Book Title: Vorattische Philosophie Author(s): Thales Von Publisher: Thales Von View full book textPage 4
________________ 44 VORATTISCHE PHILOSOPHIE Grund genug. Nach jüngsten Forschungen (U. Hölscher) kann kein Zweifel sein, daß diese Vorstellung von dem die Erde tragenden Wasser aus ägyptischen oder sonstigen orientalischen (babylonischen Quellen stammt. Aus der zweiten Feststellung des Aristoteles können wir mit Sicherheit als die Ansicht des Thales entnehmen, daß er die Erde aus dem Urwasser auftauchen oder sie aus ihm sich bilden ließ. Eine solche Nachricht war für Aristoteles Grund genug, Thales so zu verstehen, daß er alles aus dem Wasser werden ließ. Der von Aristoteles verwendete Begriff des Prinzips (åorn) gehört mit Sicherheit erst seiner Darstellungsweise an. Daß die Gründe, die Aristoteles für die Lehre anführt, daß nämlich alles aus Wasser entstanden sei und das Wasser das Prinzip von allem sei, nicht von Thales stammen, wie das auf Grund des Aristotelischen Berichte schon im Altertum angenommen wurde (vgl. Theoph. Phys. op. fr. 1), sagt Aristoteles selbst mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. «Er schöpfte diese Meinung vielleicht (abov ions Tņv ÚTónyiv) aus der Beobachtung, daß die Nahrung von allem feucht ist und daß das Warme aus dem Feuchten wird und von ihm lebt - das aber, woraus alles wird, ist das Prinzip von allem -; darum also faßte er diese Meinung, und weil der Same von allem feuchter Natur ist; das Wasser aber ist für das Feuchte das Prinzip seiner Natur» (Met. A 3, 983 b 22: DK 11 A 12). Es ist eine ansprechende Vermutung, daß diese physiologischen Beobachtungen entstammende Begründung auf Hippon (s. S. :-) zurückgeht (Burnet a. a. O. 49, Übers. 38; Zeller-Nestle, Philos. d. Gr. IC 262 Anm. 1). THEOPHRAST gibt noch als weiteren Grund an, daß das Tote vertrockne. Wahrscheinlich können wir diese Überlegung auf Grund des Menon Anonymi Londin. XI 22 (DK 38 A 11) ebenfalls dem Hippon zusprechen. Wenn die Argumente des Aristoteles aus Hippon entnommen sind, würde man freilich auch eine Erwähnung dieses Arguments erwarten, und so ist es vermutlich besser, die Aristotelischen Begründungen als eigene Überlegungen des Aristoteles zu verstehen. Unser Wissen, daß das Weltbild des Thales von kosmologischen Vorstellungen: Ägyptens beeinflußt ist, gebietet uns auch Vorsicht gegenüber der Aristotelischen Deutung des Wassers als des Urprinzips. Es mag sein, daß Thales lediglich lehrte, die Erde habe sich aus dem Wasser zur festen Masse gebildet, ohne deshalb das Wasser als das eigentlich Seiende und Bleibende in allem Wechsel zu behaupten. Eine weitere Nachricht des SENECA (Nat. quaest. III 14: DK 11 A 15), die wahrscheinlich über Vermittlung durch POSEIDONIOS auf THEOPHRAST zurückgeht, unterrichtet uns, daß Thales die Erdbeben als Schwankungen der auf dem Wasser schwimmenden Erde erklärte. Weiter erfahren wir durch ARISTOTELES, daß nach Thales der Magnet Seele besitzt, weil er Eisen bewegt, und daß alles voll von Göttern sei (De anima A 2, 405 a 19; AS, 411 a 7: DK 11 A 22). Eine Bemerkung bei DIOGENES LAERTIOS läßt uns schließen, daß der Sophist HIPpias in diesem Punkte die Quelle des Aristoteles war. Da die Bemerkung, daß alles voll von Göttern sei návra ninon teñv), auch bei PLATON sich findet (Nom. X 899 b), können wir hier vielleicht sogar einen wörtlichen Ausspruch des Thales vermuten. Die Bemerkung des ARISTOTELES, daß Thales die Seele als bewegende Kraft verstanden habe (xwvNTIXÓv ti), ist wohl richtig. Er beschränkt dann die Beseelung nicht auf den Menschen, sondern dehnt sie auf alles Lebende aus und bezieht den Magneten mit in den Bereich desPage Navigation
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