Book Title: Gott Urbild Der Emanzipierten Existenz Im Yoga Des Patanjali Author(s): Gerhard Oberhammer Publisher: Gerhard Oberhammer View full book textPage 7
________________ Die Gottesidee im Yoga des Patanjali 203 enthüllt und diese Seele freigibt, so daß diese Seele nunmehr vom Wahn des ,,metaphysischen" Nichtwissens befreit in ihrer ursprünglichen Existenz als in sich ruhendes, nicht handelndes und ewiges Bewußtsein west. Um nun den verschiedenen Charakter der jeweiligen Phänomene dieser ,,raum-zeitlichen Existenz" metaphysisch begründen zu können, wurde die Urmaterie nicht als eine homogene Realität, sondern als in sich strukturiert vorgestellt, indem man lehrte, daß die Urmaterie aus drei Konstituenten (gunaḥ), nämlich Sattvam (Güte), Rajas (Leidenschaft) und Tamas (Dunkelheit) bestünde. Das in unendlich vielen Variationen mögliche sich gegenseitig Unterdrücken dieser Konstituenten bedingt die verschiedenen Umwandlungen der Urmaterie. So wurde alles, was leicht, angenehm und erkennend ist, um nur einige Phänomene zu nennen, auf das Sattvam als Ursache zurückgeführt, alles Schwere, Träge und Unbewußte auf das Tamas und alle Bewegung und Leidenschaft sowie jede Kraft auf das Rajas. Wenn daher der Kommentator in Zusammenhang mit Gott, der als Geistseele (purusaḥ) definiert ist, von einem,,übermächtigen Sattvam" spricht, dann kann damit nur gemeint sein, daß dieser göttlichen Geistseele wie einer gewöhnlichen Seele ein,,materielles Pendant" zukommt, nur daß dieses ,,Pendant" im Falle Gottes ausschließlich aus Sattvam besteht. Dieses sattvahafte,,Pendant" wäre dann nach dem Zeugnis des Kommentars Ursache des Denkens und Erkennens Gottes und, so müssen wir hinzusetzen, Substrat aller Attribute, welche einer Geistseele im Denken des Samkhya nicht zukommen können18. Die spezielle Erhabenheit Gottes würde weiters darin bestehen, daß Gott wegen seines,,übermächtigen Sattvam" anfanglos jedes Wissen eigen ist, daß in ihm,,der Same der Allwissenheit ohnegleichen ist", wie es YS I, 25 heißt. In dieser anfanglosen Allwissenheit liegt aber eingeschlossen, daß Gott auch anfanglos das Wesen der ihm zugeordneten Materie (= Sattvam) erkannt hat, sie daher von Anfang an nicht mit seiner geistigen Existenz identifizierte und daher im Gegensatz zu den,,wandernden" Seelen niemals in ihrem Banne stand, anfanglos,,befreit" und,,emanzipiert" (kevalin) ist.,,Und darum ist es, daß er immer der Herr ist, daß er immer befreit (muktaḥ) ist." Hier zeigt sich deutlich jene Spannung zwischen existenzieller Gottesidee und reflexem Begriffssystem, von der eingangs die Rede war. Wenn nämlich Gott von Ewigkeit her das Wissen um sein Emanzipiertsein besitzt, warum kommt ihm dann überhaupt ein,,materielles Pendant", sei es auch aus reinem Sattvam, zu? Denn im Denken des Samkhya und des Patañjala-Yoga ist der einzige Zweck der Entfaltung der Urmaterie der, den,,wandernden" Seelen zur Erkenntnis ihres Emanzipiertseins und damit zur Befreiung zu verhelfen. Ist diese Erkenntnis einmal eingetreten, so zieht sich die Urmaterie von der betreffenden Seele zurück und entfaltet sich für diese Seele nie mehr. Es ist offenkundig, daß sich hier die Idee eines allwissenden, höchsten Wesens gegen das Begriffssystem des samkhyistischen Yoga durchsetzt und es zwingt systemfremde Vorstellungen mit Hilfe des Systems auszudrücken. Da der Begriff des geistigen Seins, wie ihn das System entwickelt hatte, jede Veränderung, jedes Wirken und Wissen ausschloß, mußte man Gott, der sich nur durch den Geistbegriff definieren ließ, im Sinne des Systems ein,,materielles Pendant" zuschreiben, welches Träger der in der Gottesvorstellung enthaltenen Allwissenheit etc. sein konnte1. So wie im Falle 50 18 In Yoga-Terminologie müßte man es ein göttliches cittam (Denkorgan) nennen. 19 Man muß wohl annehmen, daß in dieses,,materielle Pendant" auch andere Bestimmungen Gottes verlegt wurden, so zum Beispiel das Wirken Gottes, welches ursprünglich, vor Aufnahme in das System der YS, ebenso in der Gottesvorstellung enthalten gewesen sein dürfte wie die Allwissenheit. Im Anschluß an die Samkhya-Lehre von den acht Zuständen des Erkenntnisorgans (bháváḥ)Page Navigation
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