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A Werler
Der sarvasarvatmakatvavida
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Der Quellenwert des Nayacakra ist dementsprechend auch von Frauwallner nach drücklich hervorgehoben worden und hat ihn offensichtlich mit dazu veranlaßt, die Aufmerksamkeit der Fachkollegen auf die bereits zugänglichen bzw. die angekündigte Edition eines Werkes zu lenken, das dating back to a time which is extremely lacking in information as to philosophical systems, yields quite a number of news on authors and works of which we know very little indeed
3. Insofern Frauwallner Mallavädin nicht nur als a remarkable", sondern auch als a somewhat selfwilled thinker! bezeichnet, von seinem peculiar but also headstrong way of thinking"his entirely new way to see things***spricht, ihm bescheinigt, versucht zu haben, to categorize the old doctrine of the Naya or the various ways of considering things in a new and more systematic order, so as to bring about a refutation of all contradicting arguments"), seine Methode als
often reckless, even on the verge of forcefulness" charakterisiert und sogar den freilich reichlich verwaschenen - Ausdruck „polemics (against other systems)*** verwendet, stellt sich andererseits jedoch grundsätzlich und bereits im Vorweg die Frage, ob von einem solchen Autor denn überhaupt ein nennenswerter Grad der Redlichkeit und Treue gegenüber Lehren anderer Systeme erwartet werden kann, so daß es, abgesehen von allfälligen Zitaten, berhaupt sinnvoll erscheinen kann, sich um die Auswertung der in seinem Werk enthaltenen Sekundar-Oberlieferung zu bemühen, zumal dann, wenn keine Möglichkeiten zusätzlich-kontrastiver Kontrolle bestehen.
Wenngleich die Frage des Zeugniswertes des Nayacakra als ganzen letztlich natir lich nur aufgrund einer entsprechenden eingehenden, auf gründliche Kenntnis des gesamten Werkes sich stützenden Untersuchung, die vorläufig ein Desideratum bleiben dürfte, beantwortet werden kann, muß doch darauf hingewiesen werden, daß es sich um ein Mißverständnis handeln würde, wollte man sich durch die zitierten Bemerkungen Frauwallners eine radikal-skeptische Haltung suggerieren lassen, wie sie eben skizziert wurde. Denn bei allem Obergewicht, daß die in dieser Hinsicht kritischen Ausführungen in seiner Introduction" zu haben scheinen, auf den hohen Zeugniswert dieser Texte hat Frauwallner denn doch, wie gesagt, auch mit klaren Worten hingewiesen, wenn auch auffallt, daß er dabei nur authors“ und ..works“ nennt und nicht auch Lehren oder Elemente von Lehren, und auch bei seinem abschließenden Wunsch, daß Mallavādi's work... should find the attention it deserves, and its rewarding contents should bear fruit in further researches, dürfte er zumindest u.a. an die unbestreitbare Tatsache gedacht haben, daß es bei aller Originalität und Eigenwilligkeit seines Verfassers und allen von ihm selbst
geschaffenen systematischen Zwängen eine Fülle von Informationen über die altere und zeitgenössische indische Philosophie bietet, die der - selbstverständlich-kri tisch behutsamen Auswertung harren.
Trotzdem scheint es geraten, die etwas knappe und einseitige Charakterisierung Frau wallners durch einschlägige Außerungen zu konterkarieren, wie sie sich in dem neuesten Werk von W. Halbfas finden: .. Die Auszahlung verschiedener Lehren oder Sichtweisen (vaya, darisana) dient in den älteren Texten" der Jainas noch vor allem der Kritik und Widerlegung: die spliteren Ansprüche auf Offenheit und Auf nahmebereitschaft finden wir hier noch nicht. Gleichwohl ist die Bereitschaft, ande re Lehren als Präsentation von Teilwahrheiten anzuerkennen, im Jinismus schon in früher Zeit festzustellen, und sie läßt sich der buddhistischen... Tendenz kontrastieren, nicht nur andere Ansichten, sondern bloße Ansichten' als solche zurickzuwelsen.... Ihre philosophisch prignanteste Gestalt findet diese Denkweise in der perspektivistischen Theorie der Weltsichten (naya), die wir zumal bei Siddhasena Divikara und Mallavidin finden. Hier wird die Klassifikation historisch gegebener Standpunkte des Denkens in die Konstruktion systematisch möglicher Standpunkte überführt. Die besondere Leistung des Jinismus erscheint hier dadurch gegeben, daß er die Systematik und Konkordanz der verschiedenen Weltsichten herstellt, ihren Aspektcharakter sichtbar macht und sie zugleich aus ihrer Isolation und Einseitigkeit herauslöstat
Dieser ansprechende Versuch, den jinistischen Perspektivismus in seinem kulturellen Kontext und geistigen Umfeld zu sehen und als spezifische Leistung zu wer. ten, verdient, das sel am Rande bemerkt, Beachtung auch durch den Hinweis auf die ,,Konstruktion systematisch möglicher Standpunkte", die man ansonsten ja in der indischen Philosophie vergeblich sucht und die in eklatantem Widerspruch zu der bei nicht finistischen Autoren immer wieder zu diagnostizierenden Implit-unbe wußten Weigerung steht, ein gegnerisches Theorem, auch losgelöst von seiner jeweiligen vorgefundenen Form und seinem Kontext, als möglich zu setzen und ernst zu nehmen sowie philosophisch-logisch auch auf die Gefahr hin fortzudenken, daß eigene bzw. traditionelle Positionen der eigenen Schule erschüttert oder gar falsificiert werden. Im hier gegebenen Zusammenhang ist jedoch vor allem von Belang, daß die Halbfaßsche Charakterisierung der in der nya.Theorie sich ausdrückenden Denkweise, zu deren Weiterentwicklung Mallavidin entscheidend beigetragen hat, eher auf ein starkes Bemiihen um Neutralität und Objektivität schließen läßt, so daß selbst bei letztendlicher Intention der Zurückweisung und Aufdeckung der Unhaltbarkeit anderer Lehren - anders als im Falle nicht jinistischer Autoren, denen es primar um die Widerlegung geht und die sich zu diesem Zweck gelegentlich auch der Mittel der Sophistik bedienen oder zu fronie und Sarkasmus ihre Zuflucht nehmen - in geringerem Maße mit Verzerrungen und Entstellungen zu rechnen
19 Vgl. seinen in Anm. genannten Aufsatz, p. 147; sowie seine Introduction". p. 3 und 5. 20 Zitiert aus seiner Jntroduction". p. 5. 21 Introduction". p. 1. 22 Introduction".p. S. 23 Introduction", p. 1. 24 Introduction". p. 3. 25 Introduction", p. 6.
26 Jndien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung", Basel 1981. Der VI. hat mir
freundlicherweise bereits das Manuskript zur Verfügung gestellt. 27 Zitiert aus dem In Anm. 26 genannten Buch, 255; vgl. auch W. Halbfall in WZKS XXIII
(1979), 199 fr.