Book Title: Sanskaras System Author(s): Tilmann Vetter Publisher: Tilmann Vetter View full book textPage 3
________________ 1017 Erkenntnis und nur bei ihr wird die Unkenntnis ein für allemal beseitigt und ist keine Übung mehr nötig. Nun kann der größere Rahmen, daß das Brahman selbstgegeben ist, nie Objekt ist und lediglich durch die Negation aller falschen Vorstellungen offenbar wird, nur an einer Stelle überschritten oder angepaßt werden, nämlich beim Widerschein (ābhāsa) des Geistlichtes in der Buddhi oder (wie die Upanişaden sagen) im Herzen. Obwohl das Selbst nie Objekt einer Erkenntnis werden kann, kann es dies doch in mittelbarer Weise, indem der Widerschein im Herzen Objekt ist. Erkenntnis und nicht nur Projektion ist also möglich. Was aber diese Erkenntnis hervorruft, das sind vor allem diejenigen Worte der Upanişaden, welche das Selbst Erkennen nennen und damit die Vermittlung des Widerscheins des Geistlichts benutzen, um zum Geistlicht selbst hinzuführen. Was also Ursache der Verstrickung ist, der Widerschein des Geistlichtes in den Organen und im Körper, ist auch die Ursache der Erlösung. Außerdem ist dies das Fundament der positiven höheren Theologie und des Redens von Licht und Widerschein. Daß der Mensch erkennt, ist, da dies nicht eine Sache der Materie sein kann, das Zeichen dafür, daß das Selbst Geist ist. Von diesem Mittelpunkt der Lehre Sankaras aus will ich nun Deussens exoterische und esoterische Wissenschaft betrachten. Es zeigt sich, daß in allen drei Bereichen (Theologie, Psychologie und Kosmologie) insofern etwas Einheitliches vorliegt, als der Übergang von der exoterischen zur esoterischen Wissenschaft durch einen uneigentlichen Gebrauch des Begriffs des Nichtwissens gekennzeichnet ist (6). Uneigentlich ist dieser Gebrauch, weil es nicht um dasjenige Nichtwissen geht, dessen Beseitigung direkt dem Heil dient, sondern um ein Nichtwissen, das demjenigen noch extra Sorgen (neben denen dies wirklichen Lebens) macht, der gewisse Phänomene als echte Realitäten nimmt; erklärt man nämlich den Bezug dieser Phänomene auf das Brahman oder ihre reine Existenz als ein Produkt des Nichtwissens, dann entgeht man allen damit verbundenen Problemen. Dies Nichtwissen hat merkwürdigerweise vor allem eine Funktion bei Streitigkeiten innerhalb der Vedāntaschule. Außerste Konsequenz bei der Beurteilung von Phänomenen ist jedoch nicht angestrebt. Es geht darum, an bestimmten Stellen unerwünschten Folgen aus dem Weg zu gehen. An andern Stellen hat man ein Phänomen für die eigene Lehre oder in der Polemik nötig und hütet sich, es abzuwerten. Was die niedere Theologie betrifft, so haben wir bereits gesehen, daß die Meditation religiöser Attribute mit denselben Begriffen bezeichnet wird wie die falsche Identifikation mit Organen und Körper, nämlich als Nichtwissen und Projektion (adhyāsa, adhyāropaņa). Warum? Es geht hier doch um einen bewußten und gewollten Vorgang, um Identifikationen, die aus den Upanişaden stammen. Und wenn auch das 'Machen' von Vorstellungen nicht zur Erlösung führt, so kann es doch dem Anfänger empfohlen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Blick nicht auf folgendes fällt: Die verwendeten Attribute führen notgedrungen zu Gestalthaftigkeit, Beschränktheit und Aufteilung des Brahman. Um dem zu entgehen, wird einfach gesagt, daß sie nur äußerlich, als Upādhis, am Brahman vorkommen, daß sie vom Nichtwissen auf es projektiert sind. Nun die Psychologie. Wir haben gesehen, daß die Lehre von Bindung und Erlösung ganz auf dem Einfall des Geistlichts in die Organe und in den Körper beruht. So entsteht in der Buddhi ein Kontinuum falscher Ich-Identifikation und damit Individualität. Der Widerschein des Geistlichts ist es aber auch, derPage Navigation
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