Book Title: Sprachtheorie Und Philosophie Im Mhabhasyam Des Patanjali
Author(s): Erich Frauwallner
Publisher: Erich Frauwallner
Catalog link: https://jainqq.org/explore/269345/1

JAIN EDUCATION INTERNATIONAL FOR PRIVATE AND PERSONAL USE ONLY
Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ SPRACHTHEORIE UND PHILOSOPHIE IM MAHABHASYAM DES PATANJALI Von Erich Frauwallner Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ We shall probably be doing no injustice to Patanjali. when we maintain that 'he frequently has taken the substance of his discussions and many of his arguments from those older works, even where he has not actually and distinctly quoted from them. (F. Kielhorn) (Voybemerkung: Der folgende Aufsatz soll nur ein Versuch sein und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme lenken. Ich bin kein Kenner der einheimischen indischen Grammatik und das Material auf diesem Gebiet ist in Wien besonders durftig. Aber vielleicht ist es auch fur den grammatischen Spezialisten anregend, zu sehen, wie sich die Dinge jemandem darstellen, der von einer anderen Seite her an sie herankommt. Und wenn mein Versuch den Anstoss gibt, dass ein genauer Kenner Patanjali's den hier aufgeworfenen Problemen in wei. terem Rahmen nachgeht, so hat er seinen Zweck erfullt.). Patanjali, der Verfasser des Mahabhasyam, erfreut sich als Graminatiker hohen Ansehens. Wer jedoch von der Sprachtheorie oder Philosophie her zu ihm kommt, wird enttauscht sein. Patanjali bat weder Interesse noch den Kopf fur philosophische Fragen. Vor allem. aber fallt folgende Erscheinung auf, die im Mahabhasyam immer wiederkehrt. Bei der Besprechung irgendeiner Frage setzt plotzlich ein Absatz ein, der ganz bestimmte, oft hoch entwickelte Begriffe und Gedankengange voraussetzt. Mit dem Ende dieses Absatzes ist das jedoch vorbei und dieselben Begriffe kehren niemals wieder. Oder wenn sie wiederkehren, so geschieht es in der Regel in demselben Wortlaut 1). Es macht ganz den Eindruck, wie wenn solche Absatze aus einer fremden Quelle ubernommen waren. Aber nicht nur das. Es finden sich sogar langere Abschnitte, die ganz aus solchen fremden Stucken zusammengesetzt scheinen. Sollte das zutreffen, so wurden sich daraus fur die Beurteilung Patanjali's und seines Werkes wichtige Folgerungen ergeben. Ich will daher, um die Lage der Dinge zu verdeutlichen, im folgenden versuchsweise die Analyse eines solchen langeren Abschnittes vorlegen. ) Patanjali liebt es uberhaupt, Gleiches mit den gleichen Worten wiederzugeben. 92 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Der gewahlte Abschnitt stammt aus dem Kommentar zu dem Sutram I, 2, 64, welches den ekasesah lehrta). Panini, welcher die gewohnlichen Dual- und Pluralbildungen auf gleicher Stufe mit den Dvandva-Kompositen im Dual und Plural betrachtet, vertritt namlich die Ansicht, dass bei ihnen ahnlich wie bei diesen Kompositen das betreffende Wort eigentlich zweimal oder mehrmal stehen musste, und dass nur, weil es sich um dasselbe Wort handelt, bloss eines stehen bleibt, wahrend die ubrigen weggelassen werden. Diese Lehre, welche der Varttikakara Katyayana anzweifelt, wird in un. serem Abschnitt von dem Gesichtspunkt aus uberpruft, ob das Wort die Form (akrtih), also das Allgemeine, oder ob es das einzelne Ding (dravyam) bezeichnet. Bezeichnet es die Form, so ist die Lehre vom ekasesah uberflussig, wahrend sie zu Recht besteht, wenn das Wort die einzelnen Dinge ausdruckt. Der Untersuchung dieses Abschnittes schicke ich zunachst der Ubersichtlichkeit halber eine kurze Inhaltsangabe voraus. $1. Lehre Vajapyayana's: Die Lehre vom ekasesah ist uberflussig, weil das Wort die Form (akrtih) bezeichnet (S. 242, 10--244,7 = S. 90 b--94 a). a) Begrundung der Behauptung, dass das Wort die Form bezeichnet: 1. weil das Erkenntnisbild nicht verschieden ist, 2. weil die Einzeldinge nicht unterschieden werden, 3. weil das einmal Bezeichnete wiedererkannt wird, und 4. weil die Vorschriften der Rechtsbucher im allgemeinen und nicht nur im einzelnen Falle gelten (S. 242, 12-243, 3 = S. 90 b-92 a). b) Rechtfertigung der Annahme der Form: Es kann sich auch ein einziges Ding gleichzeitig an mehreren Orten befinden (S. 243, 4 - 11 =S. 92 a--b). . a) Anwendung auf den ekabesah (S. 243, 12 - 14 = S. 92 b). c) Bekampfung der Ansicht, dass das Wort das einzelne Ding (dravyam) bezeichnet (S. 243, 14--244,7 = S. 93 a_94 a). *) Derselbe Abschnitt wurde bereits von 0. Strauss, ZDMG 81/1927, S. 137-150, ubersetzt, ist also leicht zuganglich. Ich zitiere nach Seiten- und Zeilenzahlen der Mahabhasya-Ausgabe von F. Kielhorn, fuge aber, da diese vergriffen ist, die Seiten. zahlen der Ausgabe der Nirnaya-Sagar Press bei. S 93 2 Frauwallner Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ******** 23 f. a) Anwendung auf den ekasesah (S. 243, & 244, 1 f. S. 93 a & 93 b). SS 2. Lehre Vyadi's: Das Wort druckt das einzelne Ding (dravyam) aus, weil nur so Geschlecht und Zahl berechtigt sind (S. 244, -246, 25 S. 94 b-96 b). a) Begrundung der Lehre, dass das einzelne Ding der Gegenstand der Worte ist: Die in den vedischen Vorschriften angeordneten Handlungen richten sich auf die Einzeldinge (S. 244, 13-16 S. 95 a). b) Bekampfung der Lehre von der Form: 1. ein einziges Ding kann nicht zugleich an mehreren Orten sein, 2. beim Entstehen oder Vergehen eines Dinges mussten alle gleichartigen Dinge entstehen oder vergehen, 3. man erkennt eine Verschiedenheit bei den bezeichneten Dingen und 4. man unterscheidet sie voneinander, 5. bei Homonymen kann unmoglich die Form bezeichnet werden (S. 244, IT bis 245, S. 95 a-96 b). = 94 5 a) Anwendung auf den ekasesah (S. 245, S. 96 b). SS 3. Widerlegung der Lehre Vyadi's: Geschlecht und Zahl sind auch bei der Form als Gegenstand der Worte berechtigt, weil sie sich auf die wechselnden Eigenschaften derselben beziehen, oder weil sich, ahnlich wie bei Eigenschaftswortern, Geschlecht und Zahl nach den Einzeldingen richten, denen die Form zukommt (S. 245,6-247, 16 S. 96 b-101 b). a) Auch wenn die Form der Gegenstand der Worte ist, werden doch die in den vedischen Vorschriften angeordneten Handlungen auf die Einzeldinge bezogen, weil diese mit der Form verbunden sind (S. 246, 24-26 = S. 99 b). b) Die Form besteht, und zwar aus folgenden Grunden: 1. es kommt vor, dass ein einzelnes Ding sich gleichzeitig an mehreren Orten befindet, 2. beim Vergehen der Einzeldinge vergeht die Form -nicht, weil sie nicht an ihnen haftet oder nicht dasselbe Wesen hat. 3.-4. dass man eine Verschiedenheit bei den bezeichneten Dingen erkennt und sie voneinander unterscheidet, beruht auf der Verschie denheit der Einzeldinge, 5. auch bei Homonymen besteht eine Gleichartigkeit (S. 246, 27-247, 16 S. 100 a-101 b). Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Aus diesem Abschnitt wollen wir zunachst ein Stuck betrachten, bei dem sich die Verwendung einer fremden Quelle mit Sicherheit nachweisen lasst, namlich den Anfang von SS 3, der Widerlegung der Lehre Vyadi's. Hier verlauft die Darlegung im einzelnen folgender. massen. Vyadi hatte seine Lehre, dass das einzelne Ding Gegenstand des Wortes ist, damit begrundet, dass nur so Geschlecht und Zahl beim Wort gerechtfertigt seien, weil Geschlecht und Zahl nur den einzelnen Dingen zukommen; denn die eine ewige Form kennt weder Geschlecht noch Zahl. Darauf antwortet der Verfechter der Lehre Vajapyayana's: Auch wenn die Form Gegenstand des Wortes ist, lasst sich Geschlecht und Zahl rechtfertigen, weil der einen Form die Eigenschaften der Mannlichkeit, Weiblichkeit und Sachlichkeit, sowie der Einzahl, Zweizahl und Mehrzahl anhaften. Der Gegner erwidert: Der Form kann nicht bald die Einzahl, bald die Zweizahl, bald die Mehrzahl anhaften, weil sonst die Lehre, dass die Form eins und ewig ist, hinfallig wurde. Darauf modifiziert der Verfechter der Lehre Vajapyayana's seine Behauptung: Nicht weil bald die Einzahl, bald die Zweizahl und bald die Mehrzahl der Form anhaftet, sondern weil man bald die eine, bald die andere ausdrucken will, ist die Verwendung der Zahl berechtigt. Aber der Gegner halt an seinem Einwand fest. Nun andert plotzlich der Verfechter der Lehre Vajapyayana's seinen Standpunkt. Er gibt seine erste Behauptung vollstandig auf. Nicht nur die Verwendung der Zahl lasst sich so nicht rechtfertigen, sondern auch die Verwendung des Geschlechtes, weil mit der Form ein und dasselbe Geschlecht dauernd verbunden ist. Er stellt daher, um den erwahnten Schwierigkeiten zu begegnen, eine eigene Lehre vom Geschlecht auf, welche im Gegensatz zur gewohnlichen Auffassung fur die Grammatik gultig ist. Danach ist das Merkmal der Weiblichkeit das Anschwellen (samstyanam) (bei der Schwangerschaft), das Merkmal der Mannlichkeit das Zeugen (prasavah). Beides beruht letzten Endes auf den ewig wechselnden Elementeigenschaften (gunah) und kommt daher allen Dingen zu. Das grammatische Geschlecht grundet sich darauf, dass man an einem Ding dieses oder jenes zum Ausdruck bringen will. An diese Recht Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ fertigung der Verwendung des Geschlechts schliesst sich eine Recht. fertigung der Zahl, welche ebenfalls den fruheren Standpunkt vollkommen preisgibt. Die Worter drucken sowohl die Form wie die einzelnen Dinge aus. Bald steht dieses, bald jenes im Vordergrund. Und die einzelnen Dinge sind es, welche dabei die Zahl bestimmen. Zum Schluss folgt ein weiterer Klarungsversuch, der wieder an der Form als einzigem Gegenstand des Wortes festhalt. So wie sich bei Eigenschaftswortern Geschlecht und Zahl nach dem Beziehungswort richten, so richten sie sich bei der Form nach den Dingen, auf welche sich die Form stutzt. Schon diese Inhaltsangabe zeigt einen auffallenden Bruch in der Gedankenfuhrung. Am Anfang und am Schluss ist an der Form als Gegenstand des Wortes festgehalten und es werden zwei Erklarungsmoglichkeiten fur die Verwendung von Zahl und Geschlecht vorgeschlagen: Sie sind entweder durch die Eigenschaften bedingt, welche der Form anhaften, oder sie richten sich nach den Dingen, auf welche sich die Form stutzt 3). Was dazwischen steht, wirkt daneben wie ein Fremdkorper. Und tatsachlich passt es auch inhaltlich nicht in den Gedankenzusammenhang. Der erste Teil, welcher Weiblichkeit und Mannlichkeit mit dem Anschwellen und Zeugen begrundet, passt nicht zur Lehre von der Form. Denn das Anschwellen und Zeugen lasst sich unmoglich der einen ewigen Form zuschreiben. Hier ist offensichtlich ein fremder Gedanke ungeschickt hereingezogen. Der zweite Teil wieder, welcher die Verwendung der Zahl rechtfertigen will, gibt die Lehre, dass die Form allein der Gegenstand des Wortes ist, vollkommen preis, und zwar geschieht dies hier das einzige Mal in dem ganzen von uns behandelten Ab. schnitt. Glucklicherweise konnen wir wenigstens fur den ersten Teil einwandfrei nachweisen, dass tatsachlich ein Fremdkorper vorliegt, und 3) Die oben erwahnte Modifikation der ersten Erklarung hat keine besondere Bedeutung. Wenn Gegenstand und sprachlicher Ausdruck nicht miteinander ubereinstimmten, sich auf das berufen, was man ausdrucken wollte (vivaksitam), war ganz gebrauchlich und wird von Patanjali nach Belieben geubt. Eine psycholo. gische Vertiefung darin zu sehen ware verfehlt. 96 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ wir konnen auch zeigen, woher er stammt. Von den einleitenden Satzen abgesehen kehrt namlich dieser Teil wortwortlich an einer andern Stelle des Mahabhasyam wieder, namlich im Kommentar zum Sutram IV, 1, 34), und ein Blick zeigt, dass er dort seine richtige Stelle hat. Dort wird namlich die Frage des grammatischen Geschlechts behandelt, und zwar wird zuerst versucht, es vom naturlichen Geschlecht abzuleiten. Dann wird gezeigt, dass dies in zahlreichen Fallen nicht moglich ist und dass in diesen Fallen alle Rechtfertigungsversuche versagen. Und nun folgt die oben wiedergegebene Erklarung vom Standpunkt der Grammatiker, welche als Grundlage der Geschlechtsbezeichnung das Anschwellen und Zeugen annimmt. beide aber auf Grund sankhya-ahnlicher Anschauungen als allyemeine Erscheinung auffasst, so dass die Geschlechtsbezeichnung nur davon abhangt, ob man bei einem Ding dieses oder jenes hervorheben will. Es kann wohl kein Zweifel bestehen, dass diese Erklarung hier ihre ursprungliche Stelle hat, und dass sie Patanjali von hier in unseren Abschnitt ubertragen hat. Mit voller Sicherheit ergibt sich dies ausserdem aus folgendem. Die ganze eben erwahnte Erorterung des grammatischen Geschlechts stammt nicht von Patanjali selbst, sondern von einem alteren Kommentator, dem slokavarttikakara), und ist mit Versen durchsetzt. Und von diesen Versen hat Patanjali ebenfalls einige Zeilen mit in unseren Abschnitt ubernommen. Wir sehen also, dass in dem von uns besprochenen Abschnitt tatsachlich ein Fremdkorper eingeschoben ist. Und zwar hat Patanjali nicht einen fremden Gedanken ubernommen oder sich durch ihn anregen lassen, sondern er hat ein ganzes Stuck eines andern Textes unverandert in seine Darstellung eingefugt. So weit, was den ersten Teil unseres Abschnittes betrifft. Aber auch mit dem zweiten Teil scheint es sich ahnlich zu verhalten. *) Auch dieser Abschnitt wurde von 0. Strauss ubersetzt, und zwar in: ,,Aus Indiens Kultur", Festgabe Richard von Garbe, Erlangen 1927, S. 84-94., 5) Vgl. uber diesen F. Kielhorn, Notes on the Mahabhashya, 4. Some suggestions regarding the verses (Karikas) in the Mahabhashya. Indian Antiquary 15/1886, S. 228 ff. 3 Frauwallner 97 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Schon erwahnt haben wir die schroffe Anderung des Standpunktes, dass hier plotzlich die Ansicht vertreten wird, dass die Worter sowohl die Form, als auch die einzelnen Dinge ausdrucken. Dazu kommt, dass die Satze, welche diese Ansicht aussprechen, fast wortlich in Sabarasvami's Mimamsabhasyam wiederkehren "). Nun ist es unwahrscheinlich, dass diese vereinzelt auftretende Ansicht von Patanjali selbst stammt. Und es ist ebenso unwahrscheinlich, dass die breiten Erorterungen Sabarasvami's von der beilaufigen Ausserung Patanjali's abhangen. Patanjali schopft also offenbar auch hier aus einer fremden Quelle. Und diese kann nicht Sabarasvami sein. Denn das ist schon zeitlich unmoglich). Beide durften daher auf dieselbe Quelle zuruckgehen. Und auch hier schliesst sich Patanjali im Wortlaut eng an seine Quelle an. Unsere bisherige Untersuchung hat somit fur den zunachst behandelten Abschnitt eine deutliche und ganz charakteristische Benutzung fremder Quellen durch Patanjali ergeben. Wie steht es nun aber mit dem Rest unseres Textes? 17-19= Hier ist zunachst bemerkenswert, dass sich Patanjali an einer Stelle wiederholt. SS 2 b enthalt Angriffe gegen die Lehre von der Form. die SS 3b zuruckgewiesen werden. Der erste dieser Angriffe besagt. dass ein Ding nicht gleichzeitig an mehreren Orten sein kann, wie. es bei der einen ewigen Form der Fall sein musste (S. 244, S. 95 a). Die Erwiderung verweist auf das Beispiel der Sonne, die gleichzeitig an verschiedenen Orten gesehen wird, und auf den Gott Indra, der gleichzeitig bei vielen Opfern anwesend ist (S. 246, bis 247, S. 100 a). Diese gleiche Behauptung, dass ein Ding tatsachlich zur gleichen Zeit an mehreren Orten sein kann, und die gleichen beiden Beispiele finden sich nun bereits fruher SS 1b, nur ist der Anfang etwas geandert, da hier kein Purvapaksah vorausgeht. Im ubrigen ist der Wortlaut derselbe. = ") na hy akrtipadarthakasya vyaktir na padarthah, vyaktipadarthakasya va nakrtih, ubhayam ubhayasya padarthah. kasyacit kimcit pradhanyena vivaksitam (Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S. 56, 2325; Ausgabe der Anandasrama Sanskrit Series Vol. I S. 304, 9-11). Der fortgeschritteneren Entwicklung entspre chend ersetzt Sabarasvami dravyam durch vyaktih. 7) Sabarasvami bringt uberdies die erwahnte Ansicht in einem Purvapaksah. +8 Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Eine solche Wiederholung ist auf jeden Fall auffallig. Immerhin ist sie bei Benutzung einer fremden Quelle leichter erklarbar, als in einem unabhangig verfassten Werk. Und tatsachlich lasst sich zeigen, dass Patanjali hier eine fremde Quelle bearbeitet. An der zweiten Stelle, $ 3 b, erscheinen namlich in den Merksatzen die beiden Beispiele gleichwertig nebeneinander. In den Erlauterungen dagegen wird das erste Beispiel, das Beispiel von der Sonne, ver. worfen und das zweite, das Beispiel von Indra, an seine Stelle gesetzt. An der ersten Stelle, $ 1b, deren Anfang Patanjali geandert hat, wird nun das Beispiel von der Sonne nicht nur in den Erlauterungen abgelehnt, sondern ist auch im Merksatz gestrichen. Das deutet darauf hin, dass es ebenfalls Patanjali war, der die Ablehnung dieses Beispiels in die Erlauterungen einfuhrte. Das bedeutet aber, dass er einen alteren Text benutzte und umarbeitete, in dem das Beispiel von der Sonne als gultig anerkannt war. Und tatsachlich folgt kurz auf die erste Stelle im Verlauf der weiteren Auscinandersetzungen SS 1c eine Bemerkung, welche dieses Beispiel als anerkannt voraussetzt (S. 243, 25 = S. 93 b). Allen diesen Stellen liegt also ein alterer Text zugrunde, der das Beispiel von der Sonne ebenso wie das von Indra als gultig anerkannte. Und es ist bemerkenswert, dass auch die Mimansa-Uberlieferung bei Sabarasvami das Beispiel von der Sonne kennt und mit ihm arbeitet 8). Wenn Patanjali aber an den erwahnten Stellen eine fremde Quelle benutzte, dann erhebt sich als nachstes die Frage, wie weit die Benutzung dieser Quelle reicht. Hier versagen allerdings, so viel ich sehe, die ausseren Anhaltspunkte und wir mussen uns daher auf in. haltliche Erwagungen stutzen. Zunachst spricht alle Wahrscheinlichkeit dafur, dass der ganze Abschnitt, aus dem das eben besprochene Stuck mit den zwei Bei. spielen genommen ist, namlich SS 3b, aus derselben Quelle stammt. Und tatsachlich bietet er einen geschlossenen luckenlosen Zusammenhang. Er entspricht ferner als Uttarapaksah einem Purvapaksah, der etwas fruher $ 2 b steht. Der Purvapaksah bringt funf Grunde 9 Zu Mimamsasutram I, 1, 15 (Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I 5.20, ; Ausgabe der Anandasrama Sanskrit Series Vol. I S. 80,8m). 99 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gegen das Vorhandensein der Form und diese werden im Uttara. paksah in der gleichen Reihenfolge Punkt fur Punkt widerlegt. Die Zusammengehorigkeit beider Stucke ist unverkennbar. Wir durfen also auch den Purvapaksah der gleichen Quelle' zuschreiben. Betrachten wir nun diese beiden Stucke im Zusammenhang, so fallt folgendes auf. In beiden steht die allgemeine Frage nach dem Vorhandensein der Form als Gegenstand der Worte im Vordergrund. Das grammatische Interesse, vor allem die Frage des ekasesah, tritt ganz zuruck. Nur am Schlusse des Purvapaksah (S. 245, 4 = S. 96 b) steht unvermittelt die Bemerkung akstav api padarthe ekaseso vaktavyah, von der im Uttarapaksah uberhaupt nicht Notiz genommen wird. Das Gleiche gilt nun aber fur eine ganze Anzahl von Abschnitten in unserem Text. Uberall handelt es sich ganz allgemein um die Frage der Form als Gegenstand des Wortes. Und uberall wird nur in ganz ausserlichen Zusatzen auf das Problem des ekasesah verwiesen. Sollten etwa alle diese Abschnitte der gleichen Quelle anyehoren? Gehen wir sie zunachst einmal der Reihe nach durch. Der erste dieser Abschnitte folgt unmittelbar auf das erste Varttikam, in dem die Lehre Vajapyayana's ausgesprochen ist (SS 1a). Mit den Worten katham punar jnayata ekakrtih sa cabhidhiyata iti: wird die Frage, ob die Form besteht und der Gegenstand der Worte ist, gestellt und es werden eine Anzahl Grunde dafur vorgebracht. Jeder Hinweis auf die Lehre vom ekasesah fehlt. Nun folgt das oben behandelte kurze Stuck (1 b), das aus dem Uttarapaksah $ 3b genommen ist. Danach lesen wir: naikam anekadhikaranastham yugapad iti cet tathaikasese. yo hi manyate naikam anekadhikaranastham yugapad upalabhyata ity ekasese tasya dosah syat. ekasese 'pi naiko vrksasabdo 'nekam artham yugapad abhidadhita. Hier ist es handgreiflich, dass es sich um einen Zusatz handelt, da diese Satze im Uttarapaksah $ 3 b fehlen. Der nachste Abschnitt behandelt Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man annimmt, dass das Wort das einzelne Ding bezeichnet (s 1c). Er enthalt zwei kurze Einschube, welche an die Lehre vom ekasesah anknupfen (S. 243, 23 f. = S. 93 a und $. 243, 25 . 1CO Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ :- S. 93 b), der erste mit den mehrmals noch refrainartig wiederkehrenden Worten yac casya paksasyopadane prayojanam ekaseso na vaktavya iti sa cedanim vaktavyo bhavati. Beide lassen sich ohne Storung des Zusammenhanges glatt auslosen. Nun beginnt die Lehre des Vyadi (2). In ihr finden wir zunachst einen Hinweis darauf, dass die vedischen Vorschriften auf die einzelnen Dinge bezogen werden (SS 2 a). Dann folgt der eben besprochene Purvapaksah ($ 2 b). Der einzige kurze Verweis auf den ekasesah (S. 245, 4 = S. 96 h) wird im Uttarapaksah nicht bea rucksichtigt, ist also offenkundig ein Zusatz. Die Widerlegung der Lehre Vyadi's ($ 3) schliesslich enthalt den Uttarapaksah zu den zuletzt genannten Stucken (SS 3 a und b). Verweise auf den ekasesah fehlen hier. Alle diese Abschnitte sind, wie gesagt, inhaltlich gleicher Art. Sind wir also berechtigt, sie alle als Bestandteile fremder Herkunft auszuscheiden und auf dieselbe Quelle zuruckzufuhren? Zunachst folgende Frage: Lassen sie sich uberhaupt aus dem Zu. sammenhang losen? Was bleibt ubrig, wenn wir sie ausscheiden? Machen wir den Versuch, so ist das Ergebnis uberraschend. Ohne dass wir ein Wort andern, ergibt sich ein tadelloser Zusammenhang. Ich gebe im folgenden den so gewonnenen Text wieder. Er spricht fur sich selber. akrtyabhidhanad vaikam vibhaktau Vajapyayanah // 35/i akrtyabhidhanad vaikam sabdam vibhaktau Vajapyayana acaryo nyayyam manyate." dravyabhidhanam Vyadih // 45 // dravyabhidhanam Vyadir acaryo nyayyam manyate, dravyam abhidhiyata iti, tatha ca lingavacanasiddhih || 46 // evam ca krtva lingavacanani siddhani bhavanti, brahmani brah. manah brahmanau brahmana iti. lingavacanasiddhir gunasyanityatvat // 53 // lingavacanani siddhani bhavanti. kutah? gunasyanityatvat, anitya 101 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ guna apayina upayinas ca. kim ya ete sukladayah? nety aha, stripumnapumsakani sattvaguna ekatvadvitvabahutvani ca. kadacid akrtir ekatvena yujyate, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, kadacit stritvena, kadacit pumstvena, kadacin napumsakatvena. bhavel lingaparihara upapanno, vacanapariharas tu nopapadyate. yadi hi kadacid akrtir ekatvena yujyate, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, ekakrtir iti pratijna hiyeta, yac casya paksasyopadane prayojanam uktam ekaseso na vaktavya iti, sa cedanim vaktavyo bhavati. evam tarhi lingavacanasiddhir gunavivaksanityatvat || 53 a || lingavacanani siddhani bhavanti. kutah? gunavivaksaya anityatvat. anitya gunavivaksa, kadacid akrtir ekatvena vivaksita bhavati, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, kadacit stritvena, kadacit pumstvena, kadacin napumsakatvena. bhavel lingaparihara upapanno, vacanapariharas tu nopapadyate. yadi kadacid akrtir ekatvena vivaksita bhavati, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, ekakrtir iti pratijna hiyeta, yac casya paksasyopadane prayojanam uktam ekaseso na vaktavya iti, sa cedanim vaktavyo bhavati. gunavacanavad va || 54 || gunavacanavad va lingavacanani bhavisyanti, tad yatha, gunavacananam sabdanam asrayato lingavacanani bhavanti, suklam vastram, sukla sati, suklah kambalah, suklau kambalau, suklah kambala iti. yad asau dravyam srito bhavati gunas, tasya yal lingam vacanam ca, tad gunasyapi bhavati. evam ihapi yad asau dravyam sritakrtis, tasya yal lingam vacanam ca, tad akrter api bhavisyati. Niemand, der diesen Text allein fur sich liest, wird auf den Gedanken kommen, dass hier etwas fehlt. Satz schliesst an Satz, Gedanke an Gedanken. Und was das Wichtigste ist, alles ist hier an seinem Platz und passt in einen Kommentar zu dem behandelten Sutram Panini's. Zuerst wird der ekasesah als uberflussig erklart. weil das Wort die Form bezeichnet. Dagegen wird eingewendet, dass es die einzelnen Dinge bezeichnen muss, weil nur so der Ge 102 Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ brauch von Geschlecht und Zahl gerechtfertigt ist. Schliesslich wird gezeigt, dass sich Geschlecht und Zahl auch rechtfertigen lassen, wenn die Form der Gegenstand des Wortes ist. Dem gegenuber behandeln die ausgeschiedenen Stucke gleichsam wie ein breiter Exkurs <Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ zuruckgewiesen wird ($ 1b, S. 243, 4 - 11 = S. 92 a--b), welcher spater erst vom Gegner, gemacht (S 2 b 1, S. 244, 17-19=S. 95 a) und dann nochmal mit den gleichen Worten widerlegt wird ($ 3b 1, S. 246, 27-247, 4 = S. 100 a). Nun haben wir bereits gesagt, dass dieser Absatz an der zweiten Stelle seinen richtigen Platz hat. Denn dort geht ein langerer Purvapaksah voraus (S 2 a--b), dem der Uttarapaksah (SS 3 a--b) genau entspricht. Versuchen wir nun aber. diesen Uttarapaksah, vor dem kein weiteres Stuck aus der gleichen Quelle steht, unmittelbar an den Purvapaksah anzuschliessen, so sehen wir, dass das Schwierigkeiten bereitet. Die beiden Schnittflachen lassen sich ohne Harte nicht aneinander passen. Es wird namlich plotzlich auf die vorhergehenden Angriffe vom Standpunkt der angegriffenen Lehre geantwortet, ohne dass diese Lehre vorher eingefuhrt worden ware. Nun geht an der Stelle, wo der zweimal wiederkehrende Absatz zum erstenmal erscheint, eine solche Darstellung der eigenen Lehre voraus. Es liegt daher nahe, anzunehmen. dass diese vor den Uttarapaksah gehort und dort ihre ursprungliche Stelle hatte. Und in der Tat ergibt sich so ein einwandfreier Gany der Darstellung, besonders, wenn wir den ganzen ersten Abschnitt (SS 1a-c) mit dem Uttarapaksah vereinigen. Dann setzt unser Stuck mit dem Purvapaksah ein. Der Gegner stellt die Lehre auf, dass die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte sind, begrundet sie kurz und sucht die gegnerische Lehre, dass die Form der Gegenstand der Worte sei, zu widerlegen. Nun folgt der Uttarapaksah. Zuerst wirel die Lehre, dass die Form der Gegenstand der Worte ist, aufgestellt und begrundet. Dann werden die gegnerischen Argumente, vor allem die Angriffe gegen die eigene Lehre widerlegt. Und schliesslich wird die gegnerische Lehre selbst bekampft. Es ergibt sich somit ein tadelloser Zusammenhang. Die ganze Darstellung folgt dem in philosophischen Texten so haufigen Schema. nach dem die eigene Lehre als Uttarapaksah auf die Darstelluny einer gegnerischen Lehre in einem Purvapaksah folgt. Nun wird aber auch die auffallende Wiederholung des einen Absatzes bei Patanjali erklarbar und verstandlich. Der grammatische Grundtext, der ihm vorlag, war nach einem anderen Schema aufgebaut. Er be 104 Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gann mit der Aufstellung der eigenen Lehre, fuhrte dann gegnerische Einwande auf und brachte anschliessend ihre Widerlegung. Wollte Patanjali also die Stucke der zweiten Quelle in dieses Schema einfugen, so musste er den Uttarapaksah an die Spitze stellen. Das war aber nicht restlos moglich. Denn die Antwort auf die gegnerischen Angriffe musste hinter diesen Angriffen stehen bleiben. Und lort hat er sie auch gelassen. Um aber die so entstandene Lucke im Uttarapaksah zu uberbrucken, entschloss er sich, wenigstens einige Satze beizubehalten. Und so ergab sich die besprochene Wiederbolung. Und nun noch eine letzte Frage: Welcher Art war die Quelle, der Patanjali die besprochenen Stucke entnahm? Betrachten wir die aus ihr genommenen Stucke im Zusammenhang, so zeigt sich zunachst ein schroffer Gegensatz zu dem grammatischen Grundtext, in die sie Patanjali eingefugt hat. Dieser beschaftigt sich ausschliesslich init der Frage des ekasesah und zieht nur zu ihrer Losung das Problem des Gegenstandes der Worte heran. An sich interessiert ihn * lieses Problem nicht und er geht auch nicht weiter darauf ein. Ganz anders, die zweite Quelle. In ihr wird das Problem des Gegenstandes der Worte in breitem Fur und Wider erortert. Die Beziehung zur Frage des ekasesah wird nur in kurzen Satzen hergestellt, die oft schlecht genug in den Zusammenhang passen und die ich fur offenkundige Zusatze Patanjali's halte (vgl. oben S. 100 f.). Allerdings wird auch hier das Problem des Gegenstandes der Worte nicht um seiner selbst willen behandelt. Den Ausgangspunkt bildet aber hier die Frage, ob sich die vedischen Vorschriften auf die einzelnen Dinge beziehen, oder auf die als Gattung gedachte Form (S. 244, 13 -- 16 = S. 95 a), und zu dieser Frage kehrt die ganze Erorterung am Schlusse zuruck (S. 243, 16-244, 6 = S. 93 a_94 a). Und zwar handelt es sich hier nicht um einzelne Satze, die sich leicht ausscheiden lassen, sondern um Stucke, die einen festen Bestandteil der Darlegung bilden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen somit nicht grammatische Fragen, sondern die Interpretation der vedischen Vorschriften. Das heisst aber, wir befinden uns hier nicht in der Sphare der Grammatik, sondern in einem ganz anderem Gedankenkreis, dem 105 Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Gedankenkreis der Mimamsa. Nun sind zwar in alter Zeit die Beziehungen zwischen den verschiedenen vedischen Schulen und Hilfswissenschaften uberaus eng. Die Einflusse gehen standig hin und her. Im vorliegenden Falle scheint mir aber das Zurucktreten des grammatischen und das Vorwiegen des Interesses an der Deutung der vedischen Vorschriften so stark, dass ich die Folgerung fur unabweisbar halte, dass Patanjali hier nicht aus einem grammatischen Werk, sondern aus einer Mimamsa-Quelle geschopft hat"). Damit ist die Analyse des von uns gewahlten Abschnittes aus Patanjali's Mahabhasyam beendet. Wir haben ihn in seine Bestandteile zerlegt und deren Stellung und Herkunft bestimmt. Das Zustandekommen dieses Abschnittes ist demnach etwa folgendermassen zu denken. Den Ausgangspunkt bildete eine verhaltnismassig einfache grammatische Auseinandersetzung zur Frage des ekasesah. In ihr erklarte Vajapyayana die Lehre vom ekasesah fur uberflussig, weil das Wort die Form ausdruckt. Diese Anschauung bekampfte Vyadi mit der Begrundung, dass sich die Verwendung von Geschlecht und Zahl nur rechtfertigen lasse, wenn man annimmt, dass das Wort die einzelnen Dinge bezeichnet, wurde aber vom Standpunkt Vajapyayana's aus widerlegt. In dieser Erorterung vermisste Patanjali eine grundsatzliche Behandlung des Problems des Gegenstandes der Worte. Eine solche fand er in einem alten MimamsaText. Diesem entnahm er die geeigneten Abschnitte, fugte sie seinem Grundtext ein und setzte sie durch einige eingeschobene Satze mit der Frage des ekasesah in Beziehung. Ausserdem passte er sie durch verschiedene kommentarielle Bemerkungen seinem Text an. Schliesslich fand er es noch in der Polemik gegen Vyadi fur wunschenswert, die Frage des grammatischen Geschlechts genauer zu behandeln. und schob daher ein Stuck aus einem alteren grammatischen Slokavarttikam ein. Auf diese Art ergibt sich ein charakteristisches Bild von der Arbeitsweise Patanjali's. Bezeichnend fur sie ist die starke Verwendung fremder Quellen, wobei er grosstenteils den Wortlaut der 9) Uber Weiteres vgl. den Anhang. 106 Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Quellen beibehalten zu haben scheint. Bei unserem Abschnitt macht es geradezu den Eindruck, wie wenn sich seine Tatigkeit nur auf das Zusammenfugen der alten Materialien und das Hinzusetzen einiger redaktioneller und kommentarieller Bemerkungen beschrankt hatte. Ja, man mochte fast sagen, er habe mit Kleister und Schere gearbeitet. Ich habe, wie ich anfangs sagte, ein Beispiel aus dem Mahabhasyam als Probe analysiert. Das Gleiche, was sich hier ergeben hat, gilt aber meiner Uberzeugung nach auch sonst in weitestem Masse, zum mindesten soweit es sich um sprachtheoretische und philosophische Partien handelt. Sollte sich das bestatigen, so wurde es fur die Beurteilung Patanjali's die weitestgehenden. Folgen haben. Seine Lei. stung wurde im wesentlichen kompilatorisch sein und seine Person. lichkeit wurde ganz in den Hintergrund treten, wahrend das Haupt. gewicht auf die von ihm verwendeten Quellen fiele. Und es ware die wichtigste Aufgabe, von diesen Quellen ein moglichst klares Bild zu gewinnen. Diese Auffassung Patanjali's widerspricht allerdings stark dem * herkommlichen Urteil und der hohen Wertschatzung, deren er sich erfreut. Das herkommliche Urteil scheint mir aber uberhaupt revisionsbedurftig. Es stammt noch aus einer Zeit, in der von der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur der Inder sehr wenig bekannt war. Beurteilen wir Patanjali nach unserem heutigen Wissen, so schneidet er wesentlich ungunstiger ab. Ich mochte seine Arbeit, soweit ich die Dinge uberblicke, am ehesten etwa mit dem buddhistischen Mahavibhasasastram vergleichen. Dort finden wir das gleiche Aneinanderreihen verschiedener Lehren, das haufige Fehlen einer eigenen Stellungnahme und die gleiche kommentarielle Spitzfindigkeit und Breite. Dass Patanjali in weitem Masse mit altem Material arbeitet, 'hat ubrigens schon ein so gewissenhafter und vorsichtiger Forscher wie F. Kielhorn angenommen 10). Unser Ergebnis fuhrt nur die Erkenntnis Kielhorns weiter. Allerdings fuhrt es dazu, in Patanjali fast nur mehr einen Kompilator zu sehen. Jeden 10) Indian Antiquary 15/1886, S. 228-233. 107 Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ on falls aber ware es wunschenswert, wenn genaue Kenner der indischen Grammatik das Werk Patanjali's unter den dargelegten Gesichtspunkten erneut prufen wollten. Vielleicht gelingt es in gemeinsamer Arbeit, die vielen Fragen, welche sich an das Mahabhasyam knupfen, allmahlich der Losung zuzufuhren. Und nun zum Schluss noch einige Bemerkungen uber die Zeit Patanjali's. Was Patanjali an sprachtheoretischem und philosophischem Material bringt, enthalt neben vielem Alten auch manches. was recht jung anmutet. Und damit erhebt sich die Frage, in welche Zeit er zu setzen ist. Die bisherigen Datierungsversuche haben keine sichere Entscheidung gebracht. Die historischen Anspielungen im Mahabhanyam, besonders zu Sutram III, 2, 111, fuhren in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Doch ist die Verlasslichkeit der darauf gebauten Beweisfuhrung schon fruh angezweifelt worden und in jungerer Zeit hat vor allem L. de La Vallee Poussin darauf hin. gewiesen 11), dass ihr der Boden entzogen ist, sobald man annimmt, dass Patanjali seine Beispiele einer alteren Quelle entlehnt hat. Und angesichts seiner eben besprochenen starken Abhangigkeit von alteren Quellen gewinnt dieses Argument an Starke. Zwar, sobald einmal auf die Notwendigkeit hingewiesen war, die Beispiele zum genannten Sutram der eigenen Zeit anzupassen, konnten sie zum ,,Leitfossil fur die Geschichte der indischen Sprachwissenschaft" werden 12). Aber war das schon zur Zeit Patanjali's der Fall? Fur einen spateren Ansatz Patanjali's hat andererseits L. de La Vallee Poussin auf die Erklarungen hingewiesen, welche das Maha. bhasyam zu Sutram II, 4, 10, gibt 13). In diesem Sutram wird gelehrt, dass ein Dvandva-Kompositum im Singular stehen kann, wenn es sich um nichtausgeschlossene (aniravasitah) Sudra handelt. Dazu fuhrt Patanjali als Beispiel unter anderem Sakayavanam an und 11) L. de La Vallee Poussin, L'Inde aux temps des Mauryas et des Barbares, Grecs, Scythes, Parthes et Yue-tchi (Histoire du Monde, publiee sous la direction de M. E. Cavaignac, tome VI/I), Paris 1930, pp. 1994-202. 19) B. Liebich, Ksiratarangini (Indische Forschungen, Heft 8/9), Breslau 1930. S. 264. 13) A. a. O., S. 201 f. 108 Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ L. de La Vallee Poussin meint, dass die Saka um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. den Indern nicht so vertraut waren, dass man sie mit den Griechen in einem Kompositum vereinigte. Gegen dieses Argument hat sich vor allem Sten Konow gewendet mit der Bemerkung, dass man von den Saka schon Kenntnis haben konnte, bevor sie noch in Indien eingedrungen und selhaft geworden waren 14). Immerhin ist eine Einstufung in das indische Kastensystem eher bei Volkern wahrscheinlich, mit denen man in enger Beruhrung lebte. Vor allem aber ist aus dem Text des Mahabhasyam noch nicht alles herausgeholt, was sich ihm entnehmen lasst. Patanjali's Darlegung an der angefuhrten Stelle verlauft nam. lich folgendermassen: Er wirft die Frage auf, was unter ,,nichtausgeschlossen" (aniravasitah) zu verstehen ist, und erwagt verschiedene Deutungsmoglichkeiten. Die erste davon besagt, nichtausgeschlossen bedeute ,,aus Aryavartah nicht ausgeschlossen" (aryavartad aniravasitah). Er weist sie ab mit der Bemerkung, dass dann die Komposita Kiskindhagandikam, Sakayavanam und sauryakrauncam nicht berechtigt waren. Denn diese Volker oder Stamme wohnen ausserhalb des Aryavartah, wahrend doch die gebrauchliche Dvandva-Bildung im Singular voraussetzt, dass sie nicht ausgeschlossen sind. Um diese Angaben richtig zu verwerten, mussen wir uns zunachst fragen, was Patanjali unter Aryavartah, dem Wohnort der Arier, versteht. Die Antwort darauf ist leicht, da er es selbst sagt, und zwar mit folgenden Worten (I S. 475, 3 und III S. 174, 76. = II S. 537 b und V S. 261 al: prag adarsat pratyak kalakavanad daksinena himavantam uttarena pariyatram. May nun die Bestimmung der hier angegebenen Grenzen im einzelnen auch nicht ganz sicher sein, klar ist jedenfalls, dass es sich um eine altertumliche Auffassung handelt, wie sie auch in anderen alten Texten, wie im Vasisthadharmasastram I, 8-9, oder im Baudhayanadharmasastram I, 1, 27, zu finden ist, nach der die Grenzen des Aryavartah sehr eng gezogen sind und dieser sich nur auf einen Teil Nordindiens be ") Sten Konow. Professor Poussin on Sakayavanam. Indian Culture 3/1936, S. 1-7. 109 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ schrankt 15). Mit Pariyatrah ist das Vindhya-Gebirge gemeint. Das Kalakavanam wird in der Gegend von Saketa angenommen 16). Fur Adarsah steht in den Parallelversionen Vinasanam, das heisst der Ort, wo sich die Sarasvati in der Wuste verliert 17). Ausserhalb dieses Bereiches, wohnten also die von Patanjali genannten Volker. Wo aber wohnten sie, wenn wir zunachst von den Saka und Yavana absehen? Darauf lasst sich leider keine genaue Antwort geben, da die Quellen versagen. Immerhin lasst sich sagen, dass weder die Namen noch sonst etwas auf ausserindische Volker deutet. Wo sich Nachrichten finden, fuhren sie vielmehr nach Indien oder in die indischen Grenzgebiete 18). Ausdrucklich bezeugt sind die Kiskindha als ein Volk im Vindhya-Gebirge 19). Die Kraunca, die doch wohl mit dem Krauncaparvatah und dem Krauncarandhram in Verbindung zu bringen sind 20), sassen danach am Rande des Himalaya. Die Saurya schliesslich waren, wenn wir sie mit den Sura gleichsetzen durfen, im nordwestlichen Indien zu Hause. Es handelt sich also um Volker, die auf indischem Boden, aber ausserhalb der engen Grenzen des Aryavartah wohnten. Dasselbe ist daher auch fur die Saka und Yavana anzunehmen. Es sind die Saka und Griechen. gemeint, welche im Indus-Gebiet und im Panjab, also ausserhalb von Patanjali's Aryavartah 21), aber auf indischem Boden sassen. Ausser 15) Uber die verschiedenen Bestimmungen des Aryavartah vgl. P. V. Kane, History of Dharmasastra, Vol. II/1, Poona 1941, S. 11 ff. Vgl. ferner Haran Chandra Chakladar: Eastern India and Aryavarta (Indian Historical Quarterly 4/1928, S. 84-101); S. B. Chaudhuri: Aryavarta (Indian Historical Quarterly 15/1939. S. 110-122); Dinesh Chandra Sirkar: Date of Patanjali's Mahabhasya (ebendort S. 636-638). 10) Agrawala im Journal of the U. P. Historical Society, Vol. 14/1, S. 15 (nach Kane); Nagesa sagt: kalakavanam prayagah. 17) Nagesa sagt: adarsah kuruksetre parvatah. 18) Ich danke hier Herrn Dr. H. Scharfe, Bonn, der die Freundlichkeit hatte. mehrere mir unzugangliche Werke fur mich einzusehen. 19) Der Purana-Index von Diksitar bringt als Belege Brahmapuranam II, 16, 64; Matsyapuranam 114, 52; Vayupuranam 45, 132. 20) Der Krauncaparvatah liegt nach Dey, Geographical Dictionary of Ancient and Mediaeval India, S. 104, in der Nahe des Manasa-sarovar; das Krauncarandhram ist der Niti-Pass im Kumaun-Distrikt. 21) Auch Surastra gehorte nach seiner ausdrucklichen Aussage (I S. 9, 26 f. I S. 65 a) fur ihn nicht zum Aryavartah. 110 Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ indische Volker heranzuziehen, von denen man nur durch Horensagen wusste, hatte Patanjali gar keinen Anlass. Die Auffassung von L. de La Vallee Poussin besteht mithin zu Recht. Was ergibt sich aber daraus fur die Zeit Patanjali's? Der erste Einbruch der Saka in Indien durfte um 120 v. Chr. erfolgt sein ). Grossere Bedeutung gewannen sie erst durch die Eroberungen Moga's iu der ersten Halfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Unter diesen Unstanden ist es bedenklich, mit dem Ansatz Patanjali's uber das erste vorchristliche Jahrhundert hinauszugehen. Ein Ansatz um die Mitte des 2. Jahrhunderts oder gar noch fruher scheint unmoglich. Von sejten der Geschichte der indischen Philosophie lasst sich vorlaufig zu dieser Frage leider nichts sagen, da fur diesen Zeitraum Zeitansatze nur vermutungsweise gegeben werden konnen auf Grund einer relativen Chronologie. Mir scheint jedoch, soweit ich die Dinge uberblicke, ein Ansatz Patanjali's vor dem Beginn unserer Zeitrechnung bedenklich: Hoffentlich ermoglichen die Ergebnisse wei. terer Forschungen eines Tages genauere Aussagen. Anhang Anschliessend an die Besprechung Patanjali's will ich noch kurz auf den Mimansa-Text eingehen, den er in dem behandelten Abschnitt des Mahabhasyam benutzt. Dieser Text verdient namlich besondere Beachtung. Denn er ist nach den Sutren der weitaus alteste Mimamsa-Text, der uns fassbar wird, und ist mehrere Jahrhunderte alter als Sabarasvami. Ich stelle zunachst zusammen, was bei Patanjali lavon erhalten ist. Das Original lasst sich dabei allerdings nicht wiederherstellen. Vor allem hat Patanjali nicht den ganzen Text ausgeschrieben, sondern nur Stucke ubernommen, die ihm fur seine Zwecke geeignet schienen. Ausserdem hat er Anderungen daran vor. genommen, deren Umfang sich nicht genau bestimmen lasst. Er hat. >> Ich folge hier den Zeitansatzen, die Et. Lamotte in seiner Histoire du Bouddhisme Indien, des origines a l'ere Saka (Bibliotheque du Museon Vol. 43). Louvain 1958, S. 499 ff., gibt. . 111 Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ wie wir bereits besprochen haben, die Reihenfolge geandert. Er hat aber daruber hinaus auch am Wortlaut mancherlei Veranderungen durchgefuhrt. Sicher gehoren ihm die eingeschobenen Satze, welche die Beziehung zum grammatischen Grundtext herstellen. Ferner scheinen mir die kommentariellen Zusatze, welche Bedeutung und Verhaltnis der einzelnen Absatze zueinander erklaren, in ihrer Flachheit und Umstandlichkeit die Mache Patanjali's zu verraten. Schliesslich durfte es auch er gewesen sein, der dem Text die Form von Merkspruchen und Erklarungen gab. Unter diesen Umstanden ist es aussichtslos, das Original wiedergewinnen zu wollen. Es soll daher nur versucht werden, das zusammenzustellen, was ihm inhaltlich mit Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden kann. Lassen wir also die Zusatze, die Patanjali gehoren durften, weg und ordnen wir die ubrigen Stucke in der von uns erschlossenen Reihenfolge an, so erhalten wir folgenden Text: $1. .......... codanasu tasyarambhan manyamahe dravyam abhidhiyata iti, gaur anubandhyo 'jo'gnisomiya iti, akstau coditayam dravya arambhanal. ambhanaproksanavisasanadini kriyante. $ 2. na caikam anekadhikaranastham yugapad upalabhyate. na hy eko devadatto yugapat srughne bhavati mathurayam ca. vinase pradurbhave ca sarvam tatha syat. kim? vinasyec ca praduhsyuc ca. sva mrta iti sva nama loke na pracaret. gaur jata iti sarvam gobhutam anavakasam syat. asti ca vairupyam, gaus ca gaus ca khando munda iti, evam ca krtva vigraha upapanno bhavati, gaus ca gaus ceti. vyarthesu ca muktasamsayam bhavati, aksah padah masa iti. $ 3. ekakrtih sa cabhidhiyata iti. katham punar jnayata ekakrtih sacabhidhiyata iti? prakhyavisesat. na hi gaur ity ukte visesah prakhyayate sukla nila kapila kapotiketi. avyapavargagates ca manyamaha akrtir abhidhiyata iti. na hi gaur ity ukte vyapavargo gamyate sukla nila kapila kapotiketi. jnayate caikopadistam. gaur asya kadacid upadisto bhavati. sa tam anyasmin dlese 'nyasmin kale 'nyasyam ca vayovasthayam drstva janaty ayam 112 Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gaur iti. evam ca krtva dharmasastram pravrttam. brahmano na hantavyah, sura na peyeti brahmanamatram na hanyate, suramatram ca na piyate. yadi dravyam padarthah syad, ekam brahmanam ahatvaikam ca suram apitvanyatra kumacarah syat. $ 4 (=1). akstav arambhanadinam sambhavo nastiti krtvakrtisahacarite dravya arambhanadini bhavisyanti. $5 (=2). na caikam anekadhikaranastham yugapad upalabhyata ity adityavad vinayo bhavisyati, tad yatha, eka adityo 'nekadhikaranastho yugapad upalabhyate. itindravad visayah, tad yatha, eka indro 'nekasmin kratusata ahuto yugapat sarvatra bhavati. evam akrtir yugapat sarvatra bhavisyati. avinaso 'nasritatvat. vairupyavigrahav api dravyabhedad bhavisyatah, vibhinnarthesu ca samanyat siddham sarvam. asnoter aksah, padyateh padah mimiter masah. tatra kriyasamanyat siddham, aparas tv aha, purakalpa etad asit sodasa masah karsapanam, sodasaphalas ca masasambatyah. tatra samkhyasamanyat siddham. $ 6. dravyabhidhane tv akrter asampratyayah syat. tatra ko dosah? tatrasarvadravyagatih prapnoti. asarvadravyagatau ko dosah? gaur anubandhyo 'jo 'gnisomiya ity ekah sastroktam kurvita, aparo 'sastroktam. asastrokte ca kriyamane vigunam karma bhavati, vigune ca karmani phalanavaptih, nanu ca yasyapy akrtih padarthas, tasyapi yady anavayavena codyate na canubadhyate vigunam karma bhavati, vigune ca karmani phalanavaptih? evam tarhy anavayavena codyate pratyekam ca parisamapyate yathadityah. nanu ca yasyapi dravyam padarthas, tasyapy anavayavena codyate pratyekam ca parisamapyate? codanayam caikasyopadhivrtter manyamahe akrtir abhidhiyata iti. agneyam astakapalam nirvapet, ekam nirupya dvitiyas titiyas ca nirupyate. yadi ca dravyam padarthah syad, ekam nirupya dvitiyasya trliyasya ca nirvapanam na prakalpeta. Betrachten wir diesen Text und vergleichen wir ihn mit der spateren Mimansa-Uberlieferung bei Sabarasvami, so ist als erstes die Fragestellung zu beachten, von der er ausgeht. Wir haben gesehen, dass der grammatische Grundtext Patanjali's zur Frage des Gegenstandes der Worte zwar die zwei Ansichten kennt, dass die 113 Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Worte die Form, beziehungsweise die einzelnen Dinge bezeichnen, dass er aber an unserer Stelle diese Frage nicht weiter erortert. Naturlich hat aber die altere Grammatik dieses Problem auch anderweitig behandelt und wir wissen durch Patanjali, in welchem Zusammenhang es geschah. Er selbst begnugt sich zwar, wo er zuerst die Frage aufwirft (I S. 6,8-11 = I S. 52 b--53 a), in seiner gewohnten Gleichgultigkeit theoretischen Fragen gegenuber zu erklaren, dass, nach der Ausdrucksweise Panini's zu urteilen, die Worte sowohl die Form als auch die einzelnen Dinge bezeichnen. Im An. schluss an den Satz siddhe sabdarthasambandhe (I S. 6, 16 = I S.55 a), der als Voraussetzung der Grammatik die Ewigkeit von Wort, Gegen. stand und der Verbindung beider lehrt, gibt er aber die. Meinung alterer Lehrer zu dieser Frage wieder, von denen er den Verfasser des Samgrahah, also Vyali, in diesem Zusammenhang ausdrucklich nennt 23). Eine dieser Ansichten, offenbar die Vyali's, besagt, dass das einzelne Ding, oder, wie wir hier besser sagen, die Substanz, dravyam) der Gegenstand des Wortes ist, weil die Substanz ewig ist, wahrend die Form wechselt (I S. 7, 11-18 = I S. 58 b). Die zweite Ansicht betrachtet die Form als Gegenstand des Wortes und erklart sie fur ewig, weil sie nicht an einem einzigen Ding haftet (I S. 7, 18 - 23 -- I S. 59 a--b). Wir finden also hier die beiden Ansichten uber den Gegenstand des Wortes wieder, aber verknupft mit der Behauptung, dass dieser Gegenstand ewig ist. Und das hat seinen guten Grund. In der Grammatik entwickelte sich namlich fruh die Lehre, dass das Wort ewig ist. Das ewige Wort verlangt aber einen ewigen Gegenstand. Und so musste man sich die Frage vorlegen, welches dieser ewige Gegenstand ist. Auf diesem Weg kam man also hier zum Problem des Gegenstandes der Worte. 3) Wenn Vyadi den angefuhrten Satz kommentierte, wie aus Patanjali hervor. zugehen scheint, so kann dieser naturlich nicht von dem gleichen Verfasser stammen, wie Varttikam 45 zu Sutram I, 2, 64, das die Ansicht Vyadi's zitiert. Aber diese Frage geht uber den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes hinaus, wie ich hier auch sonst zu weit fuhrenden Fragen ausgewichen bin. Es muss aber auch in Betracht gezogen werden, dass die Identitat des Samgrahakara's und Vyadi's spat bezeugt und unsicher ist. (Bemerkung Dr. Scharfes.) 114 Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Mimamsa kennt nun ebenfalls diese Verknupfung der Fragen nach dem Wesen des Wortes, seinem Gegenstand und der Verbindung beider. Aber sie erscheint hier verhaltnismassig spat, im Vsttikarayranthah, wie sich uberhaupt die Sprachtheorie in der Mimamsa langsam und allmahlich entwickelte. Daneben finden wir aber in einem andern Abschnitt Sabarasvami's, der auf altere Quellen zuruckgeht, im Bhasyam zu den Sutren I, 3, 30--35, die Frage nach dem Gegenstand der Worte getrennt fur sich behandelt. Und hier ist der Ausgangspunkt der gleiche wie in der von Patanjali benutzten Quelle, namlich die Frage, ob die vedischen Vorschriften die Form oder die einzelnen Dinge zum Gegenstand haben. Beide Texte, der Abschnitt Sabarasvami's und die Quelle Patanjali's, gehoren also der gleichen alten Mimansa-Uberlieferung an. Und in beiden wurzelt die Frage nach dem Gegenstand der Worte im Gegensatz zur Grammatik nicht in der Sprachtheorie, sondern dient der Interpretation der vedischen Vorschriften. Vergleichen wir nun diese beiden Texte im einzelnen! Wenn wir zunachst einen Blick auf die Quelle Patanjali's werfen, so ist ihr Aufbau folgender: Zuerst ($ 1) wird als Purvapaksah die Behauptung aufgestellt, dass die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte sind, und damit begrundet, dass sich die im Veda vorgeschriebenen Handlungen auf die einzelnen Dinge richten. Dann (SS 2) wird die Annahme der Form als Gegenstand der Worte bekampft. Es folgt der Uttarapaksah. Er beginnt (33) mit einer Rechtfertigung dieser Annahme. Dann werden die Behauptungen des Gegners widerlegt. Es wird erklart ($ 4 zu $ 1), dass sich die vorgeschriebenen Handlungen dann auf die einzelnen Dinge richten, wenn ihre Beziehung auf die Form unmoglich ist. Darauf wird gezeigt (s 5 zu SS 2), dass die gegnerischen Angriffe gegen die Lehre von der Form nicht stichhaltig sind. Schliesslich (s 6) wird gegen die Lehre des Gegners eingewendet, dass unter diesen Voraussetzungen die vedischen Vorschriften keine allgemeine Gultigkeit haben. Stellen wir dem den Abschnitt bei Sabarasvami gegenuber, so sehen wir zunachst, dass dieser ebenfalls mit einem Purvapaksah . 115 Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ beginnt, welcher die einzelnen Dinge als Gegenstand der Worte lehrt. Die wichtigsten Satze lauten dabei folgendermassen 24): yadi laukikas ta evarthas, tada sandehah: kim akrtih sabdartho 'tha vyaktir iti. ..... tad ucyate: vyaktih sabdartha iti. kutah? prayogacodanabhavat, alambhanaproksanavisasanadinam prayogacodana akrtyarthe na sambhaveyuh. yatrocarananarthakyam, tatra vyaktyarthah; ato 'nyatraketivacana iti cet, uktam: anyayas cane. karthatvam iti. katham samanyavagatir iti cet, vyaktipadarthakasy. akrtis cihnabhuta bhavisyati: ya evamakstih, sa gaur iti. yatha yasya dando 'sti, sa danditi. na ca dandavacano dandisabdah. evam ihapi. Vergleichen wir damit die Quelle Patanjali's, so ist zunachst festzustellen, dass die Frage des Vorhandenseins der Form als Gegenstand der Worte hier nicht erortert wird. Dass eine solche Erorterung der alten Mimamsa aber nicht fremd war, zeigt eine Bemerkung des Vrttikarah 25). Nur Sabarasvami hat an unserer Stelle davon abgesehen. Damit fallen $ 2, 3 und 5 der Quelle Patanjali's fur die Vergleichung aus. Dafur findet das Ubrige inhaltlich und der Reihenfolge nach seine genaue Entsprechung. Zunachst wird die Behauptung, dass die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte seien, damit begrundet, dass das in den vedischen Vorschriften angeordnete Anbinden, Besprengen und Schlachten an den einzelnen Dingen vollzogen wird (= $ 1). Dann wird dagegen eingewendet, dass die Worte im allgemeinen die Form ausdrucken und sich nur auf die einzelnen Dinge beziehen, wenn sonst die betreffenden Vorschriften sinnlos waren (= $ 4). Ferner wird der Einwand vorgebracht, dass bei der Annahme des Gegners die Vorschriften nicht allgemein auf. gefasst wurden (=$6). . Die Ubereinstimmung ist auffallend. Aber ein grosser Unterschied besteht gegenuber der Quelle Patanjali's. Bei Sabarasvami gehort alles zu einem Purvapaksah, und was bei Patanjali den Uttarapaksah %) Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S.54, 97-55, 6; Ausgabe der Anandasrama Sanskrit Series Vol. I S. 294, -301, 25) Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S. 11, 1; Ausgabe der Anandasrama Sanskrit Series Vol. I S. 50,11 116 Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ bildet, erscheint hier nur in der Form von Einwanden, die sofort zuruckgewiesen werden. Und tatsachlich bildet bei Sabarasvami alles nur den Anfang einer langeren Erorterung. Zunachst wird nach dem angefuhrten Purvapaksah kurz die Behauptung aufgestellt, dass die Form der Gegenstand der Worte ist 26). Dann werden in einem neuen Purvapaksah die beiden Thesen einander gegenubergestellt. Und nun wird an der Hand des letzten oben angefuhrten Einwandes in ausfuhrlicher Auseinandersetzung gezeigt, dass, wenn die einzelnen Dinge Gegenstand der Worte waren, die vedischen Vorschriften unmoglich allgemeine Gultigkeit haben und sich auch auf andere Einzeldinge erstrecken konnen. Das bringt schliesslich den Vertreter jener Lehre dazu, die. Behauptung aufzustellen, dass neben den Einzeldingen von den Worten auch die Form als ihr Merkmal ausgedruckt wird, und dass je nach dem, was man zum Ausdruck bringen will, bald dieses bald jenes als Hauptsache und das andere als Nebensache erscheint. Daraufhin setzt der abschliessende Uttarapaksah ein, der zeigt, dass die Worte nur die Form ausdrucken, und dass erst durch die Form die Einzeldinge erkannt werden. Damit zeichnet sich das Verhaltnis der Quelle Patanjali's zur Uberlieferung bei Sabarasvami deutlich ab. Sie enthalt eine altere Auffassung der Probleme, uber die die Zeit Sabarasvami's und seiner Gewahrsmanner langst hinweggegangen ist, und die in ihr vorgetragenen Gedanken leben bei Sabarasvami nur noch in einem rasch zuruckgewiesenen Purvapaksah weiter. Nun aber noch eine Bemerkung zu Patanjali. Wir haben gesehen. dass er in dem von uns behandelten Abschnitt aus einer alten Mimamsa - Quelle schopft, die allem Anschein nach weit vor Sabarasvami liegt. Und er greift die Gedanken dieser Quelle noch ofter auf. So fuhrt er mehrmals als vorbildliche Regel den Satz an. dass dort, wo eine Beziehung der im Veda vorgeschriebenen Handlungen auf die Form nicht moglich ist, sie an den einzelnen Dingen 2) Von den Bemerkungen, die nur der Erklarung der Sutren dienen, sehe ich hier ab. 117 Page #28 -------------------------------------------------------------------------- ________________ vollzogen werden mussen 27). Uberraschenderweise finden wir da. neben aber auch plotzlich einen Gedanken, der ganz aus dem gewohnten Rahmen fallt. Bei dem Stuck, das wir zuerst aus dem besprochenen Abschnitt Patanjali's als spateren Zusatz ausgesondert haben, sind wir auf einen Absatz gestossen, in dem sich einige Satze finden, die fast wortlich bei Sabarasvami wiederkehren 28). In ihnen war gesagt, dass die Worte sowohl die Form als auch die Einzel. dinge ausdrucken, und dass bald das eine, bald das andere Hauptund Nebensache ist. Diese Satze bilden aber bei Sabarasvami in dem eben besprochenen Abschnitt das Ende des zweiten Purvapaksah, gehoren also einer sichtlich fortgeschritteneren Stufe der Entwicklung an als alles, was Patanjali sonst aus seiner Mimamsa-Quelle bringt. Es ist dies einer jener Falle, die bei Patanjali ofter wiederkehren, dass er in seinem Cento auf die uberwiegend alten Lappen plotzlich einen uberraschend jungen Flicken aufsetzt. Aber die Beurteilung dieser Erscheinung muss weiteren Untersuchungen uber Patanjali uberlassen bleiben. Was an dieser Stelle gezeigt werden sollte, ist geschehen, dass namlich Patanjali in seinem Werk unter anderem auch alte Mimamsa-Werke als Quelle verwendete, und dass das bei ihm erhaltene Material einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der alten Mimamsa liefert. Summary Analysing a portion of the Mahabhasyam (Mbh. 1, 2, 64) the author shows in which way Patanjali is treating philosophical problems of language. Patanjali amalgamates rather mechanically the material of his sources without a deeper understanding of the problem. Thereby he loses his importance as an original thinker and it becomes the more important to regain his sources and to examine them thoroughly. In the analysed portion Patanjali uses mainly a Mimamsa work which advocates much older views than those held in Sabarasvami's Bhasyam. . 27) I S. 393,16 # = II S. 386 b; II S. 246, H = IV S. 119 b; II S. 357, 1 = IV S. 276 b. 28) Siehe oben S. 98. Druck: Bruder Hollinek, Wien III, Steingasse 25