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Über Form und Charakter
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Uber Form und Charakter der sogenannten ,Polemiken im Staatslehrbuch des Kautalya
(Untersuchungen zum Kautiliya' Arthasästra II)
A. WEZLER, Hamburg
1. Unter dem Titel ,,Politische Polemiken im Staatslehrbuch des Kautalya" hat F. WILHELM 1960' die Ergebnisse von Untersuchungen veröffentlicht, deren erklärtes Ziel es war, ,,die Zitate der Einzelverfasser nach formalen und inhaltlichen Kriterien auf ihre Echtheit" zu prüfen und entsprechend zu prüfen, ob die Zitate der Lehrer und die der Schulen" echt sind oder nicht. Die Unterscheidung dieser (drei) ,,Autoritäten", die im Arthasastra (-AS) erwähnt werden, geht auf JACOBI zurück, an den WILHELM bewußt anknüpft.
Außer von ..Polemiken" spricht WILHELM auch von ,,Diskussionen" und ,,Debatten", doch ohne mit diesen Ausdrücken etwa verschiedene Typen von Auseinandersetzungen bzw. der Darstellung von Auseinandersetzungen voneinander abheben zu wollen'. Gleichgültig, ob ..Polemik“ von ihm nun am häufigsten verwendet
wird oder nicht, es ist dieser Ausdruck, der durch den Titel des Buches sich nicht nur dem Leser besonders einprägt, sondern auch in die Indologie Eingang gefunden haben dürfte bzw. finden könnte. Der Ausdruck wird im Deutschen aber durchaus in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Er kann eine unsachliche Auseinandersetzung meinen, einen scharfen, verunglimpfenden Angriff evtl. begleitet von starker emotionaler Erregung, oder einen .wissenschaftlichen, meist publizistisch aus. getragenen Streit“- u. U. zwischen nur zwei Gelehrten, meist in Form eines mehrfachen Schlagabtausches. In seiner schwachsten Bedeutung wird er austauschbar mit ,,Kritik" - und insofern geradezu funktionslos, da auch die Annahme eines stilistischen Unterschiedes nicht berechtigt wäre.
WILHELM außert sich nicht zu der Frage, in welchem Sinne er ,,Polemik" verstanden wissen möchte, auch seine Verwendung bedeutungsverwandter Ausdrucke legt die Vermutung nahe, daß er sich darüber keine Gedanken gemacht hat. Das mag man bedauern - und mit gewissem Recht, gilt seine Untersuchung doch gerade solchen Abschnitten des AS, in denen, wie JACOBI sagt", ..Autoritäten" bzw. ..Vorgänger" erwähnt werden, und richtet sich seine Aufmerksamkeit dabei doch auch auf die formalen Aspekte, so daß eine genaue Bestimmung des Charakters und entsprechend eine genaue Benennung dieser Abschnitte wohl erwartet werden dürfte. Er hat allem Anschein nach aber auch nicht nach möglichen Parallelen zu diesen , Polemiken Ausschau gehalten. Abgesehen von Beobachtungen zu ihrer Rezeption in jüngeren Werken" und allgemeinen Bemerkungen, wie z. B. ..Zitate, Debatten, Polemiken sind für die indischen Sastras kennzeichnend wie für die Lehrbücher anderswo"12 findet sich nämlich, wenn
(Münchener Indologische Studien Bd. 2). Wiesbaden - Wilhelm 1960.
WILHELM 1960: 4; vgl. 145. ..Ober die Echtheit des Kautilya". In: Sitzungsberichte der Kgl. Preußischen Akademie d. Wissenschaften. 1912, S. 832-849 - Kleine Schriften hrsg. v. B. KOLVER, Wiesbaden 1979, Teil I, S. 522-539 - JACOBI 1912 (wobei jeweils beider Seitenzahlen angegeben werden, also hinsichtlich des Ausdrucks .. Autoritaten". den auch ich gelegentlich gebrauchen werde, JACOBI 1912: 838/528). • WILHELM 1960: 4 WILHELM 1960: 3, 4, 17, 23 et passim. WILHELM 1960: z. B. 3, 34 bzw. 75.
Dieser Eindruck entsteht nur einmal, dort nämlich, wo WILHELM feststellt. (1960: 140): Zitate, Debatten, Polemiken sind für die indischen Sastras kennzeichnend...": da er unmittelbar danach aber u.a. von den Diskussionen dieser Werke und dem Geist geschliffener Disputationen" spricht, kommt man doch zu dem Schluß, daß es ihm nur auf den Wechsel des Ausdrucks ankommt (Remas einer entsprechenden, freilich höchst problematischen stereotypen Empfehlung der Deutschlehrer unserer Generation).
Zitiert aus F. KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Aun...., Berlin New York 1989, S.553.
Zitiert aus WAHRIG, Fremdwörterlexikon, Götersloh 1991, S. 591. Vgl. J.CH. A. Heyse, Allgemeines verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch... 11. Aun, Hannover 1853, S.684: Kunst, einen wissenschaftlichen Streit zu füh. ren"!
JACOBI 1912: 837 fr./527 fr. "I WILHELM 1960: 74 Anm. 2.
WILHELM 1960: 140 (s.0. Anm. 7). Die folgenden Satze lauten: Nicht nur das Arthasilstra, auch das Kamasutra, die Lehrbücher der Kunstdichtung und die grammatischen Traktate zeigen polemische Auseinandersetzungen als Spiegelbild ernster wissenschaftlicher Ambitionen. Die Diskussionen dieser Werke erweisen