Book Title: Gott Urbild Der Emanzipierten Existenz Im Yoga Des Patanjali
Author(s): Gerhard Oberhammer
Publisher: Gerhard Oberhammer
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ GOTT, URBILD DER EMANZIPIERTEN EXISTENZ IM YOGA DES PATANJALI Von G. R. F. Oberhammer, Utrecht Die Möglichkeitsbedingungen einer philosophischen Gotteslehre sind einerseits die aus dem existenziellen Vollzug stammende Gottesidee als ihre immanente Form, und andererseits der aus der methodischen Reflexion stammende Begriffsapparat, welcher die Verwirklichung dieser Gotteslehre in ihrer historischen Konkretheit bedingt. Beide Bedingungen müssen nicht notwendig demselben geistigen Milieu entstammen, sondern es kann das philosophische Begriffssystem ohne Bezug zur Existenz Gottes entwickelt sein und plötzlich aus historischexistenziellen Gründen mit dieser konfrontiert werden und nun genötigt sein, diese mit den ihm eigenen Möglichkeiten auszudrücken und zu entfalten. Bei diesem Vorgang ist von vornherein zu erwarten, daß entweder das Begriffssystem eine Veränderung erfährt, oder aber die Gottesidee, durch das Medium dieses Begriffssystems gebrochen, in seinem Lichte eine spezifische Ausformung erhält1. In beispielhafter Weise ist dies bei der Gotteslehre des Yoga des Patanjali in Indien der Fall, der hinsichtlich der philosophisch-spekulativen Lehren grundsätzlich der atheistischen Philosophie der spekulativen Samkhya-Schule (bedeutendster Vertreter Vrsagana um 300 n. Chr.) verhaftet ist, die die Vorstellung eines einzigen, höchsten Wesens jedoch von anderen Kreisen übernommen hat. Bei diesem Yoga handelt es sich hinsichtlich seines Wesens um einen Weg zum Absoluten als Möglichkeit des menschlichen Geistes. In konkrethistorischer Form erscheint er als System aszetischer und meditativer Übungen, das nach der Selbstinterpretation dieses Yoga zur direkten Erfahrung der ,,absoluten" Geistnatur (citiçaktiḥ purusaḥ) des Menschen und damit zur ,,Emanzipation" des menschlichen Geistes führen soll. Mit ,,Emanzipation" kann in historisch nicht ganz authentischer Verwendung des Wortes zunächst die Erlangung des existenziellen Wissens des Menschen von seiner,,a-kosmischen", Geburt, Leid und Tod nicht unterworfenen Seinsweise und dann im eigentlichen Sinne diese Seinsweise selbst (kaivalyam) gemeint sein, die im Augenblick ihrer Erkenntnis nicht mehr nur ,,an sich" gegeben, sondern auch existenziell subjek 1 Damit wird nicht einem Relativismus der natürlichen Gotteserkenntnis das Wort geredet die Frage nach Wahrheit oder Nichtwahrheit der betreffenden Gotteslehre wird in diesem Rahmen nicht gestellt sondern lediglich das historische Faktum verschieden ausgeformter philosophischer Gotteslehren gedeutet. 2 Die Lehre von Gott erscheint in den Yoga-Sutren (abgekürzt: YS), dem ältesten uns erhaltenen Text dieser Yoga-Richtung, die eine Schule des Samkhya ist, an mehreren Stellen, nämlich YS 1 23-29, wo die eigentliche Gotteslehre der YS behandelt wird und YS II 32 und 45, wo die,,hingebende Betrachtung" Gottes unter die Niyamas eingeordnet und die Verwirklichung der Versenkung auf die,,hingebende Betrachtung" Gottes zurückgeführt wird. Daraus folgt, daß die Lehre von Gott bei Abfassung der uns vorliegenden YS bereits in die Schule Eingang gefunden haben muß. Die,,hingebende Betrachtung" Gottes wird allerdings nur wahlweise als Mittel, die Versenkung zu erreichen, erwähnt (YS I 23) und nicht, wie man dies bei einem theistischen System erwarten würde, als einzige Möglichkeit. Außerdem ist Gott im Denksystem der YS offenbar nicht in sich, um seiner selbst willen von Belang, sondern nur als Mittel zur gnostisch-mystischen Versenkung, auf der allein die Möglichkeit der Befreiung" (mokṣaḥ) beruht. Schließlich ist Gott für die,,befreite" Seele überhaupt nicht mehr von Belang, die in ewiger Freiheit einer absoluten Isolierung in sich ruht (kaivalyam), ohne irgendwelche Beziehungen zu anderen geistigen Substanzen zu haben. Aus all diesen Eigenheiten muß geschlossen werden, daß die Gottesvorstellung nicht in diesem geistigen Milieu entstanden sein kann, sondern aus einem anderen Weltbild übernommen worden ist. Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 198 G. Oberhammer tiv verwirklicht ist. Prüft man diese Selbstinterpretation des Yoga auf ihren objektiven Gehalt, so gewinnt man die Überzeugung, daß es sich bei ihm um eine bestimmte Form der „Seinsmystik" handelt und daß die Lehre von der „Emanzipation" eine falsche metaphysische Deutung der „mystischen" Erfahrung ist. Diese beiden Gedanken müssen, wenigstens in ihrem grundsätzlichen Ansatz, als notwendige Voraussetzung der vorliegenden Untersuchung ausgelegt werden. Eine kurze Darstellung der wesentlichen Struktur der yogischen Versenkung läßt deutlich erkennen, in welchem Sinne hier von einer ,, Seinsmystik” gesprochen werden kann, und zwar sowohl vom Objekt dieser „Mystik" aus gesehen, wie von der Art der in ihr gegebenen Erkenntnis: „Jene Versenkung (yogah = samadhih), die, wenn das Denkorgan (cetaḥ) punktförmig (ekágram) ist, den Gegenstand erleuchtet, die Befleckungen (kleçah) zerstört, die Bindungen der Werke löst und die Unterdrückung (nirodhah) [aller psychischen Vorgänge ] einleitet, wird die mit Erkenntnis versehene' (sam prajnatah) genannt. Diese ist begleitet von Vitarka (Erwägung), Vicara (Reflexion), Ananda (Wonne) und Asmita (Ich-heit) .........." „Vitarka ist das grobe Genießen (abhogah) eines Erkenntnisgegenstandes (cittasya alambane). Vicara ist das verfeinerte (Genießen), Ananda ist Freude und Asmita ist ,Einheit-Bewußtsein' (ekâtmika samvit). Hierin (nämlich in der mit Erkenntnis versehenen Versenkung) ist die erste [Stufe der] Versenkung, welche von [allen diesen] vieren begleitet ist, die mit Vitarka versehene; die zweite, welcher [von diesen vieren der Vitarka fehlt, ist die mit Vicara versehene; die dritte, welcher [von den verbliebenen dreien] der Vicara fehlt, ist die mit Ananda versehene; die vierte, welcher. [von den verbliebenen zweien) der Ananda fehlt, ist reine Ich-heit' (asmita). Alle diese [Stufen der mit Erkenntnis versehenen] Versenkung stützen sich auf einen Gegenstand (salambanah) ....... Die ,erkenntnislose Versenkung' (aprajnataḥ samadhih) besteht im Verbleiben der Dispositionen [einer empirischen Existenz] (samskáraçeşah) und im Stillgelegt-Sein (nirodhah) des Denkorgans (cittam), wenn alle psychischen Vorgänge zur Ruhe gekommen sind. Das Mittel zu ihrer Erlangung ist vollkommene Enthaltung (param vairâgyam). Denn die ,Bemühung um Beständigkeit' (abhyasah) kann, sofern diese auf einen Gegenstand gestützt ist, nicht als für deren Verwirklichung [geeignet] betrachtet werden; und so wird [der Bemühung um Beständigkeit] die , Erlöschungsvorstellung' (viramapratyayah) als Stütze zugrunde gelegt, welche nicht auf Reales gerichtet ist. Diese ist gegenstandsleer (arthaçúnyah). Das Denkorgan nun, welches durch eine derartige Bemühung um Beständigkeit' konditioniert ist, hat keinen Gegenstand als Stütze und wird gleichsam nicht-existent. Dies ist dann die erkenntnislose Versenkung ohne Keim."5 „Welches ist nun, da das Denkorgan in diesem Zustand kein eigenes Objekt besitzt, die Seinsweise (svabhavah) des Geistes, der das erkennende Subjekt des Denkorgans ist ? – Die Erkenntniskraft (citiçaktih) west wie im Zustand der Emanzipation (yatha kaivalye) in ihrer eigenen Form (svarûpapratistha). Ist aber das Denkorgan wieder rege geworden, dann ist sie, obwohl [an sich] so seiend, nicht so." 3 Vgl. S. 198f. und Anm. 8 dieses Aufsatzes. 4 Diese Darstellung ist dem Kommentar des Vyasa zu den Yogasutren p. 8, 2-5 entnommen. Ich zitiere diesen Kommentar nach: Patañjala-YogasutraBhasya-Vivaranam of Sankara-Bhagavatpada. Crit. ed. with Introduction by Polakam Sri Rama Sastri and S. R. Krishnamurti Sastri (Madras Government Oriental Series 94), Madras 1952. Im Folgenden abgekürzt YBh. 5 YBh 47, 4-49, 6. 6 YBh 13, 2-8. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjali 199 Sieht man von den nur für den Philosophie-Historiker bedeutsamen technischen Details ab, so enthüllt sich eine sehr deutliche und folgerichtige Struktur der geistigen Bewegung, welche durch die verschiedenen Stufen der Versenkung zur Erfahrung des emanzipierten Seins des Geistes führt: Alles, was Bewußtseinsinhalt und nicht nur reines Bewußtsein ist, muß systematisch ausgeschaltet werden, bis schließlich auf der vierten Stufe der ,,mit Erkenntnis versehenen Versenkung" lediglich die ,,Ich-heit", das ,,Einheit-Bewußtsein" als Gegenstand der Erfahrung bleibt. In der ,,erkenntnislosen Versenkung" besteht hingegen der entscheidende Schritt gerade darin, auch dieses ,,Einheit-Bewußtsein", mit anderen Worten das Erkenntnissubjekt als Inhalt des meditierenden Bewußtseins auszuschalten, insofern auch dieses „Einheit-Bewußtsein" noch Inhalt des Bewußtseins ist. Im Zustand der „erkenntnislosen Versenkung ohne Keim" ist gleichsam das Denken, jedes begrifflich-gegenständliche Erkennen geschwunden, geblieben ist allein der Geist, der in seiner eigenen Seinsform west". Gerade diese letzte Bemerkung des Textes ist aber philosophische Interpretation. Tatsächlich scheint der Meditierende in dieser höchsten Versenkungsstufe etwas zu erfahren, das grundsätzlich nicht Inhalt seines Erkennns ewerden kann - könnte es dies nämlich, so müßte es der Meditierende ebenfalls zum Schwinden bringen - und das daher überhaupt nicht mehr als etwas Bestimmtes erfahren werden, sondern außerhalb der Versenkung nur in der philosophischen Reflexion als notwendiger Möglichkeitsgrund des Erkennens erschlossen werden kann. Direkt kann dieses , Quasi-Etwas "niemals erfahren werden, es sei denn durch das Ausschalten jedes Bewußtseinsinhaltes einschließlich der Subjekts. erfahrung Damit scheint sich aber das in der yogischen Versenkung erfahrene ,,Objekt" als das Sein zu enthüllen, welches der a priorische Horizont ist, auf den das menschliche Erkennen in jeder Erkenntnis transzendiert. Bei der Erfahrung dieses ,,Objektes" aber scheint es sich, sofern dieses ,,Objekt" grundsätzlich nicht in einem begrifflich-gegenständlichen Erkenntnisakt erfaßt werden kann, sondern nur in einem ungegenständlichen „Bewußt-Sein" (svarûpapratistha citiçaktih) gegenwärtig ist, um das Thematisch-Werden der den Geist konstituierenden Transzendenz auf das Sein zu handeln, welche im gewöhnlichen Erkenntnisakt nur unthematisch erfahren wird. Der Vorgang der ,,erkenntnislosen Versenkung" kann daher am besten als „Seinsmystik" bezeichnet werden, sofern nämlich in ihr nicht der persönliche Gott erfahren wird, sondern das personal unbestimmte „Sein", und sofern die Erfahrung selbst noch kein gnadenhaftes Geschehen bedeutet, sondern eine natürliche Möglichkeit des menschlichen Geistes zu sein scheint. Diese Seinsmystik" wird historisch im Patañjala-Yoga zum Mittel der ,,Emanzipation" des menschlichen Geistes, da das in der Versenkung erfahrene Sein in einer philosophisch ungenauen Interpretation mit der Geistnatur des Menschen identifiziert wird und diese daher als wesentlich ,,a-kosmisch" und ewig unveränderlich verstanden wird. Daß die ,,Emanzipation" tatsächlich nach dem Modell der ,,erkenntnislosen Versenkung ohne Keim" vorgestellt wurde, geht deutlich aus der Darstellung dieser ,,Emanzipation" (kaivalyam) hervor, die ganz analog zur ,,erkenntnislosen Versenkung" geboten wird. Dieser Ansatz 7 Vgl. K. Rahner: Das Dynamische in der Kirche (Quaestiones Disputatae 5) Freiburg 1958, 126 ff; besonders Anm. 48 sowie Ders., Hörer des Wortes München 21963, besonders 91 ff. 8,,Wenn das Sattva d'es Denkens frei von der Unreinheit des Rajas und Tamas und nur noch Erkennen des vom Geist Verschiedenseins ist und der Keim seiner [des Denkens] Befleckungen (kleçãh) verbrannt ist, dann hat es gleichsam die Reinheit (cuddhisar û pyam) des Geistes erlangt, und tritt für den Geist der Wegfall des fauf ihn] übertragenen Genießens ein, d. h. seine Reinheit. In diesem Zustand tritt für den Yogin] ...... die Emanzipation (kaivalyam) ein ....... Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 200 G. Oberhammer dürfte, wenngleich mit Verschiedenheit der Methode, dem Wesen nach auch für die spekulative atheistische Samkhya-Schule gelten, deren Begriffsapparat der Yoga des Patañjali bei seinen philosophischen Deutungen verwendet. In dieses Milieu der Seinsmystik", in der ein echter Gottesbegriff und eine damit verbundene Religiosität wegen des Absolutheitscharakters des Geistbegriffes im rein theoretischen Vollzug nicht möglich war, wurde in einem bestimmten historischen Zeitpunkt die Gottesvorstellung eingefügt. Dabei erfuhr diese Vorstellung eine entscheidende Umformung, indem sie der ,, Seinsmystik" untergeordnet und dienstbar gemacht wurde. So wurde dieser Yoga zwar ,,theistisch" doch fehlte seiner Gottesvorstellung jene Dynamik, die der Gottesvorstellung anderer theistischer Schulen infolge der Auffassung Gottes als Urheber der Welt eigen ist 10. Der Gott des Yoga ist in seltsamer ,,Welt-Entzogenheit" zwar allwissender ,,Lehrer", letztlich aber doch unaffizierbarer, zu jedem Handeln unfähiger Geist, wie es eben dem Geistbegriff des Samkhya entspricht". Infolge der Erkenntnis schwindet das Nicht-Erkennen (adarçanam = avidya); ist dieses geschwunden, so gibt es auch die anderen Befleckungen nicht mehr. Wegen des Fehlens der Befleckungen fehlt das Reifen der Werke (karma) und in diesem Zustand begegnen die Gunas, deren Aufgabe erfüllt ist, nicht mehr dem Blick des Geistes. Dies ist die Emanzipation (kaivalyam) des Geistes. Dann hat dieser allein noch sein eigenes Wesen zum Licht (svarú památrajyotih), dann ist er fleckenlos und emanzipiert. "(YBh p. 315, 10 -- 316, 6) -- ,,Es wurde gesagt, daß die Emanzipation eintritt, wenn die Aufgabe der Gunas erfüllt ist. Nun bestimmt er (nämlich der Autor der Yogasutren] deren Wesen: , Emanzipation ist das Sich-Zurückziehen prati prasavah) der Gunas, die nicht mehr dem Zweck des Menschen dienen, oder die Erkenntniskraft (citiçaktih) sofern sie in ihrer eigenen Form gegeben ist'. -- Das Sich-Zurückziehen der Gunas, aus denen Körper und psychischer Apparat bestehen und die, wenn sie Genießen und Befreien [des Geistes bewirkt haben, nicht mehr dem Zweck dieses Geistes dienen, ist die Emanzipation. Andererseits ist sie die Erkenntniskraft des Geistes, sofern sie in ihrer eigenen Form gegeben und nicht mehr bezogen ist auf das Sattva des Denkens (buddhisattvanabhisambandhini) und in sich allein west, (kevalá). Das beständig in dieser Seinsweise Bleiben ist ihre Emanzipation." (YBh 368, 7 - 369, 5) Vgl. auch S. 199 f. und Anm. 11 dieses Aufsatzes. Dies bedeutet freilich nicht, daß der Yogin im existenziellen Vollzug seines Lebens nicht eine echte Beziehung zu Gott gekannt und gelebt hat. Diese Beziehung ist jedoch im Patañjala-Yoga niemals Gottesliebe als letzte Erfüllung des menschlichen Daseins, sondern immer nur transitorisches Moment der empirischen Existenz, welches vielleicht als gnadenhafte Hilfe erlebtes Mittel ist, die liebefreie und absolute Emanzipation des Geistes zu erreichen. 10 Vgl. G. Oberhammer: Zum Problem des Gottesbeweises in der Indischen Philosophie. Erscheint in Numen, wahrscheinlich Vol. XI (1964). 11 „Gott der Herr ist jene besondere Seele (purusah), welche unberührt ist von Befleckungen, den Werken, ihrer Reifung und den Dispositionen dazu. In ihm ist der Same der Allwissenheit ohnegleichen (niratiçayah). Er ist Lehrer (guruh) auch der Früheren, weil er nicht durch die Zeit bestimmt ist" (YSI 23-26). - Soweit die wenigen Sätze, in denen die Gotteslehre der YS enthalten ist. Für die Interpretation entscheidend ist der Gebrauch eindeutiger Samkhya- und YogaBegriffe. Schon der Begriff des purusah, durch den das Sein Gottes definiert wird, enthält die ganze Metaphysik des Geistes, wie er vom Samkhya verstanden wurde. Nach Samkhya-Lehre ist der purusah eine ewige, geistige Monade" (kevalin), die reines Bewußtsein (drasta) ist, das nicht affiziert werden kann und auch selbst in keiner Weise wirken kann (akarta). Ihre „historische" Existenz als wandernde Seele (samsári) ist bedingt durch einen anfanglosen ,metaphysischen" Irrtum - ,,metaphysisch" in dem Sinne, daß er nicht mit dem in der empirischen Existenz möglichen Irrtum identisch ist, sondern metaphysischer Grund der empirischen Existenz ist –, durch den sie das sich ständige Wandeln der gleichfalls ewigen aber ungeistigen Urmaterie prakrtih) auf sich selbst bezieht und somit in dem ,,metaphysischen Wahn befangen ist, selbst dem Wandel Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjali 201 Erst in Vyasa's Kommentar zu den YS erscheinen andere Aussagen von Gott, welche der Gotteslehre des Yoga neue Aspekte hinzufügen, jedoch den von den YS geprägten Charakter dieser Lehre nicht verändern, sondern ihn eher akzentuieren. Aufgabe dieses Aufsatzes ist es, diese Gotteslehre des Patañjala-Yoga in ihrer typischen Erscheinung herauszuarbeiten und so einen Beitrag zur philosophisch-historischen Phänomenologie der Gottesidee zu leisten 13. In YS I 23 ist Gott in seinem Sein als eine ,, besondere Seele" definiert, wobei für „Seele" der Samkhya-Terminus purusaḥ verwendet wird 18. Durch die Anwendung dieses Begriffes auf das Sein Gottes ist jedoch ipso facto eine merkwürdige Spannung in die philosophische Gotteslehre des Yoga hineingetragen. Ihrem Wesen nach enthält die Gottesidee jene Dynamik, wie sie jedem existenziellen Gottesbegriff eigen sein dürfte, während sie in der Interpretation durch den samkhyistischen Begriff des purusaḥ als statisches, nicht wirkendes Bewußtsein erscheint. Um nun diese Spannung thematisch zu machen und als verborgene Ursache der spezifischen Züge der Gotteslehre des Yoga zu zeigen, mag ein zunächst unbedeutsam erscheinender Text aus Vyasa's Kommentar zur Sprache kommen: „Hat er (nämlich Gott) dann den Zustand der Emanzipation (kaivalyam) erreicht ? - Emanzipierte Seelen (kevalinah) gibt es viele, (doch) diese haben den Zustand der Emanzipation nach Sprengung der drei Bindungen erreicht. Eine solche Bindung war Gott dem Herrn aber nicht eigen, noch wird sie ihm je eigen sein. Nicht in gleicher Weise, wie man von unzähligen früheren Bindungen eines Befreiten (muktah) weiß, (weiß man es auch) von Gott dem Herrn ... Vielmehr ist dieser immer befreit (muktah), ist er immer der Herr."15 Aus diesem Text ergibt sich zunächst, daß der auf Gott angewandte Begriff des purusah in seiner schulgebundenen Auffassung zu verstehen ist - anderenfalls hätte der Einwand, daß nach der Sutren-Definition Gottes dieser von den Seelen im Zustand ihrer Emanzipation nicht unterschieden sei, keinen Sinn-, und daß zweitens tatsächlich das Sein Gottes in seiner ontologischen Struktur nicht vom Sein einer Seele unterschieden zu denken ist. Der vom Kommentator formulierte Unterschied ist kein ontologischer, sondern ein existenzieller, insofern Gott in seiner Existenz niemals Raum und Zeit, d. h. dem Spiel der Materie, unterworfen war, während eine Seele nur durch die raumzeitliche Existenz als und dem Wirken unterworfen zu sein. (Vgl. S. 202f.) Die ,,Erlösung" geschieht durch die rationale Analyse der empirischen Existenz, verbunden mit einer dadurch ermöglichten ,mystischen" Seinserfahrung (letztere vor allem im Yoga), wodurch sich die Erkenntnis und existenzielle Gewißheit ergibt, daß das Sein der Geistseele (purusah) in absolutem, unwandelbarem Bewußtsein besteht, das sich selbst genügt. Dieser Zustand wird im vorliegenden Aufsatz ,,Emanzipation" oder „Emanzipiertsein" genannt. - Wenn daher die YS Gott durch den Begriff des purusaḥ definieren, dann ist damit gesagt, daß auch die Vorstellung vom Sein Gottes im wesentlichen jener des Seins der Geistseele im allgemeinen gleicht. Dadurch ist aber a priori vom Gottesbegriff die Vorstellung des Weltschöpfers und des wirkenden Gottes ausgeschlossen. Die Ys bestimmen daher Gott auch nicht als Schöpfer, sondern als allwissenden Lehrer, und schließen von seinem Sein jede Bestimmung aus, die auf eine ,,wandernde" Seele zutrifft, also alle jene Bestimmungen, welche mit dem werk-immanenten Vergeltungsmechanismus (karma) gegeben sind. 12 Die vorliegende Interpretation läßt prinzipiell die späteren Kommentare, die nicht mehr der lebendigen Schule des Patañjala-Yoga angehören, unberücksichtigt und stützt sich ausschließlich auf die beiden einzigen uns erhaltenen Werke der Schule, nämlich die Ys und den Kommentar des Vyasa zu den YB. 13 Vgl. Anm. 11. 14 Es handelt sich hier um die Samkhya-Lehre von der Bindung durch die Urmaterie, die Bindung durch die Umwandlungen der Urmaterie und die Bindung durch den Opferlohn. Vgl. Yuktidipika 150f. 15 Y Bh 54. 5 Zeitschrift für kath. Tbeologie, 86. Jahrg. 1964 Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 202 G. Oberhammer „wandernde Seele" zu der ihr seinsmäßig zukommenden emanzipierten Existenz gelangen kann. Soweit hatte Vyasa's Kommentar lediglich die Auffassung von YS I, 24 ,,Gott der Herr ist jene besondere Seele, welche unberührt ist von den Befleckungen, den Werken, ihrer Reifung und den Dispositionen dazu", konsequent zu Ende gedacht, indem er die Unklarheit des Sutram über die Art der Sonderstellung Gottes beseitigt und eindeutig die ontologische Struktur Gottes mit jener der anderen Seelen gleichgesetzt hatte. Dadurch war er aber gezwungen, näher zu bestimmen, worin dann der Unterschied zwischen Gott und Seelen besteht. Tatsächlich schließen sich an diese Frage die vielleicht interessantesten Ausführungen des Kommentators: „Hat diese wegen des Ihm-(nämlich Gott)-zugeordnet-Seins (upad anam) von übermächtigem Sattvam unwandelbare Erhabenheit (utkarsaḥ) Gottes des Herrn eine Ursache oder nicht ? - (Ja,) das Wissen (çastram) ist ihre Ursache. - Was wiederum hat das Wissen zur Ursache? - Das Wissen (Gottes) hat übermächtiges Sattvam zur Ursache. Diese beiden, welche vom Sattvam Gottes des Herrn abhängen, sind anfanglos (mit einander verbunden. Darum ist es, daß er immer der Herr ist, daß er immer befreit (muktah) ist."'16 Zur Interpretation des in diesem Abschnitt entscheidenden Sattva-Begriffes müssen einige Grundlehren des Samkhya-Systems erwähnt werden. Im klassischen spekulativen Samkhya steht den vielen unwandelbaren Geistseelen (purusah) eine einzige doch aktive und ewige Urmaterie (prakrtih) gegenüber. Diese beiden Prinzipien sind die einzigen Realprinzipien der Samkhya-Metaphysik. Die Welt der „geistigen" und „ungeistigen" Phänomene ist nichts anderes als die sich ständig wandelnde Urmaterie. Durch die Spiegelung dieser Phänomene, genauer dieser Umwandlungen der Urmaterie, im reinen Bewußtsein der Seele, welche Phänomene die Seele fälschlich als ihr zugehörig 'betrachtet, ergibt sich die ,,raum-zeitliche Existenz" der, wandernden" Seele. In Wirklichkeit ist aber diese „raum-zeitliche Existenz" der ,,wandernden" Seele lediglich die sich unabhängig vom Bewußtsein der Seele wandelnde Materie. Existenzielle Aufgabe des Menschen (=wandernde Seele) ist es, durch die rationale Analyse dieser „raum-zeitlichen Existenz" zur Erkenntnis zu gelangen, daß diese wohl in sich real ist, daß sie aber nicht der sie in der Spiegelung des eigenen Bewußtseins auf sich beziehenden Geistseele zukommt, mit anderen Worten, zu erkennen, daß allein die Urmaterie sich zur „raum-zeitlichen Existenz" einer wandernden Seele wandelt und sich schließlich selbst zum Wohle der von ihr im Banne gehaltenen Geistseele durch sich selbst als nicht zu dieser Seele gehörig 16 YBh 56. 17 Daß hier an den samkhyistischen Begriff des sattvam zu denken ist und nicht an den Begriff des ,, Seins” (Grundbedeutung von sat-tvam) wird durch den Kontext, welcher auch sonst Samkhya-Termini verwendet, nahegelegt. Außerdem würde man erwarten, daß sattvam, wenn es in der Bedeutung ,,Sein” verwendet wäre, direkt als Grund für die Erhabenheit Gottes angeführt und nicht das Wissen als dieser Grund erwähnt wäre, während bei Annahme, daß es sich um den Samkhya-Begriff handelt, das Sattvam tatsächlich Ursache des Wissens sein müßte und daher das Wissen völlig systemgerecht die Erhabenheit Gottes begründen würde. Zusätzlich wurde oben deutlich, daß Gott und emanzipierte Seelen im Sein gerade nicht unterschieden sind, und daher sattvam im Sinne von ,, Sein" eben nicht der Grund für Gottes Erhabenheit sein könnte. Schließlich wäre der Begriff des „übermächtigen Sattvam", falls sattvam als ,, Sein" wiederzugeben wäre, ein völlig systemfremder Begriff, während die Vorstellung vom Vorherrschen (prakar sah) der verschiedenen Konstituenten der Urmaterie selbstverständliche Lehre des Systems ist. Vgl. z. B. Yuktidipika 112 ff. Tatsächlich versteht auch der Kommentar des Sankara sattvam im Sinne des SamkhyaTerminus, wodurch die hier vertretene Interpretation durch einen indischen Kommentator bestätigt wird. Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjali 203 enthüllt und diese Seele freigibt, so daß diese Seele nunmehr vom Wahn des ,,metaphysischen" Nichtwissens befreit in ihrer ursprünglichen Existenz als in sich ruhendes, nicht handelndes und ewiges Bewußtsein west. Um nun den verschiedenen Charakter der jeweiligen Phänomene dieser ,,raum-zeitlichen Existenz" metaphysisch begründen zu können, wurde die Urmaterie nicht als eine homogene Realität, sondern als in sich strukturiert vorgestellt, indem man lehrte, daß die Urmaterie aus drei Konstituenten (gunaḥ), nämlich Sattvam (Güte), Rajas (Leidenschaft) und Tamas (Dunkelheit) bestünde. Das in unendlich vielen Variationen mögliche sich gegenseitig Unterdrücken dieser Konstituenten bedingt die verschiedenen Umwandlungen der Urmaterie. So wurde alles, was leicht, angenehm und erkennend ist, um nur einige Phänomene zu nennen, auf das Sattvam als Ursache zurückgeführt, alles Schwere, Träge und Unbewußte auf das Tamas und alle Bewegung und Leidenschaft sowie jede Kraft auf das Rajas. Wenn daher der Kommentator in Zusammenhang mit Gott, der als Geistseele (purusaḥ) definiert ist, von einem,,übermächtigen Sattvam" spricht, dann kann damit nur gemeint sein, daß dieser göttlichen Geistseele wie einer gewöhnlichen Seele ein,,materielles Pendant" zukommt, nur daß dieses ,,Pendant" im Falle Gottes ausschließlich aus Sattvam besteht. Dieses sattvahafte,,Pendant" wäre dann nach dem Zeugnis des Kommentars Ursache des Denkens und Erkennens Gottes und, so müssen wir hinzusetzen, Substrat aller Attribute, welche einer Geistseele im Denken des Samkhya nicht zukommen können18. Die spezielle Erhabenheit Gottes würde weiters darin bestehen, daß Gott wegen seines,,übermächtigen Sattvam" anfanglos jedes Wissen eigen ist, daß in ihm,,der Same der Allwissenheit ohnegleichen ist", wie es YS I, 25 heißt. In dieser anfanglosen Allwissenheit liegt aber eingeschlossen, daß Gott auch anfanglos das Wesen der ihm zugeordneten Materie (= Sattvam) erkannt hat, sie daher von Anfang an nicht mit seiner geistigen Existenz identifizierte und daher im Gegensatz zu den,,wandernden" Seelen niemals in ihrem Banne stand, anfanglos,,befreit" und,,emanzipiert" (kevalin) ist.,,Und darum ist es, daß er immer der Herr ist, daß er immer befreit (muktaḥ) ist." Hier zeigt sich deutlich jene Spannung zwischen existenzieller Gottesidee und reflexem Begriffssystem, von der eingangs die Rede war. Wenn nämlich Gott von Ewigkeit her das Wissen um sein Emanzipiertsein besitzt, warum kommt ihm dann überhaupt ein,,materielles Pendant", sei es auch aus reinem Sattvam, zu? Denn im Denken des Samkhya und des Patañjala-Yoga ist der einzige Zweck der Entfaltung der Urmaterie der, den,,wandernden" Seelen zur Erkenntnis ihres Emanzipiertseins und damit zur Befreiung zu verhelfen. Ist diese Erkenntnis einmal eingetreten, so zieht sich die Urmaterie von der betreffenden Seele zurück und entfaltet sich für diese Seele nie mehr. Es ist offenkundig, daß sich hier die Idee eines allwissenden, höchsten Wesens gegen das Begriffssystem des samkhyistischen Yoga durchsetzt und es zwingt systemfremde Vorstellungen mit Hilfe des Systems auszudrücken. Da der Begriff des geistigen Seins, wie ihn das System entwickelt hatte, jede Veränderung, jedes Wirken und Wissen ausschloß, mußte man Gott, der sich nur durch den Geistbegriff definieren ließ, im Sinne des Systems ein,,materielles Pendant" zuschreiben, welches Träger der in der Gottesvorstellung enthaltenen Allwissenheit etc. sein konnte1. So wie im Falle 50 18 In Yoga-Terminologie müßte man es ein göttliches cittam (Denkorgan) nennen. 19 Man muß wohl annehmen, daß in dieses,,materielle Pendant" auch andere Bestimmungen Gottes verlegt wurden, so zum Beispiel das Wirken Gottes, welches ursprünglich, vor Aufnahme in das System der YS, ebenso in der Gottesvorstellung enthalten gewesen sein dürfte wie die Allwissenheit. Im Anschluß an die Samkhya-Lehre von den acht Zuständen des Erkenntnisorgans (bháváḥ) Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 204 G. Oberhammer der,,wandernden" Seelen alles den Phänomenen verhaftete Geschehen in der Materie vor sich ging, so mußte dies auch im Falle Gottes sein. Doch wegen der Erhabenheit Gottes und wegen seiner Allwissenheit mußte man annehmen, daß er nie im Banne der Urmaterie gestanden war. Damit war man aber genötigt, den im Samkhya-Denken postulierten, der Materie immanenten finalen Dynamismus im Falle Gottes aufzugeben. Um diesen Vorgang in seiner historischen Struktur näher zu beleuchten, mag eine Bemerkung des Kommentators zu YS I 25 erwähnt werden, welche ein interessantes Detail enthüllt: ,,Indem er (nämlich Gott) für sich keiner Gunst bedarf, ist es seine Absicht den Wesen zu helfen: ,Durch Unterweisen in Wissen und Pflicht (dharmaḥ) will ich die wandernden (Seelen) zur Zeit der (wiederkehrenden) Vernichtung der Welt erretten.' In diesem Sinne heißt es: ,Indem der Urwissende (ádividván) ein (ad hoc) geschaffenes Erkenntnisorgan annahm (nirmânacittam adhisthâya), lehrte er, der Erhabene, der große Seher20, dem Asuri, der (die Befreiung) zu wissen begehrte, aus Mitleid das Lehrsystem (des Samkhya)'."21 Bemerkenswerterweise findet sich hier innerhalb des Samkhya, um das es sich bei dem vom Kommentator zitierten Text handelt, die Vorstellung, daß eine Geistseele, die bereits im Besitz des Wissens um ihr Emanzipiertsein ist und daher für die eigene Befreiung nicht mehr der Materie bedarf, doch ein Erkenntnisorgan und selbst einen Körper annehmen kann, um das befreiende Wissen anderen, noch,,wandernden" Seelen zu vermitteln. Diese typologisch deutliche Parallele zwischen dem Urwissenden, Kapila, und dem Gott des Patañjala-Yoga läßt sich noch vertiefen. In der Yuktidîpikâ, einem zeitlich etwas nach dem Kommentar des Vyasa entstandenen Samkhyawerk, wird eine Definition des auf Kapila angewandten Begriffes,,großer Seher" gegeben: ,,Derjenige, dessen Körper und psychische Organe Sattvam zur Materie haben, ist der große Seher' (maharsiḥ), derjenige, (dessen Körper und psychische Or drückte das Yogabhasyam die Wirkkraft Gottes durch den Terminus der,,Herrscherlichkeit" (aiçvaryam) aus. Zwar kennen auch die YS den Begriff der Herrscherlichkeit und zwar als eine der Vollkommenheiten eines Yogin (vgl. YS III, 45). Doch glaube ich, daß es sich bei der,,Herrscherlichkeit" Gottes eher um den,,Herrscherlichkeits"-Begriff der Bhava-Lehre des Samkhya handelt. Als Grund dafür möchte ich angeben, daß es sich im Falle von Gottes,,Herrscherlichkeit" nicht eigentlich um eine Vollkommenheit (siddhiḥ) im Sinne des Yoga handelt, sondern um eine Gott zukommende psychische Eigenschaft. Außerdem findet sich der Einfluß der samkhyistischen Bhava-Lehre auch in den Frühstufen anderer Gotteslehren (Paksilasvamin, Uddyotakara, Prasastapada etc.), wo sie wohl nur aus der Gotteslehre des Yoga eingedrungen sein kann. Doch harrt diese Frage noch einer historisch exakten Lösung. Der Umstand, daß Gott erst in Vyasa's Kommentar die,,Herrscherlichkeit" als Ausdruck seiner Macht zugeschrieben wird, scheint ein Zeichen dafür zu sein, daß die Formkraft der ursprünglichen Gottesidee erst langsam im Samkhya-Denken des PatanjalaYoga zum Durchbruch kommt. Das gleiche zeigt sich auch darin, daß die kosmologische Stellung Gottes als Weltschöpfer und Weltenherrscher ebenfalls erst bei diesem Kommentar einen gewissen Ausdruck findet, indem Gott infolge seiner ,,Herrscherlichkeit", welche in ihm das ,,höchstmögliche Maß erreicht hat" (vgl. YBh 56), zum Garant der kosmologischen Ordnung wird, insofern Gott es verhindert, daß ein Yogin, der ebenfalls die Vollkommenheit der ,,Herrscherlichkeit" erlangt hätte, die Kategorien verkehren könnte (vgl. YBh 302). Der Begriff des Weltschöpfers und der Begriff der kosmischen Schöpferkraft Gottes (çaktih) begegnet in der Gotteslehre des Patañjala-Yoga nicht. Offenbar war das Begriffssystem des Samkhya ein zu ungeeignetes Instrument, um diese Gedanken auszudrücken. 20 Kapila, der sagenhafte Gründer des Samkhya-Systems. 21 YBh 72. Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjali 205 gane) reich an Sattvam und Rajas sind, besitzt den Körper eines Mächtigen' (mahatmyaçarîrah 22.” Der „große Seher" das Samkhya stimmt also nicht nur darin mit dem Gott des Patañjala-Yoga überein, daß er „Urwissender" ist und ein „materielles Pendant" besitzt, um den ,wandernden" Seelen das befreiende Wissen zu vermitteln, sondern selbst in der kosmologischen Struktur dieses „materiellen Pendant", sofern dieses in beiden Fällen aus Sattvam besteht. Auf Grund dieser nur durch historische Abhängigkeit zu erklärenden Übereinstimmung muß geschlossen werden, daß der Patañjala-Yoga in dem „großen Seher" und dem ,,Urwissenden" des Samkhya 23 den Typus gefunden hatte, nach welchem die Gottesvorstellung im System seiner Begriffe ausgelegt werden konnte. Denn es ist undenkbar, daß der Yoga zuerst die Idee Gottes in dieser Art konzipiert hätte und das Samkhya in Anlehnung daran seine Vorstellung vom ,,Urwissenden". Bemerkenswert ist ferner in diesem Zusammenhang, daß das Urbild der Gottesidee den samkhyistischen Rahmen dieses Typus, wonach nämlich der sattvahafte Körper nur gelegentlich zur Vermittlung des befreienden Wissens angenommen wird, sprengt, indem aus diesem fakultativen „materiellen Pendant" ein faktisch ewiges Attribut Gottes wird24. Zeigte sich nun im Bisherigen das Spannungsfeld, in welchem die Gotteslehre des Patañjala-Yoga ausgelegt wurde, mehr unter dem Gesichtspunkt der formenden Kraft der ursprünglichen Gottesidee, so mag abschließend an einem Teilaspekt dieser Lehre gezeigt werden, wie das geistige Milieu des samkhyistischen Yoga, in welchem das Begriffssystem entstanden war, durch das die Gottesidee ausgedrückt werden mußte, die Verwirklichung dieser Gotteslehre in ihrem Typus geprägt hat. Der größere Zusammenhang, in dem die YS die Gotteslehre behandelt hatten, war die Erlangung der Versenkung (samadhih). Mit den Worten, ,,oder auf Grund der ,hingebenden Betrachtung' (pranidhanam) Gottes des Herrn (ergibt sich die Versenkung)", war die Betrachtung Gottes als ein weiteres Mittel, die Versenkung zu erlangen, eingeführt worden25. Daran anschließend war dann in drei kurzen Sätzen die Gotteslehre dargestellt worden, welche mit dem Satz, „das ihn (nämlich Gott) Ausdrückende ist der Om-Laut"26, mit der Praxis, den Om Laut zu rezitieren, in Verbindung gebracht wurde. Der Zweck davon war offen. bar darzustellen, inwiefern das ,, hingebende Betrachten Gottes des Herrn" Mittel zur Erlangung der Versenkung sein kann. Daraus wird deutlich, daß die „hingebende Betrachtung" Gottes in sich keinen besonderen Wert besitzt, wie man geneigt wäre, aus der gelegentlichen Bemerkung des Kommentators, daß diese eine besondere Art der ,,Verehrung" (bhaktih) sei28, zu erschließen. Die,,,hinge 22 Yuktidîpikâ crit. ed. by P. Chakravarti (Calcutta Sanskrit Séries 23), Cal. cutta 1938, 88. 23 Es scheint mir nicht unmöglich, daß das Samkhya-Mythologem von Kapila dem „Urwissenden", der aus Mitleid einen Körper annimmt, um die SamkhyaLehre zu verkünden, seinerseits nach dem Buddha-Bild des Mahayana-Buddhismus geschaffen ist. 24 Die faktische Ewigkeit dieses „Pendant" geht eindeutig aus der bereits zitierten Stelle hervor: „Diese beiden (Wissen und Erhabenheit), welche, vom Sattvam Gottes des Herrn abhängen, sind anfanglos (miteinander) verbunden. Darum ist es, daß er immer der Herr ist, daß er immer befreit ist." - Außerdem ist es nur unter Annahme der Ewigkeit des göttlichen Sattvam möglich, Gott seinsmäßig mit den anderen Geistseelen auf gleiche Stufe zu stellen und ihm durch anfangloses Wissen etc. doch von diesen zu unterscheiden. 25 YS I 23. 26 YS I 27. 27 YS I 28-29. 28 Y Bh 53. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 206 G. Oberhammer bende Betrachtung" Gottes hat für den samkhysistischen Yoga nur den Wert, daß sie zur Versenkung führt, ohne die es im Yoga keine Emanzipation, keine Befreiung gibt. Dies bestätigt sich durch die Tatsache, daß die Existenz Gottes für die emanzipierte, befreite Seele keine Bedeutung mehr besitzt. Denn der Zustand der Emanzipation (kaivalyam) ist als ein sich selbst genügendes in sich Ruhen des Geistes vorgestellt und man sieht nicht, wie in diesem Zustand eine Relation zwischen befreiter Seele und Gott noch möglich sein und welche Bedeutung ihr zukommen sollte. Wieso führt aber das „hingebende Betrachten" Gottes (içvarapranidhanam) zur Versenkung und dadurch zum Wissen vom Emanzipiertsein des Geistes ? Zwei kurze Abschnitte aus Vyasa's Kommentar vermögen diese Frage zu beantworten: „Durch ,hingebende Betrachtung ... günstig gestimmt, unterstützt Gott der Herr ihn (den Yogin) durch seine bloße Betrachtung. (Denn) auch auf Grund seiner Betrachtung ist die Erlangung der Versenkung (samadhilabhah) und die Frucht der Versenkung (samadhiphalam) dem Yogin näher."29 Soweit die deutende Paraphrase des Kommentars zu YS I 23. Bedeutsam ist hier die ausdrückliche Lehre, daß durch die „hingebende Betrachtung" Gottes dem Yogin sowohl die Versenkung wie die Frucht der Versenkung ermöglicht wird. Man wäre versucht, dies zunächst so zu deuten, als ob Gott dem Yogin durch eine. besondere Gnade (anugrahah) in seiner Bemühung um die freimachende Erkenntnis zu Hilfe kämeso. Tatsächlich deutet Vyasa's Kommentar zu den Sutren über die Rezitation des Om-Lautes den Sachverhalt in völlig anderer Weise: „Murmeln des Om-Lautes und Vergegenwärtigen (bhavanam) Gottes des Herrn, der durch den Om-Laut genannt wird. Dadurch entsteht für den Yogin, der den Om-Laut murmelt und sich den Gegenstand des Om-Lautes vergegenwärtigt, Punktförmigkeit des Denkens (cittam ekágram) ... Die Hindernisse, wie Krankheit etc., entstehen auf Grund der hingebenden Betrachtung! Gottes des Herrn nicht. Außerdem ergibt sich Schau des Eigenwesens (svaru padarçanam): In der gleichen Weise, wie Gott der Herr eine Geistseele (purusah) ist, die rein, ruhend, emanzipiert und frei von Leid (anupasargah) ist, erkennt auch das apperzipierende Subjekt des Erkenntnisorgans (buddhiḥ) jene Geistseele (purusah), die es selbst ist."88 In diesen wenigen Sätzen liegt der Schlüssel für das Verständnis der Gotteslehre des Patañjala-Yoga und enthüllt sich gleichzeitig die tiefgreifende Veränderung, welche die ursprüngliche Gottesidee durch die Geistigkeit des samkhyistischen Yoga erfahren hat. Wenn auch die ,, hingebende Betrachtung", wie der Kommentator meint, tatsächlich existenzieller Akt der Gottesverehrung (bhaktih) ist, so ist sie doch in ihrer Struktur und ihrer „eschatologischen" Bedeutung eigentlich nur Mittel, den Bewußtseingstrom des Yogin auf einen Punkt, nämlich Gott, zu lenken und ihn gleichförmig zu machen34. Gott, auf diese Weise zum 20 YBh 53. 30 Vgl. Anm. 21. 31 Frei von den 5 Befleckungen, nämlich „Nichtwissen (avidya), Ich-heit (asmita), Begehren (râgah), Abneigung (dvesah) und Erhaltungswille (abhinive sah). YS II 3-9.. 38 Frei von der Beziehung zur Urmaterie. 38 YBh 80. 44 Zur Verdeutlichung des Begriffes der Punktförmigkeit (ekágratá) des Denkorgans vgl. folgende drei Abschnitte: :,,Jene Versenkung, die, wenn das Denkorgan punktförmig ist; den wahren Gegenstand (bhűtárthah) erleuchtet, die Befleckungen zerstört, die Bindungen der Werke löst und die Unterdrückung (aller psychischen Vorgänge) einleitet, wird die „mit Erkenntnis versehene" (sam prajnatah) genannt." YBh 8 - „Das Alles-zum-Gegenstand-Haben' ist eine Eigenschaft des Denkens, auch die Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjalt 207 Inhalt der Betrachtung des Yogin gemacht, fuhrt diesen einfach durch das ,,Inhalt-seiner-Betrachtung-Sein" zur Schau der eigenen Seinsform (svarupadarcanam), weil er gleichsam exemplarisch die Seinsform, welche der Geistseele des Yogin eigen ist, in seiner gottlichen Seinsform erkennen lasst. ,,In der gleichen Weise, wie Gott der Herr eine Geistseele ist, die rein, ruhend, emanzipiert und frei von Leid ist, erkennt auch das apperzipierende Subjekt des Erkenntnisorgans jene Geistseele, die es selbst ist." Gott, jene Geistseele, die in absoluter Eindeutigkeit die wahre Seinsform. des Geistes reprasentiert, wird so zum Urbild der emanzipierten Existenz, und zwar ohne - etwa in Form einer bestimmten Gnadenvermittlung - handelnd in die Welt der Phanomene eingreifen zu mussen, was im Widerspruch mit seiner Geistnatur ware un ihn als Urbild des emanzipierten Geistes ungeeignet machen wurde. Allein durch seine als Typus des Befreiten erkannte Seinsweise vermittelt er dem Yogin das Wissen um das Emanzipiertsein des Geistes und damit die Befreiung (moksah). Von diesen Gedanken aus wird die innere Dynamik der Gotteslehre des Patanjala-Yoga deutlich sichtbar: Weil die Gottesvorstellung im Begriffssystem des samkhyistischen Yoga hinsichtlich der ontologischen Struktur Gottes. nicht anders als in den Begriffen von Geistseele und Urmaterie (bzw. den damit verbundenen Theoremen) ausgelegt werden konnte, musste sich diese so entfalten, dass Gott zum Urtypus des ,,Befreiten" wurde. War er doch als Geistseele gleich den anderen Seelen und konnte er als ,,Gott" im monotheistischen Sinn des Wortes nicht anders gedacht werden als als Urwissender, und damit als anfanglos emanzipierter, befreiter Geist. Der Patanjala-Yoga musste lediglich die kleine Inkonsequenz eines Gott faktisch ewig zukommenden Sattvam annehmen, um an Hand des samkhyistischen Schulmythologems von Kapila, dem Urwissenden, welcher mit Hilfe eines Sattva-Korpers dem Asuri aus Mitleid das Samkhyasystem verkundet, dieses Urbild des emanzipierten Seins schlechthin und damit gleich. zeitig das ,,Leitbild" der theistischen Yoga-Meditation zu schaffen. ,,Punktformigkeit' ist eine Eigenschaft des Denkens. Das Schwinden des , Alleszum-Gegenstand-Habens'... das Entstehen der Punktformigkeit', das ist der Sinn (namlich zweier bestimmter Sutrenworte). Subjekt beider ist das Denkorgan. Durch das ihr Wesen betreffende svatmabhutah) Vergehen und Entstehen dieser Eigenschaften wird das Denkorgan (in der Versenkung) gesammelt. Dies ist die Umwandlung als Versenkung." YBh 241. - ,,Eine Vorstellung des in der Versenkung gesammelten Denkorgans ist zur Ruhe gekommen und die darauf folgende entsteht dieser gleich, beiden schliesst sich das (in der Versenkung) gesammelte Denkorgan an und wieder so bis ans Ende der Versenkung. Dies furwahr ist die Umwandlung des zugrunde liegenden (dharmin) Denkorgans als Punktformigkeit." YBh 242.