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A. Wexler
Der sarvasarvatmakatvavada
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Dabei hat man, wie Frauwallner ausführt". In älterer Zeit, die Umwandlung als das Annehmen einer bestimmten Form oder genauer einer bestimmten Anordnung (sannivesah) der Teile erklärt, aus denen der Gegenstand besteht. Nun" (d.h. in der Phase der Auseinandersetzungen mit gegnerischen Schulen liber einzelne, besonders hervorstechenden Lehren), zog man auch Begriffe heran, die inzwischen von anderen Systemen entwickelt worden waren. So hatte man inzwischen bei den Dingen zwischen Eigenschaften (dharmah) und ihrem Träger (dharmi) unterscheiden gelernt. Und das verwendeten nun die Vertreter der Samkhya-Schule, um den Be. griff der Umwandlung zu erklären, indem sie sagten: Wenn ein Gegenstand eine frühere Eigenschaft aufgibt und eine andere neue annimmt, ohne sein Wesen zu verlieren, so wird das Umwandlung genannt?
Es ist somit auch in bezug auf den sarvasarvatmakatvavada mit diesen beiden Auffassungsmöglichkeiten zu rechnen, denn die klare Bezeugung der Jüngeren Auffassung in einigen Textstilcken (YS 3.14, und deshalb auch in den Kommentaren vorausgesetzt, o. S. 376ff.) schließt nicht aus, daß die anderen relevanten Aus sagen aus einer Zeit stammen, in der die ältere Auffassung als einzige bestand oder noch vorherrschte, obwohl eindeutige Indizien, die in die Richtung weisen wiirden, fehlen. Der Satz sarvam sarvatmakam könnte folglich zum einen bedeuten, daß in einem jeden Einzelding alle anderen Dinge in bestimmter anderer Anordnung enthalten sind, oder zum anderen, daß ein jedes Einzelding alle anderen Eigenschaftsträger in sich enthalt, welche die ihnen friher zukommenden jeweiligen Eigenschaften oder Beschaffenheitselemente aufgegeben haben bzw. deren frühere Eigen schaften entschwunden (tirobhūta) sind. Auf jeden Fall ist, wie aus der metaphysischen Grundposition des Systems folgt und wie auch aus den in verschiedenen
Textstücken angefügten, einander sehr ähnlichen Explikationen dieses Satzes klar hervorgeht, damit gemeint, daß ein jedes Einzelding den Stoff, das Material enthalt, aus dem die anderen Dinge der Erscheinungswelt gebildet sind.
Dieses In-Sich-Enthalten wird dabei freilich weder so verstanden, daß allen Dingen der Erscheinungswelt, die je gemaß der Grundanschauung des Samkhya aus nichts anderem als ungeistiger Materie bestehen können, nur die Materie bzw. die ..fünf großen Elemente" (mahābhūta), also Ather, Wind, Glut, Wasser und Erde, Insofern gemeinsam sind, als sie aus je spezifischen, aber immer anderen Teilmen gen bzw. Mischungen von Teilmengen der gleichen Materie bestehen, noch ist die Auffassung etwa die, daß ein bestimmtes Einzelding materiell alle anderen Einzeldinge in sich enthält, denn diese Annahme würde implizieren, daß die phanomenale Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur aus einem einzigen Ding bestehen könnte, das sich allenfalls in einem nächsten Moment in ein anderes umwandeln würde. Es geht hier also weder um die Materiehaftigkeit aller Phänomene als solche noch um das Enthaltensein aller anderen Phänomene in einem, das zu einem be. stimmten Zeitpunkt allein wahrnehmbar wäre, sondern in dem Satz muß vielmehr der Gedanke zum Ausdruck kommen, daß ein jedes Einzelding mindestens einen Vertreter ein jeder Gattung von Einzeldingen zusammen mit dem allfalligen Produkt seiner Umwandlung zugleich auch in seiner Individualität In sich enthält.
mindest ungenau und dazu angetan, falsche Vorstellungen zu wecken; bel dem ogenluigen Prozel des Aus der Sichtbarkeit-Entschwindens handelt es sich gerade nicht um eine Auflösung", sondern eher das Gegenteil! Der Annahme, dal Sahkan sufgrund einer Korruptel im Bhagy-Text als Interpret diese spezielle Bedeutung des Begriffs gewissermalen erfunden hat, kommt sehr geringe Wahrscheinlichkeit zu. Da er auch den kontriren Begriff kennt und som unabhangig vom Grundtext zur Bezeichnung jenes ricklilullgen Prozesses verwendet, muß man wohl davon ausgehen, daß er sich damit traditioneller Samkhya-Yoga-Termnologie bedient. Das Mißverständnis liegt deshalb allem Anschein nach auf seiten des Verfassen der YD, vill man nicht annehmen, daß er selbst den Begriff sentsorge bewust in an derer Bedeutung verwendet hat, nimlich als - historisch möglicherweise fungere - Bezeichnung für die Verbindung des Zusammenkommen der verschiedenen Faktoren, durch welche diese erst zu karakas, bewirkenden", werden. - Zuztiglich zu dem Textmaterial, das O. Strauß in dem Aufsatz Eine alte Formel der Samkhya-Yoga-Philosophie bei Vitsyiyana" (In: Festgabe H. Jacobi, Bonn 1926, 358-368), auf den Frau wallner (G.d.i.Ph., Anm. 195) gleichfalls hinweist, herangezogen hat, ware heute noch Sankara tu YS 3.13 zu berücksich
tigen. 86 G, d. L. Ph., 389. Mir ist nicht klar, aufgrund welcher Beobachtungen oder Überlegungen
Prouwallner zu der Uberzeugung gelangt ist, die eine Auffassung selalter als die andere. 87 Übersetzt aus YD (ed. R. C. Pandey) 75.6-7: .
jahaddharmantaram punom update yadeperam/
tetreidepracyuto dharmi parinamah saucyafell - Der Nicht-Verlust des Wesens gilt auch für die saved Auffassung
7.2. Im Zusammenhang des sarvasarvatmakatyavdda ist, so scheint es, auch eine für die Geschichte der indischen Philosophie und Wissenschaft außerordentlich wichtige Feststellung Frauwallners in Erinnerung zu bringen: „Es ist ein altes Ent. wicklungsgesetz, daß es nicht die Gründe sind, welche die Entstehung einer Lehre veranlassen. Es sind vielmehr die Lehrsätze, die zuerst da sind und für die man nachträglich die Begründungen zu geben sucht. Die Lehrsitze aber ergeben sich als unmittelbare Erkenntnis aus der Anschauung der Dinge . Denn diese Beobachtung ist von Bedeutung nicht nur für die Beurteilung der Verwendung des sarvasanatmakatvavida als Beweis für die Existenz der Ummaterie (s. u. S. 397.), sondern mög. licherweise auch für die Frage nach dem Verhältnis des Theorems,sarvam sarvatma kar zu seiner anschaulichen Begründung. Diese besteht in dem Verweis auf die
Nahrungskette", der geradezu stereotyp im Zusammenhang mit dem sarvaser patmakanyada auftaucht. Soll man darin einen solchen nachträglichen Begrün dunesversuch sehen oder wird in ihm nicht vielmehr doch gerade die empirische Anschauung greifbar, aus der die Lehre vom sarvasarvatmakatwa hervorgewachsen ist? Vieles spricht für die zweite Möglichkeit, denn aus welcher anderen Anschauung der Dinge" sollte sich der sarnasarvatmakahavada als unmittelbare Erkenntnis" ergeben haben, wenn nicht aus der Beobachtung der Nahrungskette897
88 G. d. L Ph., 385. 89 Die stufenweise Resorption der 23 Wesenheiten und damit der Dreiwelt in die prakti, auf
die im Textstick K (0.S. 3801.) verwiesen wird, scheidet gleichfalls aus, denn dermaha) praleye ist der Anschauung entzogen.