Book Title: Sanskaras System
Author(s): Tilmann Vetter
Publisher: Tilmann Vetter

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Page 2
________________ 1016 Das Zusammenbringen von höherer Theologie einerseits und höherer Kosmologie und Psychologie andererseits zu einer einzigen esoterischen Wissenschaft hat ihre bis heute nachwirkenden unerwünschten Folgen eigentlich erst 65 Jahre später richtig gezeigt, nämlich in Helmuth von Glasenapps "Stufenweg zum Göttlichen" (Baden-Baden 1948). Die zentrale Idee in diesem Buch, das weitgehend ein Auszug aus Deussens "System des Vedānta" ist, ist das Umsetzen der Deussenschen Einteilung von exoterischer und esoterischer Wissenschaft in einen zweistufigen Weg zum Heil. Damit wird der Glaube an die Irrealität der Welt, welcher zur höheren Stufe gehört, zu einer unabdingbaren Voraussetzung des Heils. Das widerspricht aber fast allen Äußerungen Sańkaras über Bindung und Erlösung. Da ich glaube, daß diese Außerungen über Bindung und Erlösung den Mittelpunkt seiner Lehre bilden, versuche ich von ihnen aus die Schwierigkeiten zu lösen. Dieser Versuch ist nicht zuletzt möglich dank den Impulsen, die von den Arbeiten Paul Hackers (4) ausgegangen sind. Bindung und Erlösung sind bei Sankara eine Sache des Nichtwissens und des Wissens. Das Wissen, das für die Erlösung nötig ist, gründet sich auf die positive höhere Theologie. Wie gesagt, kennzeichnet sich diese höhere Theologie durch den Bezug eines einzigen unveränderlichen Subjekts zu einem vielgestaltigen Objekt. Die wichtigste Bestimmung des Subjekts ist die als Geistlicht (nach BUBh IV 3 1 ff.). Als Licht durchdringt es überall, vom Feinsten beginnend, die Organe und Körper und macht so individuelles Leben und Bewußtsein möglich Auf Grund dieser Einstrahlung entsteht nämlich überall in den Organen des Erkennens, in den Buddhis, ein Kontinuum von falschen Vorstellungen, von Nichtwissen, bestehend in der falschen Identifikation des Selbstes mit dem Komplex von Organen und Körper (und auch mit Angehörigen und Besitz). Dieses Kontinuum falscher Identifikation bewirkt sowohl gegenwärtige Freud- und Leiderfahrungen als auch die Wiedergeburt, d. h. die Wiederverkörperung der Organe und des feinen Körpers. Was man nun das erlösende Wissen nennt, ist streng genommen nicht eine Erkenntnis des Brahman/Selbst. Die ist wegen seiner Subjektivität nicht möglich und außerdem ist sie nicht nötig, da das Subjekt als das alles beleuchtende Licht beständig gegeben ist. Es geht lediglich darum, die falschen Vorstellungen, die Projektionen (adhyāsa, adhyāropaña) auf das Selbst, zu beseitigen (apoha). Es geht nicht darum, daß einem das Licht des Selbst aufgeht, sondern darum, daß man die Beimischungen zu diesem immer leuchtenden Licht wegnimmt. Das Schema von Projektion und Beseitigung der Projektion ist jedoch nur der theoretische Rahmen des Heilswegs (5). Das bloße Beseitigen der Projektionen erschien Sankara offensichtlich als ein zu schwieriger Weg. Andererseits schien ihm aber auch der Weg, mit besseren Projektionen die schlechteren zu vertreiben, indem man nämlich über die Attribute der niederen oder selbst der höheren Theologie anhaltend meditiert, nicht zum Ziel zu führen. Bei der niederen Theologie wird nur ein besseres Nichtwissen gegen ein schlechteres eingesetzt und auch bei der höheren Theologie hat man nur vergängliche Resultate, da es beim Meditieren immer nur um ein Machen von Vorstellungen geht, nicht um etwas "Objektives", um Wissen. Sankara glaubt nun einen Weg gefunden zu haben, bei dem ebenfalls mit etwas Positivem die andern Projektionen ausgeräumt werden, dieses Positive aber nicht ein Produkt der Ubung, sondern der Realität ist. Dies ist wirklich

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