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A. WEZLER
Uber Form und Charakter
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ich mich nicht irre, nur eine Stelle, an der eine Verbindung zwi.. schen den , Polemiken' und älteren Zeugnissen über Diskussionen von ihm erwogen wird: In der Stilistischen und inhaltlichen Interpretation" von AS 1.8" heißt es:..Kautalyas Zustimmung er. innert an die Debatten der alten Upanisaden, für die kennzeichnend ist, daß in ihnen jeder Gedanke als richtig, allenfalls als ungenügend gilt": in einer Anmerkung wird auf einen einschlagigen Aufsatz von Ruben verwiesen's
In der Tat kommt Kautalya in dieser , Diskussion über die Frage, welche Personen der König zu Beamten machen soll, nicht nur als letzter zu Wort (AS 1.8.27 f.), sondern vertritt auch die Meinung, daß alles“ - was die anderen gesagt haben" - ,,richtig ist" (sarvam upapannam). Und die Übereinstimmung zwi. schen dem AS und den upanischadischen Debatten, auf die sich Ruben u. a. bezieht, also z. B. CHU 5.11 T., erweist sich bei genauerem Hinsehen in der Tat als bemerkenswert groß. Dort wird das Wissen der anderen, d. h. der Brahmanen Präcinaśāla Aupamanyava usw., von dem Ksatriya Aśvapati Kaikeya als jeweils nur einen Teilaspekt des åtman vaisvanara erfassend relativiert und dem überlegenen, weil umfassenden (nämlich den atman vaisvanara in seinem wahren Umfang und Wesen erkennenden), eigenen Wissen untergeordnet. Kautalya scheint zwar, formal ge. sehen, keine eigene Meinung vorzutragen, sondern nur zu be. gründen, warum er alle von den anderen vorgetragenen Thesen für richtig hält; aus der Begründung selbst aber ergibt sich, daß er durchaus eine eigene Meinung hat und daß diese auch nicht einfach die Summe der Ansichten der übrigen zu Worte gekom
menen Personen ist; er meint, daß entscheidend ist, ob ein Be. amter, unter welchem Gesichtspunkt auch immer ausgesucht, seiner Aufgabe gewachsen ist und sich insofern bewährt".
Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß nicht nur an der Upanisad Stelle eine explizite Bezeichnung des Wissens der anderen als „richtig" fehlt, sondern eine Ahnlichkeit auch nur zu dieser einen ,Polemik im AS besteht und außerdem von Wilhelm auch nur in dieser Hinsicht gesehen wird.
Es geht mir aber in erster Linie gar nicht darum, derartige kritische Beanstandungen vorzutragen, sondern, bei WILHELM ansetzend, die Fragestellung voranzutreiben und u. U. auch einen Lösungsweg aufzuzeigen. Zwei Fragen drängen sich m. E. namlich auf, die auch eng miteinander verbunden sind, und zwar I., um was es sich bei diesen , Polemiken' nun wirklich handelt, und 2., ob sie in ihrer spezifischen Eigenart ein so einmaliges Phänomen in der indischen Literatur- bzw. Geistesgeschichte darstellen, wie man nach der Lektüre von WILHELMS Buch doch annehmen zu dürfen glaubt.
2. Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf das, was WILHELM ..die Zitate Bhäradvājas und der anderen Einzelverfasser" genannt hat", außer Betracht bleiben also ..die Zitate der Lehrer", und jedenfalls fürs erste auch die Zitate der Schulen". Von signifikanten Ausnahmen abgesehen, die WILHELM aber gleichfalls bespricht, zeichnen sich diese ,Polemiken dadurch aus, daß die Einzelverfasser in stereotyper Reihenfolge "21 zu Wort kommen: zuerst Bhäradvaja, dann Viśālākṣa, Paráśara”, Pisuna, Kaunapadanta, Vätavyādhi, Bahudantiputra und schließ
sich als Ausdrucksmittel des hochgelehrten Bhasya-Stils und atmen noch den Geist geschliffener Disputationen, wie sie an Fürstenhofen und in vornehmen Häusern ... gepllegt worden sind. Diese Diskussionen zeigen und Wandlung und Weg der einzelnen Wissenschaften."
Ich ersetze WILHELMS Stellenangaben gemaB adhikarana und (fortlaufender) prakarana (Zahlung) durch die heute Üblichen (adhikarana, adhydya und Satz wie in KANGLES Edition).
# WILHELM 1960: 11. "Uber die Debatten in den alten Upanisad's. In: ZDMG 83, 1929, S.238-255.
" Zur Bedeutung von amatyas. SCHARFE 1968: 144 1. (- H.SCHARFE, Untersuchungen zur Staatsrechtslehre des Kausalya, Wiesbaden 1968).
"Der Bezug von sarvam ist freilich umstritten; vgl. WILHELM 1960: 91. und KANGLE 1963: 18, Fußnote (- R. P. KANGLE, The Kauriliya Arthasastra, P. II. An English Translation ... Bombay 1963).
Das kommt zwar der These Båhudantiputras nahe, ist aber damit nicht identisch.
WILHELM 1960: 5-55. » Vgl. z. B. WILHELM 1960: 34. 21 S. WILHELM 1960: 37 und 47.
» WILHELM spricht sich (1960:8) für die Lesart iti parásarah als die wahrscheinlichere aus, der er deshalb durchgehend folge. Ist es nicht aber gerade umgekehrt wahrscheinlicher, daß die Lesart iti párásarah, die in einzelnen Fallen offenbar auch allein Überliefert ist (z. B. 1.15.23, 1.17.9), die ursprünglichere ist und, eben weil die Nennung einer Schule" im Rahmen einer Darstellung, die ansonsten Ansichten von Einzelverfassern" anführt, irritiert, sekundar geändert worden ist? Das iti párásarah in 2.7. 12, d. h. im Kontext von Zitaten von Schulen", hat keine Beweiskraft. Vgl. auch KANGLE 1963: 16s. Fußnote sowie KANGLE 1965: 44, Fuß. note (- R. P. KANGLE, The Kauriliya Arthasastra. Pt. III. A Study, Bombay 1965).