Book Title: Zur Advaitischen Theorie Der Objekterkenntnis
Author(s): Lambert Schmithausen
Publisher: Lambert Schmithausen
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ZUR ADVAITISCHEN THEORIE DER OBJEKTERKENNTNIS 'Von Lambert Schmithausen, Münster LC Abkürzungen: ASi = Advaitasiddhiḥ (Madhusudana Sarasvati). Ed. ANANT KRISNA SASTRI, Bombay, „Nirnaya-Sāgar" Press, 1937. Bhà = Bhāmati (Vācaspatimisra). Ed. in: Brahmasútra Sārkara Bhäşya, with the Commentaries Bhāmati, Kalpataru and Parimala. Ed. ANANT KRISNA SASTRI, 2nd ed., Bombay, Nirnaya Sāgar Press, 1938. BSi = Brahmasiddhiḥ (Mandanamiśra). Ed. KUPPUSWAMI SASTRI, Madras 1937. GPh = E. FRAUWALLNER, Geschichte der indischen Philosophie. Bd. I, Salzburg 1953. Bd. II, ib. 1956. ISI = Iştasiddhiḥ (Vimuktātman). Ed. M. HIRIYANNA, Gaekwad's Oriental Series No. LXV, Baroda 1933. Krsn = Krşņālankāraḥ (Acyutakršņānanda Tirtha). Ed. in: Sāstra-Siddhā ntalesasangraha of Appayadikşita, with the Commentary ,,Krşņāla· nkära" of Acyutak rşņānanda Tirtha, Vol. I, Srirangam 1935. Laghucandrikā (Gaudabrahmānanda). Ed. in ASi. NM = Nyāyamañjari (Jayantabhatta). Ed. SURYA NARAYANA SUKLA, Benares 1936. Pañc - Pañcapädika (Padmapāda). Ed. SRIRAMA SASTRI and KRISHNAMURTHI SASTRI, Madras Government Oriental Series No. CLV, Madras 1958. SBi = Siddhāntabindu (Madhusudana Sarasvati): Ed. VASUDEV SHASTRI ABHYANKAR, Poona 1928. SLS = Siddhantalesasamgrahaḥ (Appayyadikşita). Käsi (Acyutagranthamālā. Kāryālayah), Samvat 2011. = Tattvadipanam (Akhaņdānanda). Ed. RAMA SASTRI TAILANGA, Benares 1901. TVDi Tattvavivekadipanam (Nrsimhāśrama). Ed. s. VTV. = Upadeśasāhasri (Sarkara). Ed. in: Minor Works of Sri Sarkarācārya. Ed. H. R. BHAGAVAT, 2nd ed., Poona 1952. VeP = Vedāntaparibhāşā (Dharmarāja Adhvarin). Ed. SURYANARAYANA SASTRI, Adyar 1942. Viv. = (Pañcapādikā-) Vivaraṇam (Prakāśātman). Ed. s. Pañc. VivBh = Vivarana-)Bhavaprakāśikā (Nrsimhāśrama). Ed. s. Pañc. VivT = (Vivarana. Tätparyadipikā (Citsukha). Ed. 8. Pañc. VSM = Vedāntasiddhāntamuktāvali (Prakāśānanda). Kāśi (Acyutagranthamālā Kāryālayah), Samvat 1993. VTV = Vedāntatattvavivekaḥ (Nșsimhāśrama). Ed. NARAYANA SWAMY SASTRY Mysore 1955. VV = Vibhramavivekaḥ (Mandanamiśra). Ed. L. SCHMITHAUSEN in: Manda namisra's Vibhramavivekah (mit einer Studie zur Entwicklung der indischen Irrtumslehre), Wien 1965. Vyom = Vyomavati (Vyomašiva). Ed. in: Prasastapādabhäşyam, with the Commentaries Sūkti ..., Setu ... and Vyomavati. Ed. GOPINATH KAVIRAJ and DHUNDHIRAJ SHASTRI, Benares 1930. YBh = Yogabhāsyam (Vyāsa). Ed. s. YV. YD = Yuktidipikā. Ed. PULINBEHARI CHAKRAVARTI, Calcutta 1928. = Yogasutrāņi (Patañjali). Ed. s. YV. YV = (Pātañjala-Yogasūtra-Bhāşya-Vivaranam (Sankara-Bhagavatpäda). Ed. POLAKAM SRI RAMA SASTRI and S. R. KRISHNAMURTHI SASTRI, Madras Government Oriental Series, No. XCIV, Madras 1952. TDi US YS Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 330 LAMBERT SCHMITHAUSEN 1. 1. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schulen fehlt im Advaita-Vedānta eine einheitliche Stellungnahme zum Grundproblem der Erkenntnistheorie, zur Frage des Verhältnisses von Subjekt und Objekt. Obwohl die Mehrzahl der Advaitins trotz ihrer illusionistischen Ontologie die Auffassung vertrat, das Objekt (worunter hier und im folgenden vor allem das äußere Objekt verstanden sein soll) sei nicht vom Subjekt bzw. dessen Erkenntnisakt gesetzt, sondern diesem vielmehr vorausgesetzt, gab es auch Lehrer, die das Objekt partiell oder total als eine Schöpfung des Subjektes auffaßten. a) Nach Mandanamiśras Brahmasiddhiḥ z. B. ist die gesamte vielheitliche Welt als solche eine Verfälschung des [in der reiner-Anschauung, avikalpakam pratyakşam (BSi 71, 1) erlebten, aber nicht begriffenen (vgl. BSi 70, 16: niscayāśaktau)] einheitlichen Brahman durch die Vorstellungen (vikalpāḥ, kalpanāḥ) der Einzelseelen (vgl. BSi 10, 3ff.) 1 und somit immer ein Produkt des jeweiligen einzelnen Subjektes. Die Identität der Außenwelt für alle Lebewesen ist nur scheinbar und in Wirklichkeit bloße Gleichheit?, beruhend wohl auf der Gleichheit der Vorstellungstätigkeit, des "zerstreuenden" oder "projizierenden" Nichtwissens (viksepikā avidyā, vgl. BSi 149, 17ff.), bei den betreffenden Lebewesen. b) Ein anderes Beispiel, aus späterer Zeit, ist das System Prakāśānandas, nach dessen Ansicht Sein nur Bewußtsein ist (pratātimātram sattvam, pratītir eva sattvam, VSM 43, 5 u. 7). "Wie die Traum(welt), (obwohl) nur Bewußtsein (vijñānamātram), als in Erkennen und Erkanntes gespalten aufgefaßt wird, so auch die Welt des Wachens" (VSM 54, 5f.). Dieser radikale Idealismus scheint schon durch seine Terminologie (vijñānamātram!) seine Bezogenheit auf den buddhistischen Vijñānavāda zu verraten. Auch ist es gewiß kein Zufall, wenn im Siddhāntaleśasaņgrahaḥ (p. 362, 2f.) als Stütze für diese Form des „Drşti-srsti-vādaḥ" ein deutlich vom Vijñānavāda beeinflußter Vers aus dem Vişnupurāņam 3 zitiert wird. Auch Maņdanas Lehre von der Idealität der Vielheit ist, als Umkehrung von Dharmakirtis Lehre von der Idealität der Gemeinsamkeit (sāmānyam) (vgl. VV, Studie § 134), buddhistisch inspiriert. 2. Die meisten Advaitins, insbesondere auch der spätere Sankara 4 und seine Nachfolger, hielten demgegenüber daran fest, daß das Objekt nicht vom 1 Vgl. VV, Studie $ 134b. 2 Vgl. Viv 693, 7, nach Citsukha die Auffassung Mandanamisras. Eine entsprechende Aussage scheint zwar in der BSi zu fehlen, doch ist dieser Gedanke (der übrigens dem Yogācāra entlehnt zu sein scheint, vgl. Taisho, Bd. 31, p. 10 c 14-16) m. E. eine notwendige und adäquate Explikation des stark von Dharmakirti und dem buddhistischen Vijñānavāda beeinflußten Systems der BSi. 3 Vgl. hierzu HACKER in OLZ, LV 7/8, p. 350. Vgl. T. VETTERS Beitrag zum vorliegenden Band. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 331 endlichen Erkennen gesetzt, sondern diesem vorausgesetzt sei, insbesondere in zeitlicher Hinsicht bereits vor der auf es bezüglichen Erkenntnis fertig existiere. Die das Objekt (bzw. die Welt als Inbegriff der Objekte) schaffende Instanz ist somit nicht das gewöhnliche Erkennen der unerlösten Geistigkeit, des Jivaḥ, sondern etwas anderes, etwa das (von der unerlösten Geistigkeit durch eine illusorische Trennung verschiedene) Brahman bzw. der Weltenherr (Isvarah), oder auch eine untergründige Seite der unerlösten Geistigkeit selbst 5. Bei der genaueren Analyse des Prozesses der Erkenntnis des vorausgesetzten Objektes setzt das Advaita - soweit wir sehen können, wiederum seit Sankara 6 - die Psychologie des Sāmkhya, genauer noch des sāmkhyistischen Yoga voraus; diese Entlehnung ist jedoch zugleich mit wesentlichen Änderungen verbunden, u. zw. nicht nur bezüglich des Subjektes e, sondern, in der Zeit nach Sankara, auch – und damit soll sich der vorliegende Aufsatz in erster Linie befassen - bezüglich der Art und Weise des Erkanntwerdens des Objektes. Um diese Änderungen aufzeigen zu können, bedarf es zunächst einer kurzen Skizze der die Ausgangsbasis bildenden Auffassung des Sāmkhya und vor allem des Yoga vom Prozeß der Objekterkenntnis. 3. a) Die den Erkenntnisprozeß berührenden metaphysischen Voraussetzungen des Sāmkhya-Yoga sind folgende: Zunächst, auf der einen Seite, als Subjekte eine Vielzahl von absolut unveränderlichen und untätigen reinen Geistseelen, auf der anderen Seite Objekte, die aus der Urmaterie hervorgegangen sind und den Subjekten als reale gegenüberstehen, sie aber in keiner Weise unmittelbar affizieren können. Für das Zustandekommen wechselnden Erkennens bestimmter Objekte muß daher ein vermittelndes Prinzip hinzutreten: die Psyche, zerlegbar in die fünf äußeren Sinne und den Inneren Sinn, welch letzterer teils als einfach (mit wechselnder Terminologie, insbes. cittam, manah und buddhiḥ) angesetzt wird?, teils als drei Wesenheiten (buddhiḥ, ahamkāraḥ und manaḥ, die aber nicht unbedingt in jedem Fall alle drei am Erkenntnisprozeß beteiligt sein müssen 8 umfassend. Die Psyche ist ebenfalls ein Produkt der Urmaterie und gehört somit auf die Seite des Ungeistigen, Objektiven. b) Erkenntnis eines bestimmten Objektes findet nun, nach der Auffassung des Yoga, in der Weise statt, daß der Innere Sinn vermittels der Sinnesorgane von den äußeren Objekten verfärbt wird (... cittasya bāhyavastūparāgāt, YBh 19, 2; viņayenoparaktam cittam, YBh 346, 8), wie ein an sich farbloser Kristall durch einen neben oder hinter ihm befindlichen farbigen Gegenstand 5 Vgl. den vorl. Aufs., II B, 3. Theorie. 6 Vgl. P. HACKERS Beitrag zum vorliegenden Band. ? Z. B. im Yoga und bei Vindhyavāsin (GPh I, pp. 411 u. 401f.). 8 Vgl. YD 139, 6ff. 9 Z. B. in der Sāmkhyakārikā (vv. 33 u. 35). Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 332 LAMBERT SCHMITHAUSEN verfärbt wird (vgl. YBh 98, 3ff. u. 356, 5). Diese Verfärbung des Inneren Sinnes durch das Objekt wird von Sankara in seinem Kommentar zum Yogabhāsyam als Transformation des Inneren Sinnes in die Gestalt des äußeren (Gegenstandes) (cittam bähyäkāreņa pariņamamānam, YV 347, 8f.; vgl. auch YV 19, 9f.) interpretiert. Die dieser Deutung zugrundeliegende Auffassung ist auch für das (spätere ? 10) Sāmkhya belegbar 11; dort wird jedoch im allgemeinen auch eine Transformation der äußeren Sinne 1%, gelegentlich anscheinend nur eine solche 13, angenommen. Wenn die äußeren Gegenstände auf diese Weise auf die Lichtsubstanz des Inneren Sinnes übergegangen (buddhisattvopārūdhäh, YBh 172, 6), d. h. in Gestalt der durch sie bewirkten Verfärbung oder Transformation in den Inneren Sinn hineingelangt sind, werden sie Objekt der Schau (drśyāḥ, ib.) der Geistseele, die scheinbar auf den sich wandelnden Spiegel des Inneren Sinnes übergeht (pratisamkrānteva, YBh 354, 10f.) und auf diese Weise auch ihrerseits den Inneren Sinn verfärbt (uparañj-) 14 und scheinbar geistig (cetanam iva, vgl. YBh 356, 5) macht, andererseits aber auch selbst scheinbar die Tätigkeit des Erkennens ausübt (vgl. YBh 354, 11 u. 355, 2f.). Im Sāmkhya 10 Diese Auffassung, daß die Tätigkeit (vrttih) des Inneren Sinnes (bzw. der Inneren Sinne) in der Annahme der Form des Gegenstandes bestehe, scheint nicht von Anfang an vorausgesetzt werden zu können. Auffällig ist, daß im ältesten der von Jinendrabuddhiḥ wiedergegebenen Kommentare zu Vrsaganas Şaştitantram (s. E. FRAUWALLNER, Die Erkenntnislehre des klassischen Sāmkhyasystems. WZKSO 2, 1958, p. 19ff.; im folgenden zitiert als FRAUWALLNER, Erkenntnislehre) von einer Annahme der Form des Gegenstandes durch die Psyche überhaupt nicht die Rede ist, während der zweite Kommentar sie nur für die äußeren Sinne bezeugt (8. FRAUWALLNER, ib., pp. 21, 15ff. u. 23, 12 ff.). Statt der Vorstellung einer realen Transformation des Inneren Sinnes in die Form des Objektes kommt auch die Lehre vor, daß sich das Objekt im Inneren Sinn spiegelt (buddhidarpaņārūdham artha pratibimbakam, vgl. c, Absatz 3), womit, angesichts der Anwendung der gleichen Vorstellung auf die Geistseele, offenbar keine wirkliche Transformation gemeint ist; die eine solche implizierende Tätigkeit (vrttih) des Inneren Sinnes fällt also hier wohl kaum mit der Abbildung des Objektes zusammen. Auf diesem Hintergrund kann auch die Lehre des YBh von der Verfärbung des Inneren Sinnes durch die Objekte nicht ohne weiteres mit der Interpretation Sankaras im Sinne der Transformation des Inneren Sinnes in die Form des Objektes gleichgesetzt werden. 11 Vgl. etwa Tattvasamgrahah v. 296: visayakärä buddhir ... vivartate; YD 97, 2f.: antahkaranam apy upăttavisayendriyopanipătāt tadrūpāpattau ... satyām... 12 Vgl. etwa die Anm. 19 zitierte Erklärung zu dem Sâmkhya-Vers Vyom 521, 19f., oder Syädvādaratnākaraḥ 233, 10ff.: ... indriyavrttih prathamato visayakāreņa parinamate. tato manovsttidvāreņa buddhivyttih... samkrāntavisayākārā .... 13 Vgl. Anm. 10, aber auch Formulierungen wie NM 24, 6f. (visayākārapariņatendriyādivrttyanu pātini buddhivșttih). 14 Vgl. YS IV, 23; ferner den Vyom 521, 28 ff. zitierten Sāmkhya-Vers: „Die Geistseele (puruṣaḥ) bewirkt, ohne dabei eine Veränderung zu erleiden, daß der ungeistige Innere Sinn (manah) ihre (= der Geistseele) Erscheinungsform annimmt (svanirbhāsam karoti), (u. zw.) durch die bloße Nähe, wie (yathā ist am Versende zu ergänzen !) ein daneben liegender (Gegenstand) (upādhih) einen Kristall (verfärbt)." Die Bezeichnung des vom Geist verfärbten Inneren Sinnes als ,,manah" zeigt, daß nur ein Innerer Sinn vorausgesetzt ist; es könnte sich also gut um einen Vers Vindhyavāsins handeln. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis findet sich daneben zur Erklärung der Verbindung von Geistseele und Innerem Sinn die Lehre, daß sich die Geistigkeit im Inneren Sinn bzw. seiner Transformation widerspiegele 15, oder auch die Auffassung, daß die Seele (scheinbar) die Form des Gegenstandes aus dem Inneren Sinn übernimmt 16. 333 c) Von besonderer Wichtigkeit ist dabei in unserem vor allem auf die Seite des Objektes konzentrierten Zusammenhang, daß nach dieser Lehre nur ein Bild, eine Repräsentation des Objektes im Inneren Sinn, nicht das Objekt an sich selbst, erkannt wird. Dies wird ausdrücklich hervorgehoben in Sankaras Kommentar zu YBh II, 17, wo es heißt:,,Alle Dinge Hörbares etc. sind Objekt der Schau (der Geistseele) nur insofern, als sie auf die Lichtsubstanz des Inneren Sinnes übergegangen sind (buddhisattvam upārūḍhāḥ), (d. h.) in der Form von Vorstellungen des Inneren Sinnes (buddhipratyayākārāḥ), nicht an sich selbst (na svataḥ)" (YV 172, 26). Oder YV 190, 25f.: ,,Nur der Innere Sinn (buddhiḥ), der die Form des äußeren Gegenstandes angenommen hat (bāhyārthākārā) ist Objekt der Geistseele (puruṣaḥ), nicht der (äußere) Gegenstand unmittelbar an sich selbst (närthaḥ kevalaḥ svarupena)" 17 - Diese Auffassung, daß nicht der reale Gegenstand selbst, sondern nur seine Repräsentation im Inneren Sinn erkannt werde, darf übrigens anscheinend nicht vorbehaltlos auch für das gesamte Samkhya vorausgesetzt werden. Nach dem in FRAUWALLNER, Erkenntnislehre, p. 21 ff. veröffentlichten Material hat man eher den Eindruck, daß zum mindesten dem ältesten dort zitierten Kommentar zu Vrsaganas Şaşṭitantram, der einen direkten Kontakt des Inneren Sinnes (manah; von weiteren Inneren Sinnen ist keine Rede 18) mit dem äußeren Gegenstand lehrt und bei dem von einer Abbildung des Gegenstandes in der Psyche keine Rede ist (vgl. Anm. 10), eine direkte Erkenntnis des äußeren Objektes vorschwebte. Im späteren Samkhya hingegen scheint wie im Yoga allgemein die Auffassung vorzuherrschen, daß nur eine Repräsentation des Gegenstandes erkannt wird. So heißt es z. B. in einem in der Vyomavati (p. 521, 19f.) zitierten ... 15 Vgl. etwa den c, 3. Absatz, wiedergegebenen Samkhya-Vers aus der Vyomavati (... buddhav asya [= purusasya]... pratibimbodayah). 16 Z. B. YD 104, 20f.: karanasambandhat puruṣaḥ visayasarupatām pratipadyate (die Stelle ist allerdings Teil eines Einwandes); YD 95, 26f.: Wie der Innere Sinn (die Form des Gegenstandes annimmt), so erscheint auch die Geistseele gleichsam in der Form des Gegenstandes" (arthakara iväbhāti yatha buddhis tatha puman); vgl. auch das zweite der unter c, 3 Absatz, zitierten Fragmente. Vgl. zu dieser Problematik auch GPh I, 396f. 17 Dem scheint YV 348, 6ff. zu widersprechen, wo es heißt, daß die cittavṛttiḥ (neben dem Objekt) wahrgenommen werde, da man sich ihrer (als der Erkenntnis) neben dem Objekt erinnere (YV 348, 9f.). Man kann diesem Widerspruch aber entgehen, wenn man die citta-vrttih hier nicht im Sinne des Abbildes des Gegenstandes, sondern im Sinne der zu dieser Abbildung führenden Aktivität des Inneren Sinnes interpretiert. 18 Vgl. auch YD 122, 13ff., wo der mit dem Objekt selbst in Kontakt tretende Innere Sinn nicht manaḥ, sondern buddhiḥ heißt. Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 334 LAMBERT SCHMITHAUSEN Sāmkhya-Vers: „Das Erleben der (Geistseele) wird bestimmt als Zustandekommen eines Spiegelbildes (der Geistseele) im Inneren Sinn, welcher eine deutliche derartige (d. h. die Form des Sinnesorganes, das sich in die Form des Objektes transformiert hat, tragende 19) Transformation angenommen hat“ 20. Hier kommt die Geistseele ganz eindeutig nur mit einer Repräsentation des Gegenstandes im Inneren Sinn, und nicht mit den Dingen selbst, zusammen (vgl. auch YD 139, 10f.). Noch weiter geht ein anderes Fragment 21: „Das auf den Inneren Sinn übergegangene Spiegelbild des Objektes überträgt sich auf die einem zweiten Spiegel vergleichbare Geistseele; darin allein besteht deren Subjekt-des-Erlebens-Sein" (buddhidarpanārūdham arthapratibimbakam dvitīyadarpaņakalpe pumsi samkrāmati; tad evāsya bhoktȚtvam ...). Auch hiernach erkennt die Geistseele nur eine Repräsentation des Gegenstandes, die aber nicht mit der im Inneren Sinn befindlichen identisch, sondern noch weiter nach ,,innen“ verschoben ist. d) Ein schwieriges Problem stellt sich in der vom Advaita her naheliegenden 22 Frage, ob der Innere Sinn nach der Auffassung des Yoga und Sāmkhya die Verfärbung durch die Objekte bzw. die Transformation in die Form des Objektes „innen“ erfährt, oder ob er dazu zum äußeren Objekt hinausgeht. Diese Frage ist deshalb schwierig zu beantworten, weil die Texte selbst sie nicht explizite zu stellen scheinen. Was zunächst das Yogabhāșyam angeht, so läßt die Aussage von YBh 19, 2, daß der Innere Sinn durch den Kanal des Sinnesorganes (indriya praņālikayā) von dem äußeren Gegenstand verfärbt werde, beide Deutungen zu: sowohl die, daß der Innere Sinn durch den Kanal des Sinnesorganes hinaustritt und dann vom Objekt verfärbt wird, als auch die, daß er ,,innen" bleibt und die Verfärbung durch den Kanal des Sinnesorganes zu ihm hineindringt. YBh 346, 7f., wo es heißt, die Magneten vergleichbaren Objekte verfärbten den Inneren Sinn, der mit Eisen verglichen werden könne, nachdem sie ihn an sich gezogen hätten (abhisambadhya), scheint (vorausgesetzt, daß abhisambadhya in diesem Sinn verstanden werden darf) für ein Heraustreten des Inneren Sinnes zu sprechen. Eindeutig für diese Möglichkeit spricht aber wohl Sankaras Bemerkung, daß sich „bei Innerem Sinn usw. ein Hingehen zu Objekt usw. beobachten lasse" (cittader visayādau pratisamkramadarsanāt, YV 12, 11f.). Für das ältere Sāmkhya war bereits im vorigen Abschnitt (c, 2. Absatz) in Gestalt des ersten Kommentares zum Şaştitantram ein Beispiel für ein Hinaus 19 Diese Erklärung nach Vyom 521, 21: ... idrg vişayākāraparinatendriyākārā (Text: -ra-) parinatir yasyāh, să tathokta ... 20 vivikted;kparinatau buddhau bhogo 'sya kathyate pratibimbodayaḥ .... 21 Siehe GPh I, 397 u. Anm. 210. 22 Vgl. auch VTV 256, 1ff.; im TVDi (256, 9) wird allerdings die im Grundtext zurückgewiesene Auffassung „anderer", die Transformation finde nur innen statt, als bloß hypothetisch aufgestellte These (sambhāvita-matāntaram) bezeichnet. Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 335 gehen des Inneren Sinnes zum Objekt gegeben worden. Im späteren Sāmkhya hingegen begegnet die Auffassung, daß zwischen äußerem Objekt und Innerem Sinn offenbar keine Annäherung (samnikarşaḥ) stattfindet (YD 43, 18), was vielleicht im Sinne eines Innenbleibens (vgl. auch YD 120, 2ff.) gedeutet werden darf. II. Für die Umgestaltung, die diese vom Sāmkhya und insbesondere vom Yoga entwickelte Analyse des Erkenntnisprozesses im Advaita-Vedānta erfahren hat, findet sich ein eindrucksvolles Zeugnis in Prakāśātman's Vivaraṇam, p. 308, 10–317, 2, wo es um die Erklärung der Tatsache geht, daß die unerlöste Geistigkeit, der Jīvaḥ, nur begrenzte Erkenntnis besitzt (kimcijjñatvam) und bei jedem Erkenntnisakt auf ganz bestimmte Objekte beschränkt ist (pratikarma-vyavasthā, vgl. VivT 297, 10). Dieses Textstück, dessen Bedeutung für die denkerischen Bemühungen des späteren Advaita um die Frage der Objekterkenntnis kaum überschätzt werden kann, hat K. CAMMANN in seiner wertvollen Studie „Das System des Advaita nach der Lehre Prakāśātmans" (Wiesbaden 1965), p. 137ff., zugänglich gemacht. In CAMMANNS Darstellung ist jedoch – nicht zuletzt vielleicht auf Grund seiner Tendenz, die Einheitlichkeit von Prakāśātmans System überzubetonendie Gliederung des Abschnittes in drei Theorien, die zunächst in einem Pūrvapakşaḥ bekämpft und dann in einem Uttarapakşaḥ verteidigt werden, stark verwischt. Insbesondere die erste und die dritte Theorie werden nicht als zwei verschiedene Theorien mit verschiedenen Voraussetzungen dargestellt. Die dritte Theorie wird vielmehr als Prakāśātmans eigene Lehre gedeutet (op. cit., p. 139, Z. 32), in welcher es seine Aufgabe sei, die im Rahmen der 1. Theorie als Begründung gebotenen Analogien durch eine philosophische Theorie zu ersetzen (ib. Z. 25—31). Damit wird aber – auch wenn das vorhergehende Textstück (Viv 304, 7ff.) zeigt, daß Prakāśātmans eigene Ansicht tatsächlich mit der dritten Theorie übereinstimmt - der Charakter des hier zur Diskussion stehenden Textstückes verstellt: Hier handelt es sich, wie gesagt, um drei voneinander wesentlich verschiedene Theorien, die Prakāśātman zunächst in einem Pūrvapakşaḥ angreifen läßt und dann alle drei, ohne jegliche Parteinahme 23, in einem Uttarapakṣaḥ verteidigt. Die Verteidigung der dritten Theorie basiert dabei genau so auf einer Analogie wie die der ersten Theorie; eine philosophische Theorie - aber eine unterschiedliche - steckt in beiden Fällen in gleicher Weise bereits im Pūrvapakşah. Ich halte es infolgedessen nicht für überflüssig, die drei Theorien im folgenden noch einmal kurz darzustellen. Es brauchte dabei kein Unterschied 23 Es fehlt, wie VivBh 317, 21 für die 1. Theorie feststellt, innerhalb dieses Textstückes jeglicher Hinweis darauf, daß eine oder mehrere der hier vorgetragenen Theorien von Prakāśātman nicht akzeptiert würden. Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 336 LAMBERT SCHMITHAUSEN zwischen Aussagen des Pūrva- und Uttarapakşah gemacht zu werden; nur im Falle der zweiten Theorie bietet der Uttarapakşaḥ eine Weiterbildung, die gesondert zur Darstellung kommen mußte (unter Y). Die von Prakāśātman zur Stützung der 1. und 3. Theorie herangezogenen Analogien habe ich, da sie für die eigentliche Gestalt der Theorien entbehrlich und überdies bereits bei CAMMANN ausführlich dargestellt sind, der Kürze halber unberücksichtigt gelassen. Nach der kurzen Darstellung der drei Theorien möchte ich einen Beitrag zu ihrer Interpretation leisten, indem ich versuche, die einzelnen Lehren jeweils zunächst in ihrer individuellen Gestalt so klar wie möglich herauszuarbeiten, dann, soweit ich dazu in der Lage bin, das Problem ihrer Herkunft zu diskutieren, und schließlich, wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die Deutungen der advaitischen Tradition zu referieren. A. Darstellung Erste Theorie (Viv 308, 10-15 u. 310, 10-312, 6) Der Jivaḥ, die unerlöste Geistigkeit, ist allverbreitet (sarvagataḥ) (310, 1024) und hat, wie eine Lampe, sowohl die (nach Ansicht dieser Theorie durch nichts eingeschränkte) Natur, selbst zu leuchten oder bewußt zu sein (svayam prakāšamāna-, 308, 10), als auch die Eigenschaft, alles andere, das mit ihm verbunden ist (svasamsargi, samyuktam) zu beleuchten oder bewußt zu machen (308, 10 u. 311, 1). Eine solche Verbindung fehlt aber trotz der Allverbreitetheit des Jivaḥ normalerweise; denn die Geistigkeit (des Jivah) ,,haftet" nicht (asangi) an allen Objekten (308, 13f.; 310, 10–311, 1); im Gegensatz zur (Geistigkeit des) Brahma, mit dem die Objekte in Verbindung stehen, indem sie von ihm als ihrer Materialursache (upādānakāraṇam) nicht verschieden oder getrennt (abhinna-) sind, und von dem sie somit notwendig miterleuchtet, d. h. erkannt werden (311, 1f.). Der Jivaḥ aber ist nicht Materialursache der Dinge und entbehrt somit dieser Verbindung (311, 2f.). Lediglich mit dem Inneren Sinn (antahkaranam) vermischt er sich auf Grund des besonderen Wesens (svabhāvavišesaḥ) (dieses Inneren Sinnes) (312, 2f.) oder wird durch ihn verfärbt (u parāgah 25, vgl. 308, 14f.), und insofern er mit dem Inneren Sinn vermischt ist und dieser durch eine (dem Objekt entsprechende) Transformation oder Gestaltmodifikation (pariņāmah) eine Verbindung mit dem Objekt hergestellt hat (vgl. 308, 11f.), treten auch die Objekte, obgleich für den Jivaḥ allein unerkennbar, mit ihm in Verbindung, verfärben ihn (uparāgaḥ, vgl. 308, 12ff.) und werden so von ihm beleuchtet und erkannt (312, 4f.). 24 Diese und die folgenden Stellenangaben beziehen sich auf Viv. 25 Auffallend ist die Konstruktion von uparāgah (308, 12, 13f. u. 14f.), aber auch von samsriyate (311, 4f.; 312, 3) mit dem Lokativ, so daß eigentlich zu verstehen wäre: „an (der Stelle von) etwas eine Verfärbung oder Vermischung erleiden“. Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 337 Zweite Theorie (Viv 308, 15–310, 2 u. 315, 1-316, 3) «) Der Jivaḥ ist, im Gegensatz zur 1. Theorie, nicht allverbreitet, sondern begrenzt, endlich (paricchinnah), indem er durch den Inneren Sinn abgegrenzt ist (antaḥkaraṇāvacchinnaḥ) und ein Spiegelbild (in diesem) darstellt (pratibimba-sthānīyaḥ) (309, 1 u. 315, 1). Er kann daher nicht alles erkennen (315, 1), sondern nur dasjenige Objekt, welches mit dem ihn konstituierenden Inneren Sinn vermittels einer entsprechenden Transformation (pariņāmaḥ) eben dieses Inneren Sinnes (vgl. 315, 2) in Kontakt steht (samsrstam) (309, 1f.), wohingegen das Brahma, das das Urbild dieses Spiegelbildes darstellt (bimbasthānīyam), da es allverbreitet (sarvagatam) ist, alles erkennen kann (309, 2f.). B) Die Erkenntnis des mit dem Inneren Sinn verbundenen Objektes durch den Jivaḥ vollzieht sich, genauer analysiert, folgendermaßen: Die Verbindung oder Vermischung (samsargaḥ) der Transformation des Inneren Sinnes [der, wie gesagt, die den Jivaḥ konstituierende (illusorische) Begrenzung (avacchedanimittam) darstellt] mit dem Objekt (vgl. 315, 2), das als eine (illusorische) Begrenzung der urbildlichen Geistigkeit zu begreifen ist (vgl. 309, 5f.), bedeutet eine gegenseitige Durchdringung oder Überlagerung (parasparānvayah) dieser beiden Begrenzungen (309, 7f.). Durch dieses Sichaufheben der illusorischen Abgrenzungen findet auch die Entfremdung der ihnen zugrundeliegenden „Geistigkeiten" ein Ende: Die vom Objekt abgegrenzte Brahma-Geistigkeit manifestiert sich dem Jivah (315, 2f.) in ihrer an sich immer schon bestehenden Ungetrenntheit von ihm (vgl. 310, 1f.) und verschmilzt mit der Geistigkeit des Jivaḥ (vgl. 309, 8: ubhayāvacchinnam ... caitanyam anyonyasams?stam, u. 315, 3: vişayāvacchinnasya caitanyasya jivacaitanyatā), und das hat zur Folge, daß der Jivaḥ auch an dem für jene Geistigkeit bestehenden Bewußtsein des Objektes partizipiert. 7) Wäre für die Manifestation oder unmittelbar-anschauliche Erkenntnis von etwas durch den Jivaḥ der Kontakt mit dem bloßen Inneren Sinn als solchem (antahkarana-svarūpa-mātram, 316, 1) ausreichend, so müßten auch die diesem anhaftenden Entitäten Verdienst (dharmaḥ) und Schuld (adharmaḥ) unmittelbar-anschaulich erkannt werden (316, 1f.), oder auch das allverbreitete und somit auch den Inneren Sinn durchdringende Brahma, seine Allwissenheit und seine Identität mit dem Jivaḥ (309, 9-310, 2). Um derartige unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden, ist die obige Lehre dahin zu präzisieren, daß die Manifestation von etwas für den Jivaḥ grundsätzlich nur dann erfolgt, wenn es mit dem entsprechend transformierten Inneren Sinn in Kontakt steht (vgl. 315, 3-316,1). Dies gilt auch für die Manifestation des Jivaḥ selbst, für das Selbstbewußtsein des Jivah (als Jivah): auch dieses findet nur statt, wenn der Innere Sinn die die Form des Jivaḥ tragende Transformation „ich“ (jīvākārāhamvrttiḥ) angenommen hat (316, 2); fehlt diese Transformation, so verfällt der Jivaḥ in Tiefschlaf (316, 3) und bleibt unbewußt. 22 Festschrift -- Frauwallner Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 338 LAMBERT SCHMITHAUSEN Dritte Theorie (Viv 310, 3–8 u. 316, 4-317, 2) Die Geistigkeit (des Jivah) ist, wie bei der 1. Theorie, allverbreitet (sarvagatam, 310, 3). Daß er trotzdem nicht alle Objekte beleuchtet oder bewußt macht, wird jedoch darauf zurückgeführt, daß er, im Gegensatz zur Auffassung der 1. Theorie, auch selbst nicht leuchtet (svayam api na prakāśate), und dies wiederum beruht darauf, daß er durch das Nichtwissen (avidyā, ajñānam) verhüllt (avrtah) ist (310, 3-5; 316, 4f.). Dieses Verhülltsein der allverbreiteten (Jiva-)Geistigkeit durch das Nichtwissen ist trotz dessen Begrenztheit (paricchinnatvam) möglich; man kann ja auch mit einem Finger die Sonne verdecken (310, 5f.). Die Verhüllung wird jedoch partiell überwältigt (abhibhavaḥ) oder verdeckt (tirodhānam) durch die Verfärbung (uparāgaḥ) (des Jivah) durch den Inneren Sinn (310, 6£. u. 316, 5). Dort wird seine Geistigkeit manifestiert (310, 7 u. 316, 5), leuchtet also auf, und beleuchtet auch das mit dem Inneren Sinn verbundene Objekt (316,5-317, 1). B. Interpretation Vorbemerkung: 1. Einheitlich scheint in allen drei Theorien die Lehre vom Inneren Sinn zu sein, der wechselnd als antahkaranam oder ahamkāraḥ bezeichnet wird. Diese Terminologie geht auf Padmapāda zurück. Der ahamkāraḥ ist dort eigentlich das übergeordnete Vermögen, das neben dem vor allem als antaḥkaranam bezeichneten Erkenntnisvermögen auch noch ein Tätigkeitsvermögen, prāṇaḥ genannt, enthält 26. Da jedoch im vorliegenden Zusammenhang das Tätigkeitsvermögen keine Rolle spielt, konnte der Unterschied zwischen ahamkāraḥ und antaḥkaraṇam in der Darstellung unberücksichtigt bleiben und beide mit ,,Innerer Sinn“ wiedergegeben werden. 2. a) Der Innere Sinn ist nach Prakāśātman lichtartig (prakāśasvabhāvaḥ), trotz seiner Stofflichkeit, die sich daraus ergibt, daß er ein Produkt des die Urmaterie vertretenden Nichtwissens ist, und die in seiner Teilbarkeit (sāvayavatvam) zum Ausdruck kommt (Viv 304, 9). b) Im Gegensatz etwa zu Vindhyavāsins (YBh 330, 2 angedeuteter) Auffassung, der Innere Sinn sei allverbreitet (vgl. GPh I, 403), setzen die im Vivaranam referierten advaitischen Theorien voraus, daß der Innere Sinn von begrenzter Ausdehnung ist; denn in allen drei Theorien ist er konstitutiv für die Begrenztheit des Jivaḥ als Erkenntnissubjekt. Auch die spätere advaitische Tradition bestätigt die begrenzte Ausdehnung des Inneren Sinnes: SBi 56, 3 etwa heißt es, er befinde sich inmitten des Leibes und durchdringe diesen ganz (sarīramadhye sthitaḥ sarvasarīravyāpakah). 26 Vgl. P. HACKER, Untersuchungen über Texte des frühen Advaitavāda, 1. Die Schüler Sankaras. Akademie d. Wiss. u. d. Lit., Abh. d. geistes- u. sozialwiss. KI., Jahrgang 1950, Nr. 26, p. 124; im folgenden zitiert: HACKER, Schüler Sankaras. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 339 c) Allen drei Theorien gemeinsam ist ferner die Auffassung, daß der Innere Sinn (im Falle direkter Erkenntnis) mit dem Objekt in unmittelbaren Kontakt tritt, indem er zu ihm hinausgeht und dort seine Gestalt annimmt (vgl. Viv 308, 10; 309, 1f. u. 7f., sowie 315, 2; 316,5-317, 1; ferner Viv 305, 1f.). Auch die spätere Tradition ist hier ganz eindeutig und lehrt, daß der Innere Sinn bzw. seine (zugleich materialisiert zu denkende) Tätigkeit (vrttih) zum Objekt hinausgehe (nirgamanam) (z. B. VTV 263, 5; SBi 56, 4f.) und dort dessen Gestalt annehme (SBi 56 5; im gleichen Sinne zu interpretieren: VTV 256, 1-3). Erste Theorie 1. a) Die 1. Theorie stimmt in ihrer Lösung des Problems der begrenzten Erkenntnis von Objekten durch den unerlösten Geist, und in den Voraussetzungen, von denen sie bei dieser Lösung ausgeht, weitgehend mit dem Samkhya-Yoga überein. Daran ändert nichts, daß die Objekte hier im Gegensatz zum Sāmkhya-Yoga nicht aus der ungeistigen Urmaterie, sondern aus dem geistigen Brahma hervorgehen; denn für den unerlösten Geist ergibt sich daraus im Rahmen dieser Theorie lediglich das Vorausgesetztsein der Objekte; die Natur des Voraussetzenden spielt für das Erkennen des unerlösten Geistes keine Rolle. Auch macht es, für die Objekterkenntnis, keinen Unterschied, wenn man im Sinne der Kommentatoren (bei Prakāśātman fehlt bezeichnenderweise eine entsprechende Feststellung!) annimmt, der Jivaḥ als solcher sei nach dieser Theorie – die ja doch wohl eine advaitische, also in Wirklichkeit nur eine Geistigkeit, die des Brahma, anerkennende, ist – durch das Nichtwissen (avidyā) konstituiert 27; denn dieses bleibt ja ohne Einfluß auf sein geistiges Wesen, da es sein Leuchten, seine Erkenntnisfähigkeit, nicht (wie bei der 3. Theorie) verhüllt. Gerade diese ungehinderte Erkenntnisfähigkeit ist aber, auch wenn die Bezeichnung „selbstleuchtend" (svayam-prakāšamānaḥ) dort fehlt, auch bei der ebenfalls allverbreiteten (vyāpī, vibhuh: YD 104, 14 u. 105, 15ff.) und somit mit allen Dingen, nicht nur dem Inneren Şinn, verbundenen (samyuktaḥ) Geistseele (puruṣaḥ) des Sāmkhya-Yoga gegeben, so daß sich auch dort die unerwünschte Folge zu ergeben scheint, daß sich die Geistseele nicht nur mit dem Inneren Sinn, sondern auch mit allen übrigen Dingen, also auch den äußeren Objekten, durch Widerspiegelung vermischen und sie bewußt machen müßte (vgl. YD 104, 13-16). Die Lösung lautet ganz ähnlich wie in der vorliegenden advaitischen Theorie: ,,Diese unerwünschte Folge ergibt sich nicht, da (hierfür) eine besondere) Fähigkeit (sakti”) erforderlich ist, wie bei Kristall usw. (D. h.:) Wie, obwohl Kristall und Raumäther (ākāśam) in gleicher Weise mit einem (bestimmten,) neben (dem Kristall) liegenden (farbigen) Gegen 27 Vgl. TDi 263, 3; VivBh 311, 20; ASi 478, 6 u. 479, 1. 22* Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 340 LAMBERT SCHMITHAUSEN stand verbunden sind (lies: upādhānasamyogāviseșe), nur der Kristall auf Grund einer (besonderen) Fähigkeit als gleichfarbig (sarūpam) mit dem daneben liegenden Gegenstand erscheint (pratyavabhāsate), nicht aber der Raumäther, genau so wird, obwohl Innerer Sinn (buddhiḥ) und Topf in gleicher Weise mit der Geistseele (puruṣaḥ) verbunden sind, auf Grund einer (besonderen) Fähigkeit nur der Innere Sinn so aufgefaßt, als ob er die Natur der Geistigkeit angenommen hätte (cetanārūpāpannevopalabhyate), nicht aber der Topf“ (YD 104, 16-19). b) Eine Übereinstimmung der vorliegenden Theorie mit dem SāmkhyaYoga ist ferner die Verwendung des Begriffes der „Verfärbung“ (uparāgaḥ). Aber im Yoga war nur von einer Verfärbung des Inneren Sinnes - vor allem durch die Objekte, aber auch durch die Geistseele – die Rede gewesen. Hier hingegen wird von einer Verfärbung der Geistseele gesprochen. Das mag, mit NM 24, 7 (buddhivýttir eva puruşam uparañjayanti), auch für den sāmkhyistischen Sprachgebrauch angehen, solange es sich um ein Verfärbtwerden der Geistseele durch den Inneren Sinn (bzw. seine Transformation) handelt; denn auch im Sāmkhya findet sich ja, neben der Lehre, bestimmtes Bewußtsein entstehe durch scheinbares Übergehen der Geistseele auf den Inneren Sinn, auch die Auffassung, daß es durch ein (scheinbares) Übergehen der im Inneren Sinn enthaltenen Repräsentation des Objektes auf die Geistseele entstehe (vgl. oben, I 3 b, 2. Absatz). Hingegen ist mir keine Stelle bekannt, an der im Sāmkhya oder Yoga von einer Verfärbung der Geistseele durch das äußere Objekt die Rede ist, und im Yoga und späteren Sāmkhya wäre sie allenfalls im Sinne einer indirekten Verfärbung möglich. Im vorliegenden Text hingegen scheint sie eine direkte Verfärbung auszudrücken; denn man hat den Eindruck, daß hier eine unmittelbare Erkenntnis des äußeren Gegenstandes selbst intendiert ist. Der einzige positive Beleg steht allerdings im Pūrvapakşaḥ: Viv 308, 11f. setzt der Gegner voraus, daß die Geistseele nur solche Objekte beleuchte, die mit einer Transformation (pariņāmaḥ) des Inneren Sinnes verbunden (samspsta-) sind. Der Ausdruck sams?sta- kann nun nach dem Sprachgebrauch unseres Textes gleich samyukta- (,,verbunden, in Kontakt mit“) (vgl. Viv 308, 10 mit 311, 1) oder auch gleich samārūdha- („übergegangen auf, verschmolzen mit“) (vgl. Viv 311, 5 mit 312, 5) sein. Der Gegenstand kann aber doch wohl kaum auf die Transformation des Inneren Sinnes, sondern nur in Gestalt einer (seine Form tragenden) Transformation auf den Inneren Sinn selbst übergehen. Also besagt die Stelle, daß der mit der Transformation des Inneren Sinnes in Kontakt stehende äußere Gegenstand selbst erkannt werde. Es scheint also, daß zum mindesten Prakāśātman selbst die Theorie im Sinne einer direkten Erkenntnis des äußeren Gegenstandes selbst, und nicht bloß einer Repräsentation im Inneren Sinn, verstanden hat. Dem entspricht auch, daß nirgendwo davon die Rede ist, daß das Objekt, um erkannt zu werden, auf den Inneren Sinn übergegangen ([sam jārūdhaḥ) Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 341 sein müsse. Auf den Inneren Sinn übergehen muß lediglich die an sich beziehungslos neben den Dingen herbestehende Geistseele (Viv 312, 5), deren Geistigkeit sich auf diese Weise gleichsam verfängt und so auch anderes beleuchtet. c) In dieser Auffassung, daß nicht bloß eine Repräsentation des Objektes im Inneren Sinn, sondern das Objekt an sich selbst erkannt werde, -sei sie nun von Anfang an mit dieser Theorie verbunden oder Prakāśātmans Interpretation oder, im äußersten Falle, das Werk der nachfolgenden advaitischen Tradition (s. unter 3) -, liegt der in unserem Zusammenhang relevante Unterschied zwischen dieser advaitischen Theorie und der in Samkhya und Yoga vorherrschende Lehre. Es handelt sich hier zweifellos um eine Auswirkung der durch Dignāga und Dharmakirti ausgelösten Reaktion der „realistischen“ Schulen auf den buddhistischen „Sākāravādaḥ", d. h. die Lehre, daß die - hier als durch sich selbst geistig gefaßte - jeweilige Erkenntnis das Bild ihres Gegenstandes trage und ihn nur in Gestalt dieses Bildes erkenne; eine Lehre, die bei den Buddhisten mit der Annahme verbunden war, daß zahlreiche Erkenntnisinhalte überhaupt nur eine ideelle Existenz hätten, und die häufig sogar zu einem totalen Idealismus, in dem die Existenz erkenntnisäußerer Dinge überhaupt geleugnet wurde, gesteigert wurde. Dieser Auffassung setzten die realistischen Schulen – insbesondere Nyāya und Mimāmsā – die Ansicht entgegen, daß die Erkenntnis formlos (nirākārā) oder transparent (svacchā) sei und einen Inhalt (im wesentlichen) nur in Gestalt des unmittelbar erkannten realen Gegenstandes selbst erhalte. Von diesem Standpunkt aus war natürlich die Auffassung des Yoga und späteren Sāmkhya suspekt; denn sie beinhaltete eine bloß indirekte Erkenntnis der äußeren Objekte vermittels einer Repräsentation in der jeweils einem einzelnen Subjekt zugeordneten, also insofern „subjektiven“) Psyche und unterschied sich damit, auch wenn man die durchgängige Adäquatheit dieser „subjektiven" Repräsentation herausstellte 28, doch im Prinzip nicht allzu sehr vom buddhistischen „Sākāravādah" 29, war also zur erkenntnistheoretischen Fundierung einer objektiven, erkenntnisäußeren Welt ungeeignet. Die Existenz einer äußeren, dem subjektiven Erkennen vorausgesetzten Welt (wenn auch einer illusorischen) wurde aber, wie gesagt, auch von den meisten Advaitins anerkannt, und es lag daher nahe, das aus dem Sāmkhya-Yoga übernommene Erkenntnismodell unter dem Einfluß der Auffassung der nunmehr erkenntnistheoretisch führenden Schulen Nyāya und Mimāmsā im Sinne einer direkten Wahrnehmung der äußeren Gegenstände umzuformen, und ein solcher Versuch scheint in der hier besprochenen Theorie vorzuliegen. Dabei ist es vielleicht nicht ohne Interesse, daß auch im Nyāya das Bewußt 28 Vgl. etwa YV 28, 23f. 20 Vgl. NM 24, 17: sākārajñanavādāc ca (statt -dāms ca) nātīvaisa višięyate tvatpakşah. Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 342 LAMBERT SCHMITHAUSEN werden des äußeren Gegenstandes als Verfärbung (uparāgaḥ) des Geistigen (hier der wechselnden Erkenntnis, buddhih) durch das äußere Objekt bezeichnet werden konnte 30 d) Es darf bei dieser Gelegenheit noch bemerkt werden, daß im Advaita gelegentlich sogar die bloße Existenz der Form des Objektes im Inneren Sinn, obwohl sie, falls überhaupt, nur neben dem Objekt im Bewußtsein auftritt, schon als zuweitgehendes Zugeständnis an den buddhistischen „Sākāravādaḥ“ angesehen und in eine abstraktere Bestimmung – etwa das „Erzeugtsein durch ein mit dem Objekt in Kontakt stehendes (Sinnes)organ" oder (SBi 58, 2) die „Geeignetheit (des Objektes), sich zu manifestieren“ (abhivyaktiyogyatā) - umgedeutet wurde (vgl. ASi 483, 10-14). 2. Was die Frage nach der Herkunft dieser 1. Theorie angeht, so reizt die auffällige Nähe zum Sāmkhya-Yoga dazu, ihren Ursprung bei Sankara selbst zu suchen (vgl. überdies CAMMANN, op. cit., p. 138f., Anm. 3). Die Vérifizierung dieser Vermutung an Hand des Gesamtwerks Sankaras kann jedoch im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geleistet werden. Zwei Punkte scheinen jedoch schon bei oberflächlicher Betrachtung Schwierigkeiten zu machen: a) Die Ausdrücke svayamprakāśamānaḥ und uparāgah entsprechen Sankaras Sprachgebrauch nicht 31. Es besteht aber die Möglichkeit, daß Prakāśātman für diese abweichende Terminologie verantworlich ist 318, b) Entsprechendes gilt auch für die Auffassung von der Art und Weise des Erkanntseins des Objektes, in der unsere Theorie, wenn wir sie in diesem Punkte richtig interpretiert haben, ebenfalls von Sankara abzuweichen scheint; denn es hat zum mindesten nach der Upadeśasāhasri den Anschein, als ob Sankara an seiner vom Yoga ererbten 31 Auffassung festgehalten hat, daß die Objekte nur erkannt werden, insofern sie auf den Inneren Sinn übergegangen, in ihm durch ein Bild repräsentiert sind (vgl. etwa US Gadya 73; US Padya VII, 1 u. V, 4). Seine Polemik gegen den Vijñānavāda im Brahmasūtrabhāṇyam macht allerdings demgegenüber eher den Eindruck, daß eine direkte Erkenntnis der Objekte intendiert ist, doch ist mir ein eindeutiger, ausdrücklicher Beleg nicht begegnet. Vorausgesetzt hingegen scheint die in unserer Theorie entwickelte Art und Weise des Erkanntseins des Objektes in Vācaspatimiśras Bhāmati (Bhā 551, 16 ff.): ,,Unmittelbar damit, daß aus dem Kontakt von Sinnesorgan und Gegenstand (lies: indriyārthasannikarşād a-...) die entsprechende Transfor 30 Vgl. NM 288, 20ff.: vikal po nāma bodhātmā, sa ca svacchaḥ svabhāvataḥ ...; nūnam abhyupagantavyam kimcid asyoparañjakam. ... vişayā eva buddhinām anjasyenoparañjakāḥ. 31 Vgl. P. HACKERS Beitrag zum vorliegenden Band. 31a Womit nicht ausgeschlossen werden soll, daß diese Termini, außerhalb des Rahmens der vorl. Theorie, schon vor Prakāśātman im Advaita gebraucht werden konnten, was ja zum mindesten für svayamprakasa (mana) h tatsächlich der Fall ist (vgl. etwa Pañc 88, 2). Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 343 mation des Inneren Sinnes (antahkaranavikārabhedaḥ) entstanden ist, sind dem Erkenntnissubjekt (pramātā) sowohl der Gegenstand als auch die Wahrnehmung (upalambhaḥ) manifest (pratyakşau). Denn der äußere) Gegenstand bedarf, (weil er) seinem Wesen nach ,verborgen (ist) (nilinasvabhāvah), einer (in) einer entsprechenden Transformation des Inneren Sinnes (bestehenden) Wahrnehmung (anubhavaḥ), um für das Erkenntnissubjekt manifest zu werden; die Wahrnehmung (ihrerseits) hingegen bedarf, obwohl (auch sie) ungeistig (jadaḥ) ist, auf Grund ihrer Klarheit (svacchatayā) keiner weiteren Wahrnehmung, um das Spiegelbild der Geistigkeit (des Subjektes) (in sich) aufzunehmen (caitanyabimbodgrahaņāya).“ Die metaphysischen Voraussetzungen bleiben allerdings in diesem Textstück unausgesprochen und könnten auch die der 3. Theorie [vgl. die im Zusammenhang mit deren Interpretation (3 b) erwähnte Kalpataru-Stelle!] sein. Außerdem findet sich, anstelle der „Verfärbung" (uparāgaḥ) der Geistseele durch den Inneren Sinn, wie in der unter 3 b referierten Deutung der 1. Theorie die (bereits im Sāņkhya nachweisbare 32) Vorstellung der Widerspiegelung der Geistseele im Inneren Sinn bzw. seiner Transformation. 3. Die oben vertretene Auffassung, daß sich die vorliegende Theorie von der Lehre des Sāmkhya-Yoga vor allem dadurch unterscheidet, daß sie eine Erkenntnis des äußeren Gegenstandes selbst intendiert, wird durch die advaitische Tradition bestätigt, die im folgenden zu Wort kommen soll. Die wichtigste Quelle ist dabei Appayyadīksitas Siddhāntaleśasamgrahah, wo unsere Theorie referiert wird (SLS 143, 11ff.) und anschließend verschiedene Deutungen wiedergegeben werden (SLS 146, 8ff.). Es geht dabei vor allem um eine Konkretisierung des als „Verfärbung der (Jiva-)Geistigkeit (durch das Objekt)" (ciduparāgaḥ) 33 bestimmten Zweckes der Transformation des Inneren Sinnes. a) Nach der ersten und offenbar ältesten Deutung, die der SLS referiert, besteht die Verfärbung des Jivaḥ durch das Objekt schlicht darin, daß zwischen beiden die Subjekt-Objekt-Beziehung (vişaya-visayi-sambandhaḥ) hergestellt wird (SLS 147, 1). Diese Relation ist, wie auch die Vedāntasiddhāntasūktimañjari (eine Versbearbeitung des SLS von Gangādharendrasarasvati, Ausg. in SLS), v. I, 66 ab, bemerkt, typisch für die „Naiyāyikas etc.“ (vgl. etwa Vyom 528, 25f.). Bei der vorliegenden Deutung ist somit bezüglich des Einflusses von seiten dieser Schulen und damit auch bezüglich der Tatsache, daß im Gegensatz zum Sāmkhya-Yoga der äußere Gegenstand selbst erkannt wird, kein Zweifel mehr möglich. b) Bevor wir zur 2. Deutung des SLS, in der bereits nicht mehr nur interpretiert, sondern auch modifiziert wird, übergehen, sei noch auf eine Deutung 32 Vgl. den vorl. Aufs., I 3 b (2. Absatz). 33 Daneben anderswo die abstraktere Formulierung „(Herstellung einer) Verbindung (sambandhah) (der Geistseele mit dem Objekt)" (z. B. VeP 141, 3). Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 344 LAMBERT SCHMITHAUSEN hingewiesen, die im SLS fehlt und möglicherweise späteren Ursprungs ist, die aber m. E. der Intention der Grundquelle (wie sie im Vivaraṇam vorliegt) ziemlich nahekommt. Sie geht aus von der Konkretisierung des ,besonderen Wesens“ des Inneren Sinnes als ,,Klarheit“ (svacchatā) (Krsn 214, 10; VeP 142, 5f.), die uns bereits in der Bhāmati (s. unter 2b, 2. Absatz) begegnet war und schon in Sankaras Kommentar zum Yogabhāșyam angedeutet ist (YV 24, 26) 34, sowie von der (ebenfalls der Bhāmati – und dem Sāmkhya – entsprechenden) Interpretation des Verfärbtwerdens (uparāgaḥ) der Geistseele durch den Inneren Sinn als Sichspiegeln der Geistseele im Inneren Sinn. Sie überträgt diese Deutung aber auch auf die Verfärbung der Geistseele durch das Objekt: Die Wirkung der zum Objekt hinausgegangenen Transformation des Inneren Sinnes besteht darin, daß sie das zwischen Geistseele und Innerem Sinn bestehende (vgl. VeP 142, 6) Verhältnis von Manifestiertem und Manifestierendem (vyangya-vyañjaka-bhāvah) auch zwischen Geistseele und Objekt herstellt (VeP 142, 4f.; Krsn 214, 7-9). Dieses Manifestiert werden der Geistigkeit durch das Objekt besteht aber darin, daß sie sich nunmehr auch in ihm widerspiegelt 85 (tatra pratibimbitatvam, VeP 143, 5 u. Krşn 214, 18f.), daß sich unter dem Einfluß der Verbindung des Objektes mit der klaren Substanz des Inneren Sinnes die Jiva-Geistigkeit gleichsam auch in ihm verfängt und es auf diese Weise zum Leuchten, zum Bewußtsein bringt; wie eine feuchte Wand das Spiegelbild des Gesichtes zeigt, obwohl sie ohne die Verbindung mit Wasser der hierzu notwendigen Klarheit entbehrt. (VeP 143, 3f.; Krşə 214, 15-17). c) Eine andere Fundierung der Sonderstellung des Inneren Sinnes (die aber sicherlich nicht der Intention der Grundquelle entspricht) setzt anscheinend die 2. und mit Sicherheit die 3. der vom SLS überlieferten Deutungen unserer Theorie voraus: Daß der Jivah durch den Inneren Sinn verfärbt wird, nicht aber durch die übrigen Dinge, liegt darin, daß der Innere Sinn im Gegensatz zur übrigen Welt den Jivah zur Materialursache (upādānam, SLS 149, 1; gleiche Lehre VivBh 311, 20) und zur Grundlage (adhisthānam, Krsn 209, 13f. [zu SLS 147, 8]) hat, d. h. daß er nicht unmittelbar der Brahman-Geistigkeit, sondern der Jiva-Geistigkeit auffingiert ist. Insofern besteht, im Gegensatz zu den übrigen Dingen, zwischen Innerem Sinn und Jiva-Geistigkeit das sog. „Verbundensein durch Übertragung" (ādhyāsika-sambandhaḥ), das Verhältnis einer (fiktiven) Identität (tādātmyam) (SLS 147, 8; vgl. auch VivBh 311, 24f.). Diese Relation gilt aber – im Falle des Brahma schon in der Grundquelle – als Grund für ein unmittelbares und notwendiges Bewußtsein von 34 Vgl. auch Sankaras Bhadāraṇyakopanişad-bhāşyam zu IV, 3, 7: buddhis tāvat svacchatvāt ... atmacaitanyajyotih praticchāyā bhavati. 35 SBi 60, 2ff., wo die gleiche Lehre vorausgesetzt zu sein scheint, heißt es, der Geist nehme (scheinbar!) die Form des Objektes an (caitanyasya tattadākāratva.). Dies ergibt sich aus seinem Sich-im-Objekt-Spiegeln (vgl. ASi 485, 14 f.). Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 345 Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis dem entsprechenden Gegenstand. Das Bewußtsein des Jivah beschränkt sich allerdings, auch nach dieser Deutung, nicht auf den Inneren Sinn, sondern greift auf das mit dessen Transformation verbundene äußere Objekt über. Die für dessen Erkanntsein ausschlaggebende Relation ist aber eine andere als beim Inneren Sinn; denn die äußeren Objekte sind dem Jivaḥ schlechthin vorausgesetzt. Nach der zweiten Deutung besteht sie darin, daß das Objekt auf Grund seiner Verbindung (samyogaḥ) mit dem Inneren Sinn, der seinerseits zur Jiva-Geistigkeit in der Relation der (fiktiven) Identität steht, mittelbar auch mit der Jiva-Geistigkeit verbunden ist (SLS 147, 8-148, 1); nach der dritten Deutung hingegen besteht sie darin, daß aus der Verbindung (samyogaḥ) des Objektes mit dem Inneren Sinn auch eine unmittelbare Verbindung (samyogaḥ) mit dessen Materialursache, der Jiva-Geistigkeit, entsteht (SLS 149, 1-3). d) Die 4. Deutung des SLS, die von Nrsimhasrama vertreten wird (vgl. vor allem VivBh 312, 9-315, 16), wendet die auf der Materialursächlichkeit (upādānatvam) beruhende Relation des „,Verbundenseins durch Übertragung" (ādhyāsika-sambandhaḥ) auch 36 auf die Erkenntnis des Objektes an (SLS 150, 6). Eine solche Beziehung zum Objekt besteht natürlich von Hause aus nicht für die Jiva-Geistigkeit, der die Welt vorausgesetzt ist, sondern nur für die weltschaffende Geistigkeit des Brahma. Die Jiva-Geistigkeit kann an dieser Relation, durch die allein (nach der Deutung Nrsimhasramas) eine Erkenntnis des Objektes möglich ist, nur partizipieren und auf diese Weise durch das Objekt verfärbt werden, wenn, vermittels einer entsprechenden Transformation des Inneren Sinnes, ihre an sich immer schon gegebene Einheit mit der dem Objekt zugrundeliegenden Brahma-Geistigkeit manifestiert wird (vgl. Viv Bh 313, 25-27; SLS 150, 1-3). ,,Nur wenn vermittels der Transformation (des Inneren Sinnes) die vom Objekt abgegrenzte Geistigkeit (visayavacchinnacaitanyam) mit der Geistigkeit des Erkenntnissubjektes (pramatṛcaitanyam) eins wird (abhede), kann auch das jener (ersten Geistigkeit) auffingierte (adhyasta-) Objekt mit der (Subjekt-Geistigkeit fiktiv eins) werden 37" Diese Auffassung von der Art und Weise des Erkanntwerdens des Objektes ist aber nicht mehr die der 1., sondern die der 2. Theorie und braucht infolgedessen, samt den der 2. Theorie analogen Problemen, die sich bei Nrsimhasrama aus diesem Ausgangspunkt ergeben, an dieser Stelle nicht weiter betrachtet zu werden. Auch bezüglich der Auffassung des geistigeń Subjektes ist bei Nrsimhāśrama eine Annäherung an die 2. Theorie festzustellen. Er bestreitet zwar die Allverbreitetheit des Jivah nicht (vgl. VivBh 313, 4 f.;SLS 150, 3 u. 151, 1), 36 Sie gilt für ihn, nach VivBh 311, 20ff., auch, im Sinne der vorhergehenden Deutung, für das Bewußtsein des Inneren Sinnes. 37 Nrsimhasrama, Advaitadipika (Kāśī, ohne Jahr), p. 154, 14-16. Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 346 LAMBERT SCHMITHAUSEN akzeptiert jedoch offenbar die einem Opponenten in den Mund gelegte Behauptung, der Jivah werde nicht als allverbreitet bewußt und sei daher in dieser Form (auch im Rahmen der 1. Theorie) als vom Nichtwissen verhüllt anzusetzen (VivBh 316, 25ff.). Für Nțsimhāśrama fungiert daher der Jivaḥ nicht nur als aktives Erkenntnissubjekt (pramātā), sondern (in offensichtlichem Gegensatz zur Intention der Grundquelle) auch als bloßes Prinzip klaren Bewußtseins, als ohne eigene Tätigkeit das ihm Dargebotene beleuchtender „Zuschauer" (sākşi) ausschließlich in seiner durch den Inneren Sinn begrenzten Form (VivBh 313, 4f. u. 21f.; TVDi 500, 8 u. 501, 8-10; SLS 150, 1 u. 3-5): „Zuschauer" (sākşi), ist er, insofern die Bestimmung durch den Inneren Sinn nur eine (illusorische und daher) äußerliche ist (antahkarano pahitah: VivBh 313, 23; TVDi 501, 8-10), d. h. insofern die begrenzende Bestimmung (als illusorische) nicht in das durch sie konstituierte Produkt (illusorischerweise) miteingeht (kāryānanvayi, vgl. VeP 30, 3) und ihre Natur und ihre Eigenschaften nicht auf die Jiva-Geistigkeit übertragen werden; tätiges Erkenntnissubjekt (pramātā) hingegen ist er, insofern die Bestimmung durch den Inneren Sinn (durch eine sekundäre illusorische Identifikation, gewissermaßen durch eine sekundäre Spiegelung (vgl. Viv 294, 7-9]) zu einer wesentlichen wird (antahkarana-visistaḥ VivBh 313, 22f.; TVDi 501, 10), d. h. insofern die einschränkende Bestimmung in das durch sie konstituierte Produkt miteingeht (kāryānvayi, TVDi 501, 10f.) und ihre Natur und ihre Eigenschaften (z. B. das Tätigsein) auf die Jiva-Geistigkeit übertragen werden. Wäre der Jivaḥ als allverbreiteter „Zuschauer" (= Bewußtseinsprinzip), so müßte dieses Bewußtsein allen Lebewesen in gleicher Weise zuteil werden (TV Di 501, 2f.; vgl. auch VivBh 313,5ff.; SLS 150, 4f.); denn der Jivah in seiner nur durch das Nichtwissen (das ja eines ist) bestimmten, allverbreiteten Form ist, so muß man mit VeP 139, 5 voraussetzen, nur einer und steht noch jenseits der Individuation in viele Einzelseelen. Als Zuschauer, als Prinzip unverhüllten Bewußtseins, ist der Jivah somit durch den Inneren Sinn begrenzt. Damit liegt aber bezüglich des Subjektes faktisch dieselbe Situation vor wie bei der 2. Theorie, und es ergibt sich wie dort (vgl. Interpr. d. 2. Th., lb) die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Erkenntnis des äußeren Gegenstandes durch die Jiva-Geistigkeit allein und damit die Notwendigkeit, die Erkenntnis des äußeren Objektes nach der Weise der 2. Theorie als Partizipation an dem auf dieses gerichteten Erkennen des Brahma zu erklären, was ja, wie gezeigt wurde, bei Nșsimhāśrama tatsächlich geschieht. e) In Madhusudana's Advaitasiddhiḥ findet sich eine Kombination der unter b erwähnten Auffassung, die Verfärbung der Jiva-Geistigkeit durch den Inneren Sinn bzw. seine Transformation sei als Spiegelung der Jiva-Geistigkeit darin zu verstehen, mit der soeben beschriebenen Auffassung, daß das Objekt selbst nur auf Grund des ,,Verbundenseins durch Übertragung" (ādhyāsikasambandhaḥ) erkannt werden könne: Bei einer mittelbaren Erkenntnis wird Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 347 der Geist nur durch eine innen bleibende, nicht zum Objekt hinaustretende gegenstandsförmige Transformation des Inneren Sinnes verfärbt (vgl. Asi 480, 19: antar eva tatra dhīsamullāsāt), indem er sich in dieser spiegelt (vgl. ASi 484, 16f.: na cá vrttyuparaktatvam caitanyasya na tatpratibimbitatvam); bei der unmittelbaren dagegen führt die das Spiegelbild der Jiva-Geistigkeit tragende Transformation des Inneren Sinnes durch ihr Hinausgehen zum Objekt zu einer Manifestation der Nichtverschiedenheit dieser Jiva-Geistigkeit von der dem Objekt unterliegenden und es somit auf Grund des ,,Verbundenseins durch Übertragung" (ādhyāsika-sambandhah) unmittelbar beleuchtenden Brahma-Geistigkeit (vgl. etwa ASi 483, 1f. (u. 5): ghata prakāśakam ... dhipratibimbitacaitanyābhedābhivyakta-visayādhişthānacaitanyam). f) Schließlich ist noch zu bemerken, daß im Rahmen der 1. Theorie gelegentlich auch die in der 3. Theorie gelehrte Funktion der Transformation des Inneren Sinnes, eine „Verhüllung zu überwältigen" (āvaranābhibhavaḥ) auftritt. Dies wird vor allem im Falle des Brahma notwendig; denn ihm steht die Jiva-Geistigkeit nicht beziehungslos gegenüber, da sie mit ihm identisch und somit von ihm immer schon „verfärbt“ ist (vgl. LC 479, 19). Es müßte daher dem Jivaḥ das Brahma und seine Identität mit ihm immer schon bewußt sein. Daß hierzu das Erlösungswissen, eine die Form des Brahma tragende Transformation des Inneren Sinnes, erforderlich ist, setzt voraus, daß das Brahma für den Jivaḥ verhüllt ist und die Transformation des Inneren Sinnes in diesem Falle die Funktion der Überwältigung dieser Verhüllung und nicht die der Verfärbung oder Herstellung einer Beziehung hat (LC 479, 18f.). Diese Annahme ist auch möglich auf der Basis der unter b referierten Deutung der Verfärbung der Jiva-Geistigkeit durch das Objekt als Spiegelung in ihm: Das Brahma müßte auf Grund seiner Klarheit (svacchatā) eigentlich das Spiegelbild der Jiva-Geistigkeit in sich aufnehmen und sie auf diese Weise brahmaförmig 38 werden lassen, daß dies nicht geschieht, beruht auf dem Verhülltsein des Brahma (vgl. SBi 60, 1-3). Es findet sich jedoch auch die Auffassung, daß das Brahma, auch ohne verhüllt zu sein, ohne Vermittlung einer entsprechenden Transformation des Inneren Sinnes kein Spiegelbild der Jiva-Geistigkeit aufnehmen könne. In diesem Falle kann es für die Transformation des Inneren Sinnes bei der Funktion der Verfärbung (im Sinne von Bewirken einer Widerspiegelung der JivaGeistigkeit) bleiben (LC 479, 20 ff., insbes. 23f.). Diese Lehre entspricht, mutatis mutandis, der offenbar bereits der 2. Theorie der Grundquelle (Y) zugrundeliegenden Auffassung. g) An einigen Stellen der Advaitasiddhiḥ scheint schließlich die Funktion der „Überwältigung einer Verhüllung“ (āvaraņābhibhavaḥ) mit der unter e) 38 Vgl. Anm. 35. Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 348 LAMBERT SCHMITHAUSEN beschriebenen Interpretation der Objekterkenntnis kombiniert: Wenn bei der Erkenntnis des Brahma die Transformation des Inneren Sinnes die Aufgabe der Überwältigung einer Verhüllung hat, bei jeder unmittelbaren Objekterkenntnis aber die Brahma-Geistigkeit als ungetrennt von der in der Transformation des Inneren Sinnes gespiegelten) Jiva-Geistigkeit manifestiert werden muß, so setzt jede unmittelbare Objekterkenntnis auch die Überwältigung einer Verhüllung voraus, durch welche die vorher für den Jivaḥ verhüllte und nur in unterschwelliger (nirvikalpakam) Form leuchtende 39 dem Objekt unterliegende Brahma-Geistigkeit zu klarer Manifestation gelangt (vgl. ASi 483, 6ff.). h) Auch für Nrsimhāśrama hat die zum Objekt hinausgehende Transformation des Inneren Sinnes, neben dem Zweck der Verfärbụng (uparāgah) = Manifestation der Nichtverschiedenheit (abhedābhivyaktih), auch den Zweck, eine Verhüllung zu überwältigen, vorausgesetzt, daß man die Ansicht vertritt, daß das Nichtwissen, das die vom Objekt begrenzte Geistigkeit verhüllt, auch eben diese (und nicht etwa die Subjekt-Geistigkeit 40) zum Träger hat 41 (VTV 265, 1f.). Das Motiv für die Annahme einer Verhüllung der vom Objekt abgegrenzten Geistigkeit ist aber bei Nșsimhāśrama nicht, daß andernfalls nicht erklärt werden könnte, warum es vor dem Erkenntnisakt unerkannt ist; denn da für ihn der Jivaḥ als Prinzip unverhüllten Bewußtseins durch den Inneren Sinn begrenzt ist (vgl. d, 2. Absatz), ergibt sich jenes Unerkanntsein schon aus der durch die Begrenzung bedingten Trennung (bhedaḥ) der beiden Geistigkeiten (vgl. TVDi 267, 8) und dem Fehlen eines entsprechenden Erkenntnismittels oder -aktes (pramāņavaikalyam, vgl. Pañc 28, 2) (TVDI 267, 1-3). Die Annahme einer Verhüllung des Objektes ist vielmehr nur deshalb notwendig, weil es vorkommt, daß trotz des Kontaktes mit der Transformation des Inneren Sinnes die besonderen Aspekte eines Objektes nicht erkannt werden (TVDI 268, 6f.) und statt ihrer die besonderen Aspekte eines falschen Dinges in Erscheinung treten (vgl. TVDI 502, 10), also zur Erklärung des empirischen Irrtums, und allenfalls noch zur Erklärung des Erlebens: ,,durch (diese) Erkenntnis ist ein Nichtwissen beseitigt worden“ (vgl. TVDi 502, 10). Zweite Theorie 1. Die 2. Theorie – von den unter y wiedergegebenen, nur im Uttarapakşab belegbaren Ausführungen sei zunächst einmal abgesehen - entfernt sich von den Voraussetzungen des Sāņkhya-Yoga durch die Annahme, der unerlöste Geist sei durch den Inneren Sinn konstituiert und somit endlich, nicht 39 Die Verhüllung muß also nicht unbedingt als eine totale aufgefaßt werden. 40 VTV 502, 4ff. 41 Vgl. VTV 492, 2ff. Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 349 allverbreitet. Damit ist die unerwünschte Konsequenz, daß er eigentlich alles erkennen müßte, im Ansatz vermieden. a) Nach dem Abschnitt a der Darstellung der 2. Theorie [der im wesentlichen auf dem Anfang des einschlägigen Teiles des Pūrvapakşaḥ (Viv 309, 1-5) fußt] scheint es, als ob der Jivaḥ durch eine bloße Ausdehnung seiner Begrenzung - des Inneren Sinnes – zum Objekt hin dieses erkennen könne, so wie es vom Brahma heißt, daß es auf Grund seiner Allverbreitetheit alles erkenne. b) Der Abschnitt ß (nach Pūrvapakşaḥ 309, 5ff. und Uttarapakşaḥ 315, 2–3) zeigt jedoch, daß dies nicht gemeint ist 42. Hier heißt es vielmehr, daß eine Erkenntnis des Objektes durch den Jivah unmöglich sei, da die vom Objekt begrenzte Geistigkeit (vişayāvacchinnacaitanyam) Brahma-Geistigkeit sei und somit keine Verbindung (anuşangah) des durch den Inneren Sinn begrenzten Jivaḥ mit dem Objekt bestehe (Viv 309, 5ff.). Damit dürfte gemeint sein, daß der Jivah mit seiner eigenen Erkenntnis grundsätzlich nicht über den ihn konstituierenden Inneren Sinn hinauskommt, daß er also (zum mindesten soweit er auf sich selbst angewiesen ist) auch im Falle eines Kontaktes der Transformation des ihn konstituierenden Inneren Sinnes mit dem Objekt, und selbst im Falle einer Überlagerung des Objektes durch sie, immer nur den Abdruck des Objektes im Inneren Sinn erkennen kann, also nur eine Repräsentation, die, wie eng sie sich auch immer an das Objekt anschmiegt, doch nie dieses selbst ist. Bei der 1. Theorie, für die die JivaGeistigkeit allverbreitet ist und somit auch das Objekt durchdringt, konnte demgegenüber - am deutlichsten wird dies in der unter 3b referierten Deutung - durch den Kontakt 43 mit der Transformation des Inneren Sinnes eine Erkenntnis des Objektes selbst durch die es durchdringende Jiva-Geistigkeit ausgelöst werden. In der 2. Theorie hingegen durchdringt nur die BrahmaGeistigkeit das Objekt. Eine direkte Erkenntnis des Objektes selbst durch den Jivaḥ kann daher nur dadurch erreicht werden, daß er irgendwie an der Erkenntnis des Objektes durch die Brahma-Geistigkeit partizipiert, und dies ist ja auch tatsächlich der Weg, den die 2. Theorie einschlägt. 2. Der Ursprung der 2. Theorie ist ohne Zweifel bei Padmapāda zu suchen, auch wenn die Darstellung im einzelnen nicht für eine unmittelbare Beziehung spricht, zumal Prakāgātman den einschlägigen Text der Pañcapādikā anders, nämlich im Sinne der 3. Theorie, interpretiert (vgl. z. B. Viv 307, 8ff.). a) Bei Padmapāda findet sich zunächst die Auffassung des Jivaḥ als Spiegelbild der urbildlichen Brahma-Geistigkeit im Inneren Sinn (vgl. HACKER, Schüler Sankaras, p. 139). Dabei ist zu beachten, daß hiermit für Padmapāda 42 Die Möglichkeit, hier zwei Entwicklungsstufen zu unterscheiden, scheidet m. E. auf Grund des unter 2 über die Herkunft dieser Theorie Gesagten aus. 43 Von einer Überlagerung, wie sie sich für die 2. Theorie aus Viv 309, 8 ergibt, scheint im Rahmen der 1. Theorie nicht die Rede zu sein. Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 350 LAMBERT SCHMITHAUSEN (nach Pañc 111, 3), im Gegensatz etwa zu Prakāśātman, lediglich ein Vergleich ausgesprochen zu sein scheint: Der Jivaḥ kann mit einem Spiegelbild verglichen werden, aber genau so gut auch mit anderen Erscheinungen, etwa dem Topfraum (Pañc 113, 3), der später zur Standardillustration der sog. ,,Begrenzungstheorie" (avacchedavādaḥ) wird. Daraus erklärt sich vielleicht, daß in der 2. Theorie des Vivaranam neben der Feststellung, der Jivaḥ stelle ein Spiegelbild dar, die Behauptung stehen kann, er sei durch den Inneren Sinn begrenzt (avacchinnaḥ). Spätere Kommentatoren konstruieren hieraus, im Sinne des späteren Gegensatzes von Spiegelbild-" und „,Begrenzungstheorie", eine Anspielung auf zwei verschiedene Theorien der Konstitution des Jivah durch den Inneren Sinn (TDi 261, 21f.; VivBh 309, 21f.). b) Auch die von Padmapada entwickelte Theorie der Objekterkenntnis (Paño 114, 5ff. 44) stimmt, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch im wesentlichen mit Prakāśātmans 2. Theorie überein: Padmapada spricht von einer be sonderen Tätigkeit (vyāpāraḥ) des objektiven Momentes des Ich (ahankartur idam-amśaḥ, d. h. des Inneren Sinnes, vgl. Pañc 115, 4), die in letzterem einen besonderen Zustand (avastha-viseṣaḥ), der auf das Objekt ausgerichtet ist (karmakārakābhimukhaḥ) und als Verbindung mit dem Objekt angesprochen werden kann, hervorruft. Hierdurch wird bewirkt, daß das Objekt - das mit seiner Tätigkeit (als Objektursache) am Zustandekommen der Haupttätigkeit (pradhana-kriyā, sc. des Erkennens) beteiligt war sein (an sich immer schon gegebenes) Bewußt-sein (aparokṣata); das ihm als Scheinentfaltung der (ihm unterliegenden) Geistigkeit (caitanyavivartaḥ) zukommt, und das (angesichts der ursprünglichen Einheit aller Geistigkeit) mit dem als Subjekt fungierenden Bewußtsein (aparokṣatā wesenhaft gleichförmig oder eins (ekarupā) ist, manifestiert (abhivyanakti). Padmapāda weist somit ausdrücklich darauf hin, daß das Erkanntsein des Objektes durch die durch es begrenzte Geistigkeit darauf beruht, daß es deren Scheinentfaltung (vivartaḥ) ist, daß es auf diese Geistigkeit übertragen, ihr auffingiert ist, also bedingt ist durch das, was später,,Verbundensein durch Übertragung" (adhyasikasambandhaḥ) genannt wird. Zu Anfang der 2. Theorie des Vivaranam hatte es demgegenüber geheißen, das Brahma erkenne alle Objekte, weil es allverbreitet ist (also offenbar auf Grund seiner bloßen Raumgleichheit). Angesichts der soeben hervorgehobenen Aussage der Pañcapādikā muß jedoch damit gerechnet werden, daß auch für die 2. Theorie des Vivaranam als eigentlicher Grund für die Erkenntnis der Objekte durch das Brahma das „Verbundensein durch Übertragung" vorauszusetzen ist, daß, wie im Falle des Jivaḥ, die bloße Raumgleichheit zur Erkenntnis der Objekte nicht ausreicht, sondern durch eine wesentlichere Beziehung unterstützt werden muß; zumal auch für diese Theorie, eben weil sie eine advait ische 44 Vgl. HACKER, Schüler Sankaras, p. 145f. Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 351 ist, die Objekte kein selbständiges Sein haben, sondern nur als Scheinentfaltungen der (Brahma-)Geistigkeit existieren können. Auch für die advaitische Tradition scheint es im Rahmen dieser Theorie selbstverständlich zu sein, daß der Grund des Bewußtseins des Objektes das „Verbundensein durch Übertragung“ (ādhyāsikasambandhaḥ) ist (vgl. SLS 155, 3ff.). Bemerkenswert ist, daß, im Gegensatz zur 2. Theorie des Vivaranam, bei Padmapāda in diesem Zusammenhang von einer Differenzierung der Geistigkeit in Jivaḥ und Brahma nicht die Rede ist. Das dürfte daran liegen, daß es in diesem Zusammenhang ja gerade auf die Einheit der Geistigkeit ankommt. Da aber der Jivaḥ für Padmapāda durch den Inneren Sinn konstituiert wird (vgl. unter a, sowie Pañc 115, 4), kann die dem Objekt zugrundeliegende Geistigkeit in der Tat nur Brahma-Geistigkeit sein. Gegen Prakāśātmans Deutung der Stelle im Sinne der 3. Theorie (vgl. deren Interpr., 3b) spricht, daß von einer Verhüllung und ihrer Überwältigung nicht gesprochen wird; vgl. auch Pañc 28, 2, wo es heißt, daß zur Erklärung des Unerkanntseins der Objekte keine Verhüllung derselben angenommen werden müsse, da es sich schon aus dem Fehlen eines entsprechenden Erkenntnismittels oder - Vorganges (pramānavaikalyāt), d. h. aus dem Fehlen eines Kontaktes zwischen Jivaḥ und Objekt, erkläre. Auffällig ist ferner, daß Padmapāda im Zusammenhang der obigen Erklärung der Objekterkenntnis statt der für das Sāmkhya typischen Termini vrttih und pariņāmaḥ die eher auf die (Bhāţta-)Mimāmsā verweisenden Termini vyāpāraḥ (vgl. etwa Slokavārttikam IV, 56; BSi 45, 13) und kriyā verwendet. Auch die Lehre von der Manifestation des am Objekt befindlichen Bewußt-seins durch die Tätigkeit des Erkennens ähnelt der Bhātta-Lehre von der „Offenbarkeit“ (prākatyam) als einer vom Erkenntnisakt am Objekt erzeugten Eigenschaft. Diese Lehre liegt zwar erst in späteren Texten (etwa Cidānandas Nītitattvāvirbhāva” (p. 132, 1ff.)) in voll entwickelter Gestalt vor, doch finden sich entscheidende Ansätze schon bei Kumārila (vgl. VV, Studie $ 63) und Mandanamiśra (ib. § 104) 45, bei welch letzterem auch schon der Terminus prakațată - allerdings im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Brahma - vorkommt (BSi 34, 13) 46. Liegt bei Padmapāda tatsächlich ein Einfluß von seiten der BhāttaMīmāmsă vor, so besteht dennoch seine nicht zu unterschätzende Leistung 45 Vgl. auch Nititattvāvirbhāvaḥ 133, 17ff.: „Damit ist (auch) widerlegt, daß der Sinn des Wortes Bewußt-sein das Geeignetsein für ein entsprechendes) Verhalten (vyavahāra-yogyatvam, Mandanas Lehre!) sei; denn ... wenn dieses etwas) Vorübergehendes ist (ägantukatve), so hätte man damit das Offenbarsein (prākatyam) akzeptiert, nur unter einem anderen Namen." 46 Der Terminus hat übrigens (anscheinend über Vācaspati, vgl. Bhā 552, 7) auch Eingang in das Advaita gefunden (vgl. etwa Citsukha, VivT 305, 21 u. 102, 7) – doch wohl ein Zeichen dafür, daß man sich, trotz gewisser Unterschiede, der Verwandtschaft der beiden Lehren bewußt war. Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 352 LAMBERT SCHMITHAUSEN darin, diese Anregung unter Auswertung der metaphysischen Voraussetzungen des Advaita zu einer ihrem Vorbild an Plausibilität zweifellos weit überlegenen Theorie fortgebildet zu haben: Die Möglichkeit des unmittelbaren Erkanntwerdens des Objektes selbst ergibt sich dadurch, daß dieses nicht mehr, wie in der 1. Theorie, bloß als vorausgesetztes, sondern als von einer Geistigkeit vorausgesetztes und somit immer schon vom Geist durchstrahltes, bewußtes, erkanntes gefaßt und sein Bewußtwerden für das unerlöste Subjekt als Partizipation an jenem immer schon wirklichen Bewußt-sein verstanden wird. Aus der Sicht der inneradvaitischen Entwicklung kommt Padmapādas Theorie das Verdienst zu, eine Synthese des (möglicherweise von Dharmakirti angeregten 47) Grundsatzes der Brahmasiddhiḥ, die Beziehung von Subjekt und Objekt sei nur möglich, wenn beide wesenhaft eins sind (indem das Objekt eine (Realumwandlung oder) Scheinentfaltung des Subjektes ist) (BSi 7, 23 ff.), und der vom späteren Sankara betonten Auffassung, das Objekt sei dem (endlichen) Erkennen als ein äußeres vorausgesetzt, zustandegebracht zu haben. 3. Nach der advaitischen Tradition hat die zum Objekt hinausgehende Transformation des Inneren Sinnes in der 2. Theorie den Zweck, die (an sich immer schon bestehende, aber durch das illusorische Eingeschränktsein des Jivaḥ auf den Inneren Sinn nicht manifeste) Nichtverschiedenheit der JivaGeistigkeit von der dem Objekt unterliegenden und es beleuchtenden Geistigkeit zu manifestieren (ASI 479, 3: jivacaitanyasya vişayaprakāśakatadadhisthānacaitanyābhedābhivyaktyarthā; SLS 146, 1f.: vişayacaitanyābhedābhivyaktyartha-) 48. Das Problem, das sich die advaitische Tradition stellt, ist, wie diese Manifestation der Nichtverschiedenheit angesichts des Aufgespaltenseins von Jivah und Brahma in spiegelbildliche und urbildliche Geistigkeit möglich ist. Als Ausgangspunkt mag wieder der Siddhāntaleśasamgrahaḥ (p. 152, 6ff.). dienen. a) Die erste Deutung des SLS (152, 7-153, 2) repräsentiert die auch in der Grundquelle vorliegende naive Nichtbeachtung der genannten Differenz, wohl auf Grund der Tatsache, daß die Bezeichnung des Jivaḥ als Spiegelbild ursprünglich, wie gesagt, wohl nur ein Vergleich war. Die erste Deutung - die auch dem Wahrnehmungsabschnitt der Vedāntaparibhāşā (vgl. VeP 12, 1 ff.) zugrundeliegt – geht somit von einer einheitlichen, gleichförmigen Geistigkeit aus, die lediglich durch verschiedene (illusorische) Begrenzungen (avacchedaḥ) (scheinbar) in Subjekt und Objekt aufgespalten ist. Vermittels 47 Vgl. Pramāņavārttikam III, 330 ab: tasyās carthāntare vedye durghatau vedyavedakau. 48 Gelegentlich findet sich die weniger deutliche, auch auf die 1. Theorie anwendbare Ausdrucksweise, daß die Transformation des Inneren Sinnes den Zweck der (Herstellung einer) Beziehung (sambandhah) habe (z. B. VeP 144, 3), und diese Beziehung kann dann wiederum als ,,Verfärbung“ (der Jiva-Geistigkeit) (uparāgah) bezeichnet werden (z. B. VivBh 315, 17f.; SBi 59, 1-3). Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 353 der zum Objekt hinausgehenden Transformation des Inneren Sinnes wird nun diese Aufspaltung überwunden und die den beiden Begrenzungen (Innerer Sinn und Objekt) unterliegenden ,,Geistigkeiten“ vereinigen sich (ekābhāvah), wie das Wasser eines Teiches, wenn es vermittels eines Kanales auf ein Feld hinaustritt, sich mit dem dort bereits befindlichen Wasser vereinigt (SLS 152, 7f.; VeP 13, 1 ff.). b) An dieser Überspielung der Differenz von spiegelbildlicher und urbildlicher Geistigkeit – es wird ja praktisch von der Basis der „Begrenzungstheorie“ (avacchedavādaḥ) ausgegangen - übt die 2. Deutung des SLS (153, 8ff.) scharfe Kritik (vgl. hierzu auch VivBh 314, 4-7 u. TVDi 264, 12-265, 6): 1. Solange die das Spiegelbild konstituierende Entität (die dem Spiegel vergleichbar ist) existiert, ist ein Einswerden mit dem Urbild unmöglich (SLS 153, 9f.; VivBh 314, 5f. (vgl. auch 315, 22-26!]; TVDi 265, 5f.). 2. Wenn durch den Kontakt mit der Transformation des Inneren Sinnes die dem Objekt unterliegende Brahma-Geistigkeit mit der Jiva-Geistigkeit eins würde, dann würde der Jivaḥ gleichzeitig auch Brahma werden (vgl. VivBh 314, 6). 3. Andererseits würde, durch diese Einverleibung der vom Objekt begrenzten Brahma-Geistigkeit in den Jivaḥ, das Brahma selbst nicht mehr mit dem Objekt verbunden sein, es somit nicht mehr erkennen und damit seine Allwissenheit verlieren (SLS 154, 2-4; VivBh 314, 7). Eine wirkliche Vereinigung des Jivaḥ mit der dem Objekt unterliegenden Brahma-Geistigkeit ist daher unmöglich. Der Jivaḥ vereinigt sich vielmehr nur mit einem Spiegelbild der Brahma-Geistigkeit: Die vom Objekt begrenzte BrahmaGeistigkeit spiegelt sich im vordersten Teil der Transformation des Inneren Sinnes (d. h. der Stelle, wo sie mit dem Objekt verbunden ist) wider, u. zw. als vom Objekt begrenzte und somit dieses beleuchtende (SLS 154, 4f.). Damit ist, bei aller Adäquatheit der spiegelbildlichen Repräsentation des ursprünglichen Bewußtseins des Objektes, eine unmittelbare Erkenntnis des Objektes selbst, bzw. eine direkte Partizipation des Jivaḥ an dieser, aufgegeben. Hiermit aber ist, wenn auch in veränderter Gestalt - da nicht nur das Objekt, sonderpt auch die es ursprünglich beleuchtende Brahma-Geistigkeit im Inneren Sinn repräsentiert wird und somit das Erkenntnisprinzip des „Verbundenseins durch Übertragung“ (ādhyāsika-sambandhaḥ) gewahrt bleibt (vgl. SLS 155, 3 ff.) –, eine Wiederannäherung an die Lehre des Yoga und späteren Sāmkhya gegeben. Die soeben skizzierte Lehre wird offenbar von Citsukha, zum mindesten in seinem Kommentar zum Vivaranam, vertreten. VivT 309, 17f. heißt es: „Obwohl der Jivaḥ begrenzt ist, kann er das Objekt erkennen (wörtl.: beleuchten), indem er eins wird mit der (dem) Objekt (unterliegenden) Geistigkeit, insofern sie sich in der Transformation des Inneren Sinnes, der die illusorische Begrenzung des (Jivaḥ) ist, spiegelt“ (paricchinnatve 'pi jīvasya 23 Festschrift - Frauwallner Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 354 LAMBERT SCHMITHAUSEN svopādhibhūtāntahkaranavrtti pratibimbavişayacaitanyābhedāt tadavabhāsakatvam yuktam). c) Die 3. Deutung des SLS (156, 7ff.), die auch von Nrsimhāśrama (im Rahmen seiner modifizierten Deutung der 1. Theorie, vgl. deren Interpr., 3 d) vertreten wird, ist eine reflektierte, über die Auseinandersetzung mit der 2. Deutung vermittelte Rückkehr zur Bejahung einer wirklichen Vereinigung von Subjekt-Geistigkeit und Objekt-Geistigkeit. Ähnlich wie oben (Interpr. d. 1. Theorie, 3 d, 2. Absatz) durch die Konstitution des tätigen Erkenntnissubjektes (pramātā) – als illusorischer Vermischung der JivaGeistigkeit mit dem Inneren Sinn - die Jiva-Geistigkeit in ihrer reinen, bloß „zuschauenden" Gestalt, für die der Innere Sinn nur eine äußerliche, ihr Wesen nicht affizierende Begrenzung ist, nicht verdrängt wird, sondern gewissermaßen neben oder besser in dem tätigen Erkenntnissubjekt weiterbesteht, so wird auch durch die illusorische Spaltung der Geistigkeit in Spiegelbild und Urbild die dieser Spaltung (metaphysisch) vorausgehende reine, ungeteilte Geistigkeit als solche (caitanyamātram, vgl. VivBh 314, 13), für die Spiegelbildlichkeit und Urbildlichkeit nur eine uneigentliche Bestimmung sind (tad-upalakṣitam, vgl. VivBh 314, 9; TVDi 265, 8; SLS 156, 9), nicht verdrängt, sondern besteht in Urbild und Spiegelbild fort (TV Di 265, 7-9). Daraus ergibt sich folgendes: Wenn auch eine Vereinigung der spiegelbildlichen Jiva-Geistigkeit mit der Brahma-Geistigkeit, insofern diese wesentlich durch Urbildlichkeit bestimmt (bimbatvavišişğam, SLS 156, 8f.; TVDi 265, 6) und somit dem Jivaḥ entgegengesetzt ist, als unmöglich zugegeben werden muß, so besteht doch kein Gegensatz zwischen der spiegelbildlichen Geistigkeit des Jivaḥ und der in der urbildlichen Brahma-Geistigkeit gegenwärtigen, nur äußerlich durch die Urbildlichkeit bestimmten reinen Geistigkeit, die nicht das Brahma als Weltenherr (īśvaraḥ, vgl. TVDI 265, 14), sondern als Gegenstand der upanişadischen Identitätsaussagen (vgl. VivBh 314, 10 u. 315, 20; TVDi 265, 8) ist (vgl. VivBh 314, 11; TVDi 265, 11). Der Jivaḥ kann also durchaus mit der vom Objekt begrenzten Geistigkeit, eben insofern sie reine Geistigkeit ist, eins werden (VivBh 314, 17; SLS 156, 9). Da aber keine Vereinigung mit dieser Geistigkeit, insofern sie wesentlich durch Urbildlichkeit bestimmt ist, stattfindet, ist die Gefahr, daß durch die Objekterkenntnis ein Teil des (als Urbild entgegengesetzten) Brahma in den Jivaḥ hineingeriete, vermieden (vgl. VivBh 314, 17f.). Auch ergibt sich nicht die unerwünschte Folge, daß im Falle der Objekterkenntnis des Jivaḥ das Brahma dieses Objekt nicht mehr erkennt, da die dem Objekt zugrundeliegende Geistigkeit (obwohl als reine Geistigkeit nur eine) in diesem Zustand ,in doppelter Weise - als Urbild und als Spiegelbild - fungiert" (bimba-pratibimba-bhāvena dvidhā výttatvena), und somit das Brahma (als Urbild) nach wie vor mit dem Objekt verbunden ist (VivBh 314, 18-20; TV Di 265, 12-14). 4. a) Zum Abschluß sei noch kurz auf die unter y wiedergegebenen Thesen Page #27 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 355 der 2. Theorie eingegangen. Sie finden sich nur im Uttara pakşaḥ und enthalten offenbar eine spätere Weiterbildung der Grundlehre: Die unerwünschte Konsequenz, daß, wenn für den Jivah bewußt ist, was mit dem ihn konstituierenden Inneren Sinn verbunden ist, auch das allgegenwärtige Brahma dem Jivaḥ bewußt sein müßte, wird hier durch die Spezifizierung, daß grundsätzlich auch eine entsprechende Transformation des Inneren Sinnes erforderlich ist, vermieden. Dies entspricht der für den Yoga belegbaren Auffassung, daß die Geistseele sich nicht im Inneren Sinn als solchem, sondern nur in den Tätigkeiten (vrttayaḥ) des Inneren Sinnes widerspiegele (vgl. YV 347, 22f.: „... Der Innere Sinn ist nur in Gestalt seiner Tätigkeiten (vrttirūpena) Objekt (der Geistseele); denn wenn der Innere Sinn seine Tätigkeiten eingestellt hat, ist er nicht Objekt (der Geistseele)."]. b) Eine konsequente Fortsetzung dieser Auffassung bietet die Vedāntaparibhāṣā, die ausdrücklich bemerkt, daß auch der Innere Sinn selbst und seine Eigenschaften (Lust, Leid etc.) nur erkannt werden, wenn eine ihre Form tragende Transformation des Inneren Sinnes vorliegt (VeP 24, 4ff.). Für den Inneren Sinn geschieht dies durch eine Transformation, die die Form „ich" hat (ahamākārā 'ntahkaranavyttiḥ, VeP 25, 2; vgl. Viv 259, 8: ahamvrtty-avacchinnam evāntahkaranam caitanyasya visayabhāvam āpadyate): eine Transformation, welche sich (nach VivBh 259, 20f.) sowohl auf den Inneren Sinn als auch auf die dadurch bestimmte Geistigkeit also den Jivaḥ selbst) beziehen kann 48. c) Die übliche Auffassung des Advaita ist aber demgegenüber, daß der Innere Sinn und seine Eigenschaften ohne Vermittlung einer entsprechenden Transformation des Inneren Sinnes wahrnehmbar seien. In diesem Sinne erklärt die Laghucandrikā – im Anschluß an SBi 60, 1-3 – die Erforderlichkeit einer entsprechenden Transformation im Falle des Brahma wie bei der 1. Theorie mit seinem Verhülltsein (LC 479, 26; vgl. auch VivBh 315, 20-22, daneben aber auch ib., Z. 22 ff.). Aus dem gleichen Grunde werden auch Verdienst und Schuld nicht bewußt (LC 479, 26). Lust und Leid hingegen sind nicht verhüllt und werden deshalb ohne entsprechende Transformation unmittelbar erkannt (LC 479, 25f.). Dritte Theorie 1. Die 3. Theorie ist am wenigsten explizit. Klar scheint jedoch, daß die die Objekte beleuchtende Geistigkeit hier – wie in der 1. Theorie und im Gegensatz zur 2. Theorie – die unerlöste, die Jiva-Geistigkeit ist; denn sie wird ja, um die unerwünschte Konsequenz, daß sie allwissend sein müßte, zu vermeiden, als „verhüllt“ bestimmt. 49 Im übrigen kann das Problem der Ichvorstellung und ihrer Interpretation in der advaitischen Tradition hier nicht weiter verfolgt werden. 23 Page #28 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 356 LAMBERT SCHMITHAUSEN Die Frage ist jedoch, ob auch die Beziehung der Jiva-Geistigkeit zum Objekt nach der Weise der 1. Theorie als eine äußerliche, oder ob sie nicht vielmehr im Sinne der 2. Theorie als „Verbundensein durch Übertragung“ (ādhyāsika-sambandhaḥ) zu fassen ist. Die Entscheidung dieser Frage hängt an den metaphysischen Voraussetzungen: Im ersteren Falle wäre die JivaGeistigkeit als von der die Objekte schaffenden Brahma-Geistigkeit verschieden, als ihr Spiegelbild im Nichtwissen, zu fassen; im zweiten Falle hingegen dürfte keine Entgegensetzung zwischen Jivaḥ und objektschaffender (Brahma-) Geistigkeit bestehen, und die Jiva-Geistigkeit selbst müßte in ihrer verhüllten, gewissermaßen untergründigen Gestalt) die Objekte schaffen; sie würde sie dann an sich) immer schon erkennen und müßte lediglich diese Erkenntnis durch Beseitigung der sie überlagernden Verhüllung manifestieren. Die letztere Deutung scheint mir die wahrscheinlichere; denn tatsächlich ist ja im Rahmen dieser Theorie nicht von einem Unterschied zwischen (urbildlicher) Brahma-Geistigkeit und (spiegelbildlicher) Jiva-Geistigkeit die Rede, sondern einzig und allein von der verhüllten (Jiva-) Geistigkeit, was leicht im Sinne der Lehre, daß das Brahma selbst durch das Nichtwissen zum Jivaḥ werde (also nicht als allwissender Weltschöpfer neben dem Jivah besteht), gedeutet werden kann. Auch der Umstand, daß der Jivaḥ als allverbreitet, das Nichtwissen hingegen als begrenzt bestimmt ist, scheint eine Konstitution des Jivaḥ durch Spiegelung der Brahma-Geistigkeit im Nichtwissen auszuschließen, da er in diesem Falle wie dieses begrenzt sein müßte. 2. Unsere Deutung der 3. Theorie scheint auch durch den Umstand bestätigt zu werden, daß sie wahrscheinlich durch Vimuktātman angeregt wurde, dem bekanntlich von der Tradition die oben benutzte Formulierung, daß das Brahma selbst durch sein Nichtwissen die unerlöste Geistigkeit sei, zugeschrieben wird (vgl. etwa Nayanaprasādini zu Tattvapradīpikā (Kāsi 1956) 572, 5). Vimuktātman beschreibt nämlich nicht nur das Nichtleuchten des Brahma – das nach dem soeben Gesagten unmittelbar mit der Geistigkeit des Jivaḥ identisch ist — (ISi 71, 3ff.); er vertritt darüber hinaus auch den Standpunkt, alles Erkennen beseitige ein Nichtwissen (bezüglich des betreffenden Objektes) (ISi 64, 9f.; vgl. auch ISi 72, 11ff.) 50. Diese „Beseitigung“ (nivsttiḥ) von Nichtwissen ist natürlich nicht ganz das Gleiche wie die „Überwältigung" (abhibhavaḥ) einer (durch das Nichtwissen bewirkten) Verhüllung. Deshalb gilt auch hier, daß eine direkte Beziehung auf Vimuktātman kaum in Frage kommt; er kann wohl nur als Anreger gelten. 3. a) Die 3. Theorie wird offensichtlich auch von Prakāśātman selbst vertreten, da er sie mehrfach (und nicht immer ohne Gewaltsamkeit) in den 50 Ob sich auch die Lehre von der Begrenztheit des Nichtwissens - die nach TDi 262, 18-20 keineswegs selbstverständlich ist - bei Vimuktātman nachweisen läßt, vermag ich nicht zu entscheiden. Page #29 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 357 Grundtext der Pañcapādikä hineininterpretiert, so z. B. im Kommentar zu Paño 114, 5ff. (vgl. Interpr. d. 2. Th., 2 b): vgl. Viv 305, 6: sarvatrāvidyāvrtatayā anabhivyaktasvabhāvam api caitanyam ...; 307, 8–10: sarvagatasyāpy ātmano 'vidyāvrta prakāšasya paricchinnāntahkarana-pariņāma 51-upādhy-abhivyakty-apekṣayā vişayavisesam prati pramātýtvam; 307, 11: keyam abhivyaktih? āvaranābhibhavaḥ. Eine andere Stelle ist Viv 97, 1ff., wo Prakāśātman den Satz der Pañcapādikā, das Unerkanntsein der Objekte ergebe sich schon aus dem Fehlen eines Erkenntnismittels oder -aktes (pramānavaikalyāt, vgl. Interpr. d. 2. Th., 2 b, 3. Absatz), im Sinne der 3. Theorie folgendermaßen interpretiert: „Weil sich das Unerkanntsein der Objekte schon aus dem Fehlen, d. h. dem Verhülltsein, des Mittels der Erkenntnis des Nichtselbstes (= Objektes), d. h. der Geistigkeit, ergibt." An beiden Stellen fehlt bezeichnenderweise eine Differenzierung der Geistigkeit in einen (spiegelbildlichen) Jivah und ein (urbildliches) Brahma. Zur Frage, ob das Objekt nach der Weise der 1. oder der 2. Theorie erkannt wird, läßt sich vielleicht Viv 308, 8 heranziehen, wo das Objektbewußtsein als Manifestation der Objekt-Geistigkeit (abhivyaktam ... vişayacaitanyam) bestimmt wird, eine Ausdrucksweise, die doch eher im Sinne der Manifestation der dem Objekt zugrundeliegenden Geistigkeit als im Sinne des Verfärbtwerdens einer ihm bloß raumgleichen, aber äußerlichen (Jiva-)Geistigkeit zu verstehen ist. b) Auch von der späteren advaitischen Tradition, z. B. Madhusudana (SBi 59, 4) und Dharmarāja Adhvarin (VeP 140, 2), wird die 3. Theorie häufig mit der Position, die Jiva-Geistigkeit sei Materialursache der Welt und damit die den Objekten zugrundeliegende Geistigkeit, in Verbindung gebracht. Zum mindesten Madhusūdana scheint jedoch dabei eher an die Richtung Vācaspatimisras zu denken als an die (später unter der Lehre, daß es nur einen einzigen Jivah gebe (ekajīvavādah), subsumierte] Position Vimuktātmans. Beide Standpunkte setzen zwar seiner Ansicht nach voraus, daß der Jivaḥ Materialursache der Welt sei (SBi 47, 5 u. 49, 3), doch verbindet der ,,Ekajivavādaḥ" hiermit nach Madhusūdana den ,,Drsti-srsti-vādah, die Lehre, daß die Objekte dem Jivaḥ nicht vorausgesetzt sind, sondern immer erst zur Zeit ihres Erkanntwerdens geschaffen werden (allerdings bei Madhusūdana, wie es scheint, realiter (vgl. ASi 533, 13ff.)]. Für diesen Standpunkt gibt es natürlich keinen Unterschied zwischen erkannten und unerkannten Objekten (vgl. ib.), keine pratikarmavyavasthā (ASi 534, 11 u. 14), deren Erklärung aber doch gerade unsere Theorie dienen soll 52. Madhusūdana scheint also eher an die Vācaspati 61 Diese Einschränkung der Manifestation der (Jiva)-Geistigkeit auf die Transformation des Inneren Sinnes entspricht der in der 2. Theorie, Y, entwickelten Auffassung. Vgl. auch Viv 259, 8. 52 Es muß jedoch beachtet werden, daß dieser Jivaḥ nicht ein bestimmtes empirisches, endliches Subjekt ist. Die empirischen Subjekte sind vielmehr bloße (durch einen bestimmten Inneren Sinn begrenzte) Schein-Jivas (jivābhāsāh, ASI Page #30 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 358 LAMBERT SCHMITHAUSEN Richtung zu denken. Der Anlaß hierfür mag Vedāntakalpataruḥ (Ausgabe: s. Bhā) 552, 17ff. gewesen sein, wo sich in der Tat wichtige Elemente unserer Theorie finden (vgl. insbes. Z. 21f.: sarvavyāpi sann api svarūpānubhavo 'vidyāvrtatvān na bhāsate; sa tu, nirmale iva mukuratale mukham, bhāsvarasvabhāvavišeşavad-antahkarane vyajyate ...). Eine ganz andere Behandlung erfährt die 3. Theorie durch Nrsimhāśrama, der – zum mindesten im Rahmen der Problematik dieses Aufsatzes – im Gegensatz zu Madhusūdana einen konsequent durchgehaltenen eigenen Standpunkt vertritt: Für ihn handelt es sich gar nicht um eine 3. Theorie, sondern nur um die Angabe eines weiteren Zweckes, den das Heraustreten der Transformation des Inneren Sinnes bei den beiden vorhergehenden Theorien (deren erste, entsprechend gedeutet, Nțsimhāšramas eigene Auffassung darstellt) hat (VivBh 317, 24f.; vgl. Interpr. d. 1. Th., 3 h). Vom philosophiegeschichtlichen Standpunkt aus muß diese Ansicht natürlich. zugunsten der von Akhandānanda (TDi 264, 16) ausgesprochenen, daß es sich um eine von der 1. (u. 2.) verschiedene Theorie handle, abgelehnt werden. c) Im übrigen hat sich die Tradition hauptsächlich mit der Deutung der Verhüllung (āvaraṇam) und ihrer Überwältigung (abhibhavaḥ) beschäftigt. Ich muß mich hier auf einen knappen Überblick beschränken: . Die nähere Bestimmung der „Uberwältigung der Verhüllung" hängt vor allem davon ab, ob man das verhüllende Nichtwissen als eine schlechthinige Einheit oder als irgendwie zu einer Vielheit differenziert auffaßt. Im ersteren Falle kann die Überwältigung der Verhüllung natürlich nicht die totale Vernichtung des Nichtwissens sein, da sonst die Objekterkenntnis die Erlösung bringen müßte. Sie ist also nur Vernichtung eines Teiles des Nichtwissens (ekadesanāśaḥ) oder - besser – seine (vorübergehende) Vertreibung an der Stelle des Objektes, wie wenn eine Matte aufgerollt wird (und, wenn man sie losläßt, d. h. wenn der Erkenntnisakt aufhört, wieder zurückrollt), oder wie wenn ein Soldat in die Flucht geschlagen wird (aber zurückkehrt, wenn die Gefahr vorüber ist) (SLS 157, 13-15; ASi 487, 11). Oder aber – und dies scheint dem ursprünglichen Sinn am nächsten zu kommen – die Überwältigung der Verhüllung besagt, daß das Nichtwissen zwar an der betreffenden Stelle vorhanden bleibt, aber seine (Verhüllungs)kraft überwältigt (ASi 487, 10), ihm vorübergehend das Wesen, die dem Objekt zugrundeliegende Geistigkeit nicht zu verhüllen, verliehen wird (SLS 158, 9f.). Die andere Möglichkeit war, wie gesagt, von der strengen Einheit des Nichtwissens abzugehen und eine Vielzahl besonderer Zustände oder Aspekte (avasthā-višeşāḥ, SLS 159, 9ff. u. ASi 487, 10 u. 12) oder sekundärer Nicht 539, 9), denen der eigentliche Jivaḥ (mukhya-jivah) gewissermaßen als ihre Summe übergeordnet ist (vgl. ASi 539, 8f. u. 540, 5f.). Auf das Erkennen der einzelnen Schein-Jivas geht Madhusudana anscheinend nicht näher ein, doch dürfte es etwa als ein vorübergehendes Mitschaffen charakterisiert werden. Page #31 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 359 wissen (tūlājñānāni, ASi 487, 10) anzusetzen, die jeweils bestimmte, durch ein bestimmtes Objekt abgegrenzte „Stellen" der Geistigkeit verhüllen und durch die entsprechende Erkenntnis vernichtet werden. Ein Problem ergab sich jedoch dadurch, daß derselbe Gegenstand wieder aus der Wahrnehmung verschwindet und von neuem erkannt werden muß. Wenn nun jede Erkenntnis ein (Teil-)Nichtwissen vernichten soll, mußte man viele Nichtwissen ein und desselben Gegenstandes (bzw. der ihm unterliegenden Geistigkeit) annehmen. Dabei gab es zwei Möglichkeiten: Entweder wird angenommen, daß immer wieder neue Nichtwissen des betreffenden Gegenstandes entstehen (SLS 160, 9ff.), oder aber ein und derselbe Gegenstand ist gleichzeitig von einer Vielzahl anfangloser Nichtwissen verhüllt, wobei aber immer nur eines dieser Nichtwissen durch einen bestimmten Erkenntnisakt vernichtet wird, während die übrigen bestehen bleiben, den betreffenden Gegenstand aber, solange die Erkenntnis andauert, nicht verhüllen. Um dies letztere zu erklären, verwies man auf das Nochnichtsein (prāgabhāvah) von Erkenntnis, welches der Nyāya lehrte und bei dem sich das gleiche Problem stellte (SLS 162, 5ff.; ASi 487, 22-488, 1), und nahm entweder an, daß immer nur ein Nichtwissen aktuell verhüllend wirke und nach seiner Vernichtung und dem Aufhören der betreffenden Erkenntnis durch das nächste ersetzt werde (SLS 163, 7ff.), oder aber, daß jede Erkenntnis neben der Vernichtung eines Nichtwissens auch noch die Verhüllungskraft der übrigen unterdrücke (SLS 165, 5ff.; ASi 487, 20ff.). d) Zum Abschluß sei noch kurz auf den Versuch eingegangen, mit Hilfe einer Differenzierung der Lehre von der Verhüllung und ihrer Überwältigung den Unterschied von unmittelbarer (a parokşam) und mittelbarer (paroksam) Erkenntnis zu erklären. Man postulierte zu diesem Zweck zwei verschiedenartige Verhüllungen einer bestimmten Objekt-Geistigkeit: die eine hat ihren Sitz an der ObjektGeistigkeit, die andere an der Subjekt-Geistigkeit (SLS 174, 12-14). Letztere bewirkt, daß das Objekt für das betreffende Subjekt überhaupt nicht existiert (= daß dieses gar nichts von ihm weiß), erstere hingegen, daß es ihm nicht (in seiner unmittelbaren, leibhaftigen Konkretheit) erscheint (SBi 65, 3f.). Da eine bestimmte Verhüllung nur beseitigt werden kann durch eine Erkenntnis (= Transformation des Inneren Sinnes), die mit ihr räumlich kongruiert (vgl. VTV 266, 1), kann die am Objekt selbst befindliche Verhüllung nur durch ein Hinaustreten des Inneren Sinnes, das pormalerweise durch die Sinnesorgane vermittelt ist, also nur bei der Wahrnehmung, erfolgen. Die Beseitigung der am Subjekt befindlichen Verhüllung des Objektes hingegen ist auch ohne ein Hinaustreten des Inneren Sinnes, also auf Grund indirekter Erkenntnismittel wie Schlußfolgerung, möglich (SLS 174, 16–175, 2). Daß diese Lehre in Madhusūdanas Siddhāntabinduḥ unter der Voraussetzung, die dem Objekt unterliegende Geistigkeit sei Brahma-Geistigkeit Page #32 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 360 LAMBERT SCHMITHAUSEN: Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis (SBi 65, 4), formuliert ist, liegt daran, daß die Funktion der Transformation des Inneren Sinnes, eine Verhüllung zu überwältigen, auch mit den übrigen Theorien verbunden wurde, und daß infolgedessen alle Probleme der Interpretation der Verhüllung und ihrer Überwältigung auch im Zusammenhang dieser Theorien auftreten können. Im SLS sind übrigens noch zwei andere Versuche, den Unterschied von unmittelbarer und mittelbarer Erkenntnis zu erklären, überliefert. Der erste (SLS 176, 1 ff.) geht davon aus, daß alle Verhüllung ihren Sitz im Subjekt hat (SLS 176, 1f.), unterscheidet aber verschiedene Aspekte (avasthā) der Verhüllung eines bestimmten Objektes und läßt die mittelbare Erkenntnis lediglich einen dieser Aspekte beseitigen (SLS 176, 6f.). Der andere Versuch (SLS 177, 6ff.) lokalisiert alle Verhüllung am Objekt und muß infolgedessen ableugnen, daß die mittelbare Erkenntnis überhaupt eine Verhüllung überwältigt (SLS 178, 8f.). Summary After having scetched briefly the Sāňkhya-Yoga theory of object-knowledge on which the corresponding Advaitic theory is largely dependant, the present paper considers the latter departing from a text of Prakāśātman's Vivaranam which contains three different theories. The first of these is very close to the Sankhyic theory but seems to imply a direct knowledge of the object itself, and not only of its representation in the Inner Sense (antahkaranam, buddhiḥ etc.). In later times, this theory is interpreted in different ways. The second theory explains object-knowledge as a participation in Brahma's knowledge which apparently takes place on account of the object's being its vivartaḥ, i. e. on the basis of the ādhyāsikasambandhaḥ. Jiva's participation in Brahma's knowledge is possible because they are fundamentally identical. At the same time, however, they are illusorily separated as bimbam and pratibimbam, and so their actual unification, and therefore Jiva's direct participation in Brahma's knowledge, is problematic. Consequently, according to one opinion, Jiva's participation in Brahma's knowledge is only possible through a reflection of the latter in the Inner Sense. The third theory seems to start from the idea of Jiva's being the "material cause” (upādānam) and underlying consciousness of the objects. As, however, this consciousness is veiled by nescience (avidyā), actual object-knowledge is only possible by the means of the Inner Sense and its transformation (pariņāmaḥ) which overpowers the veiling nescience. Page #33 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Inhaltsverzeichnis Seite DIETER SCHLINGLOFF: Fragmente einer Palmblatthandschrift philo sophischen Inhalts aus Ostturkistan (Ms. Spitzer).................. 323 LAMBERT SCHMITHAUSEN: Zur advaitischen Theorie der Objekterkenntnis 329 ERNST STEINKELLNER: Die Entwicklung des Ksanikatvanumanam bei Dharmakirti .......................... ............. 361 ANANTALAL THAKUR: Textual studies in the Nyayavartika ............ 379 A. N. UPADHYE: The Jaina conception of divinity .................... . 389 CHARLOTTE VAUDEVILLE: The cult of the divine name in the Haripath of Dnyandev ................................................. 395 TILMANN VETTER: Zur Bedeutung des Illusionismus bei Sankara ....... 407