Book Title: Buddhismus Und Natur
Author(s): L Schmithausen
Publisher: L Schmithausen
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Buddhismus und Natur Von Lambert Schmithausen, Hamburg Bevor ich im folgenden versuche, das Verhaltnis des Buddhismus zur Natur zu skizzieren, muss ich einige Prazisierungen und Einschrankungen vorausschicken. Erstens sei klargestellt, dass ich hier unter Natur das verstehe, was heute meist ,,Umwelt", besser ,,Mitwelt" 1 genannt wird; konkret: Tiere, Pflanzen und die sogenannte unbelebte Natur, soweit sie noch halbwegs ,,naturlich" ist, also jedenfalls nicht ihre Deformationen durch die moderne Zivilisation und Technik. Dabei muss, wie sich zeigen wird, bei der Wurdigung der buddhistischen Position ein Unterschied gemacht werden zwischen der Natur als ganzer - als Landschaft oder Okosystem- und den naturlichen Einzelwesen, insbesondere soweit sie als Lebewesen gelten2. Zweitens muss ich gestehen, dass meine Ausfuhrungen nur ein erster Versuch sind ein Versuch, der uberdies Schwerpunkte setzen muss: Zum einen wird der theoretischen und normativen Seite der Problematik mehr Beachtung zuteil werden als dem tatsachlichen Verhalten in der Alltagswirklichkeit, und die Frage nach der Rolle, die die Natur in der buddhistischen Kunst, Kunstdichtung und Erzahlungsliteratur spielt, muss weitgehend ausgeklammert bleiben. Zum anderen konzentriere ich mich auf den alteren Buddhismus, womit ich nicht den in vielem nach wie vor kontroversen Urbuddhismus - auf den ich nur ausnahmsweise Bezug nehmen werde meine, sondern die in der anschliessenden Entwicklung zunachst vorherrschend gewordene, haufig als Hinayana bezeichnete Stromung, deren Kern ein fur Monche und Nonnen konzipierter Heilsweg bildet und die vor allem in Sri Lanka und Sudostasien bis heute lebendig geblieben ist, einst aber viel weiter verbreitet war. Das Mahayana oder ,,Grosse Fahrzeug", eine um die Zeitwende aufkommende Bewegung, an der auch die Laien wesentlichen Anteil hatten, soll, wenn auch kurzer, ebenfalls berucksichtigt wer 100 Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ den, wahrend der esoterische Buddhismus (Tantrismus) und ausserindische Entwicklungen nur gelegentlich angedeutet werden konnen. Drittens sei ausdrucklich festgestellt, dass die Frage des Verhaltnisses des Menschen zur Natur fur uns heute eine Dimension hat, die sie fur fruhere Kulturen kaum haben konnte: die der Zerstorung bzw. akuten Bedrohung des gesamten irdischen Okosystems durch menschliches Fehlverhalten. Vor eine solche Situation sah sich die buddhistische Tradition ebensowenig gestellt wie die mittelalterliche christliche, und wenn ich einschlagige Aussagen und Verhaltensweisen der buddhistischen Tradition vor diesen Hintergrund stelle, so gehe ich damit uber ein rein ideengeschichtliches Aufarbeiten hinaus. Aber ich konfrontiere den Buddhismus auf diese Weise doch nur mit einer Problematik, vor die ihn, als eine in der Gegenwart fortexistierende Religion, die Wirklichkeit schon langst gestellt hat. Es ist ja bekannt, dass sich, wie allenthalben, so auch in den buddhistischen Landern, die Mentalitat und Praxis der modernen westlichen Zivilisation, fur die die ganze Natur bloss Ressource, bloss Ausbeutungsobjekt fur menschliche Belange, ist, entweder bereits durchgesetzt hat oder doch im Begriff ist, dies zu tun. Der Buddhismus muss sich deshalb, wie andere Religionen, die Frage gefallen lassen, ob er diese Entwicklung begunstigt, vielleicht sogar mitzuverantworten hat oder ob er, zumindest in seiner traditionellen Form, eine entgegengesetzte Haltung reprasentiert und somit, gegebenenfalls durch verstarkte und selbstbewusstere Ruckbesinnung auf die eigenen Prinzipien, zur Bewaltigung der gegenwartigen Fehlentwicklung beitragen konnte. Viertens sei zugestanden, dass der vorliegende Beitrag nicht ohne personliche Betroffenheit verfasst wurde - eine Betroffenheit, fur die ich keinen besseren Ausdruck wusste als die folgenden Worte eines Omaha-Indianers": ,,In meinen jungen Jahren war das Land schon. In den Flussauen wuchs der Wald: ... Ahorne, Ulmen, Eichen ... und viele Arten mehr. Da wuchsen im Unterholz Reben und Busche, und noch eine Stufe tiefer gediehen viele gute Krauter und Blumen ..., und uberall sangen die Vogel. Wo ich auch ging, erblickte ich die mannigfaltigsten Formen des Lebens ... Aber nun ist das Gesicht des Landes verwandelt und voller Trauer. Die lebenden Wesen sind dahin. Ich sehe das Land verwustet, und mich druckt unsaglicher Kummer." Ich versuche im folgenden zu ermitteln, welche Konsequenzen sich aus den Prinzipien der buddhistischen Daseinsanalyse und aus den Grundsat 101 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ zen der buddhistischen Ethik fur das Verhaltnis des Buddhismus zur Natur ergeben. Dies soll unter drei Gesichtspunkten geschehen: 1. im Zusammenhang mit dem Heils- oder Idealzustand, 2. im Rahmen der buddhistischen Spiritualitat (Meditation, Mystik), 3. im Hinblick auf das praktische Verhalten. Die Grundsatze der Ethik werden naturgemass vor allem im Kontext des dritten Gesichtspunktes relevant werden. I Die Welt besteht im alteren Buddhismus, unbeschadet zyklischer Zusammenbruche von Teilsystemen, seit anfangloser Zeit. Sie ist nicht die Schopfung eines allmachtigen Gottes. Das Dasein in ihr ist kein einmaliges. Nach dem Tode wird man erneut geboren, wieder als Mensch oder auch in einer anderen Existenzform, etwa als Tier oder auch als Hollenoder Himmelswesen. Und man ist nicht erstmalig in ein solches Dasein hineingeraten oder hineingeschickt worden, sondern man steckt seit jeher in einem anfanglosen Prozess des Immer-wieder-geboren-Werdensund-Sterbens; und sofern man nicht den buddhistischen Erlosungsweg beschreitet, bleibt man auch in diesem Prozess, weil man es letztlich selbst so will. Dieser Wille, dieses Daseinwollen beruht aber auf einer fundamentalen Fehleinschatzung des Daseins. Denn in Wahrheit ist es nichts Erstrebenswertes, sondern, aufgrund seiner Verganglichkeit und Veranderlichkeit, etwas zutiefst Unbefriedigendes und in diesem ontologischen Sinne Leidhaftes". Dies gilt sogar fur die Himmelswesen. Die niederen Existenzformen einschliesslich der menschlichen sind uberdies seelischem Leid und korperlichem Schmerz unterworfen, wenngleich in unterschiedlichem Ausmass. So ist z. B. eine Existenz als Tier nach buddhistischer (und uberhaupt indischer) Auffassung schlechter als menschliches Dasein, d. h. unangenehmer, mit mehr Schmerz verbunden, da die Tiere (als Wildtiere) einander auffressen und (als Haustiere) von den Menschen versklavt und gequalt werden'. Pflanzen sind nach buddhistischer Auffassung komme ich am Ende des Vortrags noch zuruck - keine Lebewesen. Sie leiden infolgedessen auch nicht, und man kann auch nicht als Pflanze wiedergeboren werden. auf Ausnahmen 102 Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Fur den alteren Buddhismus kann angesichts dieser grundsatzlich negativen Bewertung allen weltlichen Daseins das vollkommene und endgultige Heil nur in einem totalen Ubersteigen jedweden weltlichen Daseins bestehen, in seinem vollstandigen Erloschen (Nirvana). Zum leidhaften Dasein gehort aber auch die Natur, da auch sie durch Verganglichkeit und Veranderlichkeit gekennzeichnet ist. Auch sie ist somit letztlich negativ zu bewerten, vom standigen Daseinskampf und seinen Leiden einmal ganz abgesehen. Im Nirvana des alteren Buddhismus, als einem Zustand radikalen Transzendiertseins allen verganglichen und leidvollen Daseins, ist daher kein Raum fur die Natur, weder fur die Vielfalt der Einzelerscheinungen noch fur die Natur als eine diese immer neu schaffende Kraft (eine Vorstellung, die, soweit ich sehe, zumindest dem alteren Buddhismus ohnehin fremd ist), und es wird auch nicht versucht, die Natur in paradiesisch verklarter Gestalt in den Erlosungszustand einzubringen. So heisst es in einem alten Vers: ,,Es gibt, ihr Monche, eine Statte, wo weder Erde ist noch Wasser noch Feuer noch Wind, weder diese Welt noch jene, weder Sonne noch Mond."" Dass im endgultigen Erlosungszustand fur die Natur als ganze kein Raum ist, bedeutet aber nicht, dass die naturlichen Einzelwesen ganzlich von der Erlosung ausgeschlossen waren. Im Gegenteil: Soweit sie beseelte Lebewesen sind, d. h. leiden und somit der Erlosung bedurfen, sind sie grundsatzlich auch erlosungsfahig 10. Dies trifft im alteren Buddhismus allerdings, wie gesagt, nur fur die Tiere zu. Diese konnen jedoch im allgemeinen die Erlosung nicht erlangen, solange sie Tiere sind, sondern, wegen der dafur erforderlichen intellektuellen Fahigkeiten, nur im Rahmen einer Wiedergeburt in hoherer, speziell menschlicher Existenz11. Mit dem Eingehen ins restlose Nirvana aber findet jegliche Existenzform als Lebewesen, sei es Tier oder Mensch oder Himmelswesen, ein Ende12. Mit anderen Worten: Dass naturliche Einzelwesen (Tiere) die Erlosung erlangen konnen, bedeutet keinesfalls, dass im endgultigen Erlosungszustand Raum fur naturliche Einzelwesen als solche ware, dass ihnen als solchen irgendein ,,eschatologischer" Wert zukame. Die zu Anfang skizzierte Daseinsanalyse des alteren Buddhismus hat in den meisten Texten des Grossen Fahrzeugs einer radikaleren Auffassung Platz gemacht: Das Dasein - bzw. die Welt, in der es stattfindet - ist nicht nur verganglich und substanzlos, sondern nichtig, illusorisch wie ein Zaubertrug oder Traum13. Das Dasein hat somit niemals wirklich stattgefun 103 Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ den, ist seit jeher zur Ruhe gekommen (adisanta) und von sich aus immer schon verloschen (prakstya nirusta)14. Das Verloschen des Daseins, das Nirvana, ist also an sich immer schon gegeben und ist das eigentliche Wesen allen Daseins15; man muss das bloss realisieren. Das Nirvana ist auf diese Weise der Welt und damit auch der Natur nahergeruckt. Aber nicht in dem Sinne, dass es ihr als Natur nun mehr Raum gabe als im alteren Buddhismus. Im Gegenteil: Das Nirvana, das fruher irgendwie jenseits der Natur war, ist im Grossen Fahrzeug gewissermassen in sie eingedrungen und macht sie von innen heraus zu einer seit jeher nichtigen. Daran andert sich auch dann nichts, wenn, wie es gelegentlich geschieht, das mit dem Nirvana identische wahre Wesen der Welt positiver verstanden wird: als eine Art ,,hochstes Sein" 16 oder - unter dem Einfluss der buddhistischen Ethik (vgl. S. 110 ff.) - gar als das mit zahllosen unvorstellbaren ,,Vorzugen" ausgestattete metaphysische Wesen des Buddha17. Denn dieses ,hochste Sein" durchdringt zwar alle Erscheinungen und kann als Buddhatum - zumindest soweit die Erscheinungen Lebewesen sind sogar rettend auf sie wirken. Aber die Erscheinungen, also auch die Natur und die naturlichen Einzelwesen, konnen als solche niemals in das hochste Sein" eindringen, existieren dort auch nicht etwa in Form von ,,Ideen" oder dergleichen, und sind auch nicht seine Schopfung. In einigen Richtungen des esoterischen und des ostasiatischen Buddhismus mag das anders sein. In der japanischen Shingon-Schule z. B. wird das Verhaltnis von wahrer Wirklichkeit (= metaphysischem Buddha) und Erscheinungen strikt als Identitat ausgelegt18. Auf diese Weise musste die Natur in der wahren Wirklichkeit einbegriffen sein und im Erlosungszustand erhalten bleiben. Ich muss es aber Berufeneren uberlassen, dies zu verifizieren. In einer ganz anderen Weise sind die Voraussetzungen fur ein Fortbestehen einer - auch erkenntnismassigen - Beziehung zur Welt im endgultigen Erlosungszustand bei der indischen Mahayana-Schule der Yogacaras gegeben 19. Insbesondere spatere Vertreter dieser Richtung verstehen den endgultigen Erlosungszustand im Falle des Buddha als eine Kombination von Einswerden mit der allgegenwartigen wahren Wirklichkeit und Beibehaltung eines Komplexes reiner Bewusstseinsformen, wobei letztere - im Interesse eines bewussten Wirkens zum Heile der Lebewesen, also im Sinne der buddhistischen Ethik - auch bewusste Wahrnehmung der naturlichen Welt einschliessen. Es ist aber einschrankend 104 Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ anzumerken, dass fur die Yogacara-Schule die Welt nur aus den Geistesstromen der Lebewesen (einschliessliesslich der Tiere) besteht; unbelebte Natur, Pflanzen und die Leiber der Menschen und Tiere sind bloss Bilder im Geiste der Lebewesen, und der Buddha, als Allwissender, durfte diese geistigen Bilder wohl nur als solche und nicht, wie die gewohnlichen Lebewesen, als aussere Gegenstande erfahren. Von Interesse fur das Thema ,,Natur" sind ausser dem endgultigen Erlosungszustand auch innerweltliche Idealzustande, etwa die Lebensumstande der himmlischen Wesen (deva) und seligen Geister (Yaksas oder Vimana-pretas)20, vor allem aber die spezifisch buddhistischen reinen Buddha-Gefilde des Grossen Fahrzeugs. In dieser Bewegung erreicht die Buddha-Verehrung, in deren Rahmen der Buddha immer mehr zu einem uberweltlichen Wesen geworden war, ihren Hohepunkt und bevolkert das Universum mit zahllosen Buddhas, die in paradiesartigen Gefilden im Kreise frommer Anhanger ein nahezu unbegrenztes gluckseliges Leben fuhren und deren Verehrung den Glaubigen eine Wiedergeburt in eben diesen Gefilden beschert. Diese Paradiese durften Ausdruck einer diesseitsbezogeneren Mentalitat, wie sie bei Laien (und vielleicht auch bei einfachen Monchen) vorauszusetzen ist, sein und konnen deshalb als Spiegel innerweltlicher Idealvorstellungen der Buddhisten betrachtet werden. Es ist von daher interessant, zu sehen, ob die Natur in ihnen auftritt und, falls ja, in welcher Gestalt. Besonders bekannt ist Sukhavati, das ,,Gluckliche Land" des Buddha Amitabha. Es bietet, so heisst es21, den dort lebenden Wesen eine Fulle von Kleidern und Schmuckstucken. Palaste stehen in beliebiger Grosse und Ausstattung zur Verfugung; jede gewunschte Speise wird sogleich als bereits genossen empfunden. Es gibt zahlreiche Teiche, die aus Edelsteinen bestehen und offenbar geometrisch angelegt sind, mit einer Edelsteintreppe auf jeder Seite22. Die Flusse fliessen, wohlduftend und wohltonend, ruhig dahin, uber Goldsand und ohne Schlamm, mit ebenen Ufern; Wasserstand und Wassertemperatur richten sich nach den Wunschen der Badenden23. Sonne, Mond und Sterne gibt es ebensowenig wie den Wechsel von Tag und Nacht24. Es gibt auch keine Berge - nur Ebene, und der Boden ist aus Gold oder Edelsteinen25. Sukhavati ist von weitgehend gleich aussehenden26 Gottern und Menschen ubersat27 (also dicht bevolkert), aber es gibt keine Tiere28; die zahlreichen melodisch singen 105 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ den Vogel sind keine wirklichen Tiere, sondern vom Buddha Amitabha auf ubernormale Weise kunstlich hervorgezaubert (nirmita)29. Baume und Blumen gibt es in Fulle, aber auch sie sind zumeist aus Edelsteinen30; der Durchmesser mancher Edelsteinlotusse misst sich in Meilen1. Dornen und ,,Unkraut" pflegen in diesen Paradiesen zu fehlen32 Das Gluckliche Land ist - offenkundig33 - gepragt von dem Bild einer idealen Umwelt, wie es sich der zivilisierte Mensch damals machte. Dieses Bild wahlt - ahnlich wie die moderne Zivilisation - die fur den Menschen angenehmen Seiten der Natur aus. Alles, was ihm gefahrlich, unbequem oder hasslich vorkommt, wird weggelassen. Blumen und Baume mochte man ebensowenig missen wie Singvogel, aber fur Kerbtiere, Wildkrauter und dergleichen ist im Glucklichen Land ebensowenig Platz wie in vielen heutigen Parks und Garten (nur dass es im Glucklichen Land ohne Gift und Motormaher abgeht und dass man nachempfinden kann, dass die Menschen damals die wohl noch vorherrschende34 Wildnis als bedrohlich und dichte Besiedlung als beruhigend empfanden35, wahrend heute umgekehrt die Menschheit die letzten Reste der Wildnis bedroht und in Uberbevolkerung erstickt). Es ist aber nicht nur die Abneigung des sich noch von der Wildnis bedroht fuhlenden Menschen gegen diese, die sich in einer solchen Paradiesvorstellung ebenso artikuliert wie etwa in dem haufigen Vergleich des Umherirrens (samsara) in immer neuen Existenzen mit einem Urwald und seinen Gefahren36. Es haben hier vielmehr deutlich auch Momente der buddhistischen Daseinsanalyse und Spiritualitat gestaltend mitgewirkt. Zum einen sollen die buddhistischen Paradiese der buddhistischen Spiritualitat der Loslosung dienen", und dafur erschien offenbar die ruhige, milde (und sterile) Schonheit von Sukhavati geeigneter als etwa die wuchernde, sinnenbetorende und gefahrliche Pracht des tropischen Urwaldes. Die verklarten, entsinnlichten, von erotischen Elementen weitgehend gereinigten38 Freuden Sukhavatis wecken weder Gier noch Streit; sie sollen vielmehr die innere Ruhe fordern und die Versenkung in die Wahrheiten der buddhistischen Daseinsanalyse (die allerdings durch die Verhaltnisse in Sukhavati ganz und gar nicht sinnfallig gemacht wird). Denn - und dies ist ein zweiter Punkt - Paradiese wie das Gluckliche Land sollen Gefilde ohne (seelisches und korperliches) Leid sein39. Dies ist der eigentliche Grund dafur, dass die Natur als Ort der Plage und des Daseinskampfes, des standigen Sterbens und Geborenwerdens, aus ihnen verbannt ist. Ebendeshalb fehlen insbesondere die Tiere, deren Existenz 106 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ja als besonders leidvoll gilt - die Singvogel sind ja bloss Zauberwerk! Und auch die Pflanzen sind im Glucklichen Land durch ihre ,,Mineralisierung" der Sphare des Absterbens und Vermoderns entruckt. Fur die organische Natur ist somit im Glucklichen Land kein Raum. Naturliches Leben und Wachstum konnten sich die indischen Buddhisten offenbar nicht ohne Verfall und Tod vorstellen, und sie mussten es deshalb aus ihrem Bild einer Welt der Schonheit ohne Dusternis und Leid ausklammern. Die organische Natur zumindest hat also auch in diesem innerweltlichen Idealzustand keinen Platz. Was wiederum keineswegs ausschliesst, dass zumindest Tiere doch in dieses Paradies gelangen konnen; aber eben nicht in der Gestalt von Tieren, sondern nur auf dem Wege der Wiedergeburt. Interessant ist, dass im chinesischen Buddhismus die Paradiesesvorstellungen unter taoistischem Einfluss im Sinne einer Annaherung an die Natur umgestaltet worden sind40. War fur den Inder Natur offenbar in erster Linie die wuchernde, gefahrliche und daher gefurchtete Wildnis, so gab es in China schon damals kaum noch echte Wildnis. Der taoistische Chinese versteht daher die Natur eher als einen grossen, schonen Naturgarten41. Die Taoisten haben offenbar ahnlich empfunden wie wir heute: Nachdem die Zivilisation die Natur (heute naturlich viel rabiater) zuruckgedrangt hat, sehnt man sich nach ihr zuruck, allerdings oft romantisierend, unter Verdrangung ihrer dunklen Seiten. II Es sind aber gerade diese dunklen Seiten der Natur, die im Zentrum der buddhistischen Spiritualitat stehen, zumindest im alteren Buddhismus. Dessen Ziel ist ja das welttranszendente Nirvana, und das erlangt man nur, indem man sich von jedweder Verhaftung an weltliches Dasein lost. Als entscheidend fur diese Loslosung wird zumeist42 ein klares und irreversibles Erfassen des unbefriedigenden Charakters jeglichen Daseins in der Welt angesehen. Auch in der vorbereitenden Spiritualitat des alteren Buddhismus spielt die Betrachtung von Verganglichkeit, Substanzlosigkeit und Leidhaftigkeit eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang heisst es mit Bezug auf die Natur in einem alten Vers43. 107 Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ,,Berge, Meere, Flusse und Erde ...: sie alle sind verganglich und somit) befallen (namlich vom Ubel der ontologischen Leidhaftigkeit). Wohin, Gemut, kannst du dich [da noch] wenden und glucklich geniessen?" In einem anderen Text44 wird dem unter einem Baum Meditierenden die Betrachtung der Blatter empfohlen, da ihre raschen Veranderungen dem Aufkommen des Bewusstseins von der Verganglichkeit forderlich seien. Im Rahmen der Meditation uber den Tod dient die Beobachtung des jahreszeitlichen Wandels in der Natur der Wahrnehmung der Verganglichkeit in der Aussenwelt45. Das heutige grossflachige Verschwinden naturlicher Lebensraume, das beschleunigte Aussterben ganzer Tier- und Pflanzenarten kann somit, selbst unter der - buddhistischerseits allerdings problematischen - Voraussetzung eines Eigenwertes der naturlichen Vielfalt, aus der Sicht der buddhistischen Daseinsanalyse eigentlich nicht beklagt, sondern nur als eine besonders krasse Bestatigung der buddhistischen Einsicht in die universale Verganglichkeit gleichmutig hingenommen werden. Genauso gleichmutig musste der Buddhist aber auch den Errungenschaften und Versprechungen des ausseren, technologischen Fortschritts gegenuberstehen, da auch dieser am wesenhaft unbefriedigenden Charakter der Welt, an deren Verganglichkeit und Veranderlichkeit, nichts andern kann. Naturlich konnte man fragen, ob der Buddhismus, wenn er nun einmal damit konfrontiert wird, solchen ausseren Fortschritt nicht doch bejahen konnte fur den Fall, dass durch ihn wenigstens eine Verbesserung der Rahmenbedingungen fur das Heil bzw. die dazu fuhrende spirituelle Praxis erzielt wurde. Dies wird man aber kaum behaupten konnen. Der sogenannte Fortschritt ist z. B. mit einer ungeheuren Zunahme des Strebens nach materiellem Besitz verbunden. Maximierung von Besitz und Konsum ist geradezu konstitutiv fur ihn - in krassem Widerspruch zum altbuddhistischen Ideal der Besitz- und Bedurfnislosigkeit 46. Auch fur den zentralen Bereich der Meditation und Versenkung durfte die verlarmte und verpestete Atmosphare unserer Industriegesellschaft, in der Dusenjager, Kraftfahrzeuge, Transistorradios und Motorsagen auch den allerletzten ruhigen Winkel heimsuchen, kaum besonders gunstig sein"7. Den Monchen des alten Buddhismus jedenfalls ist fur ihre Meditationsubungen im allgemeinen die Einsamkeit geeigneter erschienen als die (damals gewiss noch vergleichsweise ertraglichen) Stadte und 108 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Siedlungen mit ihrer Unruhe und ihren Ablenkungen. Nicht das spirituelle Vervollkommnung in einem Dorf oder einer Stadt unerreichbar ware 8. Aber als typische Meditationsplatze nennen die Texte doch vorzugsweise Orte wie die Wildnis (aranya), den Fuss eines Baumes oder eine Hohle im Gebirge49. So manche Textstelle preist die Vorzuge und das Gluck des Einsiedlerlebens50. ,,Allein leben wir in der Wildnis, wie ein im Wald weggeworfenes Stuck Holz. Viele beneiden mich darum, wie die Hollenbewohner Wesen, die in den Himmel kommen [beneiden)." Einsamkeit, Ruhe und Schonheit der naturlichen Umgebung fordern die Meditations1. Vor allem Personen, die durch ubermassiges Uben der Leichenbetrachtung in Depression verfallen sind, wird u. a. die Betrachtung lieblicher Garten, Haine und Gewasser empfohlen 52. Insbesondere in den Liedern der Ehrwurdigen" (Theragatha) finden sich Verse, die geradezu ein Geniessen der Naturschonheiten zum Ausdruck zu bringen scheinen53: ,,Diese Berge mit ihren klaren Gewassern und breiten Felsen, die von Affen und Gazellen aufgesucht werden und mit triefendem (?) Moos bedeckt sind, die entzucken mich." Solche Stellen, die der Natur einen asthetischen Wert zuerkennen, finden sich aber in den kanonischen Texten des indischen Buddhismus nicht gerade haufig. Sie erinnern eher an den tibetischen Mystiker und Dichter Milaraspa54 und an den ostasiatischen, insbesondere den Zen-Buddhismus55. Im indischen Buddhismus geht es, wenn als Ort fur die Meditation die freie Natur empfohlen wird, meist nur um Ruhe und Einsamkeit, und nicht um ein Naturerlebnis. Gelegentlich wird angedeutet, dass zumindest das Leben in der Wildnis auch seine Beschwerlichkeiten hat, dass die Natur etwa in Gestalt von stechenden Insekten ausgesprochen storend sein kann 56 bzw. eine vollkommene Versenkung sich dadurch auszeichnet, dass der Meditierende durch Naturgewalten wie Blitz und Donner nicht gestort oder in Schrecken versetzt wirds. Genausowenig - und dies gilt besonders fur Personen, die zu geistiger Unruhe neigen58 - darf er sich aber auch von den Naturschonheiten ablenken lassen und asthetischen Kontemplationen hingeben59. Von daher erweisen sich gerade diejenigen Verse der ,,Lieder der Ehrwurdigen", welche auf den ersten Blick bloss Freude an der Schonheit der naturlichen 109 Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Umgebung auszudrucken scheinen, als hintergrundig. Sie sind, wie S. Zienhard 60 uberzeugend dargelegt hat, in Wahrheit Verfremdungen weltlicher Lyrik, vor allem solcher, die die Regenzeit (also die Jahreszeit, in der die Monche feste Behausungen, etwa Hutten oder Hohlen in der Wildnis, aufsuchen mussten61) als Zeit der Liebesfreuden, aber auch des Trennungsschmerzes schildern. Die Monche wollen mit ihren Umformungen solcher Dichtung den Laien gegenuber betonen, dass sie trotz der Liebesfreuden evozierenden Naturerscheinungen in ihrer Einsamkeit glucklich, ja glucklicher als die Laien sind. Dieses Gluck der Monche entspringt zweifellos der inneren Quelle der Versenkung und der Erlosung von Begierde und Furcht und ist daher letztlich nicht von der Ortlichkeit abhangig62. Es ist aber denkbar, dass der spirituelle Zustand des Befreitseins von allen Affekten auch eine gelassene, emotionsfreie Wahrnehmung der Schonheiten der Natur, zumal der Wildnis, zulasst bzw. uberhaupt erst moglich macht63. i In der Daseinsanalyse des Grossen Fahrzeugs steht, wie gesagt, die Nichtigkeit der Erscheinungen im Zentrum, manchmal aber auch ein ihnen als ihr wahres Wesen innewohnendes ,,hochstes Sein". Einen wesentlichen Bestandteil der Spiritualitat des Grossen Fahrzeugs bildet dementsprechend die Betrachtung der Nichtigkeit der Erscheinungen, und die erlosende Einsicht besteht in einer mystischen Erfahrung, in der alle Erscheinungen verschwunden sind64 und sich ggf. das ,,hochste Sein" unmittelbar manifestiert65. Fur die Natur ist, soweit ich sehe, in dieser Erfahrung kein Raum, zumindest im indischen Mahayana nicht. Einen Platz haben konnte die Natur allenfalls in der auf diese mystische Schau folgenden Erfahrung des Wiedereintretens in die Erscheinungswelt, in der diese nun aber nicht mehr wie in der alltaglichen Erfahrung erlebt wird, sondern im Lichte der unmittelbar vorhergehenden mystischen Schau ihres wahren Wesens. Die indischen Texte sehen jedoch, nach meiner Kenntnis, die Wirkung der mystischen Schau auf die nachtragliche Sichtweise der Erscheinungswelt vor allem darin, dass die Erscheinungswelt nun tatsachlich als illusorisch (einem Zaubertrug gleich usw.) erfahren (und nicht mehr bloss so betrachtet) wird66. Daruber hinaus wird die mystische Schau - im Zusammenhang mit der nachtraglichen, auf die Erscheinungswelt zuruckgewandten Erfahrung - aber auch zur erfahrungsmassigen Grundlage der ethischen Haltung des Mitgefuhls mit allen Lebewesen, die auch fur das Verhaltnis zur Natur von Bedeutung ist. 110 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Diese Haltung hat aber, historisch gesehen, ihre Wurzel nicht in der buddhistischen Daseinsanalyse, sondern in einem anderen Strang buddhistischer Spiritualitat, der auch im alteren Buddhismus schon vorhanden ist und vor allem durch die Ubung der vier , Grenzenlosen' (apramana) reprasentiert wird. Bei dieser Ubung, die nach T. Vetter67 im Gegensatz zur negativen Daseinsanalyse zur altesten Schicht der urbuddhistischen Lehre gehoren durfte, strahlt der Ubende der Reihe nach in alle Himmelsrichtungen die Gefuhle des Wohlwollens (mettalmaitri), des Mitleids (karuna), der Freude (mudita) und der ,,Gleichgultigkeit" 68 (upekkhal upeksa) aus, ohne eine Grenze zu ziehen und in der Weise, dass alle (Lebewesen) sein Ich oder Selbst werden69 (sabbattataya). Im Gegensatz zur Daseinsanalyse des alteren Buddhismus, die alle beobachtbaren Konstituenten der Person aufgrund ihrer Verganglichkeit dahingehend bestimmt, dass sie - in einem Dauerhaftigkeit implizierenden Sinne - weder das Ich sind noch dem Ich gehoren, und so das Ich gewissermassen auf Null reduziert, eliminiert die Ubung der Grenzenlosen" das begrenzte Ich egoistischen Strebens dadurch, dass sie es gleichsam sprengt und, durch Einbeziehung aller Lebewesen, ins Unendliche ausdehnt. Sie geht, wie es ein Mahayana-Text ausdruckt, zur ,,Ansicht eines grossen Ichs" (mahatmadrsti), in das alle Lebewesen einbegriffen sind", uber. Ziel der Ubung der Grenzenlosen" ist im alteren Buddhismus72 vor allem die spirituelle Lauterung des Ubenden selbst: Wohlwollen etwa reinigt von Hass, ,,Gleichgultigkeit" von Gier?3. Im Mahayana hingegen werden allumfassendes Wohlwollen und Mitleid autonom und fuhren sogar zu einer Zuruckstellung des eigenen Heils zugunsten der anderen Lebewesen. Diese zentrale Stellung von allumfassendem Wohlwollen und Mitleid fuhrt zu dem Bedurfnis, sie auch aus der Daseinsanalyse abzuleiten. An einer Stelle74 wird dies sogar auf der Basis der Daseinsanalyse des alteren Buddhismus versucht und von der Lehre ausgegangen, dass es in Wirklichkeit kein Ich gebe und infolgedessen auch keine anderen Personen bzw. Lebewesen, sondern bloss Strome unpersonlicher Daseinsfaktoren, in denen u. a. auch der Faktor Leid auftritt. Hieraus wird nun geschlossen, dass, wenn das Leid schon, wie allgemein anerkannt, etwas zu Beseitigendes ist, es kein spezifizierendes Moment gibt, kraft dessen man diese Beseitigung auf die (in Wirklichkeit gar nicht existierende) ei 111 Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ gene Person beschranken konnte. Daraus folgt, dass die Beseitigung allen Leides gleichrangig ist. Typischer fur das Mahayana aber sind Begrundungen, die bei der alle Erscheinungen und somit auch alle Lebewesen durchziehenden wahren Wirklichkeit ansetzen: Wenn die wahre Wirklichkeit - die Leerheit oder das hochste Sein" - sowohl das wahre Wesen des Ubenden selbst wie auch das aller anderen Lebewesen ist, so ergibt sich - und dies wird vor allem dann manifest, wenn der Ubende diese wahre Wirklichkeit in der mystischen Schau unmittelbar erfahren hat -, dass ihm, von diesem wahren Wesenskern her betrachtet, alle anderen Lebewesen ebenso nahestehen wie die eigene Person. Er macht dann keinen Unterschied mehr zwischen sich und anderen, betrachtet alle ubrigen Lebewesen als dem eigenen Ich gleich (svaparasamata, sarvasattvesv atmasamacittata u.a.), und daraus ergibt sich ein alle Lebewesen umfassendes Wohlwollen und Mitleid75. Wird der wahre Wesenskern in allen Lebewesen, wie es in manchen Texten geschieht, als immer schon latent in diesen Lebewesen vorhandene Buddhaschaft verstanden, so folgt daraus, dass man sich allen Lebewesen gegenuber ebenso respektvoll verhalten muss wie gegenuber dem Buddha selbst?6. Diese ethischen Konsequenzen sind nun aber auch fur das Verhaltnis zur Natur relevant, weil zu den Lebewesen zumindest auch die Tiere gehoren. Auch sie sind somit Gegenstand des allumfassenden Wohlwollens und Mitleids", allerdings immer nur als empfindende Einzelwesen, nicht als Vertreter bestimmter Tierarten. Im Falle des allen Lebewesen aufgrund der in ihnen verborgenen Buddhaschaft entgegenzubringenden Respektes ware, genau genommen, das Tier nicht einmal als einzelnes Lebewesen, sondern nur als ,,Behalter" oder Hulle der ,,ubernaturlichen" Wesenheit der Buddhaschaft Gegenstand dieses Respektes. Insofern aber die Buddhaschaft in dem Lebewesen steckt und, vorerst zumindest, nicht herauslosbar ist, partizipiert die Hulle - das einzelne Tier - an dem Respekt, welcher der in ihr verborgenen Buddhaschaft entgegengebracht wird. 112 Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ III Die Erwahnung von Mitleid und Wohlwollen, auch gegenuber Tieren, leitet uber zur Frage nach dem praktischen Verhalten gegenuber der Na tur. Was die Natur als ganze angeht, so liefert die Daseinsanalyse des alteren Buddhismus, fur sich allein genommen, fur eine Rettung der Natur und der naturlichen Vielfalt vor der drohenden Zerstorung durch den Menschen kein Motiv. Die Natur ist, als Teil der verganglichen Welt und in Anbetracht ihrer dunklen Seiten, leidvoll und somit kein Wert an sich. Andererseits motiviert die Daseinsanalyse des alteren Buddhismus aber ebensowenig ein fortschrittsglaubiges Sich-die-Natur-untertan-Machen, da die essentielle Leidhaftigkeit des Daseins in der Welt nicht zu andern ist, schon gar nicht mit ausseren Mitteln. Aber muss es nicht, im Sinne der Haltung des allumfassenden Mitleids und Wohlwollens, das Ziel des Buddhisten sein, den einzelnen Lebewesen nicht nur den Weg zur Erlosung zu weisen, sondern auch hier in dieser Welt zu helfen und wenn schon die essentielle Leidhaftigkeit des Daseins nicht geandert werden kann - wenigstens das massive Leid nach Kraften zu mindern und durch ein Maximum an Gluck zu ersetzen? Und konnte man nicht wenigstens zu diesem Zweck der Leidensminderung und Glucksmehrung einen naturverandernden Fortschritt legitimieren? Hierzu ware erstens zu sagen, dass die buddhistische Tradition in der Tat auch fur diese Welt Goldene Zeitalter mit nahezu paradiesischen Verhaltnissen annimmt, diese aber, ebenso wie begrenztere Besserungen der allgemeinen Lebensbedingungen, als Folge einer hoheren Sittlichkeit oder Spiritualitat der Menschen (und zwar, im alteren Buddhismus zumindest, eher als ein Nebenprodukt) zu sehen pflegt und nicht als Ergebnis ausseren (etwa wissenschaftlichen oder technologischen) Fortschritts. Zweitens ware anzumerken, dass es ja keineswegs sicher, ja wohl eher unwahrscheinlich ist, dass das, was man als ,,Fortschritt" auszugeben pflegt, am Ende zu einer positiven Bilanz fur den Menschen fuhrt. Drittens schliesslich darf man als Buddhist das Problem nicht anthropozentrisch angehen und muss in die Leidensminderung und Glucksmehrung alle Lebewesen, auch die Tiere, einbeziehen", wofur es in der buddhistischen Tradition denn auch zahlreiche konkrete Bestatigungen gibt00. Fur die Tiere aber bedeutet der sogenannte Fortschritt, die moderne Zivilisation, ja wohl kaum eine Leidensminderung. Es genugen wohl als Beweis 113 Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ b: We von Sen Indet, abe dafur Stichworte wie tierqualerische Massentierhaltung (,,KZ-Huhner"), Tierversuche, Biotopzerstorung und Umweltvergiftung (man nehme nur olverpestete Meeresvogel oder mit Geschwuren und Geschwulsten bedeckte Elbfische!). Hier wird doch, wenn uberhaupt, nur das Leid von Individuen einer einzigen Spezies - des Menschen - (und vielleicht noch einiger weniger Nutzniesser) vermindert, aber eben auf Kosten anderer Arten und der ihnen zugehorigen Individuen. Aber sehen wir einmal von den tierqualerischen Aspekten der modernen Zivilisation ab: Ware angesichts der Tatsache, dass das Dasein der Tiere im Buddhismus81 als besonders leidhaft - leidvoller als das der Menschen - gilt, ihre im Idealfall schmerzfreie) Totung und Ausrottung, etwa auf dem kalten Wege der Lebensraumzerstorung, nicht letztlich sogar eine Wohltat fur sie selbst? Eine solche Auffassung soll tatsachlich von den gelegentlich erwahnten sogenannten Samsaramocakas82 vertreten worden sein. Der Name bedeutet ,,Leute, die [Tiere oder auch Kranke durch Totung) aus dem Dasein (zumindest aus der betreffenden schlechten Existenz) befreien". Im allgemeinen sind damit wohl kaum Buddhisten gemeint, obgleich es im 11. Jh. in China eine vulgarbuddhistische (?) Bewegung gegeben zu haben scheint, deren Anhanger mit der Begrundung, man tue ihnen damit einen Gefallen, dass man sie vom leidvollen Dasein befreie, sogar Menschen umgebracht haben83. Hinzuweisen ware in diesem Zusammenhang auch auf das vor allem aus Tibet bekannte tantrische Ritual der Totung und zugleich Erlosung (sgrol ba) von Damonen oder (Religions-)Feinden, bei dem, aus Mitleid, deren Korper rituell getotet, ihre Seele aber erlost wird83a. Und schon im traditionellen Vinaya, der kanonischen Sammlung zur Ordenszucht, wird berichtet, dass sich Monche, die zuviel uber die Ekelhaftigkeit des Korpers meditiert hatten und des Daseins uberdrussig geworden waren, das Leben nahmen bzw. sich von einem Mitbruder umbringen liessen 84. Auch der Fall, dass ein Monch einem erkrankten Mitbruder aus Mitleid zur Selbsttotung rat, wird angedeutet85. . Unter solchen Gesichtspunkten konnte auch im Falle der Tiere aus der besonderen Leidhaftigkeit tierischer Existenz geradezu die moralische Verpflichtung abgeleitet werden, dass man Tiere toten oder, noch besser, diese unangenehme Existenzform uberhaupt unmoglich machen sollte und dass die Durchfuhrung eines solchen Zieles auf dem kalten Wege der Lebensraumzerstorung als eine besonders humane Losung emphatisch befurwortet werden musse. 114 Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Aber zum einen wird man dem Buddhismus die zugrundeliegende, sich aufgrund der dargelegten Konsequenz als uberaus gefahrlich erweisende Voraussetzung, dass die Existenz der Tiere besonders leidhaft sei, nicht ohne weiteres zugestehen. Zum anderen muss die obige Konklusion als typisches Beispiel fur das Irrtumsrisiko bewertet werden, das man eingeht, wenn man Aussagen buddhistischer Texte uber ihre spirituelle Intention hinaus zur Grundlage systematischer Folgerungen macht. Der Buddhismus besteht ja keineswegs nur aus der negativen Daseinsanalyse, von der ich ausgegangen war, und aus der Haltung des allumfassenden Mitleids. Er hat sich vielmehr - und das fuhrt uns zu weiteren und fur unsere Problematik zentralen Prinzipien der buddhistischen Ethik - im Rahmen einer Asketenbewegung entwickelt, zu deren Ideengut auch die Lehre von Karma, von den guten und schlechten Werken, und das Gebot des Nichtverletzens (ahimsa) gehoren. Diese beiden Lehren - vor allem die letztere - fuhren aber nicht nur im Hinblick auf Menschen zur kompromisslosen Ablehnung der obenerwahnten Totung aus Gefalligkeit und mitleidbedingten Verleitung zur Selbsttotung86; sie schliessen vielmehr auch im Falle von Tieren die obige Konklusion, es sei geradezu verdienstvoll, sie zu toten oder auszurotten, weil man ihnen damit angesichts der besonderen Leidhaftigkeit ihres Daseins durchaus einen Gefallen tue, grundsatzlich aus und bedingen ein essentiell andersartiges Verhalten gegenuber der Natur. Die Karma-Lehre87 impliziert, in Verbindung mit der Lehre vom Immerwiedergeborenwerden (samsara), dass eine ungluckliche Existenz und zumindest ein Teil des darin erfahrenen Leides die Auswirkung schlechter Taten ist, die man in einer fruheren Existenz begangen hat. Es hat also kaum Sinn, ein solches Lebewesen durch Totung von seinem Leiden oder seiner schlechten Existenz befreien zu wollen, da das schlechte Karma dann ungetilgt bleibt und seine Rest-Frucht in einer anderen, ebenfalls unglucklichen Existenz bringen wird; es sei denn, man ginge - wie es die Samsaramocakas tatsachlich getan haben sollen 88 - so weit, dass man die mit der Totung verbundene (oder auch vorher eigens zuzufugende) Qual als eine Art kunstlicher Karma-Tilgung wertet. Die Lehre vom Nichtverletzen (ahimsa) jedoch verbietet das Toten und Schadigen von Lebewesen in jeglicher Form apodiktisch. Diese Lehre hat offenbar ganz archaische Wurzeln. Urtumliche Jagerbzw. Wildbeutervolker haben bekanntlich haufig das Bedurfnis, das Toten auf ein Minimum zu beschranken und das getotete Tier bzw. einen 115 Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ fur die betreffende Tierart zustandigen ,,Tierherrn" usw.89 irgendwie zu besanftigen. Dabei ist m. E. nicht bloss Angst vor der Rache der Tierseele oder des Tierherrn als Motiv anzusetzen, sondern auch Scheu oder Respekt vor dem Leben und ein Bewusstsein der Verwandtschaft mit allem90, und auch ein Gespur fur das okologische Gleichgewicht, ohne dass diese Aspekte im Bewusstsein jener Menschen bereits scharf voneinander differenziert sein mussten. Eher durfte es sich um ein komplexes Gefuhl handeln, dessen Komponenten nur fur uns auseinanderfallen. In vorbuddhistischen Texten ist ferner die Idee der verkehrten Welt belegt - eines Jenseits, in dem alles gerade umgekehrt ist wie im Diesseits. Die getoteten Tiere etwa zerhacken und verzehren dort den, der sie in dieser Welt getotet und gegessen hat"1. Die vedischen Ritualisten glaubten, dem mit Hilfe ritueller Verrichtungen oder ,,meta-ritualistischer" Konzeptionen entgegenwirken zu konnen. Die Angst vor der Vergeltung ist daher fur sie gebannt. Sie wird aber wieder lebendig, wenn das Ritual aus irgendwelchen Grunden nicht anwendbar ist oder der Glaube an seine Kraft nachlasst. Die Asketen, die das Ritual aufgeben oder sogar verwerfen, konnen somit - ebenso wie der Veda-Schuler, der das Ritual noch nicht vollziehen kann93 - dem Schicksal, ihrerseits von dem Getoteten oder Verletzten getotet oder verletzt zu werden (sei es im Jenseits oder, gewissermassen antizipatorisch, schon im Diesseits), nur entgehen, wenn sie jegliches Toten und Verletzen strikt unterlassen 94. Dies ist zumindest eine Wurzel fur das generelle Verbot von Totung und uberhaupt Gewalttatigkeit in der ganzen indischen Asketentradition. . Dieses Verbot ist im Buddhismus (ebenso wie im Jinismus und Hinduismus) in die Karma-Lehre integriert worden, d. h., Toten von Lebewesen gilt als eine schlechte Tat, die eine unangenehme Wiedergeburt zur Folge hat. Toten und Gewalttatigkeit widersprechen ausserdem der sittlichen Reinheit", die - analog der rituellen Reinheit als Voraussetzung fur den Erfolg des Rituals - eine Grundvoraussetzung fur den Erfolg der spirituellen Bemuhungen des Asketen ist. Schliesslich erscheinen Nichttoten und Gewaltlosigkeit schon im alten Buddhismus haufig als Ausdruck der bereits behandelten Haltung des Mitgefuhls mit allen Lebewesen98. In spateren Texten kann das Nichtverletzen (ahimsa) sogar rein psychologisch gedeutet und mit dem Mitleid identifiziert werden". Diese Verbindung des Nichtverletzens mit dem Mitgefuhl lasst sich m. E. aus der Angst vor der Rache oder Ruckwirkung nicht ableiten, wohl aber aus dem oben ebenfalls erwahnten Moment der Scheu, von der in der Tat in diesem Zu 116 Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ sammenhang in den Texten die Rede ist100, und darf (auch in nichtbuddhistischen Texten 101) als Indiz fur eine explizite Ethisierung des Nichtverletzens gelten 102. Es ergibt sich aus dem Gesagten, dass fur den buddhistischen Asketen (und ebenso fur den brahmanischen und jinistischen) eine Totung von Tieren, einschliesslich von Insekten und ahnlichen Kleinlebewesen 103, ebensowenig in Frage kommt wie ein Toten von Menschen, trotz der besonderen Leidhaftigkeit tierischer Existenz, und selbst wenn das sie bedingende schlechte Karma als mit der Todesqual abgegolten gelten konnte. Gewiss, im Vinaya wird das absichtliche Toten eines Tieres als ein erheblich geringeres Vergehen gewertet104 als das absichtliche Toten eines Menschen, das den unwiderruflichen Ausschluss aus dem Orden zur Folge hat105. Aber in der Praxis wird in vielen buddhistischen Landern das Verbot des Totens oder Verletzens von Tieren doch sehr ernst genommen, auch von frommen Laien 106. Es liegt auf der Hand, dass, von diesem Aspekt des generellen Nichtschadigens her betrachtet, auch die Zerstorung der Natur als Lebensraum von Tieren unzulassig ist, da sie direkt oder indirekt zum Tode dieser Tiere fuhrt. Dementsprechend wird im Vinaya einiger Schule das (nachher noch eingehender zu behandelnde) Verbot, Pflanzen zu beschadigen, damit begrundet, dass diese Pflanzen Wohnung, also Lebensraum, fur Tiere, besonders Insekten, sind 107. In einem anderen Text wird sogar das Anpflanzen von Garten und Parks als besonders verdienstvoll gepriesen 108, wobei allerdings - wie der Kontext, der auch das Anlegen von Dammen, Zisternen, Brunnen und Unterkunften erwahnt, zeigt - nicht etwa an Renaturierung, sondern im Gegenteil an Kultivierungsmassnahmen gedacht ist. Diese wurden zwar gewiss primar im Interesse der Menschen (und Haustiere) durchgefuhrt, durften aber in ihren traditionellen Formen auch fur die meisten Wildtierarten kaum eine Bedrohung, fur manche sogar eher Vorteile mit sich gebracht haben, ganz im Gegensatz zu den lebensfeindlichen, giftbespruhten Agrarsteppen und Monokulturen unserer Tage, deren Forderung sich daher auf die obige Textstelle kaum zu Recht berufen kann. Nun konnte man einwenden, dass die buddhistische Ethik, starker als etwa die jinistische, bekanntlich die Absicht betont, die einer Handlung zugrunde liegt, und dass von daher gerade die modernen Zerstorungen naturlicher Lebensraume zumindest dann nicht als schlechte Taten gewertet werden konnen, wenn sie nur unbeabsichtigte Nebenprodukte auf 117 Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ganz andere Ziele ausgerichteter Tatigkeiten sind (z. B. die Zerstorung der Walder durch Stoffe wie Schwefeldioxid oder Stickoxide, die ja nur ein ungewolltes Nebenprodukt der Stromerzeugung bzw. des Autofahrens sind). In solchen Uberlegungen wird die Problematik einer ganz auf die Absicht abhebenden Ethik deutlich, und es zeigt sich, dass gerade eine auf die Natur bezogene Ethik auch schadliche Handlungen berucksichtigen muss, die nicht in boser Absicht, sondern aus Fahrlassigkeit oder mangelnder Kenntnis der Folgen begangen werden. In der Kasuistik des Vinaya finden sich in der Tat Beispiele dafur, dass auch solche Handlungen als Vergehen gewertet werden - wenngleich als minder schlimme denn absichtlich und in Kenntnis der Folgen begangene - oder das Achtsamkeit zur Pflicht gemacht wird. So macht sich z. B. ein Monch, der offenbar in guter Absicht, aber ohne ausreichende Sachkenntnis) einer Frau eine empfangnisbewirkende oder empfangnisverhutende Arznei verabreicht, zwar, wenn die Frau daran stirbt, nicht eines unwiderruflichen Ausschluss aus dem Orden nach sich ziehenden Mordvergehens schuldig - vorausgesetzt, dass ihn seine Fahrlassigkeit reut -, wohl aber eines minderen Vergehens (dukkata) 109. Das gleiche gilt fur einen Monch, der sich auf eine Bank setzt, ohne zu bemerken, dass dort ein in ein Tuch eingewickelter Saugling liegt, und diesen dabei erdruckt110. In diesem Falle wird den Monchen ausdrucklich zur Pflicht gemacht, dass sie prufen sollen, wo sie sich hinsetzen. Die Betonung der Absicht in der buddhistischen Ethik bedeutet also keineswegs, dass jede Form von Fahrlassigkeit oder unbeabsichtigter Schadigung entschuldigt ware, zumal dann nicht, wenn die Schadigung bereits abzusehen ist. Unter diesen Umstanden bin ich davon uberzeugt, dass der Buddha, lebte er heute, angesichts der giftigen Abgase, der unverhaltnismassig vielen, auch bei ausserster Vorsicht unvermeidlichen Unfallopfer unter Igeln, Kroten usw. und der zahllosen an Sommertagen an den Windschutzscheiben zerquetschten Insekten den Monchen und Nonnen das Autofahren ebenso verbieten wurde, wie er seinerzeit das Umherziehen wahrend der Regenzeit untersagt hat, weil dabei allzuleicht Kleintiere zertreten werden111 Auch zu Problemen wie Tierversuchen oder tierqualerischer Nutztierhaltung liefert das Gebot des Nichtverletzens, so scheint es, die eindeutige Entscheidung, die der buddhistischen Daseinsanalyse nicht zu entneh 118 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ men war: Die kompromisslose Geltung dieses Gebotes im alteren Buddhismus lasst beides eindeutig ebensowenig zu wie die Totung sogenannter Schadlinge112 oder das Schlachten von Tieren zum Zwecke des Verzehrs113 Vom Standpunkt der Ethik des Grossen Fahrzeugs konnte man allerdings auch anders argumentieren. Wahrend namlich im alteren Buddhismus - fur den Monch zumindest - die eigene spirituelle Reinheit Vorrang zu haben scheint und deshalb das Gebot des Nichtverletzens (soweit ich sehe) auch von durch Mitleid inspirierten Handlungen nicht gebrochen werden darf, ist es im Grossen Fahrzeug umgekehrt (vielleicht unter dem Einfluss der Lebensumstande der Laien): Hier wiegen Mitleid und altruistisches Handeln im Konfliktfall starker als das Gebot des Nichtverletzens. So heisst es z. B., ein Bodhisattva solle das Vergehen des Mordes auf sich laden, wenn er einen anderen nur dadurch am Begehen eines schweren Vergehens hindern kann, dass er ihn umbringt114. Der Bodhisattva nimmt also schlechtes Karma fur sich selbst in Kauf, um einen anderen davor zu bewahren 115. Und weil er dies in altruistischer Absicht tut, trifft ihn am Ende gar keine Schuld116. * Auch rein quantitative Guterabwagungen finden sich: Mord ist erlaubt, wenn man dadurch, dass man einen totet, das Leben vieler rettet117. Nach dieser Maxime liessen sich moglicherweise auch Tierversuche zu medizinischen Zwecken rechtfertigen (aber nur in engsten Grenzen und sicher nicht zu kosmetischen Zwecken). Das ware dann eine Frage der Leidensabwagung. Aber warum sollte man aufgrund der gleichen Maxime nicht auch fur Menschenversuche pladieren konnen? Oder fur eine - zur Not gewaltsame - Aktion zur Befreiung von Kafighuhnern? Gewaltfrei durchgefuhrt, konnte sich die letztere Aktion sogar ganz konkret auf den traditionellen Vinaya berufen, der, im Zusammenhang mit dem Verbot des Diebstahls, konstatiert, dass es kein Vergehen darstelle, wenn ein Monch ein in einer Falle gefangenes Wildtier oder in einer Reuse gefangene Fische aus Mitleid freilasst118. Sie wurde uberdies an eine alte Tradition anknupfen, die in buddhistischen Landern weit verbreitet ist: Dort ist es zu einer Art Zeremonie geworden, zum Verzehr bestimmte oder in Gefangenschaft gehaltene Tiere freizukaufen und in ihrer naturlichen Umgebung auszusetzen119. Auch buddhistische bzw. buddhismusfreundliche Herrscher haben des ofteren zum Schutz von Tieren eingegriffen. Insbesondere der indische Kaiser Asoka (ca. 268-232 v. Chr.) erliess bekanntlich Gesetze, die das 119 Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Toten von Tieren und tierqualerische Handlungen stark einschrankten, und richtete sogar Tierhospitaler ein120. Ahnliche Aktivitaten sind auch fur andere buddhistische Lander, z. B. Ceylon121 und China122, belegt. Im mittelalterlichen Ceylon spielte Nutztierhaltung zum Zwecke der Fleischversorgung keine bedeutende Rolle123 und ist dort bei Buddhisten auch heute noch unublich 124. Erwahnenswert ist auch die soziale Achtung mit Tiertotung verbundener Berufe (insbesondere Jager, Fischer und Metzger) in manchen buddhistischen Landern125, auch wenn sich damit nicht selten eine gewisse doppelte Moral verbindet, insofern die Produkte dieser Berufsgruppen auch von den Buddhisten durchaus konsumiert werden126 Eigentlich sollte man ja meinen, die Buddhisten, oder wenigstens die buddhistischen Monche und Nonnen, seien angesichts des rigorosen Totungsverbotes von Tieren strikte Vegetarier. Dies ist aber weithin nicht der Fall. Es trifft vielmehr nur fur Teile des ostasiatischen Buddhismus zu127. Es gab zwar auch in Indien buddhistische Texte, in denen Fleischverzehr grundsatzlich abgelehnt wird128, aber diese Texte sind relativ spat. Sie gehoren mehrheitlich jener Mahayana-Richtung an, nach welcher alle Lebewesen, also auch die Tiere, die Buddhaschaft in verborgener Form immer schon in sich tragen, und es scheint, dass die Forderung eines konsequenten Vegetarismus innerhalb des Buddhismus erst im Zusammenhang mit dieser Philosophie in Verbindung mit einem davon gepragten neuen Verhaltenskodex aufgestellt worden ist 129. In Tibet hingegen halten sich die Monche ebenso wie in Ceylon und Sudostasien ganz an die alten, traditionellen Verhaltensvorschriften130. In diesen aber wird die Forderung nach einem konsequenten Vegetarismus ausdrucklich abgelehnt 131. Er hatte vom Standpunkt der alten Asketenbewegung, aus der auch der Buddhismus hervorgewachsen ist, angesichts der fur sie charakteristischen Allbeseeltheit auch kaum viel Sinn gehabt. Wie der Jinismus132 und auch brahmanische Texte133 bezeugen, ist ursprunglich von einem Weltbild, fur das auch Pflanzen und sogar die Elemente, vor allem Wasser und Erde, belebt und beseelt waren, auszugehen. Fur ein solches Weltbild aber, wie es die Jainas bis heute beibehalten haben134 und fur das alles Geniessbare Tiere ebenso wie Pflanzen und Pflanzensamen und sogar das Wasser lebendig ist, ist der Vegetarismus kein Ausweg aus dem Dilemma, dass man, um sich zu ernahren, notwendig toten muss. Es bleibt, will man nicht toten und verletzen, letztlich nur das Sterbefasten, d. h. die 120 Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Verweigerung der Nahrungsaufnahme bis zum Verhungern und Verdursten. Bei den Jainas kommt dies tatsachlich vor135 Zur Regel wurde aber, insbesondere bei den Jainas, folgender Ausweg: Der Asket darf zwar selbst keinerlei Totungsakt begehen, veranlassen oder gutheissen, auch nicht zum Zwecke der Nahrungsaufnahme; es ist ihm aber gestattet, von Laien zubereitete Nahrung, die diese ihm spenden, zu verzehren. Das scheint zu implizieren, dass der Asket das im Toten liegende schlechte Karma einfach anderen uberlasst, dass er ohne Vergehen bleibt, weil andere ihm das Geschaft des Totens und damit das Vergehen abnehmen 136. Idealiter ist es aber wohl anders gedacht: Der Asket soll ja nur Speise reste erbetteln, Reste, die einfach von der Mahlzeit ubriggeblieben sind und im indischen Klima, ohne Kuhlschrank, in kurzester Zeit verderben wurden und die, strenggenommen, auch nicht im Hinblick auf etwa anklopfende Asketen bewusst als Uberschuss gekocht worden sein durfen, wenngleich das in der Praxis oft geschehen sein mag. Es spielt selbstverstandlich keine Rolle, aus was fur Lebewesen diese Almosenspeise hergestellt wurde: gleichgultig, ob es sich um Tiere oder Pflanzen handelt, getotet werden mussten diese vor der Zubereitung allemal. Aber sie sind ohnehin bereits getotet worden, nicht eigens fur den Asketen 137. Nun ist es offenkundig, dass eine derartige, jede Art von Totung oder Schadigung von Lebewesen vermeidende Lebensfuhrung, wenn man sie einmal ohne Rucksicht auf Detailprobleme und mogliche Unzulanglichkeiten in der praktischen Durchfuhrung in ihrer Idealform akzeptiert, dennoch nur die Lebensweise eines kleineren Teiles der Gesellschaft, einer ,,spirituellen Elite", eben der von Almosen lebenden Monche und Nonnen, sein kann. Als ein allgemeines, auch fur die Laien verbindliches Verhalten wurde das konsequente Nichttoten und Nichtverletzen, Allbeseeltheit vorausgesetzt, de facto wohl zu einem kollektiven Sterbefasten fuhren. Die Laien mussten sich deshalb mit einer ,,zweitrangigen" Moral begnugen, in deren Rahmen die Ansammlung von schlechtem Karma durch Toten praktisch unvermeidbar ist. Dieses Karma wird aber durch das Verdienst, das sie mit Nahrungsspenden an die Monche erwerben, neutralisiert 138. Die sittliche Reinheit, die fur die zur Erlosung fuhrende spirituelle Praxis erforderlich ist und eine konsequente Unterlassung aller Totungs- und Gewaltakte impliziert, wird durch das Spenden aber nicht wiederhergestellt und ist somit fur Laien kaum realisierbar. Dies andert sich aber, sobald, wie es im Buddhismus weitgehend der 121 Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Fall ist, die Vorstellung der Allbeseeltheit aufgegeben wird und im Bereich der Natur nur noch die Tiere als Lebewesen gelten 139. Die Vorschrift, dass nur Nahrung, die nicht eigens fur den Asketen ,,getotet" worden ist, angenommen werden darf, kann dann auf Fleisch und Fisch eingeschrankt werden. Dies ist im alteren Buddhismus in der Tat geschehen: der Verzehr von Fleisch und Fisch ist nur erlaubt, sofern die Tiere nicht eigens fur den Monch getotet worden sind 140; im ubrigen aber wird im Buddhismus kein Anstoss daran genommen, wenn Speisen eigens fur die Monche zubereitet worden sind 141. Es fuhrt aber auch im Buddhismus wenigstens im Falle von Fleisch und Fisch kein Weg an der Tatsache vorbei, dass Tiere im allgemeinen 142 nur dann als Nahrung zur Verfugung stehen, wenn sie zuvor von Laien getotet worden sind und somit von diesen das Gebot des Nichtverletzens durchbrochen wurde. Sollen auch die Laien ohne Vergehen bleiben, so ist ein vollstandiger Verzicht auf Fleischnahrung erforderlich. In der Tat tritt die generelle Forderung nach konsequentem Vegetarismus im Buddhismus, wie gesagt, erst in einer bestimmten Richtung des Grossen Fahrzeugs auf, an dessen Spiritualitat bekanntlich die Laien entscheidenden Anteil haben. Es stellt sich nun aber noch die Frage, ob denn die apodiktische Eingrenzung der Lebewesen auf Tiere - unter deren Voraussetzung allein es stimmig erscheint, das Verbot des Verzehrs eigens fur den Monch zurechtgemachter Nahrung auf Fleisch- und Fischgerichte zu beschranken - fur den Buddhismus von Anfang an vorausgesetzt werden darf oder ob sich fur die alteste Zeit noch Spuren der Allbeseeltheitsvorstellung nachweisen lassen. Es scheint nun in der Tat, das letzteres der Fall ist. In den Regeln fur das Verhalten der Monche und Nonnen, und gelegentlich auch in den Lehrreden, finden sich tatsachlich Vorschriften, die den Monchen und Nonnen die Beschadigung oder Verunreinigung von Samen und Pflanzen143, ja sogar von Erdboden144 und Wasserd45 untersagen und sich zwanglos als praktische Konsequenzen des Allbeseeltheitsglaubens der alten Asketentradition verstehen lassen. Auch im Rahmen der Speisevorschriften finden sich noch Hinweise auf eine Beseeltheit von Pflanzen und Samen, etwa in der Vorschrift, dass Fruchte von Monchen nur dann verzehrt werden durfen, wenn sie zuvor mittels Feuer (d. h. durch Kochen usw.), Schneidewerkzeug oder Fingernageln beschadigt- und das kann ursprunglich nur heissen: leblos gemacht 122 Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ worden und samenlos sind bzw. ihre Samen schon ausgeworfen haben146. In den Lehrreden - vor allem in alten Versen - heisst es des ofteren ausdrucklich, dass man ,,beweglichen (tasa) und unbeweglichen (thavara) Lebewesen" keinen Schaden zufugen bzw. Wohlwollen entgegenbringen und Schutz gewahren solle147. Dabei sind mit den ,,,unbeweglichen Lebewesen" ohne jeden Zweifel ursprunglich - wie in den Jaina-Texten148 Pflanzen usw. gemeint. Wahrscheinlich hat der Urbuddhismus diesen Glauben oder doch entsprechende Verhaltensformen einfach mit ubernommen und erst spater, im Zuge einer scharferen Reflexion uber den Begriff des Lebewesens, die Grenze enger gezogen und die Pflanzen und Elemente aus dem Kreis der Lebewesen ausgeschieden - aus welchen Motiven auch immer149. Nachdem diese Entscheidung gefallen war, mussten naturlich die Aussagen und Vorschriften, die eine Beseeltheit von Pflanzen usw. voraussetzen, neu interpretiert werden. Das Zerschneiden usw. der fur den Verzehr des Monches bestimmten Fruchte wird - indem es etwa bei einem Haufen Korner genugt, ein einziges Korn zu ritzen zu einem rein formelhaften Akt, dessen ursprungliche Totungsfunktion offenbar gar nicht mehr bewusst ist 150. Die beweglichen und unbeweglichen Lebewesen" werden respektive als diejenigen Lebewesen, die noch mit Begierde behaftet sind, und diejenigen, welche von der Begierde befreit sind (also Arhats), gedeutet 151. Das Verbot der Beschadigung von Pflanzen usw. wird mehrfach damit begrundet, dass die Leute glauben, Pflanzen seien Lebewesen, deshalb an einer Beschadigung von Pflanzen durch die Monche Anstoss nehmen und sich dadurch von der buddhistischen Lehre abkehren konnten152 - ein Argument, das in unserer Gesellschaft, die ja zum uberwiegenden Teil gerade nicht glaubt, dass Pflanzen Lebewesen eigenen Rechts sind, eher den gegenteiligen Effekt hatte. Eine andere Erklarung begrundet das Verbot mit dem mythologischen Argument, dass Pflanzen, insbesondere Baume, oft Wohnsitz von Gottheiten oder Lokalgeistern sind, die man nicht obdachlos machen soll 153. Die in unserem Zusammenhang interessanteste Begrundung des Verbotes der Beschadigung von Krautern und Baumen aber ist die, dass sie Wohnung, d. h. Lebensraum, fur zahllose Tiere sind 154, ein okologisches Argument also, dessen Schlussigkeit auch heute kaum bestritten werden kann und das ubrigens auch auf Erde, Wasser und Luft anwendbar ware. 123 Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ In einigen Richtungen des ostasiatischen Buddhismus ist ubrigens die Auffassung, dass auch Pflanzen- und manchmal wird auch das Land hinzugefugt - beseelte Lebewesen seien, erneut vertreten worden155. Hierbei scheinen auch philosophische Erwagungen eine Rolle gespielt zu haben: zum einen die (von der Hua-yen-Schule vertretene) Auffassung, dass alles Seiende miteinander verwoben ist und eines am Wesen des anderen teilhat (also auch eine Pflanze am Wesen des Lebendigen); zum anderen die Lehre, dass die wahre Wirklichkeit, die zugleich das Nirvana und sogar die Buddhaschaft konstituiert, in allem Seienden in gleicher Weise vorhanden ist, also auch in den Pflanzen, diese somit ebenfalls Buddha werden konnen und infolgedessen Lebewesen sein mussen. Es versteht sich, dass unter diesen Voraussetzungen nicht nur die Tiere, sondern auch die Pflanzen, ja sogar die Erde und die ganze Natur an der dem Buddha zu zollenden Ehrfurcht partizipieren. Greifen wir zum Schluss noch einmal die eingangs gestellte Frage auf, ob der Buddhismus fur das Eindringen der modernen westlichen Praxis einer rucksichtslosen Ausbeutung der Natur mitverantwortlich ist oder ob zumindest seine traditionellen Prinzipien nicht vielmehr eine Gegenkraft darstellen, die es nur zu mobilisieren galte. Die Antwort kann, da die Untersuchung auf Teilbereiche der buddhistischen Tradition beschrankt bleiben musste, nur unvollstandig und provisorisch sein, aber sie muss gewagt werden: Die Daseinsanalyse, die die grundsatzliche Verganglichkeit, Leidhaftigkeit oder gar Nichtigkeit des Daseins betont, war kein geeigneter Nahrboden fur einen Unterwerfungsfeldzug gegen die Natur zwecks Aufbau einer angeblich besseren Welt, wie er im Westen stattfand und -findet. Besagte Daseinsanalyse motiviert aber auch keine Aktivitaten zur Verbinderung der gegenwartigen Naturzerstorung, sondern liefert eher spirituelle Voraussetzungen dafur, Verluste gleichmutig hinzunehmen. Die Natur ist, auch angesichts ihrer dunklen Seiten, zumindest im indischen Buddhismus kein Wert an sich. Das zeigt sich auch in dem weitgehend negativen Verhaltnis, in dem nicht nur der endgultige Heilszustand (Nirvana), sondern auch der innerweltliche Idealzustand (,,Gluckliches Land") zu ihr steht. Die negative Bewertung naturlichen Daseinsformen schliesst aber nicht aus, dass im Buddhismus alle Lebewesen Gegenstand der Ethik und letztlich156 auch Anwarter fur das Heil sind. Gerade weil die Lebewesen in der 124 Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Natur so viel leiden - so konnte man formulieren -, brauchen sie Schonung und Mitgefuhl und letztendlich Erlosung. Nicht als bestimmte Arten, sondern als empfindende - und insofern dem Menschen grundsatzlich gleiche - Einzelwesen. Diese fundamentale Gleichheit wird im Grossen Fahrzeug mit Hilfe der Lehre von der Allgegenwart der wahren Wirklichkeit bzw. der Buddhaschaft auch metaphysisch untermauert. Es durfte vor allem diese alle Lebewesen einbeziehende Ethik gewesen sein, die, zumal in Verbindung mit dem Gebot des Nichtverletzens, im buddhistischen Kulturkreis einer rein anthropozentrischen Ausbeutung und Misshandlung der Natur entgegengestanden hat und auch in Zukunft wieder entgegenstehen konnte. Problematisch erscheint allerdings die im Buddhismus verbreitete Einschrankung, dass nur Tiere Lebewesen seien, nicht aber Pflanzen, auch nicht in analoger Weise. Immerhin bleiben auch so Pflanzen, Erde, Wasser und Luft insofern in das Schadigungsverbot einbezogen, als sie Lebensraum fur Tiere sind. Auch die Praxis des Buddhismus, Lokal- und Naturgeister einfach einzugliedern - im Gegensatz zu ihrer Damonisierung im Christentum , hat, wie am deutlichsten das Beispiel Tibet zeigt, sicherlich dazu beigetragen, dass eine Praxis rucksichtsloser Naturausbeutung nicht aufkam. Die Eingliederung der Naturgeister hat auf diese Weise wohl de facto Gleiches geleistet wie die Allbeseeltheitslehre der alten Asketentradition (und wohl auch des Urbuddhismus), aus der sich ein schonendes Verhalten gegenuber der ganzen Natur um ihrer selbst willen ergibt. Ein Nachteil der Allbeseeltheitslehre ist, dass totale Nichtschadigung praktisch undurchfuhrbar ist. Dies gilt aber im Lichte der neuzeitlichen Mikrobiologie wegen der Einzeller auch fur ein auf Tiere (und deren Lebensraume) eingeschranktes Nichtverletzen. Uberdies gibt es Konfliktsituationen, in denen die Schonung des einen die Schadigung des anderen impliziert. Das Gebot des Nichtverletzens kann daher als wenigstens annahernd erfullbares Verhaltensprinzip nur wirksam werden, wenn man, wie es vor allem im Grossen Fahrzeug geschehen ist, in ihm nicht ein rigides Tabu sieht, sondern vielmehr eine ethische Leitlinie und es dahingehend auslegt, dass eine Schadigung von Tieren, Pflanzen und Lebenstaumen so gering wie irgend moglich zu halten ist. Als ethische Leitlinie muss das Schadigungsverbot aber auch alle Arten von indirekter Schadigung einschliessen, etwa indirekte Schadigung durch Baumassnahmen oder Chemikalien, auch durch Fernwirkungen (etwa 125 Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Luftverschmutzung) und auch durch die Ubervermehrung der Menschheit, die ja notwendig auf Kosten anderer Lebewesen geht (und ubrigens auch der Institution des Monch- und Nonnentums, das ja den Verzicht auf Nachkommenschaft einschliesst, eine neue ethische Dimension verleiht). Es lasst sich nicht leugnen, dass eine solche Relativierung des Schadigungsverbotes - wie gewisse Entwicklungen im Grossen Fahrzeug zeigen - auch Gefahren birgt und ein grosses Mass an Weitblick und Durchblick, aber auch Uneigennutzigkeit erfordert. Entscheidend ist dabei, dass der Buddhismus an seiner traditionellen Lehre festhalt, dass es um das Wohlergehen aller Lebewesen - und nicht bloss der Menschen - geht. Man kann nur hoffen, dass es in den buddhistischen Landern gelingt, das Verhaltnis zur Natur und das Verhalten ihr gegenuber in Zukunft im Sinne der (im einzelnen der heutigen Situation anzupassenden) Prinzipien der traditionellen buddhistischen Ethik zu gestalten, und dass auch bei uns vergleichbare Positionen weiter an Boden gewinnen. Bislang hat es allerdings eher noch den Anschein, dass sich der robust-brutale Anthropozentrismus allenthalben durchsetzt. Er wird dann dafur sorgen, dass in absehbarer Zeit der buddhistische Grundsatz der Verganglichkeit allen Daseins etwas fruher und abrupter als eigentlich notwendig seine Gultigkeit an weiten Teilen der Natur, aber wohl auch an der Spezies Mensch selbst erweist. Anmerkungen * Fur wertvolle Hinweise und Anregungen danke ich meinen Freunden und Kollegen FranzKarl Ehrhard, von dem die Stellen aus der Biographie des Tshogs-drug ran-grol in Anm. 80 u. 119 stammen, M. Maitrimurthy, D. Seyfort Ruegg, S. A. Srinivasan, A. Wezler und T. Vetter, die so freundlich waren, die erste Fassung dieses Beitrags durchzusehen. Die folgenden Anmerkungen enthalten aus Raumgrunden nur ein Minimum an Belegen. Folgende Abkurzungen werden verwendet: A AWL BCA(P) BoBh D Anguttaranikaya. Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz), Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Bodhicaryavatara-(panjika), Hrsg. P. L. Vaidya, Darbhanga 1960. Bodhisattvabhumi, Hrsg. N. Dutt, Patna 1966. Dighanikaya. Encyclopedia of Buddhism, Hrsg. G. P. Malalasekera, Colombo 1961. EB 126 Page #28 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Sukh M Majjhimanikaya. MSA(Bh) Mahayanasutralankara (bhasya), Hrsg. S. Levi, Paris 1907. Samyuttanikaya. Sn Suttanipata. Sukhavativyuha, Hrsg. T. Kagawa (Muryoju-kyo no shohon-taisho-kenkyu), Kyoto 1984. Sukh(S) Sukhavativyuha (Samksiptamatka), in: Mahayanasutrasamgrahah (I), Hrsg. P. L. Vaidya, Darbhanga 1961. T Taisho-Ausgabe des chinesischen Tripitaka. Th Theragatha. TrBh Trimsikabhasya, Hrsg. S: Levi, Paris 1925. Vin Vinaya (des Pali-Kanons). VisM Visuddhimagga, Hrsg. Warren and Kosambi, Cambridge, Mass., 1950. Yogacarabhumi, Hrsg. V. Bhattacharya, Kalkutta 1957. Y 1 Zum Beispiel K. M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, Munchen - Wien 1984, 19 f. 2 Zur Problematik des Naturbegriffs ebd. 114 ff. Im vorliegenden Beitrag gilt, wenn ,,Natur" im Sinne von Landschaft usw. gebraucht wird, als naturlich" primar die vom Menschen unberuhrte Natur (Wildnis); vom Menschen gestaltete (bzw. vorgestellte) Landschaft sei in dem Masse ,,naturlich", als sie sich den naturlichen Formationen anpasst und dem Artenreichtum von Flora und Fauna nicht abtraglich ist. Sofern mit ,,Natur" die naturlichen Einzelwesen, speziell die Lebewesen, gemeint sind, dient ,,naturlich" im vorliegenden Beitrag vor allem zur Ausschliessung des Menschen, nicht das dessen Zugehorigkeit zur Natur bestritten werden soll, sondern vielmehr aus dem Grunde, dass der Mensch hier in erster Linie als sich (gegenuber andersartigen Lebewesen und der Natur als ganzer) verhaltendes Subjekt thematisiert ist. 3 W. Muller, Indianische Welterfahrung, Berlin 1981, 46. * Zum Beispiel M III, 167 ff.; zum Urbuddhismus vgl. Anm. 87. 5 Naheres s. L. Schmithausen, Zur buddhistischen Lehre von der dreifachen Leidhaftigkeit, in: Zeitschr. d. Dtsch. Morgenland. Ges., Suppl. III, 2 (1977) 918 ff. 6 E. Lamotte, Histoire du Bouddhisme Indien, Lowen 1958, 35; Y 79, 8 ff. 1 Y 79,8 f.; 87,13-15. & Mit Argumenten: Yogacarabhumi, Peking-Tanjur zi 211 a 5 ff.; vgl. ferner Milindapanha 172 ff.; Y 171, 11 ff.; Tattvasiddhi (T, Bd. 32) 313 a 25; Nyayabindu III, 59. 9 Udana Nr. VIII, 1; vgl. I, 10. 10 Ob eine solche Position schon fur den Urbuddhismus in Anspruch genommen werden darf, muss offenbleiben (vgl. auch Anm. 87). 11 Vgl. D. Schlingloff, Die Religion des Buddhismus, II, Berlin 1963, 42 f.; anders die T'ient'ai-Schule: EB I, 670. 12 L. Schmithausen, Der Nirvana-Abschnitt in der Viniscayasamgrahani der Yogacarabhumih, Wien 1969, 49. 13 Zum Beispiel Astasahasrika Prajnaparamita (Hrsg. Vaidya) 20,14 f. 1. Zum Beispiel Prasannapada 225,9 f. 15 L. Schmithausen, Zur Struktur der erlosenden Erfahrung im indischen Buddhismus, in: Transzendenzerfahrung, Vollzugshorizont des Heils, hrsg. von G. Oberhammer, Wien 1978, 114. 16 Ebd. 17 L. Schmithausen, Ich und Erlosung im Buddhismus, in: Zeitschr. f. Missionswiss. u. Religionswiss. 53 (1969) 167 f. 127 Page #29 -------------------------------------------------------------------------- ________________ : 18 W. Gundert, Japanische Religionsgeschichte, Stuttgart 1943, 65 f.; R. K. Heinemann in: The World of Buddhism, hrsg. von H. Bechert - R. Gombrich, London 1984, 220. 19 Schmithausen, a. a. O. (s. Anm. 17) 169f. 20 W. Stede, Die Gespenstergeschichten des Peta Vatthu, Leipzig 1914, 39 ff. 21 Sukh S 19-b/c. 22 Sukh(S) 254, 24 ff. 23 Sukh S 18-b/c. 24 Sukh S 22-a. 25 Sukh(S) 255, 4 f.; Sukh S 17-a (einige Versionen sprechen allerdings zugleich von Edelsteinbergen). 26 Sukh S 8-a(3/4). 27 Sukh S 15; vgl. SS 11 u. 13. 28 Sukh SS 15 u. 8-a(1); Sukh(S) 255, 14 f. 29 Sukh SS 18-c u. 16-a; Sukh(S) 255, 10 ff. 30 Sukh SS 16, 8-r(39) u. 18-c; Sukh(S) 254, 28 ff. 31 Sukh 16-d. 32 Vgl. Schlingloff, a. a. O. (s. Anm. 11) 76 (wo allerdings nicht von Sukhavati, sondern von den Verhaltnissen zur Zeit des zukunftigen Buddha Maitreya die Rede ist). 33 Es gibt, soweit ich sehe, in den einschlagigen indischen Satras keinen schlussigen Hinweis auf eine symbolische Bedeutung der einzelnen Elemente der Schilderung von Sukhavati. 34 Vgl. A I, 35. 35 Vgl. fur die vedische Zeit J. F. Sprockhoff, Aranyaka und Vanaprastha in der vedischen Literatur, in: Wiener Zeitschr. f. d. Kunde Sudasiens, XXV (1981) 32 ff. 36 Zum Beispiel Prasannapada 246,13; 299,9f. 37 Vgl. Sukh S 18-e; Sukh(S) 255, 21-23. 38 Nach W. Bauer, China und die Hoffnung auf Gluck, Munchen 1974, 238, gelangt niemand als Frau nach Sukhavati. Vgl. auch Sukh S 8-p (35), anderseits aber auch die Erwahnung himmlischer Nymphen (apsaras) in Sukh SS 19-c (Z. 25 f.) u. 23. 39 Sukh S 18-f. 40 Bauer, a. a. O. (s. Anm. 38) 228 f. 41 Ebd. 246. 42 Differenziertere Ausfuhrungen s. L. Schmithausen in: Studien zum Jainismus und Buddhismus, hrsg. von K. Bruhn und A. Wezler, Wiesbaden 1981, 199 ff; T. Vetter, Van Boeddha tot Nagarjuna, I, Leiden Sept. 1984, 42 ff. (wo auch der Urbuddhismus berucksichtigt wird). 43 Th 1133. 44 VisM II, 58. 45 Mahavibhasa (T, Bd. 27) 840 b 22 ff. 46 H. Oldenberg, Buddha, Munchen 1961, 325 f. 47 Vgl. E. Conze, Buddhist Meditation, London 21959, 41. 48 MI, 104 ff. 49 Zum Beispiel A IV, 436 f.; Sravakabhumi (Hrsg. Shukla) 359. 50 Th 62 (vgl. S I, 202); vgl. auch Th 537 ff.; Sn 221; VisM II, 54-55. 51 Th 110; vgl. auch 523; VisM II, 54; BCA VIII, 85 f. 52 Mahavibhasa (T, Bd. 27) 436 b 14 ff. 53 Th 113 - 601 - 1070; vgl. auch 13; 307-310; 1135-1137. 54 Vgl. z. B. H. Hoffmann, Die Religionen Tibets, Freiburg - Munchen 1956, 150 f.; ders., Mi-la ras-pa, Munchen 1950. 55 Bauer, a. a. O. (s. Anm. 38) 245-247. 56 Th 31 244. 128 Page #30 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 57 Th 41; 189 f. 58 VisM III, 102. 59 Bhikkhu Shantideva in: 50 Jahre Buddhistisches Haus, Berlin-Frohnau 1975, 56 f. 60 S. Lienhard, Sur la structure poetique des Theratherigatha, in: Journal Asiatique 263 (1975) 375 ff., bes. 381 ff. 61 Vgl. z. B. Oldenberg, a. a. O. (s. Anm. 46) 330 f. 62 Vgl. Th 991. 63 Vgl. Th 992. 64 Vgl. z. B. T. Vetter, Die Lehre Nagarjunas in den Mula-Madhyamaka-Karikas, in: Epiphanie des Heils, hrsg. von G. Oberhammer, Wien 1982, 91 f.; Abhidharmasamuccayabhasya (Hrsg. Tatia) 42,14: jnanacare 'vikalpe ... sarvarthakhyanatah); TrBh 40,29f.: nirvikalpena jnanenakasasamatalan(?) sarvadharman pasyati. 65 Zum Beispiel BoBh 26,8 ff., 28,9 ff. (... vastumatram grhnati tathatamatram); MSA VI, 7f. 66 Zum Beispiel TrBh 40, 27 f. 67 T. Vetter, a.a. O. (s. Anm. 42) 71 ff. 68 Der Begriff ist hier, wie seine (m. E. authentische) Funktion als Gegenmittel der Gier (s.u.) zeigt, in einem spirituell positiven Sinne (etwa: Begierdelosigkeit, Sich-nicht-anfechten-Lassen) verwendet. - Zur Auffassung der spateren Dogmatik und anderen Verwendungen vgl. H. B. Aronson in: Studies in Pali & Buddhism, hrsg. von A. K. Narain, Delhi 1979, 1 ff.; G. M. Nagao in: Indianisme et Bouddhisme (Festschr. Lamotte), Lowen 1980, 245 ff. 69 So mit Vetter, a. a. O. (s. Anm. 42) 72. 70 MSA XIV, 37. 71 Vgl. BCA VI, 126: atmikrtam sarvam idam jagat taih krpatmabhih... 12 Zum Urbuddhismus vgl. Vetter, a.a. O. (s. Anm. 42) 71 ff. 73 Zum Beispiel D III, 248 f.; A III, 290 f. 74 BCA VIII, 101-103; vgl. auch 91. 75 Vgl. vor allem BoBh 194, 1 ff., bes. 6 f.; MSA(Bh) IV, 9; XIV, 30 f.; XX, 7; Madhyantavibhagabhasya (Hrsg. Nagao) 35, 10 f.; Madhyantavibhagatika (Hrsg. Yamaguchi) 100, 9 ff.; Ratnagotravibhaga I, 156 f. sowie 165cd u. 167c; Acintyastava 41-42 (Chr. Lindtner, Nagarjuniana, Kopenhagen 1982, 154); BCA(P) VI, 126; VIII, 90. - Zur Anwendung des atmanBegriffes - im Sinne von ,,wahres Wesen" - auf die wahre Wirklichkeit vgl. MSA(Bh) IX, 23; Paramartha, Shih-pa-kung-lun (T, Bd. 31) 864 c 10 f.; vgl. auch Ratnagotravibhaga 30,4 u. 31,3f.; D. Seyfort Ruegg, La theorie du tathagatagarbha et du gotra, Paris 1969, 364 ff. 76 Ratnagotravibhaga I, 166ab. 1 L. Chandra, Vibrations of Ahimsa, New Delhi 1981, 3. - Vgl. auch die analoge Begrundung des Vegetarismus im Angulimaliyasutra (D. Seyfort Ruegg, Ahimsa and Vegetarianism in the History of Buddhism, in: Buddhist Studies in Honour of Walpola Rahula, London 1980, 236). 78 Schlingloff, a.a. O. (s. Anm. 11) 76; H. v. Glasenapp im Anhang zu: Oldenberg, a. a. O. (s. Anm. 46) 439 ff.; Y 30,21 ff., bes. 32,8 ff., 34,19 ff. 79 Vgl. auch die Tatsache, dass - wenngleich an unterster Stelle - unter den moglichen Empfangern verdienstschaffender Gaben auch die Tiere genannt werden (M III, 255). 80 Zum Beispiel EB I, 670f.; aus der biographischen Literatur das Beispiel des tibetischen Mystikers Tshogs-drug ran-grol, der wahrend einer Durreperiode von Austrocknung bedrohtes Wassergetier mit Hilfe eines Lederbehalters aus einem Teich in einen grosseren See tragt und dabei an die dreissigmal hin- und herlauft (rNam-thar des Tshogs-drug ran-grol, bKa' 'bum, Bd. ka, Paro 1980, 289). 81 Ebenso im Jinismus: vgl. H. v. Glasenapp, Der Jainismus, Berlin 1925 (Nachdr. Hildesheim 1964), 188. 82 A. Wezler, Zur Proklamation religios-weltanschaulicher Toleranz bei dem indischen Phi 129 Page #31 -------------------------------------------------------------------------- ________________ losophen Jayantabhatfa, in: Saeculum XXVII, 4 (1976) 335 f.; W. Halbfass, Studies in Kumarila and Sankara, Reinbek 1983, 10 ff. 83 P. Demieville, Le Bouddhisme et la guerre, in: Melanges publies par l'Institut des Hautes Etudes chinoises, I, Paris 1957, 349 (= Choix d'etudes bouddhiques, Leiden 1973, 263). 83 a R. A. Stein, Le linga des danses masquees lamaiques et la theorie des ames, in: Sino-Indian Studies 5 (Festschr. Liebenthal) (1957) 200 ff., bes. 202 ff., 219 ff. - Das Mitleid ist in diesem Falle allerdings weniger dadurch motiviert, dass die gegenwartige Existenz der betreffenden Wesen besonders leidvoll ware, als vielmehr (im Sinne von S. 119 u. Anm. 114) dadurch, dass sie mit ihren Ubeltaten anderen Schaden und Leid zufugen bzw. sich selbst fur die Zukunft Hollenqualen einhandeln. 84 Vin III, 68 f. 85 Vin III, 79. 86 Vin III, 71 u. 79. 87 Die Rolle der Karman-Lehre im Urbuddhismus bedarf noch der Klarung. Insbesondere kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass fur den Urbuddhismus die Tiere fest in den Bereich karmisch bedingter Wiederverkorperung einbezogen waren; vgl. Vetter, a. a. O. (s. Anm. 42) 134-136. 88 Halbfass, a.a. O. (s. Anm. 82) 11 u. 15. 89 Vgl. z. B. O. Zerries in: W. Krickeberg u. a., Die Religionen des alten Amerika, Stuttgart 1961, 302 ff.; W. Muller, ebd. 185. . 90 Vgl. W. Muller, a. a. O. (s. Anm. 3) 42 f. 91 H. Lommel, Bhrigu im Jenseits, in: Paideuma 4 (1950) 93 ff. (- Kl. Schr., hrsg. von K. L. Janert, Wiesbaden 1978, 211 ff.); H.-P. Schmidt, The Origin of abimsa, in: Melanges d'Indianisme a la Memoire de L. Renou, Paris 1968, 643 ff. 92 Schmidt, ebd. 646 ff. 93 Ebd. 639, 649, 651. 94 Ebd. 636 ff., 651 f. 95 Vgl. die von A. Wezler, Die wahren Speiseresteesser", in: AWL, Nr. 5 (1978) 87, Anm. 252, gegen eine monokausale Ableitung der ahimsa vorgebrachten Bedenken. Im Zusammenhang mit seinem Hinweis auf den Aspekt der Selbstkasteiung ist M I, 78 (s. Anm. 149) von Interesse; vgl. auch Anm. 135. 96 Zum Beispiel M III 203. 97 Zum Beispiel D I, 63: katham ca ... bhikkhu silasampanno hoti? idha ... bhikkhu... panatipata pativirato hoti, nihitadando nihitasattho lajji dayapanno sabbapanabhutahitanukampi viharati; Sn 117. 98 Vgl. Anm. 97 (dayapanno usw.). 99 Zum Beispiel Abhidharmasamuccaya (Hrsg. Pradhan) 6,25f., TrBh 28,6 f. 100 Vgl. Anm. 97 (lajji). 101 Zum Beispiel Gautama 8, 22-23: Schmidt, a. a. O. 634 u. Anm. 5. 102 Dabei muss naturlich keineswegs immer eine rein altruistische oder gar tatige Ethik impliziert sein. Im Falle des Wohlwollens (maitri) gibt es sogar Stellen, an denen dieses, ganz im Sinne der ursprunglichen Funktion der ahimsa, als Mittel zum Schutz der eigenen Person vor Verletzung durch Schlangen oder andere gefahrliche Tiere eingesetzt wird (A II, 72 f.; Vin II, 109f.; vgl. auch A IV, 150 u. V, 342). Dies erscheint ganz naturlich, da maitri wortlich ,,Freundschaft" oder ,,freundschaftliche Gesinnung" bedeutet und sich diese in der Tat als eine Art positiver Weiterfuhrung des Verzichts auf Feindseligkeit anbot. Im Falle von Mitleid und Mitgefuhl lasst sich aber eine solche Linie kaum ziehen, so dass ich auch den Ursprung der maitri nicht so sehr in der Angst als vielmehr in einem anderen Aspekt des archaischen Verhaltnisses zur Natur, etwa in dem Gefuhl der Verwandtschaft, zu sehen geneigt bin. - Im Zusammenhang mit dem Ubergang von der ,,vorethischen" zur explizit ethi 130 Page #32 -------------------------------------------------------------------------- ________________ sierten ahimsa ist vielleicht auch Gedankenrealismus" (P. Hacker, Prahlada, I, in: AWL, Nr. 9(1959] 624) in Betracht zu ziehen: Auch Schadigen in Gedanken (vgl. z. B. Baudhayanadharmasutra II, 6. 11. 23; S. A. Srinivasan, Studies in the Rama Story, I, Wiesbaden 1984, 61) ist wirkliches Schadigen bzw. wirkt sich negativ aus. 103 Siehe unten u. Anm. 111. 104 Namlich als, pacittiya: Vin IV, 124; V. Rosen, Der Vinayavibhanga zum Bhiksupratimoksa der Sarvastivadins, Berlin 1959, 190; Parallelmaterial: ebd. 48 (Tiryagvadhah). 105 Vin III, 71. 106 Demieville, a.a. O. (s. Anm. 83) 348; L. Chandra, a. a. O. (s. Anm. 77) 3; M. Maitrimurthy, mundlich. 107 Siehe unten u. Anm. 154. 108 SI, 33 (Nr. 1, 47). Zu vana s. W. Geiger, Culture of Ceylon in Mediaeval Times, Wiesbaden 1960, S 56; J. F. Sprockhoff, a. a. O. (s. Anm. 35) 32 ff. 109 Vin III, 84. 110 Vin III, 79; Rosen, a.a. O. (s. Anm: 104) 17. 111 Vin I, 137. Zu den dort ebenfalls genannten grunen Pflanzen s. unten. 112 Abhidharmakosabhasya (Hrsg. Pradhan, 1967) 240, 24. 113 Ebd. 241,1. 114 Siksasamuccaya (Hrsg. Bendall) 168,1; BoBh 113, 18 ff.; Demieville, a.a. O. (s. Anm. 83) 379; H. Bechert, Buddhismus, Staat und Gesellschaft in den Landern des TheravadaBuddhismus, I, Frankfurt - Berlin 1966, 18; fur den Tantrismus: de Jong in: Acta Indologica VI (1984) 94; D. Seyfort Ruegg in: Tantric and Taoist Studies, hrsg. von M. Strickmann, I, Brussel 1981, 223. 115 BoBh 113,22 f. 116 BoBh 114,1 f. 117 Demieville, a.a. O. (s. Anm. 83) 379. 118 Vin III, 62 f.; vgl. Siksasamuccaya 168, 2. 119 Ostasien: EB I, 291; Tibet (tshe-thar, srog-blu): G. Tucci in: Tucci/Heissig, Die Religionen Tibets und der Mongolei, Stuttgart 1970, 195; rNam-thar des Tshogs-drug ran-grol, bKa''bum, Bd. Kha, Paro 1980, 309; Sri Lanka: M. Maitrimurthy, mdl.; Thailand: A. Wezler, mundlich. - Dass Tiere eigens fur den Zweck der Freikaufung gefangen werden, durfte eine sekundare Entwicklung sein. 120 EB I, 290. 121 EB I, 21. 122 EB I, 291. 123 Geiger, a. a. O. (s. Anm. 108) S 82. 124 M. Maitrimurthy, mdl. 125 Vgl. z. B. Geiger, a.a. O. (s. Anm. 108) S 94; V. Ronge in: C. C. Muller-W. Raunig, Der Weg zum Dach der Welt, Innsbruck o. J., 183 (Gerber und Schuster). Vgl. auch Arthaviniscayasutra (Hrsg. Santani) 40,11 (Verbot von Handel mit Lebewesen und Fleisch); Y 20,15 f. 126 L. Alsdorf, Beitrage zur Geschichte von Vegetarismus und Rinderverehrung in Indien in: ALW, Nr. 6 (1961) 561. 127 Ruegg, a. a. O. (s. Anm. 77) 237 ff. 128 Ebd. 236. 129 Ebd. 237. Wahrscheinlich hat doch auch der ,,moralische Druck" brahmanischer Kreise eine Rolle gespielt: vgl. die Anspielung des Lankavatarasutra (244, 12 ff.; Ruegg, a.a. O.) auf das Vorbild der Nichtbuddhisten. 130 Ebd. 237 f. 131 Vin II, 197; Ruegg, a. a. O. (s. Anm. 77) 235; Alsdorf, a.a. O. (s. Anm. 126) 562 f. 132 Ebd. 570; W. Schubring, Die Lehre der Jainas, Berlin - Leipzig 1935, 133f. 131 Page #33 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 133 Schmidt, a.a. O. (s. Anm. 91), bes. 645 ff.; ders., aghnya-, in: Zeitschr. f. vergl. Sprachf. 78, 1-2 (1963) 46, Anm. 1. Zur Frage der Beseeltheit der Pflanzen in den philosophischen Schulen des Hinduismus vgl. W. Halbfass in: Karma and Rebirth in Classical Indian Traditions, hrsg. von W. D. O'Flaherty, Berkeley u. a. 1980, 291 ff., 301. 134 Dennoch hat sich auch bei den Jainas im Laufe des Mittelalters ein strenger Vegetarismus durchgesetzt (Alsdorf, a.a. O. [s. Anm. 126] 564). 135 Schubring, a.a. O. (s. Anm. 132) 182 f. Srinivasan (a.a. O. (s. Anm. 102] 63) betont mit Bezug auf eine brahmanische Parallele den Aspekt der extrem verscharften Kasteiung, der naturlich auch im Jinismus relevant ist (Karman-Tilgung!). 136 Alsdorf, a. a. O. (s. Anm. 126) 571. 137 Ebd. 138 R. P. Jain, Pindasuddhi: Das sechste Kapitel von Varakeras Mulacara, und der ahakamma-Abschnitt der Pinda-nijjutti, New Delhi 1983, 4. 139 Vgl. Anm. 8. 140 Alsdorf, a.a. O. (s. Anm. 126) 563 f.; Ruegg, a.a. O. (s. Anm. 77) 234 f. 141 DI, 166 f. wird eine entsprechende Restriktion (na uddissakatam ... sadiyati) ausdrucklich als nicht heilsdienlich bezeichnet. 142 Das heisst mit Ausnahme von Raubtierbeuteresten (vighasa; s. Wezler, a. a. O. [s. Anm. 95] 99 ff.). 143 Vor allem Stellen wie MI, 345 u. D I, 5 (bijagama-bhutagama-samarambha pativirato) sowie Vin IV, 34 (bbutagama-patavyataya pacittiyam); Vinaya der Sarvastivadins (Rosen, a. a. O. [s. Anm. 1041 136): bijagrama-bhutagrama-patanat patayantika; weiteres Parallelmaterial s. Rosen, ebd. 45; G. Roth, Bhiksuni-Vinaya, Patna 1970, 188; A. Hirakawa, Monastic Discipline for the Buddhist Nuns, Patna 1982, 232; vgl. auch T. Sugimoto, Bhutagrama ni tsuite, in: Journal of Indian and Buddhist Studies XXVI, 2 (1978) 623 ff. 144 Vin IV, 32 f. (Verbot, die Erde umzugraben); Parallelmaterial s. Rosen, a.a. O. (s. Anm. 104) 48 (Khananam); Roth, a.a. O. (s. Anm. 143) 196; Hirakawa, a.a. O. (s. Anm. 143) 242 f. 145 Vgl. Vin IV, 206 (Verbot, ins Wasser zu urinieren, zu defakieren oder zu spucken); Parallelmaterial s. Roth, a. a. O. (s. Anm. 143) 289 ff.; Hirakawa, a. a. O. (s. Anm. 143) 366 ff. Vgl. auch das Verbot des Wasserplantschens (Vin IV, 112; Roth, a.a. 0. [s. Anm. 143] 196; Hirakawa, a. a. O. [s. Anm. 143] 242), da den Jaina-Monchen das Wasserplantschen u. a. mit der Begrundung, dass dadurch die Wasser-Wesen verletzt werden, untersagt ist (Alsdorf, a. a. O. [s. Anm. 126] 570 f.). 146 Vin II, 109. 147 Zum Beispiel Sn 146; 394; 629; 704; 967; Dhammapada 405; M II, 105; SI, 141; IV, 351 (Prosa!). 148 Schubring, a. a. O. (s. Anm. 132) 96. 149 Hierbei konnte das Bestreben, den Bereich des Beseelten mit dem moglicher karman-bedingter Wiederverkorperung - der ursprunglich sehr viel enger war und zu Anfang nicht einmal die Tiere systematisch eingeschlossen haben muss (vgl. Anm. 87) - zur Deckung zu bringen, eine Rolle gespielt haben; ferner die enormen Komplikationen, die sich, wie der Jinismus zeigt, bei strikter Befolgung des Gebotes des Nichtverletzens unter Voraussetzung der Allbeseeltheit ergeben und die unverhaltnismassig viel Energie zu Lasten der im Buddhismus zentralen Meditations- und Versenkungspraxis beansprucht hatten (vgl. MI, 78, wo der Buddha im Rahmen der Schilderung seiner vergeblichen extremen Selbstkasteiung auch verscharfte - von seinem Standpunkt aus: ubertriebene - Achtsamkeit beim Gehen mit Rucksicht auf Kleinstlebewesen wie etwa Wassertropfen auffuhrt!). 150 Samantapasadika 767 f. 151 Zum Beispiel Mahaniddesa 488 (ad Sn 967). 132 Page #34 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 152 Vin IV, 34 (ivasannino hi ... manussa rukkhasmim). Analog im Falle des Umgrabens der Erde: Vin IV, 32 f. 153 Vin IV, 34; T, Bd. 23, 75 a 2 ff. (Vinaya der Sarvastivadins); 775c 10 ff. (Vinaya der Mulasarvastivadins). 154 T, Bd. 23, 75 a 23 ff.; 776 b 18 ff.; Rosen, a.a. O. (s. Anm. 104) 138. - Das Kompositum bhutagrama, eigentlich ,,Pflanzenschar", d. h. ,,Pflanzen" (koll.), wird hier im Sinne von ,,[Pflanzen als] Dorf - Wohnstatte von Wesen, d. h. Gottheiten (s. Anm. 153) und/oder Tieren (bes. Insekten)" verstanden. 155 Vgl. Y. Sakamoto, On the ,,Attainment of Buddhahood by Trees and Plants", in: Sakamoto Yukio Rombunshu, II, Tokio 1980, XVII ff.; vgl. auch ebd. 384 ff., u. III, Tokio 1981, 254 ff.; Ruegg, a.a. O. (s. Anm. 75) 152. 156 Beachte Anm. 10. 133.