Book Title: Sanskaras System Author(s): Tilmann Vetter Publisher: Tilmann Vetter View full book textPage 1
________________ SANKARAS "SYSTEM" Von Tilmann Vetter, Leiden Paul Deussen hat in seinem fast nur auf dem Brahma-Sutra-Kommentar fußenden "System des Vedanta" (Leipzig 1883) verschiedene Abteilungen der Lehre Sankaras herausgearbeitet und festgestellt (104-124): Die Theologie wird in eine höhere (para) und in eine niedere (apara) Wissenschaft aufgeteilt, die Kosmologie und Psychologie hingegen in einen Standpunkt der höchsten Wahrheit (paramartha-avastha) und in einen Standpunkt des Welttreibens (vyavahara-avasthā). - Deussen glaubte nun zu einem Gesamtsystem kommen zu können, indem er diese zwei Einteilungen auf folgende Weise vereinigte: Die höhere Wissenschaft der Theologie und der Standpunkt der höchsten Wahrheit in Kosmologie und Psychologie sind zusammen die esoterische Vedantalehre, die niedere Wissenschaft der Theologie und der Standpunkt des Welttreibens in Kosmologie und Psychologie sind zusammen die exoterische Wissenschaft. Dem zuzurechnen sind auch noch eine esoterische und exoterische Eschatologie. Diese Zusammenschau ist nicht unbrauchbar, es ist aber folgendes dagegen einzuwenden: Die höhere Theologie arbeitet nur ausnahmsweise (1) mit der Irrealität der Welt, im allgemeinen setzt sie die Realität der Welt voraus. Der Standpunkt der höchsten Wahrheit in der Kosmologie leugnet hingegen die Welt. Die höhere Wissenschaft der Theologie arbeitet zwar manchmal im Anschluß an einen negativen Grundtext wie "neti neti" (z. B. BUBh II 3 6) mit einer rein negativen Beschreibung des Brahman (2). Hierbei wird aber die Welt nicht geleugnet. Es wird nur gesagt, daß die Sprache bloß auf Weltliches Anwendung finde und darum nicht für das Brahman gebraucht werden könne. Im allgemeinen aber dies wird in andern Werken Sankaras viel deutlicher als im Brahma-Sutra-Kommentar ist die höhere Wissenschaft der Theologie nicht rein negativ, sondern benutzt wenige ausgewählte Prädikate. So wird das Brahma oft das allem innerliche Geistlicht, der Zuschauer von allem, alldurchdringend usw. genannt. Diese Bezeichnungen haben die Welt als Korrespondenzbegriff geradezu nötig. Man braucht dazu aber nicht den "Standpunkt des Welttreibens", nicht die Welt, insofern sie vom Brahma ausgeht, in ihm besteht und sich wieder auflöst, zumindest solange nicht, wie Śankara diese Standpunkte schön auseinanderhält. Der Bezug des Brahman zur Welt ist in der höheren Theologie viel einfacher: Es ist der zwischen einem einzigen unveränderlichen Subjekt und einem vielgestaltigen Objekt. Hinzu kommt noch - was Deussen nicht auffiel - daß die Abwehr der Prädikate der niederen Theologie mit Ausdrücken wie "frei von Besonderheiten" (nirvisesa) oder "attribulos" (nirguna, aguna) fast immer in einem Kontext steht, wo das Brahman auch Geist, innerlich, Nichtobjekt, Zuschauer, all durchdringend usw. genannt wird (3). Man kann also aus dem Gebrauch dieser Ausdrücke weder auf eine rein negative Theologie noch auf eine Leugnung der Welt schließen. 1015 - 3Page Navigation
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