf das Ziel im wesentlichen zu verlassen? kommt es an Bronkhorst Ja und nein. In der Tat ist der Buddhismusim kulturgeschichtlichen Kontext Indiens zu verstehen, obwohl es schwierig ist, diesen Kontext klar zu definieren. Er gehört zu dieser Bewegung, die ich die śramana-Bewegung nenne, der wahrscheinlich insgesamt die Uberzeugung von karman und Wiedergeburt gemeinsam ist, und in der man den Jinismus situieren muß sowie eine Reihe anderer Traditionen, die teils namentlich bekannt sind, größtenteils aber nicht. In diesem Sinne ist auch der Buddhismus eine von diesen Bewegungen. Zu den entscheidenden Unterschieden, die jedoch in dieser Gesamtheit der śramana-Bewegung das Proprium des Buddhismus ausmachen, gehört jene Psychologisierung des karmans, von der eben die Rede war, auch wenn sie bei einigen buddhistischen Ausformungen anscheinend keine Rolle gespielt hat. Aufs Ganze gesehen scheint der Buddhismus dafür verantwortlich zu sein, daß im indischen Denken, insbesondere im indischen Yoga und dessen Praktiken, eine tiefgreifende Psychologisierung hinzugekommen ist. In dieser Hinsicht würde ich von einem Proprium sprechen. Dupré Ein Bild, das mich sehr anspricht, ist der Verg leich der buddhistischen Lehre mit einem Floß als Mittel, um das andere Ufer zu erreichen. Gehört dieses Bild in den geschichtlichen Kontext des,Buddhismus des Buddha', und welche Aussage ist diesem Bild eigen? Macht dieses Bild darauf aufmerksam, daß die Botschaft des Buddha (falls das Bild nicht erst viel später hinzugekommen ist) eine ganz radikale Erfahrung zum Ausdruck bringt - eine Erfahrung, die dann auf ihre Weise auch gedeutet werden müßte: daß nämlich etwas da ist, das jenseits und möglicherweise auch zugleich vor jeder Vorstellung von Floß und Wasser die eigentliche Wirklichkeit bedeutet? Bronkhorst Ohne dafür philologische, ideologische und inhaltliche Gründe zu haben, sehe ich kein Hindernis, dieses Bild als urbuddhistisch anzusehen. Wie aber sollte man vom Floß zur Erfahrung kommen? Das Resultat der Überfuhr ist nicht eine Erfahrung, sondern daß man auf der anderen Seite ist. Woher kommt, so frage ich mich also, im Zusammenhang mit dem Buddhismus die Rede von der Erfahrung? Die Texte sprechen nicht darüber, sie sprechen davon, daß man auf der anderen Seite sein möchte und muß, sie sagen aber nichts darüber, was dann ist, wenn das geschehen ist. Das Überqueren mag eine Erfahrung sein. Darauf kommt es aber nicht an, sondern darauf, daß man - mit oder ohne Erfahrung - auf die andere Seite gelangt ist. Das Ziel, die andere Seite, bringt dann, wenn ich die Texte recht verstehe, eine definitive psychologische Änderung Es ist wichtig, daß die Buddhisten selber einen Buddha wohl nicht einen Menschen nennen würden. Es geht also in der buddhistischen Lehre nicht darum, wie als Mensch zu leben, sondern überhaupt davon wegzukommen, also nicht als Mensch zu leben, es zu beenden, ein für alle Mal. Auf der anderen Seite zu sein, darauf kommt es letztlich an, nicht, wie man dahin gelangt ist. Daß man dafür sein Floß braucht, 227 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Heilsweg müßte sich in Veränderung der Seele zeigen daß es bestimmter Methoden bedarf, daß dafür vielleicht auch eine mystische Erfahrung nötig ist - das alles ist gut und wichtig, weil es am Weg liegt. Um all das aber geht es letztendlich nicht. Frohnhofen Liegt das Proprium des Buddhismus in einer neuen Sinngebung des karman-Begriffes, geht es dabei nicht um ein bestimmtes Handeln, sondern umuddhistisches das Denken, um eine Psychologisierung dessen, was proprium in dieser Begriff meint, so müßte sich das Beschreiten des einer anderen Heilsweges eher in einer Veränderung der Seele zei-radition? gen als darin, daß sich durch mein Handeln gewisse Dinge verändern, sich beispielsweise meine äußeren Lebensverhältnisse verbessern, Gesundheit und Wohlstand einstellen u. a. Bronkhorst Das entspricht ganz dem Bild, das ich zu vermitteln suche. Was man tut, bedingt, daß es in irgendeiner Weise in einem späteren Leben auf einen wieder zurückkommt. So ist es im Jinismus beispielsweise wichtig, nicht zu töten, ob das Töten nun mit Absicht geschehen würde oder nicht. In der Folge darf ein Jaina-Mönch nach Möglichkeit in der Nacht nicht herumgehen, weil er nicht weiß, ob er dabei eine Ameise tötet oder irgendein anderes Tier. Der Buddhist darf auch nicht töten. Bei ihm kommt es aber nicht darauf an, daß er es auch nicht versehentlich tut, sondern daß er es nicht absichtlich tut. Die alten Texte des Buddhismus richten sich, das sei hier noch einmal betont, nicht an diejenigen, die auf dem Schiff bleiben wollen und es sich darauf so gut wie möglich einrichten möchten, sondern an die, die daran sind, das iber vorhandene Schiff zu verlassen (vgl. oben S. 152 f.). Texte manchmal Thaler Hat diese Psychologisierung des Karman Ver. auch hinausständnisses Folgen gehabt für die Auffassung von der ugenen Wiedergeburt? Steinkellner Grundsätzlich bleibt es dabei: das karman, auch wenn es als spiritualisiertes, psychologisiertes oder, wie ich es lieber bezeichnen möchte, als ethisiertes verstanden wird, hat bei den Buddhisten die gleiche Funktion wie bei den anderen indischen Religionen: es regelt und erklärt die Qualität der Wiedergeburt, vor allem, wie es zu den besonderen Arten von Wiedergeburt kommt. M. a. W. der Anfang eines Menschenlebens, die Bedingungen seines Zur-WeltKommens, sind karmisch gegeben. Bsteh A. Ist dieser Aspekt der Absicht, der als Proprium des Buddhismus bezeichnet wurde, in den anderen indischen Traditionen tatsächlich nicht vorhanden? Ist also in keiner der Traditionen, die vor oder gleichzeitig im Entstehungsfeld des Buddhismus anzutreffen sind, dieser Ansatz da, so daß er de facto doch wieder relativiert werden müßte durch das, was auch noch anderswo zu finden ist? Bronkhorst Es gibt aus dieser Anfangszeit des Buddhismus zu wenig Literatur, um die Frage wirklich beantworten zu können. In späterer Zeit finden wir natürlich viele Formen der Interaktion mit dem Buddhismus, so auch hinsichtlich der psychologischen Interpretation des karmans. Tatsächlich hat der Buddhismus die Entwicklung der hinduistischen Traditionen in vielfältiger Weise nachhaltig beeinflußt. In der Frühzeit des Buddhismus haben wir nur die vedische Tradition, die jedoch relativ separat ist, die Jaina-Schriften und das, was die buddhistischen Schriften über andere sagen. Darin habe ich bislang nichts gefunden, was darauf hindeutet, daß diese ethische bzw. psy. chologische Auffassung schon damals auch bei anderen zu finden wäre. Steinkellner Bei alldem, was uns verpflichtet, in philologischer Arbeit immer wieder von den vorhandenen Texten auszugehen, um zu gesicherten Erkenntnissen über eine bestimmte Kultur zu gelangen, ist es doch oft unmöglich, sich ein Bild davon zu machen, ohne auch über diese Texte hinauszugehen. U. a. geht es dabei um die Notwendigkeit, Perioden einer Tradition in bestimmter Weise zusammenzudenken. So können spätere, besser greifbare formen indischer Tradition dabei neues karman. Verständnis von Konsequenz auch für Wiedergeburt? 228 229 Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ die Buddhisten und der Buddha helfen, frühere Ansatzmöglichkeiten zu orten. Aufgrund der späteren Entwicklung sind auf diesem Wege bis zu einem bestimmten Grad und mit Vorsicht mögliche Erkenntnisse von Abgrenzungen extrapolierbar. Das dies ein gefährlicher Kurs ist, ist mir bewußt, ebenso, daß ihm philologische Grenzen gesetzt sind. Neben den Texten aus anderer Zeit wäre bei dem Bemühen, sich ein Bild zu machen von einer bestimmten Situation, an konkrete Materialien zu denken, wie vor allem an Inschriften, später auch an Darstellungen und Bilder. Bronkhorst Bei meiner Theoriebildung bin ich gerade von diesem Prinzip ausgegangen, daß auch spätere Texte, wenn nichts Alteres zur Verfügung steht, manchmal helfen können, um über frühere Zeiten Auskunft zu erhalten. Gerade in den späteren Texten finden sich Vorstellungen und Praktiken, die meine Thesen viel mehr zu stützen scheinen als z. B. die Ethisierung des karmans. Klinger Interessieren sich Buddhisten eigentlich für den Buddha? die PsychologiBronkhorst Zunächst ist festzuhalten, daß die Bud- sierung des dhisten bis heute größtes Interesse an der Lehre des karmans und Buddha haben. Seit jeher war man mit großer Sorgfalt die Lehre des darum bemüht, Kriterien herauszuarbeiten, um klar. Buddha' zustellen, was echtes Buddha-Wort ist und was nicht. Haben doch vor allem die Mönche in dem, was der Buddha gepredigt hat, Weisungen gesehen für einen Weg, der zur Erlösung führt. Die buddhistische Gemeinde, insbesonders die Mönchsgemeinde, war demnach seit den Anfängen daran interessiert, genau zu wissen, was der Buddha gesagt hat, und suchte folglich auch auszuscheiden, was von ihrem Standpunkt aus nicht sicher als Buddha-Wort anerkannt werden konnte. Eine andere Frage ist die im vorangegangenen bereits angeschnitte Frage, ob und in welcher Weise der Buddha selbst verehrt wurde (vgl. oben 2016, 211-213). Es ist eine Frage, die gerade in den letzten Jahren unter den Buddhologen viel diskutiert wurde. Einige meinen, es gäbe keinen Grund, daran zu zweifeln, daß die frühen Buddhisten dem Buddha in irgendeiner Weise göttliche Verehrung entgegengebracht haben. Persönlich zögere ich zwar eher, dem zuzustimmen, kann allerdings im Moment keine zwingenden Gründe für diese Zurückhaltung anführen. Hat man längere Zeit hindurch die alten Texte als Indiz dafür genommen, was die frühen Buddhisten ganz allgemein gedacht und getan haben, so hat man es sich doch in mancher Hinsicht zu einfach gemacht, weil diese Texte für den engeren Kreis der Asketen, der,religiösen Virtuosen' (wie sie auch genannt wurden) bestimmt waren, die bestrebt waren, dem Beispiel des Buddha auf direkte Weise in ihrem Leben zu folgen. Was die anderen Buddhisten gedacht bzw. geglaubt haben, darüber sagen die Texte, so viel ich weiß, nicht allzu viel. Wenn also jemand behauptet, sie hätten den Buddha als Gott verehrt, so weiß ich nicht, wie ich das beurteilen soll. Bsteh A. Legt die These, die Herr Bronkhorst hinsichtlich der Konzentration der buddhistischen Lehre auf den Aspekt der Absicht' im Verständnis des karman vorgetragen hat, das aus bzw. entraltet und konkretisiert es, was im Referat über die Lehre des Buddha" von Herrn Vetter vorgetragen wurde? Wenn ich es recht verstanden habe, wäre ja mit dieser Konzentration auf die Absicht die Entdeckung einer Innendimension gemeint, wird das Entscheidende nicht so sehr in der physischen Natur' des karmans gesehen, in dem, was getan wird, als vielmehr in seiner .psychischen' bzw. psychologischen' Natur. Vetter Geht man überhaupt von Texten aus, dann ist das sozusagen eine Frage der Assoziation, die sich da von der jeweiligen Stelle her bildet. Der Buddha ist in jedem Falle so wichtig, daß man von vornherein mit verschiedenen Zugängen wird rechnen müssen, die auch zu verschiedenen Ansichten führen können. Ver 230 231 Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Proprium in apologetischer Literatur zu finden? ständlich, daß viel von der Auswahl der Textstücke abhängt. Die Texte, auf die sich Herr Bronkhorst bezieht, sind stark apologetischer Art, haben ihren Sitz im Leben vorwiegend in den Jaina-Polemiken dieser Zeit. Das ändert nichts daran, daß auch sie das Zentrum der buddhistischen Lehre betreffen können. Ohne Jinismus und es jetzt beweisen zu können, bin ich persönlich frei Buddhismus im lich der Meinung, daß sie das nicht tun. Bei der un Einflußbereich en Fülle von Texten wird es also immer wie, brahmanischer der auf jene Auswahl ankommen, die man in einem bestimmten Zusammenhang trifft. Im Sinne des Vorhabens, das uns hier zusammengeführt hat, wird man jedenfalls versuchen, auf das Bedacht zu nehmen, was Theologen für das Gespräch mit dem Buddhismus an Anregungen suchen. Das wird hinsichtlich der vielfältigen Möglichkeit unterschiedlicher Textauswahl immer wieder zu verschiedenen Zugängen führen. Falczyński Es wäre interessant zu wissen, ob es im älteren Buddhismus - ähnlich wie dann schon sehr früh im Christentum - eine apologetische Literatur gibt, die darauf abhebt, in der Verteidigung der eigenen Lehre ihr Proprium darzulegen? Steinkellner Eine eigentlich apologetische Literatur gibt es im älteren Buddhismus m. E. wohl nicht. Was es gibt, sind Erklärungen, wie bestimmte Konzepte der indischen Kultur auf besondere buddhistische Weise zu verstehen sind, zum Beispiel durch die Beantwortung der Frage, was ein wahrer Brahmane sei. Bei anderen Konzepten, etwa der Idee einer naturgegebenen Kastenordnung, die der Buddhismus ablehnt, entwickelt sich in der gegen die Kastenordnung vorgetragenen Polemik so etwas wie eine Apologetik für die eigene Sichtweise. Oft ist auch im rhetorischen Charakter der Reden des Buddha sichtbar, daß er Suchenden die Sackgassen ihrer Positionen zeigt und die eigene Lösung anbietet, die angenommen werden kann oder auch nicht. Eine Apologie entwickelt sich daraus aber nicht. Das entspricht eigentlich nicht dem Charakter der Tra dition, denn der Buddha drängt sich nicht auf, braucht sich also auch nicht zu verteidigen. Wer seine Worte für sich akzeptieren kann, nimmt sie an, weil er sie gut findet, nicht weil sie gut verteidigt worden sind. Wer sie nicht akzeptieren kann, geht weiter. Bsteh P. Es gibt jinistische Wallfahrtsstätten, wie beispielsweise in Sravana Belgola, wo brahmanische Prie. ster brahmanischen Kult verrichten. Ist das als Hinweis zu werten, daß von seiten brahmanischer Kreise versucht wurde bzw. wird, jinistische Lehren in ursprüng. lich hinduistisches Material rückzuführen? Gibt es ähnliche Tendenzen auch im Verhältnis zum Buddhismus? Und hat das die Quellenlage beeinflußt? Bronkhorst Die Frage, ob Brahmanen dazu neigten und neigen, den Buddhismus auf verschiedene Weise zu absorbieren, wird wohl zu bejahen sein. Ohne jetzt auf Einzelheiten in dieser Frage eingehen zu können, wird man feststellen, daß ihnen das auch da und dort gelungen ist. Wurden in einer bestimmten Zeit die buddhistischen Zentren vernichtet oder sind sie auf andere Weise verschwunden, so hat die buddhistische Bevolkerung nicht lange überlebt. Wenngleich mit dieser Frage nicht sehr vertraut, würde ich ihr, sowohl was den Buddhismus wie auch den Jinismus anbelangt, im großen und ganzen doch zustimmen. Im Falle des alten Buddhismus hat diese Problematik freilich die Quellenlage nicht beeinflußt. Mit einiger Vorsicht wird man im allgemeinen sagen können, daß die Buddhisten, solange sie auch tatsächlich geschrie. ben haben, dies unabhängig getan haben. Die Texte lassen sich klar identifizieren. Eventuelle Einflußnah. men geschahen auf subtilere Weise. Steinkellner Aus der Nähe zu Ritualen kann meines Wissens kein innerer Nexus, ein Vertreibungskonnex sozusagen, zwischen der Ausübung eines brahmanischen Kultes an einer (ehemals) jinistischen Stätte etwa bestehen. Es ist eher umgekehrt der Fall. So sind die Jainas heute eine florierende Gemeinde, und ihre Prä ??? Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ jene Religion konkret dazu sagt? Gibt es also im Men. schen Triebkräfte, die ihn bewegen, dies zu tun, Motive, die sich dann u. U. an eine bestimmte Religion anschlie. Ben, die im Wesen aber davon unabhängig sind? Ich bin geneigt, dies im Prinzip anzunehmen, ohne Gründe dafür im einzelnen benennen zu können. [Plenum Im Anschluß an die Berichte aus den Arbeitskreisen von Stephan Wisse und Herbert Frohnhofen. zur Bedeutung der Methoden frage senz in der indischen Gesellschaft ist in der nachisla. mischen Zeit wieder sehr deutlich gegeben. Sie siedeln sich ihrerseits an berühmten brahmanischen Pil. gerplätzen an. So ist in Rishikesh, zum Beispiel, wo es Jainas früher nie gegeben hat, in den letzten zehn Jahren ein großes Jaina-Zentrum entstanden. Was natürlich geschehen ist, ist, daß der Buddhismus an seinen großen Wirkungsstätten durch Fremdeinwirkung zugrunde gegangen ist. Die großen Klöster, die großen Pilgerstätten, die Wirkstätten des Buddha, die natürlich auch als Baudenkmäler präsent waren, sind zerstört worden und in der Erde versunken. Das dörfliche Leben Indiens hat sich darübergelagert und wurde erst durch die Archäologen des 19. und 20. Jahrhunderts von dort wieder etwas vertrieben. Heute siedeln dort wieder Buddhisten an. Eines dürfte jedenfalls nicht geschehen sein: das Dorfbrahmanen sozusagen sich hier dem Buddhismus angelagert hätten oder versucht haben, in einem bewußten Akt buddhistische Plätze zu übernehmen. Bsteh P. Um von einem zweiten Beispiel her die einfache Volkspraxis zur Deutung der Inhalte anzusprechen - mit ein wenig Distanz zu den Textkriterien: Betrachtet man die großen Pilgerströme und Wanderungen in der Geschichte Indiens, kann man Motive ausfindig machen, wie es dazu gekommen ist und was die vielen Gruppen auf diesem Subkontinent zu diesen weiten Migrationen bewogen hat? Bronkhorst Die Frage scheint mir - über den indischen Kontext hinaus - sehr bedenkenswert, und ich möchte ihr auch aus persönlichem Interesse einmal genauer nachgehen. An dieser Stelle noch eine Frage, die sich für mich daran anschließt: Es gibt in der Welt immer wieder junge Männer und Frauen, die sich dafür entscheiden, in irgendeiner Weise Asketen zu werden. Kann man allgemeine Gründe angeben, wie es dazu kommt, Gründe, die möglicherweise unabhängig sind von dem, was diese oder woher kommen die großen Pilgerströme? Wisse Im ersten Arbeitskreis wurde zunächst be merkt, daß im Referat die Behandlung inhaltlicher Aspekte gegenüber jener methodologischer Fragen zurückgetreten ist. Und hinsichtlich der Methode ergab sich die Anfrage, ob man aus der Ähnlichkeit oder Übereinstimmung buddhistischer mit jinistischen Texten auf die Echtheit bzw. Unechtheit der ersteren schlieBen müsse, oder ob sich die Frage nicht auch umge. kehrt stellt es schien damit die Gefahr eines Argumentationszirkels gegeben. Bronkhorst Der Eindruck mag stimmen, was die Priorität anbelangt, die im Referat der Behandlung methodologischer Fragen eingeräumt wurde. Dies hängt zum einen mit der Kürze der Zeit zusammen, die dafür zur Verfügung stand, und ich darf zur Ergänzung der hier vorgelegten Gedanken nochmals auf zwei meiner Publikationen hinweisen: The Two Traditions of Meditation in Ancient India, Delhi 1993, sowie: Die buddhistische Lehre, in: H. Bechert u. a., Der Buddhismus Die Religionen der Menschheit; 24/1), Stuttgart 2000, 23-213. Zum anderen war die Betonung methodologischer Fragen durch das mir gestellte Thema selbst bedingt, wie nämlich das Verhältnis des Buddhismus in seinen Anfängen zu den zeitgenössischen anderen Religio warum zieht es junge Menschen immer wieder zum Asketentum? 234 235 Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ nen näher zu bestimmen sei. Meine Antwort hattheoretischen Charakter, sie ist eine unter anderen Theorien. Sollte sich herausstellen, daß eine Theorie, für die man sich entschieden hat, nicht stichhältig ist, so würde ich dies in meinem Falle zwar bedauern, darin aber das mögliche Schicksal jeder wissenschaftlichen Arbeit sehen. In ihrem Verhältnis zum Buddhismus kam den anderen Religionen, wie ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, jedenfalls eine sehr vitale Funktion zu. Und für diese Beziehung wollte ich ein klares theoretisches Konzept vorlegen. Ohne die Textstellen im buddhistischen Kanon, die über die anderen Religionen handeln, hatte dieses Konzept nicht erarbeitet werden können. Das sollte methodisch klar abgesichert werden - so daß man genau weiß, welche Theorie ich vertrete und warum man sich gegebenenfalls gezwungen sieht, eine andere Theorie für richtig zu halten. Ob es zulässig ist, aus einer gegebenen Ähnlichkeit mit anderen Traditionen, insbesondere mit dem Jinismus etwas hinsichtlich der Besonderheit und Wesensart des ältesten Buddhismus zu folgern? Wenn ich früher gemeint habe, daß die Wissenschaft zwingende Schlüsse ziehen kann, so glaube ich das heute nicht mehr. Es war für mich eine große Erleichterung zu entdecken, daß es so etwas wie eine absolute Gewißheit in der Wissenschaft ganz allgemein nicht gibt, sondern nur Theorien. Damit erübrigt sich auch für mich der Vorwurf einer Zirkelargumentation: Habe ich doch nichts zu beweisen gesucht, sondern nur einen Vorschlag gemacht und zu zeigen versucht, daß die Texte im Sinne dieser Theorie verstanden werden können. Solange die aufgestellte Theorie nicht widerlegt wird, kann ich sie als akzeptabel betrachten. Fragen zur Wisse kann man, so haben wir weiter gefragt, auf Verehrung des die Frage nach dem Ursprung überhaupt ganz ver. Buddha zichten oder die Frage als wenig relevant bezeichnen? Haben jene Menschen recht, die heute im Buddhis mus etwas erkennen wollen, was ihnen eine Zukunftsperspektive vielleicht in religiöser Hinsicht vor Augen führt, dabei aber auf die Frage nach Tradition und Ursprung verzichten? Oder taucht die Frage in all diesen Diskussionen und Suchbewegungen nicht doch immer wieder auf? Bronkhorst Die Frage kann bedeuten, ob und in welchem Maße sich die Buddhisten selbst gezwungen sehen, sich mit ihren Ursprüngen zu beschäftigen. Diese Frage müssen sie im Grunde selbst beantworten. Tatsächlich ist nicht zu übersehen, daß sie an ihrem Buddha interessiert sind und sich gerne auf das Buddha-Wort berufen. Wenn sie das, jedenfalls in ihren (indischen) Texten tun, so spricht das dafür, daß sie wirklich glauben, das Wort des Buddha zu zitieren, ansonsten würden sie wahrscheinlich nicht mehr als Buddhisten leben können. Natürlich sind alle Menschen früherer Generationen schon tot, man kann sie nicht mehr darüber befragen. Was wir jedoch von ihnen wissen, spricht alles dafür, daß sie ihren Glauben tatsächlich auf das Buddha-Wort gründeten und die Frage nach dem Ursprung ihrer Tradition für sie daher offensichtlich wichtig war. Der Historiker interessiert sich naturgemäß auch für den Ursprung einer Bewegung, weil er sie verstehen und an ihrem besseren Verständnis selbst mitarbeiten will. Aufs Ganze gesehen freilich geht es darum, überhaupt zu verstehen, was mit unserem Menschengeschlecht auf dieser Erde geschehen ist, nicht nur physisch, sondern auch geistig-spirituell. Da schiene es willkürlich, auf das Studium des Ursprungs einer so bedeutenden Bewegung wie der des Buddhismus von vornherein verzichten zu wollen. Wisse in einem dritten Fragenkreis beschäftigte man sich in unserem Arbeitskreis mit der Verehrung, die dem Buddha schon zu Lebzeiten und nach seinem Sterben zuteil wurde. Man war sich klar darüber, daß die Antwort auf diese Frage in hohem Maße vom Verständnis das Gewicht der Frage nach dem Ursprung 236 237 Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ dessen abhängt, was das Göttliche bzw. Begriffe wie Vergöttlichung, Divinisierung u. a. bedeuten, einerseits, und daß die betreffenden Inhalte und Zusammenhänge zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Strömungen innerhalb des Buddhismus- ins besondere, wenn man dabei an die Frühzeit denkt, in der Symboldarstellungen im Vordergrund standen, und an die späteren Entwicklungen im Mahāyāna-Buddhismus unterschiedlich verstanden wurden, ander. seits. In jedem Falle müßte dabei dem Umstand Rechnung getragen werden, daß im allgemeinen in der Tradition Indiens dem Lehrer und Meister eine besondere Anerkennung, ja Verehrung von seiten des Schülers zuteil wurde und wird. 238 Bronkhorst Die Frage ist eine gute Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß man die Buddhaschaft nicht ohne weiteres mit einer bestimmten Art als Mensch zu leben und des Menschseins überhaupt gleichsetzen darf. Die meisten Buddhisten sehen vielmehr in der Buddhaschaft eine Wirklichkeit, die erhaben ist über das Menschliche, wie wir es eben im allgemeinen als mit Schwachheiten, Unzulänglichkeiten und Leiden behaftet erleben. Der Buddha ist in wesentlichen Belangen mehr als ein Mensch. Er hat vielleicht noch einen Körper. Doch erkennen auch die Götter die Buddhaschaft des Buddha an und sehen in ihm einen, der auch über die Götter erhaben ist. Will man den Buddhismus verstehen, darf man diesen Aspekt nicht bagatellisieren. Demgegenübertritt auch die Frage nach dem Götterbegriff im Buddhismus ganz allgemein und in seiner besonderen Ausformung im Mahayana-Buddhismus zurück. In diesem Zusammenhang ist die Frage der Darstellung buddhistischer Glaubensinhalte in der Kunst ohne Zweifel von großer Bedeutung. Hat man im Gefolge von Foucher' gedacht, daß man in der Frühzeit alles abgebildet habe ausge Vgl. A. Foucher, La vie du Buddha, d'après les textes et les monuments de l'Inde (Bibliothèque Historique), Paris 1949. Religion' im allgemeinen und als konkrete Lebensanweisung nommen die Buddhagestalt selbst, so gibt es darüber heute im Studium der indischen Kunst eine lebhafte und interessante Kontroverse. Wisse Religion und Psychologie eine Frage, die sich nicht nur im Kontext des Buddhismus, sondern von Religion überhaupt stellt. Eine Frage, die aber eine unvermutete Wende genommen hat in unserem Arbeitskreis, wenn man bedenkt, daß im christlichen Ambiente Ordensgemeinschaften auch heute noch als religio' bezeichnet werden und ihre Mitglieder als ,religiosi'. Entspräche dieses besondere Begriffsverständnis auch einem ursprünglichen Verständnis von Religion, inwieweit wäre dann auch von da her der Buddhismus als Religion anzusprechen? Hat doch der Buddhismus für seine Anhänger, ob dies nun, Mönche im engeren Sinne waren oder,Laien', in erster Linie Lebensanweisungen, konkrete, wenn man so will auch pragmatische Orientierungshilfen gegeben. Bronkhorst Jeder weiß, daß die Frage, ob der Buddhismus eine Religion ist oder nicht davon abhängt, was man unter Religion versteht. Persönlich meine ich, daß hinter dem Begriff, Religion' ebenso wie hinter dem Begriff,Psychologie' wie hinter allen anderen Begriffen nichts Wesentliches dahintersteckt, zumindest ist es eine offene Frage für mich. Es sind nur Worte, Worte, die an das Wesen der Dinge nicht herankommen bzw. die zeigen, daß es ein solches Wesen der Dinge gar nicht gibt. Ganz anders liegt die Frage, wenn man dabei konkret wird, konkrete Aspekte dabei benennt. Sagen Sie also, was Sie damit konkret meinen, dann kann ich Ihnen aus meiner Sicht der Dinge sagen, ob dies im Fall des Buddhismus zutrifft oder nicht. Für einen Historiker mag es interessant sein zu untersuchen, wie ein Begriff wie Religion' im Lauf der Geschichte verstanden wurde. Eine aktuelle Frage aber, ob der Buddhismus eine Religion ist, ist in dieser allgemeinen Form für mich eine Nicht-Frage. 239 Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Bemühen um kritisches Verständnis von Religion unumgänglich 240 Klinger Es ist richtig, daß hinter jedem Wort eine hermeneutische Frage steht und jeder sagen muß, was er mit welchem Wort meint. Insofern gibt es eine Diskussion um Sprache und um Ausdrucksweisen, gibt es eine Diskussion auch über, Religion' im allgemeinen und über einzelne Religionen im besonderen. Sagt man nun, es sei belanglos, wie jemand Religion versteht, erweckt dies den Eindruck von Positivismus: dann ist die Religion jeweils das, was konkrete Religionen von ihr behaupten; sie sind es m. a. W., die festlegen, was sie darunter verstehen, und das bleibt dann eben die Norm. Man kann also auf die Frage: was ist Religion? sagen: Religion ist alles das, was der Pfarrer daraus macht. Aber man kann auch umgekehrt fragen: Warum ist das, was der Pfarrer macht, Religion? Die Antwort darauf kann man dann jedoch nicht mehr dem Pfarrer überlassen. Um der Fremdperspektive willen, um Religion von außen her betrachten und kritisch hinterfragen zu können, und so gesehen, nicht immer nur auf ihrer eigenen Linie zu stehen, bedarf es dieser allgemeinen Erörterung. Sie ist auch wichtig für das Gespräch der Religionen. Und sie ist besonders wichtig, um bestimmte Phänomene entsprechend einzuschätzen. Wie unterscheidet sich etwa ein religiöses Phänomen von einem literarischen Phänomen? Warum sind Berg und Tal Orte von religiöser Verehrung?, bis hin beispielsweise zur Frage: Ist der Krieg ein religiöses Phänomen? Die französische Religionssoziologie, die diese Frage gestellt hat, behauptet ja, der Krieg sei das religiöse Phänomen des 20. Jahrhunderts. Inwieweit führt diese Frage dann zu bestimmten Verhaltensweisen und zu bestimmten Antworten? Beurteilt man den Krieg in dem besagten Sinn, ist er ein anderes Phänomen, als wenn man ihn bloß als Instrument der Politik betrachtet, dann ist er aber auch für die Religionen selber eine ganz andere Herausforderung. Im einen Fall ist er vielleicht nur eine ethische Gefahr, vorgefaßte Definitionen auf die Wirklichkeit anzuwenden Herausforderung, im anderen Fall wird er zu einer religiösen Herausforderung und stellt dann aber, wenn die Religionen dazu nichts sagen können, sie selber in Frage. Daher erscheint es wichtig, über Religion zu diskutieren, um zu bestimmten Einschätzungen über das Verhältnis von einer Religion zur anderen zu gelangen. Es geht dabei also etwa um die Frage: Warum spricht Religion überhaupt an? Und: Was ist das Ansprechende am Buddhismus? Der ist ja nicht bloß ein kulturelles Phänomen, er übersteigt zugleich Kulturen. Und ich meine, daß das Ansprechende an ihm gerade das ihm eigene Religiöse ist. Stellt man die Frage nach dem Wesen rein platonisch, führt sie natürlich nicht weiter. Doch ist die Kategorie des Heiligen, das bekanntlich durch die Merkmale des mysterium fascinosum et tremendum et augustum" charakterisiert ist, geeignet, um Feststellungen zu treffen, was interessant ist und was nicht, was anziehend ist und was nicht, oder was den Unterschied betrifft zwischen Religion und Nicht-Religion. Und ich denke, daß es diese Elemente im Buddhismus tatsächlich gibt, gerade in Aussagen, die im Zeichen der Widersprüchlichkeit stehen die ja faszinieren und erschrecken kann, die vielleicht auch beglückend sein kann, wenn man darin nicht untergeht. Bronkhorst Ich bin mit dem Gesagten viel mehr, als man vielleicht denkt, einverstanden. Ich wollte die Lage nicht vereinfachen und verneinen, daß es da in einer religiösen Tradition beispielsweise so etwas gibt wie das Akzeptieren von Widersprüchen. Ohne Zweifel ein gutes Beispiel. Es gibt solche Fragen, es gibt ein Objekt zu studieren, das man sehr gut Religion nennen kann. Das Problem beginnt da, wo man mit ganz genauen Fragen kommt, um zu wissen, ob das Religion ist oder nicht. Dann sage ich zuerst einmal: vielleicht. Die Definition des Heiligen, die Rudolf Otto vorgelegt hat, ist 241 Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Besonderheit im ganzen der SramanaBewegung natürlich nicht nur eine Definition, sondern auch eine Behauptung. Man behauptet, daß das Heilige wichtig ist, daß es in den meisten Bewegungen, die man in der Regel Religion nennt, zu finden ist usw. Zeigt sich, daß diese Bestimmungen wirklich anwendbar sind, so kann man das ja dann mehr oder weniger als Definition von Religion akzeptieren. Ob nun auch das, was man solcherart als Religion bezeichnet, im Falle des Buddhismus gegeben ist? Wahrscheinlich schon. Ob es auf den Buddha selber passen würde, erscheint mir schon nicht so sicher. Es war hier schon einmal die Rede davon, daß man dem Buddhismus Staunen u. ä. zuschreiben könne. Ich mahnte dazu, im Umgang damit vorsichtig zu sein, da die Gefahr einer Definition genau auch im umgekehrten liegen kann: daß man sich in diesem oder jenem Fall berechtigt wähnt, von einer Religion zu reden und dann postuliert, daß es da dementsprechend auch um Heil gehen müsse, um das Heilige, um das Tremendum und um Staunen. Da beginnt man dann zu suchen und findet vielleicht mit einiger Mühe etwas, das diesem oder jenem, was man sucht, ein wenig ähnlich ist. Dann steckt man alles in einen Sack und ist glücklich, wieder eine Religion gefunden zu haben. Dagegen spreche ich mich aus, weil es gefährlich ist, zu suchen, was wir schon von vornherein erwarten. Bemühen wir uns vielmehr, das Phänomen zu sehen, wie es ist, wie es sich selbst darbietet, und nicht, was wir für wichtig finden. Bronkhorst Die Frage, inwieweit der Buddhismus die Vorstellungen von Wiedergeburt und karman vom Hinduismus übernommen hat, ist zum Teil nur eine terminologische Frage und daher nicht so wichtig. Ihre Beantwortung hängt davon ab, was man Hinduismus nennt. Generell tendiert man dazu, den Stellenwert des hinduistischen Einflusses auf die buddhistische Lehre nicht zu hoch anzusetzen. Die Frage führt mich dazu, nochmals auf meine Theo rie zurückzukommen, daß es neben dem vedischen Traditionsstrom im alten Indien noch andere Bewegungen gegeben hat, von denen ich eine eben als śramana-Bewegung bezeichne. Während sich nun die vedische Tradition hauptsächlich auf das Opfer und auf das vedische Pantheon konzentrierte, scheint sich die śramana-Tradition, von der wir nur indirekt aus späteren Quellen wissen, insbesonders vom Glauben an Wiedergeburt und karman her verstanden zu haben. Innerhalb der Sramana-Tradition, so meine weitere Annahme, gab es sodann einzelne Bewegungen, die man als Religionen oder wie auch immer bezeichnen kann und deren bekannteste die Jaina-Religion ist. Diese sramana-Tradition hat nun langsam begonnen, die anderen Traditionen, insbesondere die vedische, zu beeinflussen. Die Begründung für diese Annahme ist komplex, besonders wichtig erscheint mir dabei das Zeugnis der Upanisaden, wenn es dort ausdrücklich heißt, daß die Idee der Wiedergeburt und die damit zusammenhängenden Vorstellungen den Brahmanen nicht bekannt waren und daß sie diese entliehen haben." Eine der asketischen Bewegungen, die es innerhalb der śramana-Tradition gab, war der Buddhismus, der sicher nicht zu den ersten dieser Bewegungen gehört und jedenfalls jünger ist auch als der Jinismus. Gemein mit diesen anderen Religionen bzw. Asketentraditionen hat der Buddhismus verschiedene Hauptlinien, insbeson Fragen zu Wiedergeburt und karman Wisse Den Arbeitskreis hat schließlich die Frage nach der Beziehung von Wiedergeburt und karman beschäftigt sowie die Frage, wie dieses karman näherhin zu verstehen sei. Und: Wieweit war der Buddha im Verständnis dieser Begriffe vom Hinduismus abhängig? Vgl. oben a. a. O. (Anm. 6). 242 243 Page #28 -------------------------------------------------------------------------- ________________ dere den Glauben an die durch das Handeln, durch karman bedingte Wiedergeburt. Doch hat er, wie es scheint, diese alte Lehre bei ihrer Übernahme abgeändert. Vielleicht haben das auch andere Traditionen gemacht. Solange wir dafür aber keinerlei Beweise haben, gehe ich davon aus, daß es der Buddhismus war, der dies als Novum eingeführt hat. Das Novum wiederum sehe ich, wie schon gesagt, in der Psychologisierung des karman-Begriffes. Wenn auch viele vorziehen, dieses neue Element im Sinne einer Ethisierung zu verstehen, ziehe ich doch den anderen Begriff vor, den der Psychologisierung, weil der buddhistische Erlösungsweg ein psychischer Weg ist, weil es in allem darum gegangen ist, das Mentale, das Psychische richtig zu formen. Gut ist daher auf dem buddhistischen Weg nicht etwas, weil es ethisch ist, sondern weil es in die Psyche hinein wirkt. Es gilt also nicht, den Anderen zu lieben, weil es ethisch ist, sondern weil es dazu hilft, das Ziel - die psychische Anderung, in der die Erlösung beschlossen ist - zu erreichen. Obwohl der Unterschied nicht allzu groß scheint, spreche ich daher bezüglich dessen, worauf es am buddhistischen Erlösungsweg ankommt, lieber von etwas Psychischem, weil der Begriff des Ethischen eher den Eindruck erweckt, daß es um etwas objektiv Gutes geht. Tatsächlich geht es aber um das, was subjektiv gut ist, um etwas, das im Sinne des Erlösungszieles wirksam wird. Holt man wieder Immobilisierungspraktiken in den Buddhismus herein, dann hat das wohl keinen Nut- zen für den psychischen Erlösungsweg des Buddha, sie sind eher Antwort auf eine physische karman-Vorstellung. Ist mit karman ein physisches Handeln gemeint, dann ist ein physisches Aufhören mit dem Handeln eine Antwort darauf. Herr Vetter hat schon darauf hingewiesen, daß es nicht klar ist, ob der Buddha dem ältesten Buddhismus zufolge ein Selbst anerkannt hat oder nicht. Die meisten späteren Buddhisten sehen in der Nicht-Selbst- oder anātman-Lehre vielleicht ein Proprium des Buddhismus. Es wäre dies also möglicherweise ein Proprium, das vielleicht durch den Buddha selber gar nicht anerkannt wurde. Wie hat man aber diese anātman-Lehre näherhin ver. standen? Bei den Nichtbuddhisten war das Selbst, der atman, wichtig für die Befreiung, weil das Selbst nicht handelt. So in den Upanisaden, von wo diese Anschauung wohl entlehnt worden ist, und anderswo. Immer wieder wird das eine betont, daß das Selbst nicht handelt. Daher ist die Erkenntnis des Selbstes hilfreich oder sogar ausreichend, um Erlösung zu erlangen, weil man entdeckt, daß man im Wesen, im Selbst nie etwas getan hat. Einen wesentlichen Aspekt dieser zentralen Befreiungsideologie bildet demnach die Entdeckung, daß der Körper, der Geist, die Gedanken der Menschen nicht ihr Selbst sind. Das alles findet sich genauso im Buddhismus, nur daß das, was jenseits von all dem liegt, nicht Selbst genannt wird. Man nennt es vielmehr anatman, das Nicht-Selbst. Zu allem, was man als zugehörig zur menschlichen Person bezeichnen kann, wie Körper, Vernunft, Gefühl u. a., sagt man, daß es nicht das Selbst sei - ob man nun in diesem Selbst eine Entität sieht oder nicht. In jedem Fall ist das, was tätig ist, nicht das Selbst. Diese Einsicht, die in der zweiten Predigt' des Buddha klar ausgesprochen ist (z. B. Vin l: 13f), führt zur Befreiung. Und die Fünf, die das verstanden haben, erreichen unmittelbar die Befreiung. Frohnhofen Inwieweit wurde der Buddhismus im Lauf der Zeit vom Brahmanentum absorbiert? Inwieweit spielt er in der späteren Entwicklung Indiens eine eigenständige Rolle und hat insbesondere auf die Sozialgeschichte Indiens Einfluß genommen? Bronkhorst Für den Bereich der theoretischen, dogmatischen Entwicklungen wird man nicht sagen können, daß der Buddhismus absorbiert worden wäre. Obwohl man damit rechnen muß, daß er verschiedene Elemente aus dem Brahmanismus oder anderswoher in Immobilisierung keine Antwort vom Einfluß des Brahmanentums Folgen für die Nicht-SelbstTheorie 244 245 Page #29 -------------------------------------------------------------------------- ________________ die Buddhisten und ihr Verhältnis zu den Ursprüngen angepaßter Weise aufgenommen hat, ist der Buddhismus lange Zeit hindurch von anderen Ideologien keineswegs gleichsam aufgesogen worden, er hat all diesen Einflüssen von außen durch viele Jahrhunderte standgehalten. Wie die soziale Entwicklung dann nach dem 10. Jh. verlaufen ist, als viele buddhistische Klöster vernichtet wurden und das Mönchtum verschwunden ist, ist mir im einzelnen nicht hinlänglich bekannt und ist vielleicht überhaupt durch die Geschichtsforschung noch nicht ausreichend geklärt. In dieser Zeit könnten dann tatsächlich die übriggebliebenen Buddhisten durch den Brahmanismus wie durch den Hinduismus im allgemeinen absorbiert worden sein. Frohnhofen Wie kann man, so war in den Diskussionen des zweiten Arbeitskreises weiters gefragt worden, das Verhältnis der Buddhisten zum ursprünglichen Buddha charakterisieren? Und - in Erweiterung dieser Frage - welche Bedeutung hat der Kanon der ursprünglichen Schriften für den Buddhismus bzw. für die verschie. denen buddhistischen Konfessionen heute gewonnen, insbesondere auch am Hintergrund analoger Fragestellungen im Bereich anderer Religionen, wie des Christentums und des Islams? Bronkhorst Zur ersten Frage darf ich meinerseits zunächst aus bereits Gesagtes verweisen Ivgl. oben S. 230). Ein Aspekt, der für eine entsprechende Einschätzung der Bedeutung des historischen Buddha für die religiöse Einstellung der Buddhisten wichtig ist, soll noch angedeutet werden: das Moment der Erfahrung. Die Erfahrung, die Buddhisten selber gemacht haben, konnte ohne Zweifel bestimmte Entwicklungen im Buddhismus unterstützen. Ist doch jeder Mensch ein potentieller Buddha. Da es eine göttliche Offenbarung, in der Art wie sie für den Glauben der Christen gegeben ist, für die Buddhisten nicht gibt, ist der Bereich ihrer Erfahrung für die Entwicklung der buddhistischen Lehre von größerem, durchaus ernstzunehmendem Gewicht. Ob bestimmte Entwicklungen hauptsächlich durch solche Erfahrungen bedingt worden sind, mag dabei eine eigene Frage sein. Die Tatsache jedenfalls, daß jeder Mensch ein potentieller Buddha ist, hat für die Bewertung der Stellung des historischen Buddha bzw. der historischen Buddhas, wie die Buddhisten es lieber sehen würden, ein nicht zu unterschätzendes Gewicht. Den Religionsstiftern in Christentum und Islam kommt deshalb eine grundsätzlich andere Bedeutung zu als dem historischen Buddha im Hinblick auf den Buddhismus. In der Kanonfrage könnten die diesbezüglichen Fra. gen im Christentum und im Islam eine klarere Beantwortung gefunden haben. Im Falle des Buddhismus dauerte es wahrscheinlich länger, bis geklärt war, wel. che Schriften zum Kanon gehören. Hinzu kommt, daß die Frage durch den Mahayana-Buddhismus neu aktualisiert wurde, indem dieser neue Schriften hinzugezählt wissen wollte, so z. B. die Prajnaparamita-Sütren, ohne das Alte zu verwerfen. Man muß jedenfalls damit rechnen, daß der Frage in buddhistischem Kontext ein anderer Stellenwert zukommt als beispielsweise in den genannten anderen Religionen. Vanoni In der Frage nach den Ursprüngen könnte ein bemerkenswerter Unterschied zwischen Buddhismus und Hinduismus liegen, da der erstere eine Gründerperson kennt. Man fragt also notwendigerweise nach dieser Gestalt des Buddha. Bei den biblischen Religionen kommt eine Ursprungssituation hinzu, ein Initialereignis - im Judentum die Herausführung aus Ägypten, während es dann im Christentum heißen wird: Als aber die Zeit erfüllt war [...]" (Gal 4,4). Im Islam gibt es in ähnlicher Weise genaue Daten der Geschichte, die für das Verständnis der Offenbarung rele. vant sind. Anders, wie es scheint, im Buddhismus, wo die Frage nach der Zeit des Ursprungs nicht in ver. gleichbarer Weise wichtig ist. Was die Frage nach dem Kanon anbelangt, so hat sie, wie überhaupt die Frage nach dem Ursprünglichen, für die Christen eine besondere, manchmal auch bedroh Gründergestalt und Ursprungssituation kritische Funktion der Kanonfrage 247 Page #30 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Kanonfrage und Hermeneutik weitere Fragen zum buddhistischen Kanon zur Redaktionsgeschichte 248 liche Aktualität: Können diese Fragen doch Anlaß werden zu Kritik an späteren Entwicklungen, auch an gegenwärtigen Zuständen und Auffassungen, weil sie den kritischen Aspekt der Echtheit implizieren. Tatsächlich haben Fragen dieser Art auch zu Kirchenspaltungen geführt bzw. dazu beigetragen. Hat nun diese Frage nach dem Kanon im Buddhismus zu ähnlichen Entwicklungen bis hin zu Streitigkeiten und Spaltungen geführt? Bronkhorst Es hat bekanntlich viele Bewegungen innerhalb des Buddhismus gegeben, die sich natürlich alle auf das Buddha-Wort berufen haben. Das war schon im Śrävakayana, im kleinen Fahrzeug, der Fall. Es hat sich dann mit dem Mahāyāna intensiviert, da die Mahāyānisten manchmal auch Buddha-Worte herangezogen haben, die von den anderen eigentlich nicht anerkannt wurden. In der Folge hat sich eine eigene Hermeneutik entwickelt, die es jedem unter Berufung auf bestimmte Buddha-Worte erlaubte, seinen eigenen Standpunkt zu verteidigen und zu sagen, dieses oder jenes wäre nicht wirklich so gemeint, wohl jedoch anderes, das mit der jeweils eigenen Meinung übereinstimmte, das wäre buchstäblich so gemeint. Ich glaube, daß es weniger zu verschiedenen Spaltungen geführt hat, als umgekehrt, daß es dazu diente, um verschiedene Entwicklungen bzw. Spaltungen nachträglich zu legitimieren. Khoury Gab es eine Redaktionsgeschichte des Kanons des älteren Buddhismus? Und: Gab es - und gibt es bis heute - weitere Schriften, die neben diesem Kanon bestanden haben und damit abweichende Traditionen? Und welchen Stellenwert haben dann diese abweichenden Traditionen und jene Schriften, die neben dem Kanon bestanden haben? Bronkhorst Der Buddhismus hat sich bekanntlich in Indien früh verbreitet, später auch außerhalb des Subkontinents, und die Buddhisten haben ihre eigenen Texte (teils mündlich, später auch schriftlich) mitgenommen. Da sich die Texte in den verschiedenen Gemeinden wei terentwickelt haben, läßt sich schon von früh an nicht wirklich von einem Kanon reden. Anders als in der Entwicklung des Kanons der biblischen Schriften, wo man doch, jedenfalls im Westen, allmählich zu einer übereinstimmenden Beurteilung gekommen ist, hat es im Buddhismus, historisch gesehen, nichts Vergleichbares gegeben. Man spricht zwar auch in der Geschichte des Buddhismus von, Konzilien', doch handelte es sich dabei um Zusammenkünfte von Mönchen, die von Zeit zu Zeit stattgefunden haben und bei denen zunächst rezitiert wurde, was sie als Buddha-Wort akzeptiert hatten. Anschließend haben sie diese Überlieferungen wieder mitgenommen, sie memorisiert und schließlich - vielleicht zum ersten Mal im 1. Jahrhundert nach der Zeitenwende in Sri Lanka, in Indien wahrscheinlich erst später - aufgeschrieben. So kam es dazu, daß wir heute sogar den Kanon vom Kleinen Fahrzeug in verschiedenen Versionen haben: nicht nur, weil das eine ins Chinesische übersetzt wurde und anderes wieder in Päli überliefert ist u..ä., sondern weil die Versionen sich auch inhaltlich voneinander unterscheiden, vielfach nur in Einzelheiten, manchmal aber auch in wichtigen Belangen. Hinzu kommt, daß, insbesonders im Mahāyāna, später auch Buddha-Worte neu hinzugefügt wurden. So ist es aus verschiedenen Gründen schwer, von einer Einheit im buddhistischen Kanon zu reden. Eine Redaktionsgeschichte hingegen läßt sich, wenn auch mit Schwierigkeiten, nachvollziehen, insoferne wir uns bis zu einem gewissen Grade vergewissern können, wie sich die verschiedenen Teile des Kanons entwickelt haben, wie sie kommentiert wurden usw. Wieweit es Schriften gibt, die nicht in den Kanon übernommen wurden bzw. abweichende Traditionen? Natürlich sind später viele Texte geschrieben worden, es gibt eine reiche Literatur des Buddhismus, die sich bis heute durchgesetzt hat. Ob und wo es sich dabei freilich um,abweichende' Traditionen handelt, ist schwer zu sagen. Eher nicht. Man sollte dabei mehr Page #31 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ,Kanon' - aufgrund der Akzeptanz durch eine religiose Gemeinschaft an Traditionen denken, die einander beruhren und die sich am Kanon orientieren, wo es nutzlich und angebracht erscheint. Vanoni Der Hinweis, dass zum Kanon - wenn man diesen mit Heiliger Schrift gleichsetzt - immer eine religiose Gemeinschaft gehort, die ein bestimmtes Korpus von Schriften als fur ihren Glauben grundlegend und verbindlich akzeptiert, mag fur den Vergleich mit anderen Religionen hilfreich sein. So gibt es mindestens drei unterschiedliche christliche Kanons: einen katholischen, einen evangelischen und einen ostkirchlichen. Daneben kann man von einem Kanon der klassischen Texte sprechen und dann auch fragen, wie es zum ersten , klassischen Text' kam.' So haben im Judentum zunachst die Funf Bucher Mose - die Tora - einen klassischen Wert: das heisst, man beginnt, von einer bestimmten Zeit an sich auf sie zu berufen, und um diesen Kern herum wachst dann die ganze Bibel. Dass dies schliesslich alles zusammen einen Kanon bildet, dazu braucht es nicht unbedingt eine Synode. So hat es mit grosser Wahrscheinlichkeit nie eine, Synode von Jabne (Jamnia)' gegeben", sondern man hat sich zu dieser Zeit (gegen Ende des 1. lh. n. Chr.) wohl im Anschluss an eine bestimmte Schule, die dafur Argumente gefunden hatte, im Judentum auf den Kanon geeinigt. Bronkhorst Ahnliches gilt wahrscheinlich auch fur den Buddhismus. Vgl. dazu auch den Gesprachsbeitrag von G. Vanoni, in: A. Bsteh (Hrsg.), Der Hinduismus als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie (Studien zur Religionstheologie; 3), Modling 1997,79. 10 Vgl. G. Stemberger, Jabne und der Kanon, in: Jahrbuch fur Biblische Theologie 3 (1988) 163-174 250