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________________ Zur Theorie der Kastenordnung in der indischen Philosophie 315 Auch die Ansicht, daß der Advaita ein zumindest implizites praktisches Potential enthalte, daß dieses Potential gleichsam darauf warte, aktualisiert und vollzogen zu werden, erweist sich als fragwürdig. Es fehlt zwar nicht an programmatischen Versuchen, die von Sankara nicht durchgeführte praktische Anwendung der metaphysischen Einheitslehre nachzuholen; es gibt zahlreiche Außerungen, die auf eine Säkularisierung der Begriffe und Lehren des Advaita hinauszulaufen scheinen 144), und die im klassischen Vedānta getrennten Ebenen des Absoluten und des Empirisch-Konventionellen werden immer wieder aufeinander bezogen, sollen füreinander fruchtbar gemacht werden. Aber das fundamentale Problem der „Vermittlung“145) metaphysisch-allumfassender Einheit und sozial und politisch konkretisierbarer Gleichheit bleibt dabei in der Regel ganz außer Betracht. Der Sinn von Gleichheit, in dem Brahmanen nicht nur mit Sūdras, sondern auch mit Tieren, Pflanzen usw. gleichzustellen sind, ist und bleibt politisch und sozial irrelevant, und er läßt sich nicht verbindlich auf bestimmte und konkrete soziale und politische Programme festlegen. - Zwar wird, wie zu Beginn dieses Kapitels bemerkt, der Vedānta vor allem mit Begriffen wie Demokratie, internationale Solidarität, Sozialismus assoziiert, jedoch kann er auch durchaus in Verbindung mit Begriffen wie Nationalismus, Individualismus, ja sogar Kapitalismus vorkommen 146), und es ist offenbar recht schwierig, hier legitime und illegitime Anwendungsweisen zu unterscheiden. Es kann deshalb nicht überraschen, daß auch die vom Neo-Vedānta vertretene Darlegung, Deutung und Kritik der vier varna oft abstrakt und unverbindlich bleibt. Es liegt außerhalb unserer gegenwärtigen Themenstellung, die in der Tat recht vielfältigen und mehr oder weniger Reform bereitschaft anzeigenden neuhinduistischen Stellungnahmen zur varna-Theorie einerseits und zum tatsächlichen Kastenwesen andererseits zu erörtern und zu beurteilen. Es mag hier genügen, auf Radhakrishnans Behandlungsweise des Themas hinzuweisen, die gewiß in mancher Hinsicht exemplarisch ist. In dem in zahlreichen Auflagen verbreiteten Werk “The Hindu View of Life" wird das (stets vom aktuellen Kastenwesen sorgfältig unterschiedene) varna-System zunächst mit der Vererbungswissenschaft in Verbindung gebracht; sodann wird auf das Zusammenspiel von',,Veranlagung und Erziehung“ (,,nature and nurture") in diesem System hingewiesen 147); schließlich wird erklärt: “While the system of caste is not a democracy in the pursuit of wealth or happiness, it is a democracy so far as the spiritual values are concerned, for it recognizes that every 144) So etwa, wenn S. Radhakrishnan erklärt, Erlösung (mokşa) müsse hier und jetzt, auf Erden, durch menschliche Beziehungen vollbracht werden (Religion and Society, London 1947, S. 104). 145) S.O., Anm. 1 (zu Hegel). 146) Vgl. K. Damodaran, Indian Thought, New York 1967, S. 483. 147) A.a. 0. (zit. Ausg.: London 1968) S. 73-74. [43]
SR No.269272
Book TitleZur Theorie Der Kastenordnung In Der Indischen Philosophie
Original Sutra AuthorN/A
AuthorWilhelm Halbfass
PublisherWilhelm Halbfass
Publication Year
Total Pages40
LanguageEnglish
ClassificationArticle
File Size5 MB
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