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A. Wezler
Der urvasarvatmakatvavada
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zitierten Passage aus dem Yogabhāsya, von dem sie erst mit auch gebotener - Vorsicht sagt, it seems to be quoting V, here", im nächsten Satz bereits den sicheren Schluß gezogen, ..that V, is prior to the Yogabhasya", und vertritt, wenn auch auf Grund einer anderen Parallele, des weiteren die Meinung, daß Mallavadin
should have had knowledge of V". Abgesehen von der bedenklichen Verwandlung eines Anscheins in eine Gewißheit kranken ihre Überlegungen daran, daß die gegebenen Probleme von ihr offensichtlich nicht voll bzw. überhaupt nicht erkannt worden sind, Hastig vorschnelle Schlußfolgerungen, die eher auf Impressionen denn auf kritisch reflektierten Beobachtungen und ihrer Problematisierung beruhen, bringen die Forschung aber auch dann nicht weiter, wenn es nur um die Erhellung literarischer Abhängigkeiten elementarster Art geht. Denn hier ist die Situation, wie die bisherige Besprechung der relevanten Textstücke deutlich gemacht hat, nun einmal so, daß in einzelnen Fällen keineswegs sofort und ohne jeden Anlaß zu tiefgehenden Zweifeln ausgemacht wäre, daß es sich überhaupt um ein Zitat handelt oder auf keinen Fall ein Zitat vorliegt und daß ein eventuelles Zitat genau 30 weit reicht und nicht weiter; und selbst wenn in dieser Hinsicht alle Probleme überzeugend gelöst wären, dh, z. B. als sicher davon ausgegangen werden könnte, daß die Sāmkhyasaptativrtti (V.) nicht ihrerseits auch zitiert, wäre der Schluß, daß sie die Quelle der Zitate im Yogabhāşya darstellt, alles andere als zwingend und dürfte auch über die textlichen Abweichungen, die es daneben ja gleichfalls gibt, nicht einfach hinweggegangen werden. Namentlich was die Beziehung des Zitats Asowie des Textstückes H im Nayacakra zu diesem Abschnitt der Samkhyasaptativetti (V.) angeht, wäre der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Simhasūris Darlegungen auch inhaltlich weit über das hinausgehen, was V, bietet, d.h. bliebe zu klären, ob diese gedankliche Weiterführung nun von ihm stammen soll oder nicht etc. etc.
Um einer wirklichen Lösung des Problems, das mit der Beobachtung der Textparallelen gestellt ist, näher zu kommen, ist m.E. zum einen von den Tatsachen auszugehen, daß 1. Isvarakrsnas Samkhyasaptati samt ihren zahlreichen Kommentaren nur das dürf
tige Relikt der einst nicht nur umfangmäßig erheblich bedeutenderen Literatur
des klassischen Samkhya darstellt, daß 2. seine meisterhafte, aber knappe Darlegung der Lehren des Systems, wenn sie
auch möglicherweise nicht völlig jeder Originalität ermangelt", im wesentlichen
auf diesen verlorenen älteren Texten basiert, und daß 3. auch Mallavādin und Simhasūri dieses ältere Material, auf jeden Fall Vrsagaņas
Sastitantra, gekannt haben und bei ihren Bezugnahmen auf Samkhya-Theoreme bzw. deren Erläuterung daraus geschöpft haben.
Zum anderen wären folgende Uberlegungen anzustellen:
1. Aus der Tatsache, daß Simhasūti aus der Samkhyasaptati zitiert", folgt nicht, daß er auch den einen oder anderen ihrer Kommentare gekannt hat; und selbst wenn das erwiesen wäre, küme der Mutmaßung, daß er sich bei seinen Erläuterun. gen der Bezugnahmen auf Samkhya-Theoreme im Grundtext solche Kommentare und nicht vielmehr jene ältere, ihm gleichfalls bekannte Literatur des Systems ver wertet hat, ein denkbar geringes Maß von Wahrscheinlichkeit zu. Denn,
2. die Annahme, daß Verfasser von Kommentaren zur Samkhyasaptati ebenfalls dieses altere Material, gleichgültig, ob dank direkter oder indirekter Uberlieferung, benutzt haben, darf wegen des Charakters des Kärikä-Textes schon a priori als überaus wahrscheinlich gelten; die Yuktidipika hat sich ja gerade deshalb als so wertvoll für die Kenntnis der Geschichte und Schulbildung des klassischen Samkhya erwiesen, weil ihr Autor in größerer Breite älteres Material herangezogen hat als die anderen Kommentatoren, die, wie Frauwallner richtig bemerkt, inhaltsarme Erklärungen der Karika" verfaßt haben, die über den erklärten Text hinaus wenig bieten" - eine Charakterisierung von der Frauwallner auch die beiden neu-entdeckten Samkhyasaptativttis nicht ausgenommen haben würde, hatte er sie noch zu Gesicht bekommen. Warum hitte Simhasürl, falls sie ihm überhaupt vorgelegen haben, an derartigen philosophisch bestenfalls zweitrangigen Quellen seine Kenntnis der Lehre des Samkhya ziehen sollen, wo ihm erheblich besseres Material zur Ver. fügung stand?
Es zeugt deshalb von mangelhaftem Problembewußtsein, wenn man bei einem jeden Zitat oder Referat von einzelnen Elementen der Samkhyalehre, die man in anderen Texten entdeckt, nur auf die vermeintlich selbstverständliche Idee verfällt, daß als Quelle allein die Samkhyasaptati oder einer ihrer Kommentare in Frage kommen könne, und dies alsbald zur Gewißheit erhebt, wenn sich eine entsprechende Passage auftreiben laßt und auch die relative Chronologie einer solchen Beziehung nicht widerspricht. Fast alles nämlich spricht für die Annahme von der denn auch immer als erster heuristisch ausgegangen werden sollte , daß in Nicht-Sāmkhya-Texten aus einer bestimmten Zeit allemal die Vor-Kärlkk-Tradition des klassischen Samkhya durchscheint. Daß diese unabhängig und als ganze nicht erhalten ist, wird ein jeder bedauern, aber die Frustration, die man berechtigterweise darüber empfindet, daß sich die vermutete Abhängigkeit nicht durch einen Vergleich mit der Quelle selbst verifizieren läßt, sollte nicht dadurch kompensiert werden, daß man sein Blickfeld willkürlich nur auf die vollständig erhaltenen Texte einschränkt. sich selbst vermeintliche Gewißheiten suggeriert, um sich um das schmerzliche, aber redliche Eingeständnis herumzudrücken: non liquet.
Beim gegenwärtigen Kenntnisstand läßt sich dieses Eingeständnis aber gar nicht vermeiden. Denn ein hoher Grad von Sicherheit lift sich nur hinsichtlich der weni
71 ,,The Commentaries of the Samkhya Karika. A Study". Ahmedabad 1974, 170. 72 Frauwallner spricht Geschichte der indischen Philosophie", 1. Bd., Salzburg 1953, 286)
Isvarakrsna jegliche Originalität ab. Der Verfasser der Yuktidipika war aber - und gewi aufgrund besserer Kenntnis der Alteren Literatur - anderer Ansicht (vgl. Vf. In dem In Anm. 36 genannten Aufsatz, Lc.).
73 Z.B. Nayacakra 35;s. u. S. 400, Anm. 106. 74 Frauwallner bemerkt (o.c., Lc. (s. Anm. 70D): ..Was er" (d.h. Ivanakrona)..wiedergibt, ist
das überkommene System der Schule".