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ZUM PROBLEM DES GOTTESBEWEISES IN DER
INDISCHEN PHILOSOPHIE
VON
GERHARD OBERHAMMER
Das methodische Auslegen des natürlichen Wissens von der eigenen Seinsbedingtheit im Sinne der Existenznotwendigkeit eines Seinsbedingenden ist das Wesen des Gottesbeweises und die kritische Grundlegung dieser auslegenden Methode ist das Problem des Gottesbeweises. Aufgabe dieses Beitrages ist es, dieses Problem in einer seiner historischen Ausformungen zu zeigen, die es im Ringen um eine philo.sophische Gotteslehre in Indien erhalten hat. Dabei wurde nicht beabsichtigt, eine vollständige genetisch-deskriptive Darstellung der Entwicklung dieses Problems in Indien zu geben --- dies hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt , sondern das Problem in einer seiner historischen Grundformen, sozusagen als Typus herauszuarbeiten. 1)
Für diese historisch-typologische Darstellung wurde die Gotteslehre der Nyāya-Schule 2) gewählt, da sie dem Problem des philosophischen Gottesbeweises am meisten Aufmerksamkeit schenkte und die Lösung dieses Problems am stärksten prägte. Das starke Hervortreten der philosophischen Gotteslehre im Denken dieser Schule darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Theismus des Nyāya in seiner metaphysischen Struktur von jedem christlichen Theismus unterschieden
1) Neuere Literatur zur Gotteslehre des Nyāya und des Vaišeşika: G. Bhattacharyya : Studies in Nyāya-Vaiseșika Theism. Calcutta Sanskrit College Research Series No. XIV, Studies No. 5. Calcutta 1961. – G. Chemparathy: Aufkommen und Entwicklung der Lehre von einem höchsten Wesen in Nyāya und Vaiseşika. Ungedruckte Dissertation Wien 1963.
2) Diese philosophische Schule beschäftigt sich vor allem mit Problemen der Dialektik (Eristik), Lagik und Erkenntnislehre und entlehnt ihre Metaphysik (vor allem die Kategorienlehre) der naturphilosophischen Schule des Vaiśeşika. Der „alte" Nyāya, dem ein noch allgemeines philosophisches Interesse eigen ist, blüht während des ersten Jahrtausends nach Chr.; er wird durch den ,,neuen" Nyāya abgelöst, der sich ausschliesslich logischen und erkenntnistheoretischen Fragen zuwendet und bis in die Neuzeit hinein lebendig geblieben ist. In der vorliegenden Arbeit handelt es sich ausschliesslich um den „alten" Nyāya. NUMEN XII