Book Title: Gott Urbild Der Emanzipierten Existenz Im Yoga Des Patanjali Author(s): Gerhard Oberhammer Publisher: Gerhard Oberhammer View full book textPage 1
________________ GOTT, URBILD DER EMANZIPIERTEN EXISTENZ IM YOGA DES PATANJALI Von G. R. F. Oberhammer, Utrecht Die Möglichkeitsbedingungen einer philosophischen Gotteslehre sind einerseits die aus dem existenziellen Vollzug stammende Gottesidee als ihre immanente Form, und andererseits der aus der methodischen Reflexion stammende Begriffsapparat, welcher die Verwirklichung dieser Gotteslehre in ihrer historischen Konkretheit bedingt. Beide Bedingungen müssen nicht notwendig demselben geistigen Milieu entstammen, sondern es kann das philosophische Begriffssystem ohne Bezug zur Existenz Gottes entwickelt sein und plötzlich aus historischexistenziellen Gründen mit dieser konfrontiert werden und nun genötigt sein, diese mit den ihm eigenen Möglichkeiten auszudrücken und zu entfalten. Bei diesem Vorgang ist von vornherein zu erwarten, daß entweder das Begriffssystem eine Veränderung erfährt, oder aber die Gottesidee, durch das Medium dieses Begriffssystems gebrochen, in seinem Lichte eine spezifische Ausformung erhält1. In beispielhafter Weise ist dies bei der Gotteslehre des Yoga des Patanjali in Indien der Fall, der hinsichtlich der philosophisch-spekulativen Lehren grundsätzlich der atheistischen Philosophie der spekulativen Samkhya-Schule (bedeutendster Vertreter Vrsagana um 300 n. Chr.) verhaftet ist, die die Vorstellung eines einzigen, höchsten Wesens jedoch von anderen Kreisen übernommen hat. Bei diesem Yoga handelt es sich hinsichtlich seines Wesens um einen Weg zum Absoluten als Möglichkeit des menschlichen Geistes. In konkrethistorischer Form erscheint er als System aszetischer und meditativer Übungen, das nach der Selbstinterpretation dieses Yoga zur direkten Erfahrung der ,,absoluten" Geistnatur (citiçaktiḥ purusaḥ) des Menschen und damit zur ,,Emanzipation" des menschlichen Geistes führen soll. Mit ,,Emanzipation" kann in historisch nicht ganz authentischer Verwendung des Wortes zunächst die Erlangung des existenziellen Wissens des Menschen von seiner,,a-kosmischen", Geburt, Leid und Tod nicht unterworfenen Seinsweise und dann im eigentlichen Sinne diese Seinsweise selbst (kaivalyam) gemeint sein, die im Augenblick ihrer Erkenntnis nicht mehr nur ,,an sich" gegeben, sondern auch existenziell subjek 1 Damit wird nicht einem Relativismus der natürlichen Gotteserkenntnis das Wort geredet die Frage nach Wahrheit oder Nichtwahrheit der betreffenden Gotteslehre wird in diesem Rahmen nicht gestellt sondern lediglich das historische Faktum verschieden ausgeformter philosophischer Gotteslehren gedeutet. 2 Die Lehre von Gott erscheint in den Yoga-Sutren (abgekürzt: YS), dem ältesten uns erhaltenen Text dieser Yoga-Richtung, die eine Schule des Samkhya ist, an mehreren Stellen, nämlich YS 1 23-29, wo die eigentliche Gotteslehre der YS behandelt wird und YS II 32 und 45, wo die,,hingebende Betrachtung" Gottes unter die Niyamas eingeordnet und die Verwirklichung der Versenkung auf die,,hingebende Betrachtung" Gottes zurückgeführt wird. Daraus folgt, daß die Lehre von Gott bei Abfassung der uns vorliegenden YS bereits in die Schule Eingang gefunden haben muß. Die,,hingebende Betrachtung" Gottes wird allerdings nur wahlweise als Mittel, die Versenkung zu erreichen, erwähnt (YS I 23) und nicht, wie man dies bei einem theistischen System erwarten würde, als einzige Möglichkeit. Außerdem ist Gott im Denksystem der YS offenbar nicht in sich, um seiner selbst willen von Belang, sondern nur als Mittel zur gnostisch-mystischen Versenkung, auf der allein die Möglichkeit der Befreiung" (mokṣaḥ) beruht. Schließlich ist Gott für die,,befreite" Seele überhaupt nicht mehr von Belang, die in ewiger Freiheit einer absoluten Isolierung in sich ruht (kaivalyam), ohne irgendwelche Beziehungen zu anderen geistigen Substanzen zu haben. Aus all diesen Eigenheiten muß geschlossen werden, daß die Gottesvorstellung nicht in diesem geistigen Milieu entstanden sein kann, sondern aus einem anderen Weltbild übernommen worden ist.Page Navigation
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