Book Title: Sprachtheorie Und Philosophie Im Mhabhasyam Des Patanjali
Author(s): Erich Frauwallner
Publisher: Erich Frauwallner
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ SPRACHTHEORIE UND PHILOSOPHIE IM MAHABHASYAM DES PATANJALI Von Erich Frauwallner Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ We shall probably be doing no injustice to Patañjali. when we maintain that 'he frequently has taken the substance of his discussions and many of his arguments from those older works, even where he has not actually and distinctly quoted from them. (F. Kielhorn) (Voybemerkung: Der folgende Aufsatz soll nur ein Versuch sein und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme lenken. Ich bin kein Kenner der einheimischen indischen Grammatik und das Material auf diesem Gebiet ist in Wien besonders dürftig. Aber vielleicht ist es auch für den grammatischen Spezialisten anregend, zu sehen, wie sich die Dinge jemandem darstellen, der von einer anderen Seite her an sie herankommt. Und wenn mein Versuch den Anstoß gibt, daß ein genauer Kenner Patañjali's den hier aufgeworfenen Problemen in wei. terem Rahmen nachgeht, so hat er seinen Zweck erfüllt.). Patañjali, der Verfasser des Mahābhāşyam, erfreut sich als Graminatiker hohen Ansehens. Wer jedoch von der Sprachtheorie oder Philosophie her zu ihm kommt, wird enttäuscht sein. Patañjali bat weder Interesse noch den Kopf für philosophische Fragen. Vor allem. aber fällt folgende Erscheinung auf, die im Mahābhāsyam immer wiederkehrt. Bei der Besprechung irgendeiner Frage setzt plötzlich ein Absatz ein, der ganz bestimmte, oft hoch entwickelte Begriffe und Gedankengänge voraussetzt. Mit dem Ende dieses Absatzes ist das jedoch vorbei und dieselben Begriffe kehren niemals wieder. Oder wenn sie wiederkehren, so geschieht es in der Regel in demselben Wortlaut 1). Es macht ganz den Eindruck, wie wenn solche Absätze aus einer fremden Quelle übernommen wären. Aber nicht nur das. Es finden sich sogar längere Abschnitte, die ganz aus solchen fremden Stücken zusammengesetzt scheinen. Sollte das zutreffen, so würden sich daraus für die Beurteilung Patañjali's und seines Werkes wichtige Folgerungen ergeben. Ich will daher, um die Lage der Dinge zu verdeutlichen, im folgenden versuchsweise die Analyse eines solchen längeren Abschnittes vorlegen. ) Patañjali liebt es überhaupt, Gleiches mit den gleichen Worten wiederzugeben. 92 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Der gewählte Abschnitt stammt aus dem Kommentar zu dem Sūtram I, 2, 64, welches den ekaśesah lehrta). Pāṇini, welcher die gewöhnlichen Dual- und Pluralbildungen auf gleicher Stufe mit den Dvandva-Kompositen im Dual und Plural betrachtet, vertritt nämlich die Ansicht, daß bei ihnen ähnlich wie bei diesen Kompositen das betreffende Wort eigentlich zweimal oder mehrmal stehen müßte, und daß nur, weil es sich um dasselbe Wort handelt, bloß eines stehen bleibt, während die übrigen weggelassen werden. Diese Lehre, welche der Vārttikakāra Kātyāyaṇa anzweifelt, wird in un. serem Abschnitt von dem Gesichtspunkt aus überprüft, ob das Wort die Form (ākrtih), also das Allgemeine, oder ob es das einzelne Ding (dravyam) bezeichnet. Bezeichnet es die Form, so ist die Lehre vom ekaśesaḥ überflüssig, während sie zu Recht besteht, wenn das Wort die einzelnen Dinge ausdrückt. Der Untersuchung dieses Abschnittes schicke ich zunächst der Übersichtlichkeit halber eine kurze Inhaltsangabe voraus. $1. Lehre Vājapyāyana's: Die Lehre vom ekaśeṣaḥ ist überflüssig, weil das Wort die Form (ākrtih) bezeichnet (S. 242, 10—244,7 = S. 90 b—94 a). a) Begründung der Behauptung, daß das Wort die Form bezeichnet: 1. weil das Erkenntnisbild nicht verschieden ist, 2. weil die Einzeldinge nicht unterschieden werden, 3. weil das einmal Bezeichnete wiedererkannt wird, und 4. weil die Vorschriften der Rechtsbücher im allgemeinen und nicht nur im einzelnen Falle gelten (S. 242, 12-243, 3 = S. 90 b-92 a). b) Rechtfertigung der Annahme der Form: Es kann sich auch ein einziges Ding gleichzeitig an mehreren Orten befinden (S. 243, 4 - 11 =S. 92 a—b). . a) Anwendung auf den ekabesaḥ (S. 243, 12 - 14 = S. 92 b). c) Bekämpfung der Ansicht, daß das Wort das einzelne Ding (dravyam) bezeichnet (S. 243, 14—244,7 = S. 93 a_94 a). *) Derselbe Abschnitt wurde bereits von 0. Strauss, ZDMG 81/1927, S. 137–150, übersetzt, ist also leicht zugänglich. Ich zitiere nach Seiten- und Zeilenzahlen der Mahābhāsya-Ausgabe von F. Kielhorn, füge aber, da diese vergriffen ist, die Seiten. zahlen der Ausgabe der Nirnaya-Sâgar Press bei. S 93 2 Frauwallner Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ******** 23 f. a) Anwendung auf den ekaseṣaḥ (S. 243, & 244, 1 f. S. 93 a & 93 b). § 2. Lehre Vyadi's: Das Wort drückt das einzelne Ding (dravyam) aus, weil nur so Geschlecht und Zahl berechtigt sind (S. 244, -246, 25 S. 94 b-96 b). a) Begründung der Lehre, daß das einzelne Ding der Gegenstand der Worte ist: Die in den vedischen Vorschriften angeordneten Handlungen richten sich auf die Einzeldinge (S. 244, 13-16 S. 95 a). b) Bekämpfung der Lehre von der Form: 1. ein einziges Ding kann nicht zugleich an mehreren Orten sein, 2. beim Entstehen oder Vergehen eines Dinges müßten alle gleichartigen Dinge entstehen oder vergehen, 3. man erkennt eine Verschiedenheit bei den bezeichneten Dingen und 4. man unterscheidet sie voneinander, 5. bei Homonymen kann unmöglich die Form bezeichnet werden (S. 244, IT bis 245, S. 95 a-96 b). = 94 5 a) Anwendung auf den ekaseṣaḥ (S. 245, S. 96 b). § 3. Widerlegung der Lehre Vyadi's: Geschlecht und Zahl sind auch bei der Form als Gegenstand der Worte berechtigt, weil sie sich auf die wechselnden Eigenschaften derselben beziehen, oder weil sich, ähnlich wie bei Eigenschaftswörtern, Geschlecht und Zahl nach den Einzeldingen richten, denen die Form zukommt (S. 245,6-247, 16 S. 96 b-101 b). a) Auch wenn die Form der Gegenstand der Worte ist, werden doch die in den vedischen Vorschriften angeordneten Handlungen auf die Einzeldinge bezogen, weil diese mit der Form verbunden sind (S. 246, 24-26 = S. 99 b). b) Die Form besteht, und zwar aus folgenden Gründen: 1. es kommt vor, daß ein einzelnes Ding sich gleichzeitig an mehreren Orten befindet, 2. beim Vergehen der Einzeldinge vergeht die Form -nicht, weil sie nicht an ihnen haftet oder nicht dasselbe Wesen hat. 3.-4. daß man eine Verschiedenheit bei den bezeichneten Dingen erkennt und sie voneinander unterscheidet, beruht auf der Verschie denheit der Einzeldinge, 5. auch bei Homonymen besteht eine Gleichartigkeit (S. 246, 27-247, 16 S. 100 a-101 b). Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Aus diesem Abschnitt wollen wir zunächst ein Stück betrachten, bei dem sich die Verwendung einer fremden Quelle mit Sicherheit nachweisen läßt, nämlich den Anfang von § 3, der Widerlegung der Lehre Vyādi's. Hier verläuft die Darlegung im einzelnen folgender. maßen. Vyādi hatte seine Lehre, daß das einzelne Ding Gegenstand des Wortes ist, damit begründet, daß nur so Geschlecht und Zahl beim Wort gerechtfertigt seien, weil Geschlecht und Zahl nur den einzelnen Dingen zukommen; denn die eine ewige Form kennt weder Geschlecht noch Zahl. Darauf antwortet der Verfechter der Lehre Vājapyāyana’s: Auch wenn die Form Gegenstand des Wortes ist, läßt sich Geschlecht und Zahl rechtfertigen, weil der einen Form die Eigenschaften der Männlichkeit, Weiblichkeit und Sächlichkeit, sowie der Einzahl, Zweizahl und Mehrzahl anhaften. Der Gegner erwidert: Der Form kann nicht bald die Einzahl, bald die Zweizahl, bald die Mehrzahl anhaften, weil sonst die Lehre, daß die Form eins und ewig ist, hinfällig würde. Darauf modifiziert der Verfechter der Lehre Vājapyāyana's seine Behauptung: Nicht weil bald die Einzahl, bald die Zweizahl und bald die Mehrzahl der Form anhaftet, sondern weil man bald die eine, bald die andere ausdrücken will, ist die Verwendung der Zahl berechtigt. Aber der Gegner hält an seinem Einwand fest. Nun ändert plötzlich der Verfechter der Lehre Vājapyāyana's seinen Standpunkt. Er gibt seine erste Behauptung vollständig auf. Nicht nur die Verwendung der Zahl läßt sich so nicht rechtfertigen, sondern auch die Verwendung des Geschlechtes, weil mit der Form ein und dasselbe Geschlecht dauernd verbunden ist. Er stellt daher, um den erwähnten Schwierigkeiten zu begegnen, eine eigene Lehre vom Geschlecht auf, welche im Gegensatz zur gewöhnlichen Auffassung für die Grammatik gültig ist. Danach ist das Merkmal der Weiblichkeit das Anschwellen (samstyānam) (bei der Schwangerschaft), das Merkmal der Männlichkeit das Zeugen (prasavah). Beides beruht letzten Endes auf den ewig wechselnden Elementeigenschaften (gunāḥ) und kommt daher allen Dingen zu. Das grammatische Geschlecht gründet sich darauf, daß man an einem Ding dieses oder jenes zum Ausdruck bringen will. An diese Recht Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ fertigung der Verwendung des Geschlechts schließt sich eine Recht. fertigung der Zahl, welche ebenfalls den früheren Standpunkt vollkommen preisgibt. Die Wörter drücken sowohl die Form wie die einzelnen Dinge aus. Bald steht dieses, bald jenes im Vordergrund. Und die einzelnen Dinge sind es, welche dabei die Zahl bestimmen. Zum Schluß folgt ein weiterer Klärungsversuch, der wieder an der Form als einzigem Gegenstand des Wortes festhält. So wie sich bei Eigenschaftswörtern Geschlecht und Zahl nach dem Beziehungswort richten, so richten sie sich bei der Form nach den Dingen, auf welche sich die Form stützt. Schon diese Inhaltsangabe zeigt einen auffallenden Bruch in der Gedankenführung. Am Anfang und am Schluß ist an der Form als Gegenstand des Wortes festgehalten und es werden zwei Erklärungsmöglichkeiten für die Verwendung von Zahl und Geschlecht vorgeschlagen: Sie sind entweder durch die Eigenschaften bedingt, welche der Form anhaften, oder sie richten sich nach den Dingen, auf welche sich die Form stützt 3). Was dazwischen steht, wirkt daneben wie ein Fremdkörper. Und tatsächlich paßt es auch inhaltlich nicht in den Gedankenzusammenhang. Der erste Teil, welcher Weiblichkeit und Männlichkeit mit dem Anschwellen und Zeugen begründet, paßt nicht zur Lehre von der Form. Denn das Anschwellen und Zeugen läßt sich unmöglich der einen ewigen Form zuschreiben. Hier ist offensichtlich ein fremder Gedanke ungeschickt hereingezogen. Der zweite Teil wieder, welcher die Verwendung der Zahl rechtfertigen will, gibt die Lehre, daß die Form allein der Gegenstand des Wortes ist, vollkommen preis, und zwar geschieht dies hier das einzige Mal in dem ganzen von uns behandelten Ab. schnitt. Glücklicherweise können wir wenigstens für den ersten Teil einwandfrei nachweisen, daß tatsächlich ein Fremdkörper vorliegt, und 3) Die oben erwähnte Modifikation der ersten Erklärung hat keine besondere Bedeutung. Wenn Gegenstand und sprachlicher Ausdruck nicht miteinander übereinstimmten, sich auf das berufen, was man ausdrücken wollte (vivaksitam), war ganz gebräuchlich und wird von Patañjali nach Belieben geübt. Eine psycholo. gische Vertiefung darin zu sehen wäre verfehlt. 96 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ wir können auch zeigen, woher er stammt. Von den einleitenden Sätzen abgesehen kehrt nämlich dieser Teil wortwörtlich an einer andern Stelle des Mahābhāsyam wieder, nämlich im Kommentar zum Sūtram IV, 1, 34), und ein Blick zeigt, daß er dort seine richtige Stelle hat. Dort wird nämlich die Frage des grammatischen Geschlechts behandelt, und zwar wird zuerst versucht, es vom natürlichen Geschlecht abzuleiten. Dann wird gezeigt, daß dies in zahlreichen Fällen nicht möglich ist und daß in diesen Fällen alle Rechtfertigungsversuche versagen. Und nun folgt die oben wiedergegebene Erklärung vom Standpunkt der Grammatiker, welche als Grundlage der Geschlechtsbezeichnung das Anschwellen und Zeugen annimmt. beide aber auf Grund sāņkhya-ähnlicher Anschauungen als allyemeine Erscheinung auffaßt, so daß die Geschlechtsbezeichnung nur davon abhängt, ob man bei einem Ding dieses oder jenes hervorheben will. Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß diese Erklärung hier ihre ursprüngliche Stelle hat, und daß sie Patañjali von hier in unseren Abschnitt übertragen hat. Mit voller Sicherheit ergibt sich dies außerdem aus folgendem. Die ganze eben erwähnte Erörterung des grammatischen Geschlechts stammt nicht von Patañjali selbst, sondern von einem älteren Kommentator, dem ślokavārttikakāra), und ist mit Versen durchsetzt. Und von diesen Versen hat Patañjali ebenfalls einige Zeilen mit in unseren Abschnitt übernommen. Wir sehen also, daß in dem von uns besprochenen Abschnitt tatsächlich ein Fremdkörper eingeschoben ist. Und zwar hat Patañjali nicht einen fremden Gedanken übernommen oder sich durch ihn anregen lassen, sondern er hat ein ganzes Stück eines andern Textes unverändert in seine Darstellung eingefügt. So weit, was den ersten Teil unseres Abschnittes betrifft. Aber auch mit dem zweiten Teil scheint es sich ähnlich zu verhalten. *) Auch dieser Abschnitt wurde von 0. Strauss übersetzt, und zwar in: „Aus Indiens Kultur“, Festgabe Richard von Garbe, Erlangen 1927, S. 84-94., 5) Vgl. über diesen F. Kielhorn, Notes on the Mahâbhâshya, 4. Some suggestions regarding the verses (Kârikâs) in the Mahâbhâshya. Indian Antiquary 15/1886, S. 228 ff. 3 Frauwallner 97 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Schon erwähnt haben wir die schroffe Änderung des Standpunktes, daß hier plötzlich die Ansicht vertreten wird, daß die Wörter sowohl die Form, als auch die einzelnen Dinge ausdrücken. Dazu kommt, daß die Sätze, welche diese Ansicht aussprechen, fast wörtlich in Sabarasvami's Mīmāmsābhāṣyam wiederkehren "). Nun ist es unwahrscheinlich, daß diese vereinzelt auftretende Ansicht von Patanjali selbst stammt. Und es ist ebenso unwahrscheinlich, daß die breiten Erörterungen Sabarasvami's von der beiläufigen Äußerung Patanjali's abhängen. Patanjali schöpft also offenbar auch hier aus einer fremden Quelle. Und diese kann nicht Sabarasvāmī sein. Denn das ist schon zeitlich unmöglich). Beide dürften daher auf dieselbe Quelle zurückgehen. Und auch hier schließt sich Patanjali im Wortlaut eng an seine Quelle an. Unsere bisherige Untersuchung hat somit für den zunächst behandelten Abschnitt eine deutliche und ganz charakteristische Benützung fremder Quellen durch Patanjali ergeben. Wie steht es nun aber mit dem Rest unseres Textes? 17-19= Hier ist zunächst bemerkenswert, daß sich Patanjali an einer Stelle wiederholt. § 2 b enthält Angriffe gegen die Lehre von der Form. die § 3b zurückgewiesen werden. Der erste dieser Angriffe besagt. daß ein Ding nicht gleichzeitig an mehreren Orten sein kann, wie. es bei der einen ewigen Form der Fall sein müßte (S. 244, S. 95 a). Die Erwiderung verweist auf das Beispiel der Sonne, die gleichzeitig an verschiedenen Orten gesehen wird, und auf den Gott Indra, der gleichzeitig bei vielen Opfern anwesend ist (S. 246, bis 247, S. 100 a). Diese gleiche Behauptung, daß ein Ding tatsächlich zur gleichen Zeit an mehreren Orten sein kann, und die gleichen beiden Beispiele finden sich nun bereits früher § 1b, nur ist der Anfang etwas geändert, da hier kein Purvapaksah vorausgeht. Im übrigen ist der Wortlaut derselbe. = ") na hy akṛtipadarthakasya vyaktir na padarthaḥ, vyaktipadarthakasya vä näkṛtiḥ, ubhayam ubhayasya padarthah. kasyacit kimcit pradhanyena vivakṣitam (Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S. 56, 2325; Ausgabe der Anandasrama Sanskrit Series Vol. I S. 304, 9-11). Der fortgeschritteneren Entwicklung entspre chend ersetzt Sabarasvāmī dravyam durch vyaktiḥ. 7) Sabarasvāmī bringt überdies die erwähnte Ansicht in einem Purvapakṣah. +8 Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Eine solche Wiederholung ist auf jeden Fall auffällig. Immerhin ist sie bei Benützung einer fremden Quelle leichter erklärbar, als in einem unabhängig verfaßten Werk. Und tatsächlich läßt sich zeigen, daß Patañjali hier eine fremde Quelle bearbeitet. An der zweiten Stelle, $ 3 b, erscheinen nämlich in den Merksätzen die beiden Beispiele gleichwertig nebeneinander. In den Erläuterungen dagegen wird das erste Beispiel, das Beispiel von der Sonne, ver. worfen und das zweite, das Beispiel von Indra, an seine Stelle gesetzt. An der ersten Stelle, $ 1b, deren Anfang Patañjali geändert hat, wird nun das Beispiel von der Sonne nicht nur in den Erläuterungen abgelehnt, sondern ist auch im Merksatz gestrichen. Das deutet darauf hin, daß es ebenfalls Patañjali war, der die Ablehnung dieses Beispiels in die Erläuterungen einführte. Das bedeutet aber, daß er einen älteren Text benützte und umarbeitete, in dem das Beispiel von der Sonne als gültig anerkannt war. Und tatsächlich folgt kurz auf die erste Stelle im Verlauf der weiteren Auscinandersetzungen § 1c eine Bemerkung, welche dieses Beispiel als anerkannt voraussetzt (S. 243, 25 = S. 93 b). Allen diesen Stellen liegt also ein älterer Text zugrunde, der das Beispiel von der Sonne ebenso wie das von Indra als gültig anerkannte. Und es ist bemerkenswert, daß auch die Mimāņsā-Überlieferung bei Sabarasvāmī das Beispiel von der Sonne kennt und mit ihm arbeitet 8). Wenn Patañjali aber an den erwähnten Stellen eine fremde Quelle benützte, dann erhebt sich als nächstes die Frage, wie weit die Benützung dieser Quelle reicht. Hier versagen allerdings, so viel ich sehe, die äußeren Anhaltspunkte und wir müssen uns daher auf in. haltliche Erwägungen stützen. Zunächst spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß der ganze Abschnitt, aus dem das eben besprochene Stück mit den zwei Bei. spielen genommen ist, nämlich § 3b, aus derselben Quelle stammt. Und tatsächlich bietet er einen geschlossenen lückenlosen Zusammenhang. Er entspricht ferner als Uttarapakṣaḥ einem Pūrvapakṣaḥ, der etwas früher $ 2 b steht. Der Pūrvapakşaḥ bringt fünf Gründe 9 Zu Mīmāmsāsūtram I, 1, 15 (Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I 5.20, ; Ausgabe der Anandāśrama Sanskrit Series Vol. I S. 80,8m). 99 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gegen das Vorhandensein der Form und diese werden im Uttara. pakṣaḥ in der gleichen Reihenfolge Punkt für Punkt widerlegt. Die Zusammengehörigkeit beider Stücke ist unverkennbar. Wir dürfen also auch den Pūrvapakṣaḥ der gleichen Quelle' zuschreiben. Betrachten wir nun diese beiden Stücke im Zusammenhang, so fällt folgendes auf. In beiden steht die allgemeine Frage nach dem Vorhandensein der Form als Gegenstand der Worte im Vordergrund. Das grammatische Interesse, vor allem die Frage des ekaseșah, tritt ganz zurück. Nur am Schlusse des Pūrvapakṣaḥ (S. 245, 4 = S. 96 b) steht unvermittelt die Bemerkung ākstāv api padārthe ekaśeso vaktavyaḥ, von der im Uttarapakşah überhaupt nicht Notiz genommen wird. Das Gleiche gilt nun aber für eine ganze Anzahl von Abschnitten in unserem Text. Überall handelt es sich ganz allgemein um die Frage der Form als Gegenstand des Wortes. Und überall wird nur in ganz äußerlichen Zusätzen auf das Problem des ekaśeşah verwiesen. Sollten etwa alle diese Abschnitte der gleichen Quelle anyehören? Gehen wir sie zunächst einmal der Reihe nach durch. Der erste dieser Abschnitte folgt unmittelbar auf das erste Vārttikam, in dem die Lehre Vājapyāyana's ausgesprochen ist (§ 1a). Mit den Worten katham punar jñāyata ekākrtiḥ sā cābhidhīyata iti: wird die Frage, ob die Form besteht und der Gegenstand der Worte ist, gestellt und es werden eine Anzahl Gründe dafür vorgebracht. Jeder Hinweis auf die Lehre vom ekaseṣaḥ fehlt. Nun folgt das oben behandelte kurze Stück (1 b), das aus dem Uttarapakṣaḥ $ 3b genommen ist. Danach lesen wir: naikam anekādhikaranastham yugapad iti cet tathaikaśese. yo hi manyate naikam anekādhikaranastham yugapad upalabhyata ity ekaśeşe tasya doṣaḥ syāt. ekaśeşe 'pi naiko vrkşaśabdo 'nekam artham yugapad abhidadhīta. Hier ist es handgreiflich, daß es sich um einen Zusatz handelt, da diese Sätze im Uttarapaksah $ 3 b fehlen. Der nächste Abschnitt behandelt Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man annimmt, daß das Wort das einzelne Ding bezeichnet (s 1c). Er enthält zwei kurze Einschübe, welche an die Lehre vom ekaśeṣaḥ anknüpfen (S. 243, 23 f. = S. 93 a und $. 243, 25 . 1CO Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ :- S. 93 b), der erste mit den mehrmals noch refrainartig wiederkehrenden Worten yac cāsya paksasyopadāne prayojanam ekaśeșo na vaktavya iti sa cedānīm vaktavyo bhavati. Beide lassen sich ohne Störung des Zusammenhanges glatt auslösen. Nun beginnt die Lehre des Vyādi (2). In ihr finden wir zunächst einen Hinweis darauf, daß die vedischen Vorschriften auf die einzelnen Dinge bezogen werden (§ 2 a). Dann folgt der eben besprochene Pūrvapakşaḥ ($ 2 b). Der einzige kurze Verweis auf den ekaśeṣaḥ (S. 245, 4 = S. 96 h) wird im Uttarapakṣaḥ nicht bea rücksichtigt, ist also offenkundig ein Zusatz. Die Widerlegung der Lehre Vyādi's ($ 3) schließlich enthält den Uttarapakṣaḥ zu den zuletzt genannten Stücken (§ 3 a und b). Verweise auf den ekaśesah fehlen hier. Alle diese Abschnitte sind, wie gesagt, inhaltlich gleicher Art. Sind wir also berechtigt, sie alle als Bestandteile fremder Herkunft auszuscheiden und auf dieselbe Quelle zurückzuführen? Zunächst folgende Frage: Lassen sie sich überhaupt aus dem Zu. sammenhang lösen? Was bleibt übrig, wenn wir sie ausscheiden? Machen wir den Versuch, so ist das Ergebnis überraschend. Ohne daß wir ein Wort ändern, ergibt sich ein tadelloser Zusammenhang. Ich gebe im folgenden den so gewonnenen Text wieder. Er spricht für sich selber. ākrtyabhidhānād vaikam vibhaktau Vājapyāyanaḥ // 35/i akrtyabhidhānād vaikam sabdam vibhaktau Vājapyāyana ācāryo nyāyyam manyate." dravyābhidhānam Vyādih // 45 // dravyābhidhānam Vyādir ācāryo nyāyyam manyate, dravyam abhidhīyata iti, tathā ca lingavacanasiddhih || 46 // evam ca krtvā lingavacanāni siddhāni bhavanti, brāhmaṇi brāh. maṇaḥ brāhmanau brāhmaṇā iti. lingavacanasiddhir gunasyānityatvāt // 53 // lingavacanāni siddhāni bhavanti. kutah? gunasyānityatvāt, anityā 101 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ guna apayina upayinaś ca. kim ya ete sukladayah? nety aha, strīpumnapumsakāni sattvaguṇā ekatvadvitvabahutvāni ca. kadācid äkṛtir ekatvena yujyate, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, kadacit strītvena, kadācit pumstvena, kadacin napumsakatvena. bhavel lingaparihara upapanno, vacanaparihāras tu nopapadyate. yadi hi kadacid akṛtir ekatvena yujyate, kadacid dvitvena, kadācid bahutvena, ekākṛtir iti pratijñā hiyeta, yac casya pakṣasyopādāne prayojanam uktam ekaseṣo na vaktavya iti, sa cedanim vaktavyo bhavati. evam tarhi lingavacanasiddhir gunavivakṣānityatvāt || 53 a || lingavacanani siddhani bhavanti. kutah? gunavivakṣāyā anityatvāt. anitya gunavivakṣā, kadācid akṛtir ekatvena vivakṣitā bhavati, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, kadacit strītvena, kadacit pumstvena, kadacin napumsakatvena. bhavel lingaparihāra upapanno, vacanaparihāras tu nopapadyate. yadi kadacid akṛtir ekatvena vivakṣitā bhavati, kadacid dvitvena, kadacid bahutvena, ekākṛtir iti pratijñā hiyeta, yac cāsya pakṣasyopādane prayojanam uktam ekaseṣo na vaktavya iti, sa cedānīm vaktavyo bhavati. guṇavacanavad vā || 54 || gunavacanavad va lingavacanāni bhavisyanti, tad yatha, gunavacanānām sabdānām āśrayato lingavacanāni bhavanti, śuklam vastram, suklā sātī, śuklah kambalah, suklau kambalau, suklaḥ kambalā iti. yad asau dravyam śrito bhavati gunas, tasya yal lingam vacanam ca, tad gunasyapi bhavati. evam ihapi yad asau dravyam śritākṛtis, tasya yal lingam vacanam ca, tad akṛter api bhavisyati. Niemand, der diesen Text allein für sich liest, wird auf den Gedanken kommen, daß hier etwas fehlt. Satz schließt an Satz, Gedanke an Gedanken. Und was das Wichtigste ist, alles ist hier an seinem Platz und paßt in einen Kommentar zu dem behandelten Sūtram Pāṇini's. Zuerst wird der ekaseṣaḥ als überflüssig erklärt. weil das Wort die Form bezeichnet. Dagegen wird eingewendet, daß es die einzelnen Dinge bezeichnen muß, weil nur so der Ge 102 Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ brauch von Geschlecht und Zahl gerechtfertigt ist. Schließlich wird gezeigt, daß sich Geschlecht und Zahl auch rechtfertigen lassen, wenn die Form der Gegenstand des Wortes ist. Dem gegenüber behandeln die ausgeschiedenen Stücke gleichsam wie ein breiter Exkurs «lie Frage nach dem Gegenstand der Worte im allgemeinen und sind an dieser Stelle keineswegs unbedingt nötig. Über ihre Auslösbarkeit kann also kein Zweifel bestehen. Und nun die andere Frage: Gehören diese Stücke zusammen und dürfen wir sie auf die gleiche Quelle zurückführen? Dazu ist zunächst zu sagen, daß sie tatsächlich einen großen geschlossenen Zusammenhang bilden. Es wird die Lehre aufgestellt, daß die Form der Gegenstand des Wortes ist, und diese Lehre wird begründet. gegen gegnerische Angriffe verteidigt und die gegnerische Lehre. daß die einzelnen Dinge der Gegenstand des Wortes sind, bekämpft Isla—c). Dann wird diese Lehre selbst eingeführt, begründet und on ihr aus Angriffe gegen die Lehre von der Form als Gegenstand des Wortes gerichtet ($ 2 a—b). Schließlich werden diese Angriffe widerlegt (3a—b). Die ausgeschiedenen Stücke enthalten somit eine vollständige Behandlung der Frage nach dem Gegenstand der Worte mit allem Für und Wider und bilden so eine Einheit. Allerdings lassen sie sich nicht ohne weiteres, wie wir es vorhin mit den Stücken des Grundtextes getan haben, zu einem lückenlosen Zusammenhang aneinander reihen. Aber das ist kein Wunder. Jener lag Patañjali als Einheit vor und er erweiterte ihn nur, indem er ihn durch Zusätze ergänzte. Hier handelt es sich dagegen um Stücke aus einer fremden Quelle, die er für die Ergänzung des Grundtextes geeignet hielt und die er an Stellen, die ihm dazu passend schienen, einfügte. Es ist nur natürlich, daß er dabei jene Quelle nicht vollständig ausschrieb. Auch die Reihenfolge der übernommenen Stücke braucht keineswegs ihrer Reihenfolge in der Quelle zu entsprechen. Und tatsächlich läßt sich wahrscheinlich machen, daß Patañjali hiebei geändert hat. Zunächst macht schon die oben (S. 98 f.) besprochene Wiederholung eines Absatzes stutzig, daß nämlich nach der Aufstellung der Lehre von der Form als Gegenstand des Wortes ein gegnerischer Einwand 103 Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ zurückgewiesen wird ($ 1b, S. 243, 4 - 11 = S. 92 a—b), welcher später erst vom Gegner, gemacht (S 2 b 1, S. 244, 17-19=S. 95 a) und dann nochmal mit den gleichen Worten widerlegt wird ($ 3b 1, S. 246, 27-247, 4 = S. 100 a). Nun haben wir bereits gesagt, daß dieser Absatz an der zweiten Stelle seinen richtigen Platz hat. Denn dort geht ein längerer Pūrvapakṣaḥ voraus (S 2 a—b), dem der Uttarapakṣaḥ (§ 3 a—b) genau entspricht. Versuchen wir nun aber. diesen Uttarapakṣaḥ, vor dem kein weiteres Stück aus der gleichen Quelle steht, unmittelbar an den Pūrvapakṣaḥ anzuschließen, so sehen wir, daß das Schwierigkeiten bereitet. Die beiden Schnittflächen lassen sich ohne Härte nicht aneinander passen. Es wird nämlich plötzlich auf die vorhergehenden Angriffe vom Standpunkt der angegriffenen Lehre geantwortet, ohne daß diese Lehre vorher eingeführt worden wäre. Nun geht an der Stelle, wo der zweimal wiederkehrende Absatz zum erstenmal erscheint, eine solche Darstellung der eigenen Lehre voraus. Es liegt daher nahe, anzunehmen. daß diese vor den Uttarapakṣaḥ gehört und dort ihre ursprüngliche Stelle hatte. Und in der Tat ergibt sich so ein einwandfreier Gany der Darstellung, besonders, wenn wir den ganzen ersten Abschnitt (§ 1a-c) mit dem Uttarapakşaḥ vereinigen. Dann setzt unser Stück mit dem Pūrvapakṣaḥ ein. Der Gegner stellt die Lehre auf, daß die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte sind, begründet sie kurz und sucht die gegnerische Lehre, daß die Form der Gegenstand der Worte sei, zu widerlegen. Nun folgt der Uttarapakṣaḥ. Zuerst wirel die Lehre, daß die Form der Gegenstand der Worte ist, aufgestellt und begründet. Dann werden die gegnerischen Argumente, vor allem die Angriffe gegen die eigene Lehre widerlegt. Und schließlich wird die gegnerische Lehre selbst bekämpft. Es ergibt sich somit ein tadelloser Zusammenhang. Die ganze Darstellung folgt dem in philosophischen Texten so häufigen Schema. nach dem die eigene Lehre als Uttarapakṣaḥ auf die Darstelluny einer gegnerischen Lehre in einem Pūrvapakṣaḥ folgt. Nun wird aber auch die auffallende Wiederholung des einen Absatzes bei Patañjali erklärbar und verständlich. Der grammatische Grundtext, der ihm vorlag, war nach einem anderen Schema aufgebaut. Er be 104 Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gann mit der Aufstellung der eigenen Lehre, führte dann gegnerische Einwände auf und brachte anschließend ihre Widerlegung. Wollte Patañjali also die Stücke der zweiten Quelle in dieses Schema einfügen, so mußte er den Uttarapaksaḥ an die Spitze stellen. Das war aber nicht restlos möglich. Denn die Antwort auf die gegnerischen Angriffe mußte hinter diesen Angriffen stehen bleiben. Und lort hat er sie auch gelassen. Um aber die so entstandene Lücke im Uttarapakşaḥ zu überbrücken, entschloß er sich, wenigstens einige Sätze beizubehalten. Und so ergab sich die besprochene Wiederbolung. Und nun noch eine letzte Frage: Welcher Art war die Quelle, der Patañjali die besprochenen Stücke entnahm? Betrachten wir die aus ihr genommenen Stücke im Zusammenhang, so zeigt sich zunächst ein schroffer Gegensatz zu dem grammatischen Grundtext, in die sie Patañjali eingefügt hat. Dieser beschäftigt sich ausschließlich init der Frage des ekaśesah und zieht nur zu ihrer Lösung das Problem des Gegenstandes der Worte heran. An sich interessiert ihn · lieses Problem nicht und er geht auch nicht weiter darauf ein. Ganz anders, die zweite Quelle. In ihr wird das Problem des Gegenstandes der Worte in breitem Für und Wider erörtert. Die Beziehung zur Frage des ekaseșaḥ wird nur in kurzen Sätzen hergestellt, die oft schlecht genug in den Zusammenhang passen und die ich für offenkundige Zusätze Patañjali's halte (vgl. oben S. 100 f.). Allerdings wird auch hier das Problem des Gegenstandes der Worte nicht um seiner selbst willen behandelt. Den Ausgangspunkt bildet aber hier die Frage, ob sich die vedischen Vorschriften auf die einzelnen Dinge beziehen, oder auf die als Gattung gedachte Form (S. 244, 13 -- 16 = S. 95 a), und zu dieser Frage kehrt die ganze Erörterung am Schlusse zurück (S. 243, 16-244, 6 = S. 93 a_94 a). Und zwar handelt es sich hier nicht um einzelne Sätze, die sich leicht ausscheiden lassen, sondern um Stücke, die einen festen Bestandteil der Darlegung bilden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen somit nicht grammatische Fragen, sondern die Interpretation der vedischen Vorschriften. Das heißt aber, wir befinden uns hier nicht in der Sphäre der Grammatik, sondern in einem ganz anderem Gedankenkreis, dem 105 Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Gedankenkreis der Mīmāmsā. Nun sind zwar in alter Zeit die Beziehungen zwischen den verschiedenen vedischen Schulen und Hilfswissenschaften überaus eng. Die Einflüsse gehen ständig hin und her. Im vorliegenden Falle scheint mir aber das Zurücktreten des grammatischen und das Vorwiegen des Interesses an der Deutung der vedischen Vorschriften so stark, daß ich die Folgerung für unabweisbar halte, daß Patanjali hier nicht aus einem grammatischen Werk, sondern aus einer Mīmāmsa-Quelle geschöpft hat"). Damit ist die Analyse des von uns gewählten Abschnittes aus Patanjali's Mahābhāṣyam beendet. Wir haben ihn in seine Bestandteile zerlegt und deren Stellung und Herkunft bestimmt. Das Zustandekommen dieses Abschnittes ist demnach etwa folgendermaßen zu denken. Den Ausgangspunkt bildete eine verhältnismäßig einfache grammatische Auseinandersetzung zur Frage des ekaseṣaḥ. In ihr erklärte Vājapyāyana die Lehre vom ekaseṣaḥ für überflüssig, weil das Wort die Form ausdrückt. Diese Anschauung bekämpfte Vyadi mit der Begründung, daß sich die Verwendung von Geschlecht und Zahl nur rechtfertigen lasse, wenn man annimmt, daß das Wort die einzelnen Dinge bezeichnet, wurde aber vom Standpunkt Vājapyāyana's aus widerlegt. In dieser Erörterung vermißte Patanjali eine grundsätzliche Behandlung des Problems des Gegenstandes der Worte. Eine solche fand er in einem alten MīmāmsāText. Diesem entnahm er die geeigneten Abschnitte, fügte sie seinem Grundtext ein und setzte sie durch einige eingeschobene Sätze mit der Frage des ekaseṣaḥ in Beziehung. Außerdem paßte er sie durch verschiedene kommentarielle Bemerkungen seinem Text an. Schließlich fand er es noch in der Polemik gegen Vyāḍi für wünschenswert, die Frage des grammatischen Geschlechts genauer zu behandeln. und schob daher ein Stück aus einem älteren grammatischen Ślokavārttikam ein. Auf diese Art ergibt sich ein charakteristisches Bild von der Arbeitsweise Patanjali's. Bezeichnend für sie ist die starke Verwendung fremder Quellen, wobei er größtenteils den Wortlaut der 9) Über Weiteres vgl. den Anhang. 106 Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Quellen beibehalten zu haben scheint. Bei unserem Abschnitt macht es geradezu den Eindruck, wie wenn sich seine Tätigkeit nur auf das Zusammenfügen der alten Materialien und das Hinzusetzen einiger redaktioneller und kommentarieller Bemerkungen beschränkt hätte. Ja, man möchte fast sagen, er habe mit Kleister und Schere gearbeitet. Ich habe, wie ich anfangs sagte, ein Beispiel aus dem Mahābhāsyam als Probe analysiert. Das Gleiche, was sich hier ergeben hat, gilt aber meiner Überzeugung nach auch sonst in weitestem Maße, zum mindesten soweit es sich um sprachtheoretische und philosophische Partien handelt. Sollte sich das bestätigen, so würde es für die Beurteilung Patañjali's die weitestgehenden. Folgen haben. Seine Lei. stung würde im wesentlichen kompilatorisch sein und seine Persön. lichkeit würde ganz in den Hintergrund treten, während das Haupt. gewicht auf die von ihm verwendeten Quellen fiele. Und es wäre die wichtigste Aufgabe, von diesen Quellen ein möglichst klares Bild zu gewinnen. Diese Auffassung Patañjali's widerspricht allerdings stark dem · herkömmlichen Urteil und der hohen Wertschätzung, deren er sich erfreut. Das herkömmliche Urteil scheint mir aber überhaupt revisionsbedürftig. Es stammt noch aus einer Zeit, in der von der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur der Inder sehr wenig bekannt war. Beurteilen wir Patañjali nach unserem heutigen Wissen, so schneidet er wesentlich ungünstiger ab. Ich möchte seine Arbeit, soweit ich die Dinge überblicke, am ehesten etwa mit dem buddhistischen Mahāvibhāṣāśāstram vergleichen. Dort finden wir das gleiche Aneinanderreihen verschiedener Lehren, das häufige Fehlen einer eigenen Stellungnahme und die gleiche kommentarielle Spitzfindigkeit und Breite. Daß Patañjali in weitem Maße mit altem Material arbeitet, 'hat übrigens schon ein so gewissenhafter und vorsichtiger Forscher wie F. Kielhorn angenommen 10). Unser Ergebnis führt nur die Erkenntnis Kielhorns weiter. Allerdings führt es dazu, in Patañjali fast nur mehr einen Kompilator zu sehen. Jeden 10) Indian Antiquary 15/1886, S. 228-233. 107 Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ on falls aber wäre es wünschenswert, wenn genaue Kenner der indischen Grammatik das Werk Patañjali's unter den dargelegten Gesichtspunkten erneut prüfen wollten. Vielleicht gelingt es in gemeinsamer Arbeit, die vielen Fragen, welche sich an das Mahābhāsyam knüpfen, allmählich der Lösung zuzuführen. Und nun zum Schluß noch einige Bemerkungen über die Zeit Patañjali's. Was Patañjali an sprachtheoretischem und philosophischem Material bringt, enthält neben vielem Alten auch manches. was recht jung anmutet. Und damit erhebt sich die Frage, in welche Zeit er zu setzen ist. Die bisherigen Datierungsversuche haben keine sichere Entscheidung gebracht. Die historischen Anspielungen im Mahābhāṇyam, besonders zu Sūtram III, 2, 111, führen in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Doch ist die Verläßlichkeit der darauf gebauten Beweisführung schon früh angezweifelt worden und in jüngerer Zeit hat vor allem L. de La Vallée Poussin darauf hin. gewiesen 11), daß ihr der Boden entzogen ist, sobald man annimmt, daß Patañjali seine Beispiele einer älteren Quelle entlehnt hat. Und angesichts seiner eben besprochenen starken Abhängigkeit von älteren Quellen gewinnt dieses Argument an Stärke. Zwar, sobald einmal auf die Notwendigkeit hingewiesen war, die Beispiele zum genannten Sūtram der eigenen Zeit anzupassen, konnten sie zum „Leitfossil für die Geschichte der indischen Sprachwissenschaft“ werden 12). Aber war das schon zur Zeit Patanjali's der Fall? Für einen späteren Ansatz Patañjali's hat andererseits L. de La Vallée Poussin auf die Erklärungen hingewiesen, welche das Mahā. bhāsyam zu Sūtram II, 4, 10, gibt 13). In diesem Sūtram wird gelehrt, daß ein Dvandva-Kompositum im Singular stehen kann, wenn es sich um nichtausgeschlossene (aniravasitāh) Śūdra handelt. Dazu führt Patañjali als Beispiel unter anderem Śakayavanam an und 11) L. de La Vallée Poussin, L'Inde aux temps des Mauryas et des Barbares, Grecs, Scythes, Parthes et Yue-tchi (Histoire du Monde, publiée sous la direction de M. E. Cavaignac, tome VI/I), Paris 1930, pp. 1994-202. 19) B. Liebich, Ksiratarangini (Indische Forschungen, Heft 8/9), Breslau 1930. S. 264. 13) A. a. O., S. 201 f. 108 Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ L. de La Vallée Poussin meint, daß die Saka um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. den Indern nicht so vertraut waren, daß man sie mit den Griechen in einem Kompositum vereinigte. Gegen dieses Argument hat sich vor allem Sten Konow gewendet mit der Bemerkung, daß man von den Saka schon Kenntnis haben konnte, bevor sie noch in Indien eingedrungen und selhaft geworden waren 14). Immerhin ist eine Einstufung in das indische Kastensystem eher bei Völkern wahrscheinlich, mit denen man in enger Berührung lebte. Vor allem aber ist aus dem Text des Mahābhāşyam noch nicht alles herausgeholt, was sich ihm entnehmen läßt. Patañjali's Darlegung an der angeführten Stelle verläuft näm. lich folgendermaßen: Er wirft die Frage auf, was unter „nichtausgeschlossen“ (aniravasitah) zu verstehen ist, und erwägt verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Die erste davon besagt, nichtausgeschlossen bedeute „aus Āryāvartah nicht ausgeschlossen“ (āryāvartād aniravasitah). Er weist sie ab mit der Bemerkung, daß dann die Komposita Kişkindhagandikam, Sakayavanam und sauryakrauñcam nicht berechtigt wären. Denn diese Völker oder Stämme wohnen außerhalb des Āryāvartah, während doch die gebräuchliche Dvandva-Bildung im Singular voraussetzt, daß sie nicht ausgeschlossen sind. Um diese Angaben richtig zu verwerten, müssen wir uns zunächst fragen, was Patañjali unter Aryāvartah, dem Wohnort der Arier, versteht. Die Antwort darauf ist leicht, da er es selbst sagt, und zwar mit folgenden Worten (I S. 475, 3 und III S. 174, 76. = II S. 537 b und V S. 261 al: prāg ādarsāt pratyak kālakavanād dakṣiṇena himavantam uttarena pāriyātram. May nun die Bestimmung der hier angegebenen Grenzen im einzelnen auch nicht ganz sicher sein, klar ist jedenfalls, daß es sich um eine altertümliche Auffassung handelt, wie sie auch in anderen alten Texten, wie im Vāsisthadharmaśāstram I, 8–9, oder im Baudhāyanadharmaśāstram I, 1, 27, zu finden ist, nach der die Grenzen des Āryāvartah sehr eng gezogen sind und dieser sich nur auf einen Teil Nordindiens be ") Sten Konow. Professor Poussin on Sakayavanam. Indian Culture 3/1936, S. 1-7. 109 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ schränkt 15). Mit Pariyātrah ist das Vindhya-Gebirge gemeint. Das Kālakavanam wird in der Gegend von Saketa angenommen 16). Für Adarśaḥ steht in den Parallelversionen Vinaśanam, das heißt der Ort, wo sich die Sarasvati in der Wüste verliert 17). Außerhalb dieses Bereiches, wohnten also die von Patañjali genannten Völker. Wo aber wohnten sie, wenn wir zunächst von den Saka und Yavana absehen? Darauf läßt sich leider keine genaue Antwort geben, da die Quellen versagen. Immerhin läßt sich sagen, daß weder die Namen noch sonst etwas auf außerindische Völker deutet. Wo sich Nachrichten finden, führen sie vielmehr nach Indien oder in die indischen Grenzgebiete 18). Ausdrücklich bezeugt sind die Kişkindha als ein Volk im Vindhya-Gebirge 19). Die Krauñca, die doch wohl mit dem Krauñcaparvataḥ und dem Krauñcarandhram in Verbindung zu bringen sind 20), saßen danach am Rande des Himalaya. Die Saurya schließlich waren, wenn wir sie mit den Śūra gleichsetzen dürfen, im nordwestlichen Indien zu Hause. Es handelt sich also um Völker, die auf indischem Boden, aber außerhalb der engen Grenzen des Aryavartaḥ wohnten. Dasselbe ist daher auch für die Saka und Yavana anzunehmen. Es sind die Saka und Griechen. gemeint, welche im Indus-Gebiet und im Panjāb, also außerhalb von Patanjali's Aryavartah 21), aber auf indischem Boden saßen. Außer 15) Über die verschiedenen Bestimmungen des Aryavartaḥ vgl. P. V. Kane, History of Dharmasastra, Vol. II/1, Poona 1941, S. 11 ff. Vgl. ferner Haran Chandra Chakladar: Eastern India and Aryavarta (Indian Historical Quarterly 4/1928, S. 84-101); S. B. Chaudhuri: Aryavarta (Indian Historical Quarterly 15/1939. S. 110-122); Dinesh Chandra Sirkar: Date of Patanjali's Mahābhāṣya (ebendort S. 636-638). 10) Agrawala im Journal of the U. P. Historical Society, Vol. 14/1, S. 15 (nach Kane); Nageśa sagt: kālakavanam prayagaḥ. 17) Nageśa sagt: ādarśaḥ kuruksetre parvataḥ. 18) Ich danke hier Herrn Dr. H. Scharfe, Bonn, der die Freundlichkeit hatte. mehrere mir unzugängliche Werke für mich einzusehen. 19) Der Purāṇa-Index von Diksitar bringt als Belege Brahmapurāṇam II, 16, 64; Matsyapuranam 114, 52; Vayupurāṇam 45, 132. 20) Der Krauñcaparvataḥ liegt nach Dey, Geographical Dictionary of Ancient and Mediaeval India, S. 104, in der Nähe des Manasa-sarovar; das Krauñcarandhram ist der Niti-Pass im Kumaun-Distrikt. 21) Auch Surästra gehörte nach seiner ausdrücklichen Aussage (I S. 9, 26 f. I S. 65 a) für ihn nicht zum Aryavartaḥ. 110 Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ indische Völker heranzuziehen, von denen man nur durch Hörensagen wußte, hatte Patañjali gar keinen Anlaß. Die Auffassung von L. de La Vallée Poussin besteht mithin zu Recht. Was ergibt sich aber daraus für die Zeit Patañjali's? Der erste Einbruch der Saka in Indien dürfte um 120 v. Chr. erfolgt sein ). Größere Bedeutung gewannen sie erst durch die Eroberungen Moga's iu der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Unter diesen Unständen ist es bedenklich, mit dem Ansatz Patañjali's über das erste vorchristliche Jahrhundert hinauszugehen. Ein Ansatz um die Mitte des 2. Jahrhunderts oder gar noch früher scheint unmöglich. Von sejten der Geschichte der indischen Philosophie läßt sich vorläufig zu dieser Frage leider nichts sagen, da für diesen Zeitraum Zeitansätze nur vermutungsweise gegeben werden können auf Grund einer relativen Chronologie. Mir scheint jedoch, soweit ich die Dinge überblicke, ein Ansatz Patañjali's vor dem Beginn unserer Zeitrechnung bedenklich: Hoffentlich ermöglichen die Ergebnisse wei. terer Forschungen eines Tages genauere Aussagen. Anhang Anschließend an die Besprechung Patañjali's will ich noch kurz auf den Mimāņsā-Text eingehen, den er in dem behandelten Abschnitt des Mahābhāsyam benützt. Dieser Text verdient nämlich besondere Beachtung. Denn er ist nach den Sūtren der weitaus älteste Mīmāmsā-Text, der uns faßbar wird, und ist mehrere Jahrhunderte älter als Sabarasvāmi. Ich stelle zunächst zusammen, was bei Patañjali lavon erhalten ist. Das Original läßt sich dabei allerdings nicht wiederherstellen. Vor allem hat Patañjali nicht den ganzen Text ausgeschrieben, sondern nur Stücke übernommen, die ihm für seine Zwecke geeignet schienen. Außerdem hat er Änderungen daran vor. genommen, deren Umfang sich nicht genau bestimmen läßt. Er hat. » Ich folge hier den Zeitansätzen, die Ét. Lamotte in seiner Histoire du Bouddhisme Indien, des origines à l'ère Saka (Bibliothèque du Muséon Vol. 43). Louvain 1958, S. 499 ff., gibt. . 111 Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ wie wir bereits besprochen haben, die Reihenfolge geändert. Er hat aber darüber hinaus auch am Wortlaut mancherlei Veränderungen durchgeführt. Sicher gehören ihm die eingeschobenen Sätze, welche die Beziehung zum grammatischen Grundtext herstellen. Ferner scheinen mir die kommentariellen Zusätze, welche Bedeutung und Verhältnis der einzelnen Absätze zueinander erklären, in ihrer Flachheit und Umständlichkeit die Mache Patañjali's zu verraten. Schließlich dürfte es auch er gewesen sein, der dem Text die Form von Merksprüchen und Erklärungen gab. Unter diesen Umständen ist es aussichtslos, das Original wiedergewinnen zu wollen. Es soll daher nur versucht werden, das zusammenzustellen, was ihm inhaltlich mit Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden kann. Lassen wir also die Zusätze, die Patañjali gehören dürften, weg und ordnen wir die übrigen Stücke in der von uns erschlossenen Reihenfolge an, so erhalten wir folgenden Text: $1. .......... codanāsu tasyārambhān manyāmahe dravyam abhidhīyata iti, gaur anubandhyo 'jo’gnīşomīya iti, ākstau coditāyām dravya arambhaņāl. ambhanaprokşaņaviśasanādīni kriyante. $ 2. na caikam anekādhikaranastham yugapad upalabhyate. na hy eko devadatto yugapat srughne bhavati mathurāyām ca. vināśe prādurbhāve ca sarvam tathā syāt. kim? vinaśyec ca prāduhsyūc ca. śvā mrta iti śvā nāma loke na pracaret. gaur jāta iti sarvam gobhūtam anavakāśam syāt. asti ca vairūpyam, gauś ca gaus ca khando munda iti, evam ca krtvā vigraha upapanno bhavati, gaus ca gaus ceti. vyartheșu ca muktasamsayam bhavati, aksāḥ pādāh māsa iti. $ 3. ekākrtiḥ sā cābhidhīyata iti. katham punar jñāyata ekākrtih sācābhidhīyata iti? prakhyāviseşāt. na hi gaur ity ukte visesah prakhyāyate śuklā nīlā kapilā kapotiketi. avyapavargagateś ca manyāmaha ākrtir abhidhīyata iti. na hi gaur ity ukte vyapavargo gamyate śuklā nīlā kapilā kapotiketi. jñāyate caikopadistam. gaur asya kadācid upadișto bhavati. sa tam anyasmin dleśe 'nyasmin kāle 'nyasyām ca vayovasthāyām drstvā jānāty ayam 112 Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gaur iti. evam ca krtvā dharmaśāstram pravrttam. brāhmaṇo na hantavyaḥ, surā na peyeti brāhmaṇamātram na hanyate, surāmatram ca na piyate. yadi dravyam padārthaḥ syād, ekam brāhmaṇam ahatvaikām ca surām apītvānyatra kūmacāraḥ syāt. $ 4 (=1). ākstāv ārambhaņādīnām sambhavo nāstīti krtvākrtisahacarite dravya ārambhaņādīni bhavisyanti. $5 (=2). na caikam anekādhikaranastham yugapad upalabhyata ity ādityavad viņayo bhavisyati, tad yathā, eka ādityo 'nekādhikaranastho yugapad upalabhyate. itīndravad visayaḥ, tad yathā, eka indro 'nekasmin kratuśata āhūto yugapat sarvatra bhavati. evam ākrtir yugapat sarvatra bhavisyati. avināso 'nāśritatvāt. vairūpyavigrahāv api dravyabhedād bhavisyataḥ, vibhinnārtheșu ca sāmānyāt siddham sarvam. aśnoter akşaḥ, padyateh pādah mimīter māşah. tatra kriyāsāmānyāt siddham, aparas tv āha, purākalpa etad asīt șodaśa māşāḥ kārşāpaņam, şodaśaphalāś ca māşašambatyah. tatra samkhyāsāmānyāt siddham. $ 6. dravyābhidhāne tv äkrter asampratyayaḥ syāt. tatra ko doṣaḥ? tatrāsarvadravyagatiḥ prāpnoti. asarvadravyagatau ko doşah? gaur anubandhyo 'jo 'gnīşomiya ity ekaḥ śāstroktam kurvīta, aparo 'śāstroktam. aśāstrokte ca kriyamāne viguņam karma bhavati, vigune ca karmaņi phalānavāptih, nanu ca yasyāpy äkrtiḥ padārthas, tasyāpi yady anavayavena codyate na cānubadhyate viguņam karma bhavati, vigune ca karmaṇi phalānavāptiḥ? evam tarhy anavayavena codyate pratyekam ca parisamāpyate yathādityah. nanu ca yasyāpi dravyam padārthas, tasyāpy anavayavena codyate pratyekam ca parisamāpyate? codanāyām caikasyopādhivrtter manyāmahe äkrtir abhidhīyata iti. ågneyam aştakapālam nirvapet, ekam nirupya dvitīyas tỉtīyaś ca nirupyate. yadi ca dravyam padārthaḥ syād, ekam nirupya dvitīyasya trlīyasya ca nirvapaņam na prakalpeta. Betrachten wir diesen Text und vergleichen wir ihn mit der späteren Mimāņsā-Überlieferung bei Šabarasvāmī, so ist als erstes die Fragestellung zu beachten, von der er ausgeht. Wir haben gesehen, daß der grammatische Grundtext Patañjali's zur Frage des Gegenstandes der Worte zwar die zwei Ansichten kennt, daß die 113 Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Worte die Form, beziehungsweise die einzelnen Dinge bezeichnen, daß er aber an unserer Stelle diese Frage nicht weiter erörtert. Natürlich hat aber die ältere Grammatik dieses Problem auch anderweitig behandelt und wir wissen durch Patañjali, in welchem Zusammenhang es geschah. Er selbst begnügt sich zwar, wo er zuerst die Frage aufwirft (I S. 6,8-11 = I S. 52 b—53 a), in seiner gewohnten Gleichgültigkeit theoretischen Fragen gegenüber zu erklären, daß, nach der Ausdrucksweise Pāṇini's zu urteilen, die Worte sowohl die Form als auch die einzelnen Dinge bezeichnen. Im An. schluß an den Satz siddhe śabdārthasambandhe (I S. 6, 16 = I S.55 a), der als Voraussetzung der Grammatik die Ewigkeit von Wort, Gegen. stand und der Verbindung beider lehrt, gibt er aber die. Meinung älterer Lehrer zu dieser Frage wieder, von denen er den Verfasser des Samgrahah, also Vyāļi, in diesem Zusammenhang ausdrücklich nennt 23). Eine dieser Ansichten, offenbar die Vyāļi's, besagt, daß das einzelne Ding, oder, wie wir hier besser sagen, die Substanz, dravyam) der Gegenstand des Wortes ist, weil die Substanz ewig ist, während die Form wechselt (I S. 7, 11-18 = I S. 58 b). Die zweite Ansicht betrachtet die Form als Gegenstand des Wortes und erklärt sie für ewig, weil sie nicht an einem einzigen Ding haftet (I S. 7, 18 - 23 -- I S. 59 a—b). Wir finden also hier die beiden Ansichten über den Gegenstand des Wortes wieder, aber verknüpft mit der Behauptung, daß dieser Gegenstand ewig ist. Und das hat seinen guten Grund. In der Grammatik entwickelte sich nämlich früh die Lehre, daß das Wort ewig ist. Das ewige Wort verlangt aber einen ewigen Gegenstand. Und so mußte man sich die Frage vorlegen, welches dieser ewige Gegenstand ist. Auf diesem Weg kam man also hier zum Problem des Gegenstandes der Worte. 3) Wenn Vyādi den angeführten Satz kommentierte, wie aus Patañjali hervor. zugehen scheint, so kann dieser natürlich nicht von dem gleichen Verfasser stammen, wie Vārttikam 45 zu Sūtram I, 2, 64, das die Ansicht Vyādi's zitiert. Aber diese Frage geht über den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes hinaus, wie ich hier auch sonst zu weit führenden Fragen ausgewichen bin. Es muß aber auch in Betracht gezogen werden, daß die Identität des Samgrahakāra's und Vyādi's spät bezeugt und unsicher ist. (Bemerkung Dr. Scharfes.) 114 Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Mīmāmsā kennt nun ebenfalls diese Verknüpfung der Fragen nach dem Wesen des Wortes, seinem Gegenstand und der Verbindung beider. Aber sie erscheint hier verhältnismäßig spät, im Vșttikārayranthaḥ, wie sich überhaupt die Sprachtheorie in der Mimāmsā langsam und allmählich entwickelte. Daneben finden wir aber in einem andern Abschnitt Sabarasvāmi's, der auf ältere Quellen zurückgeht, im Bhāşyam zu den Sūtren I, 3, 30—35, die Frage nach dem Gegenstand der Worte getrennt für sich behandelt. Und hier ist der Ausgangspunkt der gleiche wie in der von Patañjali benutzten Quelle, nämlich die Frage, ob die vedischen Vorschriften die Form oder die einzelnen Dinge zum Gegenstand haben. Beide Texte, der Abschnitt Sabarasvāmī's und die Quelle Patañjali's, gehören also der gleichen alten Mimāņsā-Überlieferung an. Und in beiden wurzelt die Frage nach dem Gegenstand der Worte im Gegensatz zur Grammatik nicht in der Sprachtheorie, sondern dient der Interpretation der vedischen Vorschriften. Vergleichen wir nun diese beiden Texte im einzelnen! Wenn wir zunächst einen Blick auf die Quelle Patañjali's werfen, so ist ihr Aufbau folgender: Zuerst ($ 1) wird als Pūrvapakşah die Behauptung aufgestellt, daß die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte sind, und damit begründet, daß sich die im Veda vorgeschriebenen Handlungen auf die einzelnen Dinge richten. Dann (§ 2) wird die Annahme der Form als Gegenstand der Worte bekämpft. Es folgt der Uttarapakṣaḥ. Er beginnt (33) mit einer Rechtfertigung dieser Annahme. Dann werden die Behauptungen des Gegners widerlegt. Es wird erklärt ($ 4 zu $ 1), daß sich die vorgeschriebenen Handlungen dann auf die einzelnen Dinge richten, wenn ihre Beziehung auf die Form unmöglich ist. Darauf wird gezeigt (s 5 zu § 2), daß die gegnerischen Angriffe gegen die Lehre von der Form nicht stichhältig sind. Schließlich (s 6) wird gegen die Lehre des Gegners eingewendet, daß unter diesen Voraussetzungen die vedischen Vorschriften keine allgemeine Gültigkeit haben. Stellen wir dem den Abschnitt bei Sabarasvāmi gegenüber, so sehen wir zunächst, daß dieser ebenfalls mit einem Pūrvapakşaḥ . 115 Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ beginnt, welcher die einzelnen Dinge als Gegenstand der Worte lehrt. Die wichtigsten Sätze lauten dabei folgendermaßen 24): yadi laukikās ta evārthās, tadā sandehah: kim akrtih sabdārtho 'tha vyaktir iti. ..... tad ucyate: vyaktiḥ śabdārtha iti. kutah? prayogacodanābhāvāt, alambhanaprokṣaṇaviśasanādīnām prayogacodanā ākrtyarthe na sambhaveyuḥ. yatrocāraṇānarthakyam, tatra vyaktyarthaḥ; ato 'nyatrākėtivacana iti cet, uktam: anyāyaś cāne. kārthatvam iti. katham sāmānyāvagatir iti cet, vyaktipadārthakasy. ākrtiś cihnabhūtā bhavisyati: ya evamākştiḥ, sa gaur iti. yathā yasya dando 'sti, sa danditi. na ca daņdavacano dandiśabdaḥ. evam ihāpi. Vergleichen wir damit die Quelle Patañjali's, so ist zunächst festzustellen, daß die Frage des Vorhandenseins der Form als Gegenstand der Worte hier nicht erörtert wird. Daß eine solche Erörterung der alten Mīmāmsā aber nicht fremd war, zeigt eine Bemerkung des Vrttikāraḥ 25). Nur Sabarasvāmī hat an unserer Stelle davon abgesehen. Damit fallen $ 2, 3 und 5 der Quelle Patañjali's für die Vergleichung aus. Dafür findet das Übrige inhaltlich und der Reihenfolge nach seine genaue Entsprechung. Zunächst wird die Behauptung, daß die einzelnen Dinge der Gegenstand der Worte seien, damit begründet, daß das in den vedischen Vorschriften angeordnete Anbinden, Besprengen und Schlachten an den einzelnen Dingen vollzogen wird (= $ 1). Dann wird dagegen eingewendet, daß die Worte im allgemeinen die Form ausdrücken und sich nur auf die einzelnen Dinge beziehen, wenn sonst die betreffenden Vorschriften sinnlos wären (= $ 4). Ferner wird der Einwand vorgebracht, daß bei der Annahme des Gegners die Vorschriften nicht allgemein auf. gefaßt würden (=$6). . Die Übereinstimmung ist auffallend. Aber ein großer Unterschied besteht gegenüber der Quelle Patañjali's. Bei Sabarasvāmi gehört alles zu einem Pūrvapakṣaḥ, und was bei Patañjali den Uttarapakṣaḥ %) Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S.54, 97–55, 6; Ausgabe der Anandāśrama Sanskrit Series Vol. I S. 294, -301, 25) Ausgabe der Kashi Sanskrit Series Vol. I S. 11, 1; Ausgabe der Anandāśrama Sanskrit Series Vol. I S. 50,11 116 Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ bildet, erscheint hier nur in der Form von Einwänden, die sofort zurückgewiesen werden. Und tatsächlich bildet bei Sabarasvāmī alles nur den Anfang einer längeren Erörterung. Zunächst wird nach dem angeführten Purvapakṣaḥ kurz die Behauptung aufgestellt, daß die Form der Gegenstand der Worte ist 26). Dann werden in einem neuen Pūrvapakṣaḥ die beiden Thesen einander gegenübergestellt. Und nun wird an der Hand des letzten oben angeführten Einwandes in ausführlicher Auseinandersetzung gezeigt, daß, wenn die einzelnen Dinge Gegenstand der Worte wären, die vedischen Vorschriften unmöglich allgemeine Gültigkeit haben und sich auch auf andere Einzeldinge erstrecken können. Das bringt schließlich den Vertreter jener Lehre dazu, die. Behauptung aufzustellen, daß neben den Einzeldingen von den Worten auch die Form als ihr Merkmal ausgedrückt wird, und daß je nach dem, was man zum Ausdruck bringen will, bald dieses bald jenes als Hauptsache und das andere als Nebensache erscheint. Daraufhin setzt der abschließende Uttarapakṣaḥ ein, der zeigt, daß die Worte nur die Form ausdrücken, und daß erst durch die Form die Einzeldinge erkannt werden. Damit zeichnet sich das Verhältnis der Quelle Patanjali's zur Überlieferung bei Sabarasvāmī deutlich ab. Sie enthält eine ältere Auffassung der Probleme, über die die Zeit Sabarasvami's und seiner Gewährsmänner längst hinweggegangen ist, und die in ihr vorgetragenen Gedanken leben bei Sabarasvāmī nur noch in einem rasch zurückgewiesenen Purvapakṣaḥ weiter. Nun aber noch eine Bemerkung zu Patanjali. Wir haben gesehen. daß er in dem von uns behandelten Abschnitt aus einer alten Mīmāmsā - Quelle schöpft, die allem Anschein nach weit vor Sabarasvāmī liegt. Und er greift die Gedanken dieser Quelle noch öfter auf. So führt er mehrmals als vorbildliche Regel den Satz an. daß dort, wo eine Beziehung der im Veda vorgeschriebenen Handlungen auf die Form nicht möglich ist, sie an den einzelnen Dingen 2) Von den Bemerkungen, die nur der Erklärung der Sütren dienen, sehe ich hier ab. 117 Page #28 -------------------------------------------------------------------------- ________________ vollzogen werden mussen 27). Uberraschenderweise finden wir da. neben aber auch plotzlich einen Gedanken, der ganz aus dem gewohnten Rahmen fallt. Bei dem Stuck, das wir zuerst aus dem besprochenen Abschnitt Patanjali's als spateren Zusatz ausgesondert haben, sind wir auf einen Absatz gestossen, in dem sich einige Satze finden, die fast wortlich bei Sabarasvami wiederkehren 28). In ihnen war gesagt, dass die Worte sowohl die Form als auch die Einzel. dinge ausdrucken, und dass bald das eine, bald das andere Hauptund Nebensache ist. Diese Satze bilden aber bei Sabarasvami in dem eben besprochenen Abschnitt das Ende des zweiten Purvapaksah, gehoren also einer sichtlich fortgeschritteneren Stufe der Entwicklung an als alles, was Patanjali sonst aus seiner Mimamsa-Quelle bringt. Es ist dies einer jener Falle, die bei Patanjali ofter wiederkehren, dass er in seinem Cento auf die uberwiegend alten Lappen plotzlich einen uberraschend jungen Flicken aufsetzt. Aber die Beurteilung dieser Erscheinung muss weiteren Untersuchungen uber Patanjali uberlassen bleiben. Was an dieser Stelle gezeigt werden sollte, ist geschehen, dass namlich Patanjali in seinem Werk unter anderem auch alte Mimamsa-Werke als Quelle verwendete, und dass das bei ihm erhaltene Material einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der alten Mimamsa liefert. Summary Analysing a portion of the Mahabhasyam (Mbh. 1, 2, 64) the author shows in which way Patanjali is treating philosophical problems of language. Patanjali amalgamates rather mechanically the material of his sources without a deeper understanding of the problem. Thereby he loses his importance as an original thinker and it becomes the more important to regain his sources and to examine them thoroughly. In the analysed portion Patanjali uses mainly a Mimamsa work which advocates much older views than those held in Sabarasvami's Bhasyam. . 27) I S. 393,16 # = II S. 386 b; II S. 246, H = IV S. 119 b; II S. 357, 1 = IV S. 276 b. 28) Siehe oben S. 98. Druck: Bruder Hollinek, Wien III, Steingasse 25