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Die Entwicklung des Kşanikatvānumānam
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Die Feststellung der Vyāpti gründete sich bisher auch bei Dharmakirti wie früher bei Vasubandhu auf die Beobachtung der Tatsache des Vergehens. Da jedoch der Gesichtskreis begrenzt ist, besteht für den Bereich der hervorgebrachten Dinge, deren Vergehen man nicht beobachtet, die Möglichkeit, daß hier die Vyāpti von Hervorgebrachtsein und Vergänglichsein auch nicht gegeben ist. Außerdem könnte einmal ein Ursachenkomplex, der dazu die Fähigkeit hätte, auch etwas Nichtvergängliches hervorbringen. Es gilt also zu zeigen, daß die Vyāpti der beiden Beschaffenheiten allgemein gilt 34. All das leistet Dharmakīrti in seiner Antwort, in der sich zum ersten Mal die vollständige Struktur des Beweises der Augenblicklichkeit aus dem Seiendsein (sattvānumānam) findet. Ich gebe daher diese Stelle vollständig wieder, soweit sie logisch relevant ist. Die Polemik bleibt zunächst ausgeklammert.
„Einwand:) ,Auch das ist nicht festgestellt, daß alles, was aus einem [Ursachen-]Komplex entsteht, vergänglich ist, weil man diese [Dinge] nicht restlos sieht. Ebenso sieht man bei den Dingen, daß die Fähigkeit [etwas hervorzubringen) im Ursachen-]Komplex mannigfach ist. Dabei könnte es auch einen [Komplex] geben, der ein nicht-vergängliches Eigenwesen (= Ding) hervorbringt.' [Antwort:] Nein, weil die Fähigkeit einen Zweck zu erfüllen (don byed nus pa = arthakriyāsāmarthyam) Merkmal ist für ein Ding. Das Fehlen jegliches als Fähigkeit Unterscheidbaren ist nämlich Merkmal für das Nichtseiende (niru pākhyam)." 35
34 Vor allem geht es aber auch darum zu zeigen, daß die Vyāpti nicht ein Nexus ist, der durch ein Beobachten und Nichtbeobachten feststellbar ist, sondern, daß sie nur auf Grund einer Verknüpfung von Grund und Folge besteht, die als ein Dessen-Selbst-Sein (tādātmyam) oder Daraus-Entstehen (tadutpattih) möglich ist (vgl. PV I, v. 31 33). Es ist klar, daß bei einer solchen Grundlegung die Vyāpti nicht mehr daran scheitern kann, daß der meist größte Teil der Beschaffenheitsträger (dharmi) nicht sichtbar ist oder das Zusammenvorkommen der beiden Beschaffenheiten aus zeitlichen oder räumlichen Gründen nicht beobachtet werden kann. Es erhebt sich jedoch die Frage, wie denn die beiden Verknüpfungen festzustellen seien. Für die Verknüpfung des Daraus-Entstehens, das Verhältnis von Ursache und Wirkung, hat Dharmakirti schon PVSV p. 22, 2-4 die entscheidende und endgültige Antwort gegeben (dazu vgl. Y. KAJIYAMA, Trikapancakacintā. Miscellanea Indalogica Kiotiensia, Nos. 4-5, 1963, pp. 1-15). Für die Feststellung der anderen Verknüpfung habe ich eine ähnlich klare Stelle in Vārttikam und Svavrttih, aber auch im zweiten Kapitel des Viniscayah nicht gefunden. Auch in PVin II, Pf. 275 a 6 wird nur von einem ,, Erkenntnismittel“ (pramānam) gesprochen, ohne genauere Bestimmung der Art dieses Erkenntnismittels: ,,Wenn nun das Eigenwesen durch ein Erkenntnismittel als durch die ihm zukommende zu beweisende Beschaffenheit umfaßt festgestellt ist, dann läßt es erkennen." (ran bźin de yan gal te ran gi begrub par bya baci chos kyis khyab pa tshad mas nes pa ni deci tshe go bar byed pa yin no.) In diesem Sinne ist m. E. auch die Stelle PVSV p. 96, 21f. zu verstehen: ,,Und wenn man die Vyāpti mit der zu beweisenden Beschaffenheit irgendwie [d. h. durch irgendein Erkenntnismittel] feststellt,..." (tena ca sādhyadharmeņa vyāptir yadi kathamcin niscīyate, ...; Karņakagomins İnterpretation von PVSVT p. 356, 29f. ist m. E. falsch). Genauer und als Regel formuliert findet sich der Vorgang der Feststellung erst im Hetubinduh beschrieben (vgl. unten, Anm. 38).
35 PVin II, P f. 276b6-8: gal te tshogs pa las skye ba thams cad ni Cjig pa yin no zes bya ba cdi yan nes pa med pa yin te de dag la ni ma lus par mthon ba med
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